Schon mehrfach wurden hier die Parallelwelten in der christlichen Szene erwähnt. Oftmals existieren diese nur wenige Meter voneinander entfernt und kommen einfach nicht zusammen. Gestern gab es eine Begegnung mit der Parallelwelt Bundeswehr. In der City traf ich den evangelischen Militärbischof Dr. Sigurd Rink zum Lunch.
Während die Bundesregierung in Meseberg über Abgase von
Diesel-Fahrzeugen und andere wichtige Dinge redete, genossen wir die
Sonne in der City West. Am Tisch vor dem Savoy saßen der evangelische
Militärbischof Dr. Sigurd Rink, sein persönlicher Referent Dr. Klaus
Beckmann und der bischöfliche Pressereferent Dr. Roger Töpelmann.
Im
Terminplan des Bischofs ist wenig Luft. Er ist viel unterwegs, bereist
die Einsatzgebiete und Standorte der Bundeswehr, ist in seiner
regionalen Kirchengemeinde aktiv und trifft sich regelmäßig mit Pastoren
zum Austausch. So hatte es einige Wochen gedauert, bis ein passender
Termin gefunden war: Mittwoch nach
Quasimodogeniti 2018.
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Evangelischer Militärbischof Dr. Sigurd Rink (links) und sein persönlicher Referent Dr. Klaus Beckmann (rechts) - in der Mitte eine Blume und ein unbekanntes Double von Alexander Garth |
Bemerkenswert war, dass die drei Doktoren nicht selbst das Wort ergriffen, sondern ein unmittelbares Interesse an meiner Firma und der persönlichen geistlichen Entwicklung zeigten. War ich
ungeplant in eine Seelsorge-Sitzung geraten? Der Bischof und seine
Mitarbeiter hatten ein offenes Ohr und stellten Fragen über Fragen.
Dabei wollte ich doch
Sigurd Rink kennenlernen und
erleben, wie er tickt und wie er bestimmte geistliche Themen sieht.
Christliche Parallelwelten
Die
christliche Szene in Deutschland hat ja generell ein gespaltenes
Verhältnis zur Bundeswehr. Um Militärseelsorger und Christen in der
Bundeswehr macht der Otto Normalchrist einen großen Bogen. Pazifismus
gehört zum guten Ton. Dabei fühlen sich 56% der Bundeswehrangehörigen
einer der großen Volkskirchen verbunden - mit einem leichten Übergewicht
zugunsten der Protestanten.
Sigurd Rink war durch den
Völkermord in Ruanda (2014) nachdenklich geworden. Paulus und Petrus
sprechen im Neuen Testament vom Sinn der
obrigkeitlichen Gewalten als bewaffnete Ordnungshüter. Bestätigt wurde der Militärbischof durch die
Kriegsleute-Schrift von Martin Luther (1526). Luther greift Bibelpassagen wie Römer 13 auf und entwickelt daraus die so genannte Zwei-Regimente-Lehre.
Regiment ist hier im Sinne von
Regierung zu verstehen. Das erste Regiment führt
Gott und das zweite der
Staat.
Der Staat ordnet sich idealerweise den ethischen Grundsätzen der Bibel
unter. Moral und Ethik sind Dreh- und Angelpunkt der
Kriegsleute-Schrift. Am Ende der Ausführungen wünscht sich Luther noch
viel mehr Christen in der Armee, die entsprechend positive Akzente
setzen könnten.
Traditionserlass und christliche Wurzeln
Der neue
Traditionserlass der Bundeswehr enthält viele dieser ethischen Grundlagen, obwohl
Gott
nicht ein einziges Mal darin erwähnt wird. Die Begleitung des Prozesses
zur Erarbeitung der neuen Richtlinien offenbarte eine tiefe
Verwurzelung von Offizieren und Generälen im christlichen Glauben. Ein
Grund dafür ist die Herkunft aus den alten Bundesländern und die
natürliche christliche Sozialisierung. Allerdings gehört auch Mut dazu,
seinen Glauben offen zu bekennen. So sei den studierten Theologen
aufgefallen, dass prozentual mehr Christen in der Bundeswehr zu finden
seien als im wirtschaftlichen Kontext.
