Freitag, 29. September 2017

Die gute alte Bibelstunde bei Eben Ezer

Der letzte Besuch einer Bibelstunde muss wohl 25 Jahre zurückliegen. Ein Freund erzählte nun von den guten Erfahrungen mit der Bibelstunde in seiner Gemeinde. Deshalb machte ich mich gestern Abend auf den Weg zu seiner Bibelstunde.



Schon der Begriff Bibelstunde lässt ein Gefühl von Langeweile und Anachronismus aufkommen. In Gedanken malt sich ein Bild mit einem großen Tisch, Senioren, alten Gesangsbüchern, Bibeln in der Lutherübersetzung, einem Klavier und einem Kollektenbeutel. Duftmarke: moderig. Kein Wunder also, dass Bibelstunden in Hauskreise, Kleingruppen, Hauszellen, Sofagruppen und ähnliches umfunktioniert wurden.

Begriffe und deren Füllung

Die klassische Bibelstunde wurde durch Gruppen abgelöst, die sich nicht mehr im Gemeindehaus treffen, sondern in den Wohnungen der Teilnehmer. Oft wird vorher gemeinsam gegessen und dabei über den Alltag geredet. Anschließend werden die Bibeln rausgeholt. Egal ob Smartphone oder Printversion, jeder hat die Bibel dabei, die er gerade liest. Es werden Themen, Leitfäden oder fortlaufende Bibeltexte bearbeitet. Das Material ist nahezu unerschöpflich. Sehr empfehlenswert die Hauskreisbibeln, die es für das Alte und das Neue Testament gibt.

Ich war gespannt, wie mein Wiedereinstieg in eine Bibelstunde abläuft.

Kurz vor sieben war ich vor Ort und traf vier Männer mit grauem Haar an. Es gab auch einen Tisch, Gesangsbücher und große Bibeln. Vier Klischees bedient. Der Leiter des Abends und ein Teilnehmer diskutierten über hochtheologische Fragen, bei denen ich nicht mitreden konnte. Beeindruckend!

Wir wechselten auch einige profane Worte und versorgten uns mit Pfefferminztee in Tassen mit dem Logo der LKG Eben Ezer. Dann ging es los. Es konnten Lied-Vorschläge unterbreitet werden. Leider bin ich im Gesangsbuch nicht mehr so zu Hause, was eigentlich schade ist. Die alten Lieder sind oft gehaltvoller als so manch ein Schönwetter-Lobpreis-Hit. Es wurde die 312 vorgeschlagen, die wir mit Mandolinen-Begleitung sangen.

Areopag

Um keine Zeit zu verlieren, starteten wir mit dem Vorlesen von Apostelgeschichte 17, 16-34: Paulus in Athen und auf dem Areopag. Eine sehr schöne Bibelstelle, die die missionarische Gewandtheit und Empathie von Paulus demonstriert. Zudem hatte ich im Spätsommer 1989 selbst einmal auf dem Areopag gestanden und der Situation nachgespürt. Der Bibelstunden-Leiter überrollte uns nahezu mit geballtem Wissen über Epikuräer, Stoiker, griechische und römische Philosophen und die Professionalität von Paulus.

Paulus gab uns in diesem Text ein Beispiel, Gesprächspartner bei ihren Themen abzuholen und dann auf Jesus sprechen zu kommen.

Innerhalb einer Stunde bekamen wir die 19 Verse sehr detailliert und mit vielen Hintergrund-Informationen erklärt. Ab und zu wurde eine Frage gestellt. Der Pfefferminztee ging zur Neige. Zwei weitere Leute kamen während des Referates dazu. Dafür musste mein Empfehlungsgeber früher weg. Er hatte die ganze Zeit mitgeschrieben. Mehrere Seiten seines Notizbuches waren dabei gefüllt worden. Jedes Wort des Referenten hatte er aufgesaugt und mit blauer Schrift fixiert. Wird er das jemals nachlesen? Ja, vor der nächsten Bibelstunde.

