Sonntag, 29. Mai 2016

Axel Nehlsen - Pfarrer passgenau platziert

Pfarrer Axel Nehlsen engagiert sich seit vielen Jahren bei der Vernetzung von Gemeinden, Werken und christlichen Akteuren der Stadt. Sein Ziel ist die positive Beeinflussung des urbanen Klimas durch gelebte Beziehung zu Jesus. Bei "Gemeinsam für Berlin" war er mit seinen Fähigkeiten passgenau platziert.



Sie sind selten: christliche Verantwortungsträger, die Axel Nehlsen nicht kennen. Der 1951 im Rheinland geborene Pfarrer ist in Berlin und Umgebung, Großbritannien, Südafrika und den USA sehr bekannt. In den 1990er Jahren leitete er den citymissionarischen Dienst an der Gedächtniskirche, organisierte den Jesus-Tag sowie verschiedene Konferenzen und Foren, die sich mit der geistlichen Transformation von Städten beschäftigen. Es ist sein besonderes Anliegen, dass Menschen in den Metropolen der Welt Jesus kennen lernen und Christen sich über ihren gemeinsamen Nenner Jesus verbinden.

Heute fand in der ChristusKirche Anklamer Str. 31 die offizielle Abschiedsfeier für Axel Nehlsen statt. Am Morgen war mir noch eingefallen, dass diverse Bischöfe, Kardinäle und wohl möglich der pastorale Bundespräsident eingeladen sein könnten, die für Grußworte nach der Formel "Alter mal Minuten" bekannt sind. Die Kinder begleiteten uns dennoch tapfer. Bereits am Eingang wurden die Gäste mit einem "Tschüß Axel!" begrüßt.

Axel Nehlsen Abschiedsgottesdienst Rente
Abschiedsgottesdienst für Axel Nehlsen - Dankeschön der Freiwilligenagentur
"Papa Axel" könnte man die Predigt zu 1. Korinther 4 Verse 15 überschreiben. Sie wurde von Axels Alumnus Joshua Lupemba gehalten. Dieser ist inzwischen Beisitzer des Vorstandes von Gemeinsam für Berlin und konzentrierte sich heute auf den Aspekt des Mentors. Der Gottesdienst wurde im weiteren Verlauf von verschiedenen Überraschungsgästen gestaltet. Joachim Gauck und Erzbischof Eterovic waren zwar nicht darunter, dafür aber Stadtnetzwerker Roger Sutton aus Manchester, ein Vertreter der syrischen Christen, die gesamte Freiwilligenagentur und Gemeinsam für Berlin.

Axel Nehlsen hatte Gemeinsam für Berlin von Anfang an entscheidend geprägt. Als Brückenbauer und Netzwerker war er mit seinen Begabungen dort exakt am richtigen Platz. Er lebte "passgenau" seine Berufung, die Christen der Stadt zusammen zu bringen und wertvolle Querverbindungen zu schaffen.

Mentor, Brückenbauer, Mediator, Organisator, Manager und Beter ...

... waren weitere Attribute, die ihm heute zugesprochen wurden. Der bescheidene, authentische und nahbare Axel zeigte sich in einer kurzen Dankesrede erstaunt darüber, welche Frucht durch das Wirken am richtigen Platz gewachsen war. Oft stand er von seinem VIP-Sitz auf und umarmte die Festredner. Es ist ein Privileg, diese anerkennenden Worte, Videos und Präsentationen zu Lebzeiten aufnehmen zu dürfen. Normalerweise besinnt sich die Umgebung erst darauf, wenn eine Holzkiste vor dem Kreuz steht. Heute jedoch stand Axel selbst vor dem Kreuz, segnete seine Dienstnachfolger und übergab symbolisch drei Tresorschlüssel. Da er den Standort der Tresore nicht verriet und man die Schlüssel auch nicht essen konnte, hatte er noch jeweils einen Schokoladenschlüssel beigefügt. Seine bisherige Hauptaktivität bei Gemeinsam für Berlin übernimmt ein gleichberechtigtes Team aus Harald Sommerfeld, Ana Hoffmeister und Andrea Meyerhoff.

Axel Nehlsen gehört zu der bemerkenswerten Klientel von Verantwortungsträgern, die rechtzeitig für Nachwuchs sorgen und nicht bis Ultimo am Amt kleben bleiben. Ein Mann, der große Risiken eingegangen war und dabei immer wieder den klaren Schulterschluss mit dem Willen Gottes erleben durfte. Seit Monaten gibt er seine diversen Vorstandsämter ab und macht sich bereit für eine kurze Sabbatzeit. Er hinterlässt eine Lücke, die kaum von einer Einzelperson zu schließen sein wird. Trotz der Größe des Netzwerkes kann er sich sämtliche Namen merken und findet immer wieder den passenden Anknüpfungspunkt.

Nach dem Gottesdienst gab es Flying Buffet und viele gute Begegnungen. Es war ausdrücklicher Wunsch, den Abend im Networking ausklingen zu lassen. Das war tatsächlich gelungen. Die Perfektion des Caterings war vergleichbar mit der Aftershow-Party des Deutschen Filmpreises.

Vielen Dank an die ChristusKirche und Gemeinsam für Berlin!
Gottes Segen für Axel Nehlsen!

Mittwoch, 25. Mai 2016

Hörendes Gebet bei der FBG

Die FBG ist ein genossenschaftlicher Zusammenschluss christlicher Unternehmer und Führungskräfte, die ihr Geschäftsleben bewusst auf die Grundlagen biblischer Ethik stellen. Die FBG unterstützt junge Unternehmungen und begleitet ihre Mitglieder in der Persönlichkeitsbildung.



Das Wort "Genosse" löst ambivalente Assoziationen aus. Da gibt es den Parteigenossen, das Mitglied einer Wohnungsbaugenossenschaft, den "Genossen auf Wacht" an der ehemaligen Berliner Mauer, den SPD-Genossen oder "des Glaubens Genossen".

