Beim wiederholten Lesen des Neuen Testamentes kam ich gerade bei Johannes 2 vorbei. Erstmalig fiel mir dabei auf, dass Jesus nach der Hochzeit zu Kana noch Essen gegangen war. Gab es in Kana nur Wasser und Wein?
Aus dem Stegreif hätte ich nicht beantworten können, welche Begebenheit zwischen der Hochzeit zu Kana in Johannes 2 und der Begegnung mit Nikodemus in Johannes 3 berichtet wird.
Das nächtliche Treffen mit Nikodemus ist deshalb so bekannt, weil darin der Schlüsselsatz Johannes 3 Vers 16, "So sehr hat Gott die Welt geliebt ...", steht. Die Hochzeit zu Kana haftet gut im Gedächtnis, weil darüber regelmäßig gepredigt wird. Jesus vollbringt dort sein erstes Wunder und macht Wasser zu Wein. Letzteres dient als willkommenes Argument, wenn in Gemeindeleitungen über Traubensaft versus Rotwein beim Abendmahl diskutiert wird.
Aber was steht zwischen diesen beiden Texten?
Jesus geht mit seinen Schülern zum Passah-Fest nach Jerusalem. Das nächste Fest. Im Tempel sieht er die Verkäufer von Tauben und anderen Artikeln sowie die Geldwechsler. Er baut sich eine Peitsche und treibt die Händler und Banker aus dem Tempel. In Matthäus 21, Markus 11 und Lukas 19 erinnert er daran, dass der Tempel ein Haus des Gebetes sei und vergleicht die aktuelle Erscheinungsform mit einer Räuberhöhle (speluncam latronum).
Gebet in der Räuberhöhle
In Johannes 2 fehlt der Hinweis auf das Gebetshaus und auch die Räuberhöhle wird nicht genannt. Dafür vergleicht Jesus den aktuelle Zustand mit einem Geschäftshaus. Ein Geschäftshaus, das in der Wortbedeutung über das normalerweise verwendete "Kaufhaus" hinausgeht. Hier spielt sich nicht nur B2C (Business to Consumer) ab, sondern auch B2B (Business to Business). Sofort stehen Bilder von Messen wie der Grünen Woche oder Kongressen der Versicherungswirtschaft vor Augen. Buntes Treiben, Seminare, Vorträge, prall gefüllte Goody Bags, gehobener Geräuschpegel und Werbe-Rollups.
Und nun stelle man sich Jesus mit einer selbst gebastelten Peitsche vor.
Heute hätte er sicher die Schlüsselbänder seiner Begleiter eingesammelt, diese zusammengeknotet und die metallischen Karabiner zur Aufnahme der "Badges" (Eintrittskarten mit Name und QR-Code) als Endstücken zur Zerstörung der Rollups verwendet. Rollups kippen, Goody Bags fliegen durch den Raum, Kugelschreiber purzeln auf den Boden. Ein Standbetreuer fällt in einen Berg von Plüschbären mit Werbeaufschrift. Eine Kaffeetasse zerschellt auf dem Boden und beschmutzt den Anzug eines Besuchers. Soweit das Szenario, bis die Ordnungshüter der Zerstörung Einhalt gebieten.
Nach seinem ersten Wunder räumt Jesus erst einmal auf. In Vers 17 des zweiten Johannes-Kapitels wird diese Aktion mit Psalm 96,10 begründet, worin es heißt: "Der Eifer um dein Haus verzehrt mich". Diesen Satz haben wir sicher auch schon oft in Predigten gehört oder bei Menge, Schlachter und Elberfelder gelesen. Der revidierte Luther übersetzt: "Der Eifer um dein Haus wird mich fressen". Eifer, Verzehren und Fressen sind Worte, die im gesprochenen Text des 21. Jahrhunderts nur noch selten vorkommen. Der "Verzehr von selbst mitgebrachten Lebensmitteln" ist zwar in einigen Restaurants untersagt oder jemand der keine Ahnung hat, soll nach Dieter Nuhr "einfach mal: Fresse halten". Ansonsten sollte sich eine Bibelübersetzung aber der aktuellen Verbalkommunikation anpassen. Die Volxbibel trifft mit ihrer zielgruppenorientierten Übersetzung "Die Leidenschaft für deine Hütte brennt in mir" ebenfalls den Sinn hinter der Aussage.