Wissen - Nähe - Gebet


Aus unterrichteten Kreisen war zu erfahren, dass es wohl vier potenzielle Bibelstunden-Leiter gebe. Diese wechseln sich ab, so dass die Bibelstunde regelmäßig auch zu einem Bibelgespräch werde. Der Leiter trete in letzterem Fall völlig in den Hintergrund, nachdem er die Diskussion angekurbelt habe.

Die treuen Teilnehmer haben wohl ein tieferes Bibelwissen und eine tiefere Beziehung zu Jesus, als sie zu erkennen gegeben hatten. Und genau das ist der Punkt, der fasziniert: Reife und Jesus-Nähe in dieser kleinen Gruppe. Eine Gruppe, die auch im Gebet für einander und für andere einsteht. Eine Gruppe, die sich gemeinsam über di kraftvollen Ergebnisse der Gebete freut. Eine Gruppe, die die gestrige Bibelstunde mit einem Vaterunser abschloss.

Beim Abräumen der Tassen mit dem Gemeindelogo tauschten wir uns noch kurz über aktuelle Entwicklungen aus. Mit einem jüngeren Teilnehmer trat ich auf die spärlich erhellte Straße. Dabei erzählte er mir, wie ihm Jesus das Leben und die Gesundheit gerettet hatte. Seine Augen strahlten. Wir segneten uns gegenseitig und er entschwand in einer Gasse, während ich laut quieckend mein Auto entsicherte.

Donnerstag, 28. September 2017

Say good bye - das Erleben des eigenen Ablebens

Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod wird gerne in die Zukunft verlegt - in die ganz weit entfernte Zukunft. In diesem Jahr hatte ich zwei bemerkenswerte Gelegenheiten, mich mit dem eigenen Ableben zu beschäftigen.



"Say good bye", das Ende einer vierstündigen Geiselhaft irgendwo in Obsidia. Vier lange Stunden mit verdeckten Augen, Schikanierung durch Selbstwert-optimierbare Warlords, Warten in dunklen Containern, Hitze, Kälte, grauslige Musik und Ungewissheit. Vier Stunden, die ich zunächst gut mit PMR (Progressiver Muskelentspannung nach Jacobsen) und Atemübungen überstanden hatte. Doch dann eine ganz neue unerwartete Situation: Verhör. Anbrüllen, gegen die Wand drücken, neue Regeln. Hatten wir doch vier Stunden lang drei Regeln eintrainiert bekommen: "Don't move! Don't speak! Don't smile!" Dennoch hatte ich die ganze Zeit einen inneren Frieden und wusste mich in Jesus geborgen. Doch nun dieses Verhör. "Nein, Waffen gehören nicht zu meiner Ausrüstung. Klar, kenne ich Heckler & Koch als Waffenhersteller aus Deutschland, habe aber keine Beziehung dazu."

Say good bye!

Der Fragesteller wollte sich damit nicht zufrieden geben. Ich durfte die glubschige Gummibrille hochklappen und schaute auf einen Zeitungsartikel. "Look down right", herrschte er mich an. Ich erstarrte. Als ich down right lookte, sah ich dort ein Foto, aufgenommen zur Unzeit, ich in meiner normalen Straßenkleidung liegend hinter einem G22 Scharfschützengewehr von Heckler & Koch. "Aus der Nummer kommst du nicht mehr raus", dachte ich. So muss es sich anfühlen, wenn ein Nichtchrist plötzlich vor Gott steht und denkt: "Oh Scheibe, Gott gibt es doch". Und tatsächlich kam ich aus der Nummer nicht mehr raus. Ich wurde aus dem Container geführt. Licht erhellte die Gummibrille über meinen Augen. "Say good bye", dann drückte der Lauf einer Schusswaffe eine der Augenklappen nach innen und ich wusste: Exikution.