Heute waren wir zu Gast bei Letztgenannten, nämlich den Genossen der FBG. Die FBG ist eine Genossenschaft für christliche Unternehmer. FBG bedeutet "Firmen fördern nach biblischen Grundsätzen" oder auch "F wie Freiheit", "B wie Begleitung", "G wie Gemeinschaft". Die FBG wurde im November 2008 gegründet und zählt aktuell siebenundsechzig Mitglieder, die sich zur Einhaltung bestimmter ethischer und geistlicher Grundsätze verpflichtet haben. Der ursprüngliche Fokus auf Beratung und Unterstützung bei Neugründung hat sich inzwischen in Richtung Persönlichkeitsentwicklung verschoben.

Grundsätzlich stehe ich Unternehmen, die ihr Christsein zu laut propagieren, skeptisch gegenüber. Gibt es doch peinliche Erfahrungen mit Zahlungsmoral, dem Alleinanspruch auf die christliche Kundenklientel und der Einstellung, dass sich "Brüder" helfen müssen, auch wenn das Verhältnis von Preis und Leistung sehr individuell ausgelegt wird. Ganz abgesehen von der Bemerkung einer damaligen Kollegin: "In dem **** da habe ich mal gearbeitet. Das sind alles Christen und man muss ständig Überstunden für den Herrn machen". In den mehr als zwanzig Jahren nach diesem Ausspruch erlebte ich auch diverse positive Beispiele.

Christlich geführte Firmen unterliegen wegen ihrer offenkundigen Vorbildwirkung ganz besonders dem Prinzip aus Kolosser 3 Vers 23: "Alles, was ihr zu tun habt, das leistet mit willigem Herzen, als gälte es dem Herrn und nicht den Menschen". Da ich meine eigenen Defizite kenne, formuliere ich die christlichen Grundlagen meiner Unternehmensführung nur dann, wenn es gerade in den Kontext passt. So war ich gespannt auf diesen Abend, wo christliche Unternehmer und leitende Angestellte im Gebet auf Gott hören wollten.

Burnout-Coach Maike Behn aus Teltow war sehr früh eingetroffen und dekorierte den kleinen Seminarraum liebevoll mit roten Tüchern, goldenen Platten, Kinderschokolade und Utensilien für ein Abendmahl. Auf einem Tisch standen belegte Brötchen und Kekse. Wilfried Franz baute ein FBG-RollUp auf. Ich trank eine LemonAid+. Nach und nach trafen die viel beschäftigten Unternehmer ein, so dass letztendlich zehn Personen mit einer 50-prozentigen Frauenquote am Tisch saßen. Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer würde sich freuen, obwohl ja auch BVG, Stadtreinigung und Medienboard mit Damen an der Spitze besetzt sind.

BMW - Bete mal wieder! - Hörendes Gebet bei der FBG
BMW - Bete mal wieder! - Hörendes Gebet bei der FBG
Gebet war ein zentrales Element des Abends.

Wir beteten vorab für den Abend. Wir beteten zum Beginn des Abends. Wir beteten vor, während und nach dem Abendmahl. Dann wurden Namenszettel geschrieben, umgedreht, nummeriert und auf dem Tisch verteilt. Wieder wurde gebetet. Während des Gebetes konnten wir Eindrücke aufschreiben und den nummerierten Zetteln zuordnen. Maike hatte zuvor die Begegnung zwischen Jesus und Zachäus aus Lukas 19 als Bildgeschichte dargestellt. Einzelne Passagen daraus beschäftigten mich bei fast jedem Namensschild. Anschließend teilten wir uns in kleine Gruppen und redeten über die Notizen, die uns betrafen. Dann beteten wir für einander. Abschließend gab es eine Gebetsgemeinschaft in der großen Runde.

Die Atmosphäre war offen, entspannt und herzlich. Wilfried hatte zwischendurch von den Opfern, Herausforderungen und Segnungen des Business-Transforums in Essen berichtet und kurz die FBG vorgestellt. Einige Visitenkarten wurden ausgetauscht und ich bin gespannt, wie sich die Kontakte weiter entwickeln. Etwa drei solcher Abende finden pro Jahr statt.

Mindestens vier Dinge hatte ich an diesem Abend gelernt:

  1. Bitte um Vergebung, auch wenn sich deiner Meinung nach der Andere entschuldigen müsste.
  2. Frage statt "Was nützt es mir" lieber "Was willst du, Herr"?
  3. Vermeide Sätze mit den Worten "Warum muss man aber immer eigentlich nicht".
  4. Psychologenprinzip "kompetent die Klappe halten"

Mit Blick auf die Uhr verabschiedete ich mich sehr schnell und begab mich hinaus auf die spärlich erleuchteten Straßen von Lichterfelde-Ost. Im nächtlichen Berlin hatte ich noch dreißig Kilometer mit jeder Menge roter Ampeln vor mir.

Dienstag, 24. Mai 2016

#gemeinsam von Allah zu Jesus

"Allah gesucht - Jesus gefunden" ist ein Buch, das durch einen ehemaligen Moslem in einer für Außenstehende verständlichen Sprache geschrieben wurde. Anschaulich und liebevoll vermittelt es einen professionellen Einblick in muslimische Denkstrukturen und die Szenarien eines möglichen Ausstiegs. Das Buch ist autobiografisch geschrieben.



Das Bundesministerium des Innern beschäftigt sich seit Mai unter #gemeinsam (Hashtag Gemeinsam) mit gesellschaftlichem Zusammenhalt und Integration. Zusammenhalt und Integration funktionieren allerdings nur, wenn sich alle Beteiligten in einer positiven Weise aufeinander zu bewegen. Die Alternativen sind bereits sichtbar: Radikalisierung, Ghettoisierung, Subkulturen, Vorurteile und Abgrenzung. Deshalb ist Information sehr wichtig.