Eifersucht und Fanatismus
Gestolpert war ich über Vers 17, weil im Neuhebräischen das Wort für Essen verwendet wurde. Das hebräische "achal" kann aber auch "verzehren", "wegätzen" oder "verbrennen" bedeuten. Feuer verzehrt ja auch das Brennmaterial. Gerade an dieser Stelle wird deutlich, dass die Volxbibel einen sprachlichen Weg geht, der durchaus mit Urtext und Bedeutung harmoniert.
Das lateinische "comedere" bringt an dieser Stelle noch ein gewisses Maß an Genuss mit. Es kann mit "aufessen" oder "verprassen" übersetzt werden. Aber wer verprasst hier wen?
Jesus wird durch "Leidenschaft verzehrt". Eine Formulierung, die in Liebesschnulzen verwendet wird. Im hebräischen lesen wir von "qinath", was einen starken Akzent auf "Eifersucht" hat. Nachgelagert sind Bedeutungen wie "Eifer" und "Fanatismus". Der Lateiner spricht von "Zelus", was mit den neutestamentlichen Zeloten einhergeht und die stark politisierte Richtung von Eifer und Fanatismus bedient.
Eifer für ein Haus?
Beim zehnjährigen Jubiläum der
Evangelischen Kirchengemeinde Marzahn/Nord hatten wir eine interessante Erfahrung gemacht. Dieses Haus war das letzte Kirchengebäude, dessen Grundstein vor Ende des Experimentes eines altruistischen Staates mit der Abkürzung DDR gelegt wurde. Während des Festaktes wurden alle Pastoren auf die Bühne gebeten, die die Gemeinde in den letzten zehn Jahren begleitet hatten. Sie wurden chronologisch sortiert und um einige Worte zu ihrer Zeit in Marzahn gebeten.
Bei den ersten Männern spürte man noch den Pioniergeist. Sie gingen durch die Hochhäuser und klingelten an den Türen. So manch ein Mieter mit Gehaltsbezügen aus dem Ministerium für Staatssicherheit öffnete und holte die Geistlichen hinter die gedämmte Eingangstür seiner Neubauwohnung. Das war eine spannende Zeit für die Gemeinde. Hauskreise entstanden und der übergangsweise Bedarf an Räumen wurde durch die benachbarte Katholische Kirche gestillt.
Je größer und fertiger jedoch das Gebäude wurde, umso stärker verschob sich der Fokus der Pfarrer vom Leben zum Haus. Es ging um den Architekten, die Gestaltung der Wände und den Altarbereich. Den Ausklang bildete ein Besucher, der entrüstet aufstand und in den Saal rief: "Es gibt noch zwei Hauskreise".
Kapelle versus Gemeinde
Insbesondere bei Baptisten hört man die antiquierte Formel "Wir gehen zur Kapelle". Eine gruselige Formulierung, an deren Optimierung ich schon bei meinen Eltern gescheitert war. "Wir gehen zur Gemeinde", war meine Alternative. Während eine Kapelle ganz klar ein Gebäude meint, hat "Kirche" eine Doppelbedeutung für Gebäude und Gemeinschaft. Diese Doppelbedeutung verschiebt sich bei "Gemeinde" weiter zugunsten von Gemeinschaft und kommt dem Anliegen von Jesus sehr nahe.
Dass Jesus nicht am Gebäude des Tempels klebt, zeigt seine spätere Ankündigung von dessen Zerstörung im Jahr 70, also 40 Jahre nach seiner Hinrichtung und Auferstehung. Gott verlässt bereits den ersten durch Salomo gebauten Tempel in den dramatischen Kapiteln acht bis elf des Hesekiel-Buches. Kurz darauf wird das Haus durch Nebukadnezar zerstört. Herodes lässt einen zweiten Tempel bauen und benötigt dazu 46 Jahre. Schon in Vers 19 des zweiten Johannes provoziert Jesus die Juden damit, dass sie den Tempel abreißen sollten und er ihn in drei Tagen wieder aufbauen werde.
Es wird deutlich, dass Jesus nicht nur Eifer für einen immobilen Sakralraum mit Gebetszweck entwickelt, sondern eifersüchtig um und für seine Gemeinde ringt. Eine Gemeinde, die mit lebendigen Steinen nach 1. Petrus 2,4 gebaut ist. Ein hybrides Gemeindehaus, in dem Jesus den finalen Eckstein, Caput Anguli (latein) oder Rosh Pinnah (hebräisch), bildet. Ein Haus, in dem Gebet möglich ist, in dem Ablenkung minimiert wird, ein Gebäude, in dem Jesus die Nummer Eins ist und Ruhe sowie einen geschützten Rahmen zur Begegnung zwischen ihm und seinen Leuten findet.