Hilfe bei PTBS und das Ohr an der Truppe
Der
hohe ethische Standard bei Bundeswehrangehörigen wird auch bei der
Behandlung Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) sichtbar. Innere
Konflikte entstehen nicht nur durch eigenes Leid, sondern auch durch
die Verletzung oder Tötung von Gegnern. Die Auslandseinsätze produzieren
derzeit etwa vier neue PTBS-Fälle pro Tag. Das ist eine beachtliche
Zahl, die durch Fachpersonal der Bundeswehr und eben auch die Seelsorger
behandelt wird. Roger Töpelmann warf mit merklichem Stolz ein, dass die
Militärseelsorge erhebliche Erfolge bei der Minderung und Überwindung
von PTBS habe. Es gibt sogar eine Bundeswehr-App mit dem Namen
Coach PTBS.
Die
Militärseelsorge ist zwar eingebettet in die Truppe, steht aber
administrativ daneben. Durch die Einbettung erleben die Seelsorger den
Alltag der Soldaten und können sich ohne große Erklärungen in deren
Umstände hineinversetzen. Sie sind an das Seelsorge-Geheimnis gebunden
und dienen deshalb als Anlaufstelle für Themen, die sonst niemand
erfährt. Auch Toxic Leadership (vergiftende Leitung) kann in der
Seelsorge angesprochen werden. Es wird dann nach Lösungswegen gesucht.
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Evangelischer Militärbischof Dr. Sigurd Rink in seinem Büro |
Gehen statt auf Kommende warten
Was Militärgeistliche an ihrer Arbeit reizt, ist die
Gehen-Mentalität in der Bundeswehr. Die Ortsgemeinde lebt vom
Kommen: Anwohner
kommen in die Kirche. Bei der Bundeswehr
geht
der Pfarrer an die Standorte, in den Einsatz, zur Truppe. Rumsitzen und
auf Zuhörer warten? Das funktioniert bei der Bundeswehr nicht. Es gilt,
einen Draht zur Truppe aufzubauen. Auch wenn keine aktive Mission
betrieben wird, so entscheiden sich doch immer wieder Soldaten für eine
Taufe und eine Lebensausrichtung auf das Vorbild
Jesus Christus.
Apropos
Jesus Christus: Der immer stärker werdende Migrationsanteil unter den
Soldaten bringt neue Herausforderungen für die Seelsorge mit sich. Die
wenigen Juden werden zumeist von regionalen Synagogen betreut. Moslems
kennen keine Seelsorge. Dennoch konsultieren sie christliche Seelsorger,
die wiederum sehr positive Erfahrungen mit den Moslems machen. Auch
wenn es im Militärseelsorgevertrag von 1957 anders steht, sind die
Seelsorger offen für
alle Soldaten, deren Seele eine Sorge hat.
Das kann ein Katholik, ein Orthodoxer, ein Moslem, ein Freikirchler oder
ein Humanist sein. Da der Seelsorger seiner Kirche untersteht, wird er
sich jedoch nicht verbiegen und die Eigenheiten der anderen Denomination
adaptieren.
Militärseelsorger ohne Uniform
Die
Herren am Tisch waren froh darüber, dass die Militärgeistlichen in
Deutschland nicht in die Armeestrukturen eingebunden sind. In anderen
Ländern ist das anders geregelt und die Pfarrer tragen sogar Uniformen.
Uniformen hebeln zudem die Seelsorgekompetenz aus, da die Geistlichen
dem
zweiten Regiment (Staat) unterstellt sind. Sigurd Rink führte
in diesem Zusammenhang Predigten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg
an, die als Sahnehäubchen für die Kampfmoral gedient hatten und weit
entfernt waren von verantwortungsvoller christlicher Lehre.
Die
Authentizität und Kompetenz, mit der die drei Gesprächspartner von
ihrer Arbeit und ihrem Glauben erzählten, überzeugten mich davon, dass
Bischof Rink der richtige Mann am richtigen Platz ist. Ein enger
Mitarbeiter der Ministerin hatte mir vorab schon mitgeteilt, dass Sigurd
Rink "sehr sehr nett" sei. Das fand ich bestätigt.