"Das Buch muss Papa unbedingt lesen", sagte meine Tochter und biss ins Brötchen. Meine Frau stimmte zu. Auch sie hatte "Allah gesucht - Jesus gefunden" von Nabeel Qureshi gelesen. Das Buch hatten wir ausgeliehen bekommen, nachdem es der Schwiegersohn von Bekannten empfohlen und diese es ebenfalls gelesen hatten. Bei anderen Bekannten liegt das Buch noch eingeschweißt auf dem Tisch.

Allah gesucht Jesus gefunden
Der Autor erzählt seine eigene Lebensgeschichte aus Sicht eines Moslems, der während des Studiums zum Christentum konvertierte. Er gehört der zweiten Generation von Moslems an, die in die westliche Kultur ausgewandert waren. Er hinterfragt zunächst sehr scharfsinnig und kritisch das Christentum. Da er mit unserer "Sprache" vertraut ist, vermittelt er auf sehr gut verständliche Weise islamische Denkmuster und Argumentationen. Der Leser erfährt, warum der Koran nicht übersetzt und als besonders heiliges Buch angesehen wird. Qureshi schreibt über seine damaligen Empfindungen für den Islam, den inneren Kampf um die Wahrheitsfindung, über Widersprüche und nur durch Glauben zu begründende Fundamente.

Es prallen Welten und diametral divergente Denkmuster aufeinander. Es gibt faktisch keine Kompatibilität der Kulturen. Es bieten sich nur wenige logische Ansatzpunkte zu einem gegenseitigen Verständnis. Der sehr ehrliche Bericht dieses intelligenten Mannes zeigt, dass "tektonische" Verschiebungen des Denkens notwendig sind, um die Brille der islamischen Tradition abzusetzen und aus der Ehre-Scham-Falle in eine selbstkritische Sicht zu gelangen. Dabei bringt der Islam durchaus Werte mit, die unserem Abendland verloren gegangen sind. Das beginnt beim Familienzusammenhalt und endet bei der Abtreibung. Wäre Nabeel Qureshi nicht als vollzeitlicher Redner in eine christliche Organisation eingestiegen, hätte er als Arzt auch das Thema Fachkräftemangel bedienen können.

Nach Lesen dieses äußerst informativen Buches sehe ich einige wage Ansatzpunkte für #gemeinsam und Integration:

  1. Change Prozesse bei Moslems werden durch Träume ausgelöst
  2. Die zweite Generation befindet sich in einer inneren Zerrissenheit zwischen traditioneller Enge und westlicher Freiheit
  3. Christen sollten ihren eigenen Glauben kennen und in wenigen Sätzen erklären können
  4. Erfahrungsberichte und Lebensstil vermitteln mehr als theoretische Diskussionen
Da die erste Generation kulturell schwer erreichbar erscheint, könnte bei der zweiten Generation angesetzt werden. Nehmen wir uns die Zeit dafür?

Unabhängig davon sollte das Kommunikationsmittel Gebet dazu verwendet werden, Gott um direkte Ansprache per Traum zu bitten. Denn eine direkte und persönliche Beziehung zu Gott ist Moslems weitestgehend fremd. Vieles wird dem Zufall und den eigenen guten Taten überlassen.

Sonntag, 22. Mai 2016

Zukunft für Dich in Oberschöneweide

"Zukunft für Dich" ist eine evangelische Freikirche in Oberschöneweide mit einem starken Fokus auf soziales Engagement. Der Lobpreis ist flott und lädt zum Mitmachen ein. Die Predigt ist auf Jesus zentriert und wird in einer alltagsgerechten Sprache und Form vorgetragen. Nach dem Gottesdienst gibt es reichlich Essen. Gäste werden sehr herzlich empfangen und in das Geschehen integriert.



"Ja, die kenne ich", sagte meine Mutter und wollte gleich mitkommen. "Ja, Olli und Kathrin sind dort", erfuhr ich von ganz anderer Seite und sollte Grüße bestellen. "Zukunft für Dich" scheint eine gewisse Reichweite zu haben, die mir bisher nicht bewusst war. Immerhin hatte sich auch der NDR in seiner Dokumentation "Mission unter falscher Flagge" mit dem Verein aus Oberschöneweide beschäftigt. Die regionale Linke fand es verdächtig, dass Kinder auf dem Spielplatz mit Süßigkeiten zu Veranstaltungen eingeladen wurden und starteten damals eine Plakatkampagne gegen die vermeintliche Sekte.

Uns war deshalb nicht wirklich klar, was uns erwartet. Eines wussten wir jedoch: Anschließend gebe es ein gemeinsames Essen. Deshalb nahmen wir vorsorglich Rhabarberkuchen mit.

Oberschöneweide verkörpert zunehmend das, was Marzahn seit dreißig Jahren nachgesagt wird. Trotz renovierter Fassaden, vieler Grünanlagen und einem KWO-Gelände im Friedrichshain-Stil ist ein deutlicher sozialer Verfall zu bemerken. Das beginnt bei der äußerst aggressiven Stimmung auf dem Parkplatz vor REWE, erstreckt sich über die allgegenwärtigen Alkoholiker und endet bei der trostlosen Edisonstraße, deren Baumlosigkeit an die elend langen Straßenzüge Manhattans erinnert. Oberschöneweide dient als mehrspurig durchfahrbare Transitregion zur Stadtautobahn oder in den Südwesten Berlins.

Die Räume von "Zukunft für Dich" waren gut zu erkennen. Das Erdgeschoss des Eckhauses in Höhe der Klarastraße ist orange angestrichen und lädt den Passanten mit mehreren Schildern zum Besuch ein. So groß hatte ich mir das nicht vorgestellt. Vor der Tür hielten sich potenzielle Gottesdienstbesucher auf und begrüßten uns sehr herzlich. Wir betraten den Saal. Mit gleichbleibender Freundlichkeit begrüßten uns Frauen im Rollstuhl, Männer in Jogginghosen, Kinder in Deutschland-Trikots und junge Leute aus dem Mitarbeiterteam. Einer Mitarbeiterin drückten wir den Kuchen in die Hand und bekamen das Backblech kurz darauf abgewaschen zurück. Service!