Zurück in der Gegenwart

Mit kaltem Schweiß um den Mund wurde ich in einen hellen Container geführt. "Wir kommen langsam wieder in die Gegenwart zurück", sprach die bekannte Stimme des Trainers. Unsere Gruppe von 19 Personen durfte die Brillen ablegen und wir sahen, dass wir in einem hellen Baucontainer saßen. Jeder von uns hatte in den letzten vier Stunden Großes geleistet und auch jämmerlich versagt.

Wir waren uns vorher bewusst, dass wir an unsere physischen und psychischen Grenzen geführt werden und sogar kontrolliert darüber hinaus. Die begleitende Psychologin ließ ihren ernsten Blick schweifen und beobachtete die Reaktionen. Insgesamt war das Training für Journalisten und unbewaffnete Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in Krisengebieten ein großer persönlicher Gewinn. In den durch SidaF (Soldaten in darstellerischer Funktion) inszenierten Grenzsituationen konnte ich meine automatischen Handlungsmuster erleben. Letztlich sogar bis zum eigenen Tod.

Der Entspannte überlebt eher als der Starke.

Der Tod kann jeden zu jeder Zeit ereilen. "Say good bye", heißt es dann. In Krisenregionen ist wohl eher damit zu rechnen. Dennoch waren wir bei der Fahrt durch den geteilten Phantasie-Staat Obsidia relativ entspannt in unseren Kleinbussen unterwegs. Wir unterhielten uns über dies und das, sprachen mit dem Fahrer und ließen uns immer wieder aufs Neue in die jeweilige Situation hineinfallen: legale und illegale Checkpoints, plötzliche Handgranaten im Dorf, Beschuss auf dem Marktplatz, Befreiungsaktion mit UN-Panzer und ständiges ausgeraubt werden. Entspanntheit ist gut und schützt vor Panik. Tritt dann eine unschöne Situation ein: Puls und Atem herunterregeln und Denkfähigkeit wiederherstellen.

Der Schnitt im Alltag

Obsidia war ein gutes Training für meine Lungenembolie. Diesmal eine echte Situation. Echte fünf Projekte, die fertigzustellen waren. Eine echte Familie, die mich zwang, bei der Notaufnahme anzuhalten. Echte Ärzte, echte Schwestern, echte Diagnosegeräte. Gut, ich war nicht gestorben. Der Alltag hatte jedoch einen kompletten Schnitt erfahren. Wäre ich gestorben, hätte der Alltag auch einen Schnitt erfahren. Nur mit der pikanten Fragestellung: "Wer schließt die fünf Projekte ab? Wer kennt oder findet die Passwörter zu Mailaccounts und Servern? Wer kümmert sich um die laufenden Zahlungen und Kontenbewegungen? Findet die Familie alle relevanten Versicherungen?" Plötzlich wurde mir klar, dass ich mich entbehrlich machen muss. Ich muss meine Sachen ordnen, ein Backup schaffen und Vorbereitungen treffen, dass bestimmte Dinge nach meinem Ableben elegant durch Dritte abzuwickeln sind.

Tote, die leben

Hier in der Reha-Klinik kommen wir gelegentlich über unsere Krankheitsbilder ins Gespräch. Herzinfarkt, Stants, Herzklappen-Ersatz und ähnliche Eingriffe in das kardiologische Geschehen werden berichtet. Aber auch Arterienriss mit 3 Minuten Überlebenszeit, der so glücklich verlaufen war, dass aus 3 Minuten 45 Minuten wurden. Viele der Mitpatienten wären bereits tot, wenn sie nicht rechtzeitig gefunden oder reanimiert worden wären.