Zukunft für Dich Oberschöneweide
Der Saal füllte sich, so dass die Zahl der Gottesdienstbesucher bei etwa fünfzig gelegen haben muss. Es begann mit einer flotten Anbetungszeit und präzise per Beamer eingeblendeten Texten. Dann wurden Geburtstagskinder und Gäste noch einmal offiziell und mit einem Willkommensgeschenk begrüßt.

Der gebürtige Hesse Jörg Kohlhepp predigte ausgehend von Römer 8 Vers 31 (Ist Gott für uns, wer kann gegen uns sein?) über Ängste und Zweifel sowie das aktive Eingreifen Gottes in unsere Herausforderungen. Unfälle, Depressionen, Krankheiten oder finanzielle Engpässe wurden aus dem Leben gegriffen und mit Beispielen für Gottes Hilfe beantwortet. Die Telefonnummer Gottes Fünfzig Fünfzehn oder Fünftausendfünfzehn oder Psalm Fünfzig Fünfzehn wurde uns vermittelt. Jörg hatte die gesamte Predigt über einen Draht zum Publikum, stellte Fragen und ging auf Bemerkungen der beiden Rollstuhl-Fahrerinnen aus der ersten Reihe ein.

Auch beim anschließenden Essen bemerkten wir einen liebevollen und empathischen Umgang miteinander. Menschen, die bisher selten mit den Sonnenseiten des Lebens in Berührung gekommen waren, werden bei "Zukunft für Dich" mit Respekt behandelt. Sie erhalten praktische Hilfe und ihr geleerter Selbstwerttank wird aufgefüllt. Besonders hilfreich ist dabei das ausgewogene Verhältnis von Mitarbeitern und Nutzern. Jörg ist einer von zwei hauptamtlich Angestellten. Darüber hinaus bringen sich etwa fünfzehn Ehrenamtliche ein.

Ich fragte mich die ganze Zeit, wie man dieses Projekt mit einem kurzen Satz beschreiben könne und blieb immer wieder bei einem Slogan der Bundeswehr hängen:

Wir. Dienen. Oberschöneweide.

Dienstag, 17. Mai 2016

Wieder einmal durch - Bibel im Looping

Vom Lesen der Bibel in unterschiedlichen Sprachen und Übersetzungen kann man durchaus profitieren. Wer schnell liest, schafft das Neue Testament in einem Monat und die komplette Bibel in einem halben Jahr. Die Bibel eröffnet in jeder Lebensphase neue Perspektiven, erweitert den Horizont und gibt Anregungen zur Optimierung der eigenen Persönlichkeit.



Der Beerdigungstermin meines Vaters ließ sich gut merken: Achter Neunter, zehn Uhr. Bei der anschließenden Trauerfeier in der Baptistengemeinde meiner Eltern sah ich sie. Groß, braun, attraktiv und für mich unerreichbar. Sie stand dort und wartete auf jemanden. Ich kannte sie nicht und hatte sie zuvor auch nicht wahrgenommen. Ich beobachtete sie. Still stand sie dort und wartete. Uns trennte nur eine Glasscheibe. Ich näherte mich und erfuhr dann ihren Namen: Elberfelder Bibel in großer Schrift.

Die Elberfelder hatte ich noch nie zuvor gelesen, da mir das Schriftbild nicht gefiel. Zudem gab es diesen Hype um die Urtextnähe und das damit verbundene holperige Deutsch. Da ich gerade bei den letzten Kapiteln des Neuen Testamentes von Nestle-Aland war, wollte ich es diesmal mit ihr wagen. Der nahe Geburtstag und der Beginn des neuen Bibelleseloops förderten eine Begehrlichkeit, die meine Mutter wenige Tage später in die praktische Umsetzung von Sprüche 13 Vers 12 (ein erfüllter Wunsch aber ist ein Baum des Lebens) münden ließ.

Die Bibel im Looping zu lesen ist eine interessante Sache. OK, manchmal ist es "nur" das Neue Testament. Aber da man dieselben Texte immer in einer anderen Lebenssituation liest, bekommen sie eine ungeahnte Tiefe. Die Bibel ist für mich vergleichbar mit einem Schloss in St. Petersburg, wo Türen über Türen geöffnet werden, kleine und größere thematisch divergente Räume durchschritten werden und am Ende der Licht durchflutete "Thronsaal" (heißt auch auf Russisch so) mit Rastrelli-Parkett, Goldtäfelung und Spiegeln auf den Touristen wartet, dem beim Anblick von Thron und Pracht die Kinnlade herunterklappt.

Die Bibel als Genussmittel, das auf der Zunge zergeht und wie eine Chili-Schokolade mal süß, mal herb in den Leser eingeht. Der Genuss entfaltet sich besonders dann, wenn sich viel gelesene oder oft in Predigten gehörte Texte ganz neu erschließen. Hilfreich ist deshalb das Lesen in unterschiedlichen Sprachen und Übersetzungen: Schlachter, Bibel in heutigem Deutsch, Gute Nachricht, Luther, New International Version, Vulgata ohne Punkt und Komma, Hebraica, Nestle-Aland Novum Testamentum Graece oder Latine, Volxbibel. Dabei entdeckt man nicht nur inhaltlich viel Neues, sondern fördert die eigene Sprachkompetenz. Auch wenn im letztgenannten Punkt die zweimal neunhundert Seiten Altes Testament der Volxbibel recht anstrengend werden können, so war es doch die Volxbibel, die mir erstmalig die Pointe des Hiob in Kapitel 42 vermitteln konnte. In der ersten Auflage des Neuen Testamentes ist sie zudem nicht so weichgespült wie andere deutsche Übersetzungen. Dieses in der christlichen Szene äußerst umstrittene Buch trifft aus meiner Sicht vielfach sehr gut den Sinn des originalen Textes. Nehmen wir nur einmal Matthäus 7 mit der Überschrift "Beten funzt".