Ein Haus voller Toter, die noch leben. Tote, die sich wieder dem Profanen zuwenden. Aber auch Tote, die das ihnen geschenkte Weiterleben bewusst als Geschenk angehen. "Bei dem Befund wären Sie ohnehin in den nächsten Tagen umgekippt", sagte mein Hausarzt, nachdem er den Krankenhausbericht zu meiner Lungenembolie gelesen hatte. Das wäre dann wahrscheinlich tödlich ausgegangen. Die fünf Projekte wären nicht beendet worden. Zudem hätte ich den Reigen der toten Männer in unserer Familie fortgesetzt: Spätsommer 2015 mein Vater, Ende 2016 der Vater meiner Frau und Spätsommer 2017 ich selbst. Das wäre auch für die Frauen in der Familie eine erhebliche Last gewesen.

Christus lebt in mir.

Nun aber lebe ich - noch - und Christus lebt in mir. Gerade letzterer Aspekt nimmt mir die allgemein übliche Angst vor dem Tod. Deshalb hatte ich mich in Obsidia in Gott geborgen gefühlt. Deshalb konnte ich auch dankbar auf der Intensivstation liegen und entspannt auf das warten, was kommen mag.

Sonntag, 24. September 2017

Erlebt in Potsdam

Die junge Gemeinde im Südosten von Potsdam sollte man einmal erlebt haben. "erlebt - Kirche für Potsdam" ist wie "Brücke Berlin" ein Gründungsprojekt unter dem Dach des Baptismus. Heute nutzte ich die Nähe meiner Reha-Klinik in Teltow, um den Gottesdienst bei "erlebt" zu erleben.



258 PS gleiten über die herbstlichen Straßen von Teltow-Fläming. Buntes Laub am Straßenrand, Nieselregen benetzt die Frontscheibe. LIMIT verhindert das obligatorische Blitzerfoto im Land Brandenburg. Untermalt wird das Ganze durch Anbetungsmusik von Michael W. Smith. Schon fast zu entspannend für eine Strecke, die ich noch nie gefahren bin.

K2 im Kuckucksruf 9

Nach einer halben Stunde habe ich das K2 im Kuckucksruf 9 erreicht. Immer noch erstaunt, dass mein Navi solch eine abenteuerliche Straße in einem gut bewaldeten Neubaugebiet überhaupt kennt. Ich parke in einer Nebenstraße und gehe zum einladenden flachen Gebäudekomplex des K2. Draußen begrüßt mich ein alter Bekannter. Ein Ex-Mitglied meiner Ex-Gemeinde, der mit seiner Frau bei erlebt eine neue geistliche Heimat gefunden hat.

Vor dem Flachbau stehen Leute um die 30, reden miteinander, lassen sich vom Regen berieseln und begrüßen mich sehr freundlich. Ab und zu huscht ein Kind an uns vorbei. Im Vorraum gibt es Kaffee und Kuchen und weitere Herausforderungen an mein Namensgedächtnis: Felix, Christoph, Tobias, Manuel, Christiane sind Namen, die ich mir auf die Schnelle merken kann. Ich baue Eselsbrücken und trainiere das Gelernte.

Herzlich Willkommen!

Mir wird eine Tüte in die Hand gedrückt: "Herzlich Willkommen! Schön, dass du da bist!!! JETZT ÖFFNEN", steht darauf. In der Tüte finde ich eine Beschreibung von erlebt, die fast identisch mit der Webseite ist und eine Gebrauchsanweisung für den Gottesdienst. Willkommenskultur wird bei erlebt groß geschrieben.

Der Gottesdienst beginnt fast pünktlich um 11 und startet nach einer kurzen Einleitung mit einigen flotten Lobpreisliedern. In unbekannte Lieder findet sich der Besucher schnell hinein. Im angemieteten Saal zähle ich etwa 50 Erwachsene: Altersdurchschnitt 35. Die Kinder werden vor der Predigt mit einem Bilderrätsel verabschiedet. Dann wird der Predigttext gelesen.