An dieser Stelle werden wohl einige Leser dieses Artikels verärgert ihr Church Checker Abo gelöscht und den Browser geschlossen haben, so dass ich nun noch auf die lückenhaften Erzählungen im Kindergottesdienst eingehen kann. So wurde uns immer ein freudig mit seiner Matte umhergehender Geheilter vom Teich Bethesda vermittelt. Laut Text in Johannes 5 hatte er jedoch eine Menge Ausreden, um gar nicht geheilt zu werden und letztlich trat er noch als miese Petze auf, weil Jesus ihm eine Persönlichkeitsoptimierung anriet (Verse 14-16). Bevor ich mit etwa zwanzig Jahren das erste Mal selbst die Bibel gelesen hatte, wunderte ich mich immer, woher meine Eltern Dinge wissen, über die nie gepredigt wird. OK, von Dina in Sichem (Genesis 34) und den stammesgeschichtlichen Folgen erzählten sie mir auch nichts, aber das sind so Texte, die gerne verschwiegen werden. Wie auch Matthäus 23, Hesekiel 8-11 oder Apostelgeschichte 15.

Besondere Zusammenhänge lassen sich auch entdecken, wenn man die Texte über den fett gedruckten Sinnabschnitt oder die Kapitelgrenze hinweg liest. Bei Lukas 4,38 bis 5,11 könnte man sich die Frage stellen, was Petrus gerade gemacht hatte, als Jesus am Wirken war (Lukas 4,40-41)?

Während ich mich zwecks Textkorrektur bei der Volxbibel-Wiki angemeldet hatte und anhand der Einträge meine Lesegeschwindigkeit evaluieren konnte, entdeckte ich in der Elberfelder nur einen Schreibfehler in Habakuk 3 Vers 13, wo auf dem Innenknick der Seite 1438 ein scharfes "S" fehlte.

Insgesamt hatte das Durchlesen der Elberfelder siebeneinhalb Monate in Anspruch genommen. Erfahrungsgemäß kann man also die gesamte Bibel - egal in welcher Sprache oder Übersetzung - innerhalb von sechs bis zwölf Monaten durchlesen und das Neue Testament in ein bis drei Monaten.

Und welche Bibelausgabe lese ich jetzt?

Sonntag, 15. Mai 2016

Saddleback @Kalkscheune - experience #SaddlebackBLN

Die Saddleback Church ist eine wachsende evangelische Gemeinde in Mitte. Eine Predigt per Video ist ihr Alleinstellungsmerkmal. Gottesdienst und Predigt laufen auf Englisch und werden simultan übersetzt. Inhaltlich bieten die Predigten einen guten Alltagsbezug und sind wegen ihrer thematischen Nachhaltigkeit empfehlenswert. Die Zielgruppe sind Singles, junge Familien, Touristen, Studenten oder Berufs bedingte Wahlberliner, die sich über das sprachliche Entgegenkommen freuen. Der Gottesdienst eignet sich wegen der Professionalität und offenen Atmosphäre zum Mitbringen von Kollegen und Bekannten.



"Dann können wir ja zur Schönen Party gehen und gleich dort bleiben", freute sich meine Frau als sie die Location unseres nächsten Gottesdienstbesuches erfuhr. "11:00, Kalkscheune", hatte unsere Tochter in ihren WhatsApp-Chat getickert.

Ob wir noch die letzten Nachtschwärmer und Überreste der Schönen Party sehen werden? "Nein, die Leute sind so alt wie wir und halten nur von zweiundzwanzig bis zwei Uhr durch", zügelte sie die Dramatik meiner Vorstellungskraft. Wie wird es wohl mit der Parkplatzsituation aussehen?

Letztere war traumhaft. Hinter dem Friedrichstadtpalast waren unzählige Parkplätze frei. Es gab Parkraumbewirtschaftung zu zwei Euro pro Stunde und von der Schönen Party zeugten lediglich die Hinweisschilder an der Kalkscheune. Besucher von Saddleback wurden durch mehrere Schilder in die oberste Etage des Hauses geleitet. Ein interessantes Gebäude mit niedriger Zugangsschwelle.

Die Saddleback Church hatten wir bereits vor zweieinhalb Jahren besucht, als sie kurz nach der Gründung des Berlin-Zweiges in der Nähe des Potsdamer Platzes ihre Gottesdienste durchführte. Die Predigtreihe war damals so interessant, dass ich mit meinem Sohn noch ein weiteres Mal dort war.

Die Zielgruppe sind offensichtlich Touristen, Studenten, internationale Professionals und Deutsche mit erweiterten Englischkenntnissen. Wir hätten per Kopfhörer zwar eine Simultanübersetzung bekommen können, verzichteten aber darauf. Nach einer freundlichen aber nicht aufdringlichen Begrüßung kamen wir zunächst an einer Kaffeetheke vorbei. Es war noch recht leer im Saal. Der Saal erinnerte an einen der Nebenräume in der Time Square Church am Broadway. Videoscreens rechts und links neben der Bühne und fünf bis sechs Sitzreihen mit Blick auf die Längsseite des Raumes.

Die besondere Form der Sitzflächen führte dazu, dass mein abgestellter Kaffeebecher mit der liebevollen Aufschrift "Johannes 15, 5" langsam nach vorne rutschte, in Zeitlupe abkippte und den Saddleback-Saal großflächig in das Duftkonzept "Kaffee" tauchte. Es war inzwischen gar nicht mehr so einfach, zur Theke zu gelangen und einen Lappen zu bekommen. Der Saal hatte sich kurz nach Elf merklich mit Kaffee trinkenden Besuchern gefüllt. Ich beseitigte die farblich harmonierende Fußbodenveredelung, während die Familie die Gelegenheit nutzte und eine Bankreihe nach hinten umzog. Der Countdown lief. Akademisches Viertel.

Dann begann die Band zu spielen und Pastor David Schnitter leitete den Gottesdienst mit Grüßen und Ansagen ein. Alles auf Englisch. Das ist aber für den deutschen Gottesdienstbesucher noch recht harmlos. Der gewöhnungsbedürftige Teil kam nach der Anbetungszeit:

Public Viewing ohne Fußball.

Das Alleinstellungsmerkmal - Neudeutsch auch USP oder Unique Selling Proposition genannt - ist eine Predigt per Videoübertragung. Ich hatte mich bisher immer gefragt, wozu dann noch ein regionaler Pastor und der Aufwand einer Gemeindeorga notwendig sind. Heute erlebte ich die Antwort. Das einzige Video-Element ist die Predigt. Wenn man die Predigt als einen wichtigen Teil, aber nicht den einzig entscheidenden Teil von Gemeinde ansieht, lässt sich bei Saddleback erkennen, dass nachhaltige Professionalität in sämtlichen Bereichen wie Lobpreis, Kleingruppen, Kindergottesdienst, Evangelisation, sozialem Engagement usw. eine Gemeinde durchaus wachsen lassen kann. In den letzten zwei Jahren muss die Gemeinde offensichtlich um das Vierfache gewachsen sein.

Saddleback #SaddlebackBLN
In der heutigen Predigt ging es um Vergebung. Ausgangstext war Matthäus 6 Vers 12 aus dem Vaterunser. Anhand diverser weiterer Bibelstellen wurden die Facetten der Vergebung skizziert. Mein Sohn stieß mich an, ich solle auch mitschreiben und das Begleitblatt zur Predigt ausfüllen. Ab und zu notierte ich Zitate und festigte meine Ansichten zum Thema. Gut, wenn man das noch einmal so klar formuliert bekommt und weitere Zusammenhänge entdecken darf. Wir waren sehr berührt und nahmen gute Impulse auf, über die wir anschließend weiter redeten, wie beispielsweise, dass Vergeben nicht unbedingt etwas mit Vergessen zu tun hat und dass man nicht vergessen solle, dass einem vergeben wurde oder man selbst bereits vergeben habe. Ein wichtiger Fokus lag auf dem Vergeben im Sinne des Abgebens an Gott.

Die Beschriftung des Bechers meiner Frau musste etwas mehr Zeit in Anspruch genommen haben. Dort war zu lesen, dass Gott in diesem Jahr noch etwas Besonderes für sie geplant habe. Seltsam, dass bei den Ansagen, auf meinem Notizzettel und später auch in der Predigt das Wort "Ruanda" vorkam. Hatten wir doch am letzten Sonntag bereits etwas über Ruanda gehört. Nun klang die zarte Saite wie ein unüberhörbarer Gong. Wir füllten die Kontaktkarte aus und sind gespannt, wie es mit Saddleback, Ruanda und uns weitergeht.

"Das war cool! Hier können wir öfter hingehen", sagte unsere Tochter bei der Abfahrt. Solch ein deutliches Teenager-Statement gab es in den letzten zehn Monaten nur einmal: Heute.

Sonntag, 8. Mai 2016

ChristusKirche Berlin Mitte - Anklamer Straße

Der freundliche helle Gottesdienstsaal der ChristusKirche befindet sich auf einem Hinterhof in der Anklamer Straße. Der Lobpreis ist gut und die Predigt stellt einen hohen Alltagsbezug her. Es handelt sich um eine Pfingstgemeinde mit moderatem Fokus auf den Heiligen Geist. Die Altersstruktur ist gut durchmischt. Dem Kiezbesucher stehen nach dem Gottesdienst diverse Cafés und Restaurants zur Verfügung.



Die ChristusKirche in der Anklamer Straße ist eng mit der deutschen Geschichte verbunden. Heute vor einundsiebzig Jahren wurde in der Mitte Berlins der Zweite Weltkrieg beendet.

Der 13. August 1961 war ein Sonntag. An diesem Tag wollten die Mitglieder der Christlichen Gemeinschaft (heute Lukas-Gemeinde, Mülheimer Verband) zur Potsdamer Straße in den Gottesdienst gehen. Es ging nicht mehr. Der langjährige Lukas-Gemeindediakon Peter Hass ist immer fast zu Tränen gerührt, wenn er an den nur halb gefüllten Gemeindesaal am Tag des Mauerbaus denkt. Nach dem Mauerfall gab es vorsichtige Bemühungen der Annäherung zwischen den Hinterbliebenen aus dem Osten und den Leuten aus Schöneberg. Man hatte sich inzwischen deutlich auseinander gelebt. Die ChristusKirche gehört dem Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP) an. Der Mülheimer Verband war wegen unglücklicher Passagen seiner Satzung in der DDR verboten.

Und noch mehr Geschichte: Heute vor zweiundzwanzig Jahren wütete in Ruanda ein Völkermord, dem innerhalb von dreieinhalb Monaten knapp eine Million Menschen zum Opfer fielen. Die Tutsi-Frau Denise überlebte und konnte im heutigen Gottesdienst berichten, wie sie durch das Eingreifen Gottes aus mehreren hoffnungslosen Todessituationen gerettet wurde. Sie war mir schon zu Beginn des Gottesdienstes durch ihr güldenes Kleid mit aufgedruckten Bibeln und christlichen Botschaften aufgefallen. Da sie seit den traumatisierenden Erfahrungen immer näher zu Gott gekommen war und ein intensives Gebetsleben pflegt, kann sie nun als Botschafterin der Vergebung fungieren. Das brachte ihr teilweise mehr Stress mit den eigenen Leuten ein als mit den Hutu-Tätern. Auch ihre Gemeinde habe damals kein nachahmenswertes Vorbild abgegeben. Über ihre Erfahrungen schrieb sie ein Buch.

"Du bist das Zentrum der Geschichte", hieß es dann auch über Jesus im ersten Anbetungslied. Die Anbetungszeit schloss sich einer ausführlichen Einleitung mit Verabschiedung in den Kindergottesdienst, den Grüßen zum Muttertag und dem Bericht von Denise an. Eine Anbetungszeit, in der wir alle Lieder ohne Textbedarf mitsingen konnten.

ChristusKirche Berlin Mitte - Anklamer Straße
Der erste Teil des Gottesdienstes war eine Steilvorlage für die Predigt von Erhart Zeiser. Es ging um die Größe Gottes, wie sie in Apostelgeschichte 5, 17-32 beschrieben wird. Die gerade erst entstandene Gemeinde redet öffentlich vom Leben und wird aus Eifersucht angegriffen und ins Gefängnis geworfen. Ein Engel befreit die Inhaftierten in der Nacht, diese gehen wieder in den Tempel und erzählen einfach weiter von Jesus, dem Leben. Wenn man sich den Text einmal auf der Zunge zergehen lässt, spürt man, dass hier keine menschliche Kraft am Werk ist und sich Gott sogar einen Spaß daraus macht, seine Leute durch einen Engel zu befreien, wo doch die Sadduzäer als initiale Neider (Vers 17) die Existenz von Engeln und auch die Auferstehung leugnen.

Erhart Zeiser thematisierte Widerstände als Trainingseinheit zur eigenen Stärkung und Weiterentwicklung. Immer wieder forderte er die Zuhörer zum Mit- und Umdenken heraus: "Wo Jesus ist, da ist das Leben". Man solle sich in diesem Zusammenhang fragen, warum in Gemeinden manchmal so wenig Leben sei. Er predigte lebendig und alltagsrelevant, so dass man gar nicht merkte, wie die zwei Stunden des Gottesdienstes vergingen. Damit war dann auch genau der richtige Zeitpunkt für ein Mittagessen im Kiez erreicht.

Nachdem wir einige Worte gewechselt und uns verabschiedet hatten, verließen wir den äußerst gepflegten Gemeindesaal im zweiten Hinterhof der Anklamer Straße 31 und stürzten uns in das bunte Treiben zwischen Bernauer Straße und Kastanienallee. Trödelmarkt, Mauerstreifen, Hipster-Bärte, Cafés, Radfahrer und internationale Restaurants wechselten sich ab. Nach gefühlten zwanzig Kilometern Spaziergang kehrten wir beim Inder ein.

Wir waren uns einig, dass man die ChristusKirche gerne ein weiteres Mal besuchen könnte.

Donnerstag, 5. Mai 2016

Himmelfahrt im Jüdischen Museum

Das Jüdische Museum ist wegen der Verbindung zwischen Architektur, Geschichte und Themen äußerst interessant. Die Eintrittspreise sind moderat und man sollte gute vier Stunden für einen Rundgang einplanen.



Obwohl Christi Himmelfahrt auf den Herrentag alias Vatertag alias Männertag alias Bollerwagentag umgewidmet wurde, ist dieser Tag in Berlin noch ein gesetzlicher Feiertag. Das ist nicht selbstverständlich, da ja auch der Buß- und Bettag abgeschafft wurde und die unzähligen katholischen Feiertage in unserer Region gar nicht greifen. Ob sich das nach dem heute und morgen stattfindenden Besuch der Kanzlerin beim "Heiligen Stuhl" in Rom ändern wird?

Gegen Mittag hatten wir uns endlich geeinigt, dass wir an diesem christlichen Feiertag nicht in der Wohnung versauern oder im Garten grillen, sondern zunächst arabisch essen gehen und dann ins Jüdische Museum fahren. Damit waren alle Weltreligionen vertreten, die Abraham als ihre Wurzel haben.

Die Idee für das Jüdische Museum kam von meinem Schwager und dessen Freundin. Mit dem Berlinpass können sie jeden Donnerstag kostenlos die Berliner Museen besuchen. Wir zahlten als Familie vierzehn Euro, was auch vertretbar war. Da wir das Jüdische Museum bereits kannten, wollten wir uns diesmal auf positive und zukunftsorientierte Exponate konzentrieren. Immerhin war nach dem herausfordernden Netanjahu-Besuch im Oktober 2015 eine Trendwende der deutsch-israelischen Beziehungen eingetreten, so dass beim darauf folgenden Treffen Mitte Februar 2016 in der Einleitung der Kanzlerin einmal kurz das Wort "Schoa" auftauchte und sonst nur über aktuelle und zukünftige Projekte geredet wurde. Es ging um Start-ups, Wissens- und Technologietransfer, eMobility, Infrastruktur, erneuerbare Energien und den Klimawandel.

Himmelfahrt im Jüdischen Museum
Jüdisches Museum - Glashof mit Spiegelung der Dachkonstruktion
Entspannt und mit Shawarma gesättigt betraten wir das Museum und strebten erst einmal das "Café Schmus" an. Es ist wohl alles koscher und deckt die Differenzkosten des oben erwähnten Eintrittspreises gegenüber den Tickets bei Madame Tussaud in New York City. Kaffee und Kuchen genossen wir im Glashof, den der Architekt Daniel Liebeskind mit "Sukkot" (Hütten beim Auszug aus Ägypten) bezeichnet hatte. Für mich sah die Konstruktion eher wie ein mehrdimensionaler Davidstern aus.

Der Weg in die Ausstellung führte den Besucher zuerst eine Treppe hinab, die am Beginn mehrerer Kreuzwege endete. So wie die Juden während der Verfolgungszeit die verfügbaren Optionen abwägen mussten, musste sich hier der Besucher für eine Reihenfolge entscheiden. Wir fanden uns in einem verwinkelten Infobereich wieder, gingen dann in die Sackgasse mit ein wenig aber nahezu unerreichbarer Hoffnung, flüchteten von dort und kamen in eine bedrückende Freiluftinstallation, die das Exil in der vermeintlichen Freiheit symbolisieren sollte und dabei immer wieder interessante Sichtachsen bot.

Himmelfahrt im Jüdischen Museum
Jüdisches Museum und die Fühlbarkeit von Bedrängnis und nahezu unerreichbarer Hoffnung
Dann gingen wir weiter und kamen über eine endlos wirkende Treppe immer höher und höher. Die Treppe endete plötzlich an einer weißen Wand. Der letzte Seiteneingang führte in einen Komplex von Exponaten, die das reichhaltige jüdische Leben an sich und die Wechselwirkung mit Deutschland und Europa darstellten. Viele Juden hatten unsere Gesellschaft nachhaltig geprägt, für Wachstum gesorgt und gesellschaftspolitische Denkprozesse angeregt. Wem etwas gelingt, der zieht auch die Neider an. Das war schon bei Isaak in Genesis 26, 12-17 so. Damals begann der Konflikt mit den Philistern, ähm den Palästinensern. Neid und daraus resultierende Verfolgung gab es über die Jahrhunderte immer wieder und gipfelte in der "Schoa", übersetzt der "Katastrophe" oder dem "Untergang", die sechs Millionen Juden das Leben kostete. Da im Mai 1948 der Staat Israel gegründet wurde, könnte man die Schoa fast als das Ende der Selbstverurteilung aus Matthäus 27, 25 sehen.

Theodor Herzl, der die theoretischen Grundlagen für die Staatsgründung gelegt hatte, starb jedoch schon vierundvierzig Jahre vorher, was ihm auch die beiden Weltkriege ersparte. Dennoch konnte er sehen, dass es zu einem eigenen Staat auf dem alten Boden, der schon Abraham versprochen worden war, kommen wird. Apropos Sehen: Überall bietet die Architektur interessante Blickwinkel und Sichtachsen. Schaut man jedoch durch die schmalen Fenstern nach draußen, ist immer irgendein architektonisches Element im Wege, so dass man nur mit akrobatischem Geschick oder partiellem Verzicht auf die Außenwelt blicken kann.


Himmelfahrt im Jüdischen Museum
Jüdisches Museum in der Abendsonne

Insgesamt war es ein sehr buntes Bild, das im Jüdischen Museum gezeichnet wurde. Anschließend setzten wir uns noch in den Garten und warteten, bis die Familie wieder komplett war.

Nach so viel Judentum war zum heutigen christlichen Feiertag wieder etwas muslimisches angesagt: Abendessen beim Türken. Mein Schwager kannte sich in der Gegend erstaunlich gut aus und lud uns zu Pizza, Salat und Falafel ein.

Sonntag, 1. Mai 2016

Abendmahl und Weinstock in der EFG Weißensee

Die EFG Weißensee ist eine Baptistengemeinde im Kiez, die durch ihren freundlichen Umgang mit Gästen und eine Predigt mit Alltagsrelevanz auffällt. Jede Generation ist hier vertreten und es gibt sogar eine Jugendgruppe. Sehr interessant ist auch die Zusammenstellung der Lobpreisband mit Querflöte und zwei Pianos.



Als wir zum Abendmahl aufstanden und nach vorne gingen, fiel mein Blick auf den angenähten Bibelspruch am Stuhl meiner Frau: Johannes 3 Vers 8. Im Kontext geht es um die nächtliche Begegnung zwischen Jesus und Nikodemus. Aber was steht in Vers Acht?

Die kurz vorher geäußerte Frage meiner Frau, wer denn bei den Baptisten am Abendmahl teilnehmen dürfe, wurde von Pastor Torsten Milkowski bereits bei der Einleitung geklärt. Für mich wäre das ohnehin kein Problem gewesen, da ich ja damals bei den Baptisten getauft worden war. Es stellte sich jedoch gleich die nächste Frage: Was ist der Unterschied zwischen dem roten Inhalt der kleinen Plastikbecher und dem der großen Metallkelche? Saft oder Wein? Ich nahm einen Plastikbecher. Traubensaft! Meine Tochter bekam Panik. Vielleicht ist ja Wein in den Metallkelchen? Nein, auch dort Traubensaft. Sie lächelte.

Auch in der Predigt ging es um Wein und dessen Entstehung. Nämlich um den Weinstock, die Reben und den Weingärtner aus Johannes 15, 1-8. Besonders irritiert zeigte sich Torsten Milkowski über Vers Zwei, wo es um das Abschneiden der Reben geht, die keine Frucht bringen. Während der Vorbereitung knabberte er lange daran und kam schließlich zu der entspannenden Erkenntnis, dass es hier nicht um ganze Menschen gehe, sondern um Dinge im eigenen Leben, die solch eine Sackgasse darstellen, dass sie von Jesus weggeschnitten werden müssen. Eine Handlung, die zum Wachstum in den Lebensbereichen verhilft, die bisher vernachlässigt wurden.

Die Baptisten in Weißensee sind ein aktives Vorbild, wenn es um Veränderung und Wachstum geht. In der Predigt und auch der Anmoderation wurde immer wieder von der Notwendigkeit des Loslassens und Optimierens geredet. Die Gemeinde lässt zur Zeit einen alten Anbau los und baut etwas Neues auf. Aufgebaut werden parallel zum Gottesdienst auch Kinder zwischen Zwölf und Vierzehn im Rahmen eines biblischen Unterrichtes. Aufbauend und gleichbleibend gut war auch die Performance der einzigartig zusammen gestellten Band mit zwei Pianos, Querflöte, Schlagzeug und weiteren Instrumenten.

Nach dem Gottesdienst erfuhren wir, dass auch für die Qualifizierung der Mitarbeiter einiges getan werde. So habe es für das Moderationsteam mehrere Seminare mit TV-Profis gegeben. Professionell sieht auch die neue Webseite der EFG Weißensee aus.

Am Abend schaute ich nach, was in Johannes 3 Vers 8 steht: "Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht; so ist jeder, der aus dem Geist geboren ist". Das gefällt mir! Ahnt doch auch niemand, wo der Church Checker das nächste Mal auftauchen wird. Wir wissen es manchmal selbst erst am Vortag.