3 Sonntage, 3 Predigten, 3 Pastoren

Schon den dritten Sonntag geht es um Lukas 4 - die Versuchung von Jesus. Der Personalschlüssel von erlebt ist bemerkenswert: ein echter Pastor und zwei Azubi-Pastoren wechseln sich beim Predigen ab. Heute ist der Dritte von ihnen mit der dritten Versuchung dran. Das heißt, er predigt darüber. Immer wieder werden Beispiele aus dem persönlichen Erleben eingeflochten, so dass der Alltagsbezug des zukünftigen Berufs-Christen gesichert scheint. Die Predigt ist komplett ausformuliert, wird aber relativ frei vorgetragen. Er zitiert auch seine Vorredner in einer Weise, dass der Gast nicht den thematischen Anschluss verliert.

Nach der Predigt folgen weitere Lieder und das Abendmahl. Endlich mal wieder Abendmahl! Das erlebe ich viel zu selten. Bei erlebt kann ich es heute wieder erleben und freue mich sehr. Parallel wird Gebet angeboten. Eine Geste des Gitarristen suggeriert mir das plötzliche Ende des Gottesdienstes. Meine Nachbarin deutet an, dass noch der übliche Abspann komme. Tatsächlich folgen die Ansagen. Verschüchtert wird eine liebevoll gestaltete Spendenbox von hinten nach vorne durch die Reihen geschoben. Es folgt der Segen.

Mit Puls 100 nach Teltow

Beim Blick auf die Handy-Uhr sehe ich "6 Nachrichten in 2 Chats". Meine Familie inklusive Omas will mich heute in der Reha-Klinik in Teltow besuchen. Es ist schon halb eins. Ich rede noch kurz mit dem echten Pastor, verabschiede mich von meinen Bekannten und hetze zum Auto.

Handy raus. Meine Frau ist nicht erreichbar. Puls steigt. Baustellen und nicht beschilderte Umleitungen treiben den Puls weiter hoch. Die Zeit läuft. Puls steigt. 13:29 Uhr stelle ich den Wagen vor der Klinik ab und stürze in den Essenssaal. Es wird gerade aufgeräumt. "Sauerbraten ist alle, aber wir haben noch Cordon bleu", sagt mir die Dame im weißen Kittel. OK, passt zwar nicht zum Diätplan, ist aber lecker. Auf dem Zimmer messe ich den Puls: 100.

Sonntag, 17. September 2017

Geht's gut?

Wenn Worte und Sätze zu oft genutzt werden, können sie schnell zur Floskel werden. In den letzten Wochen wurde ich vermehrt mit Fragen nach dem Wohlbefinden konfrontiert.



"Hallo Herr Wieker!" - kräftiger Händedruck - "Geht's gut?" - "Ja", entgegnete ich dem Generalinspekteur. Dabei war ich schon den halben Tag mit schmerzendem Bein die Treppen der Akademie hoch- und runtergehumpelt. Hätte ich ihm das erzählen sollen? Ansonsten ging es mir gut. Der Workshop in Hamburg war sehr interessant. Das ließ die körperlichen Schwächen vergessen.

Wie geht es dir?

Am Sonntag darauf fragten mich gleich drei Leute bei Saddleback, wie es mir gehe. Das kam mir so langsam unheimlich vor. Alle Fragesteller wirkten so, als hätten sie tatsächlich ein Ohr für mein Wohlergehen. Ich war verunsichert. Sehe ich so schlecht aus?

Irgendetwas schien meinen Gesprächspartnern zu zeigen, dass ich eine Last trage. Nur welche? Natürlich gab es einen bunten Strauß an Herausforderungen, die parallel liefen und gemeistert werden mussten. Aber dazu hätte ich zu weit ausholen müssen. Und nach Römer 8 Vers 28 fühlte ich mich dennoch gut. Jesus wird schon wissen und das Richtige zur richtigen Zeit veranlassen.

So antwortete ich mit "Ja" oder "Gut" und ging weiter. Die Frage wurde mir auch an den folgenden Tagen gestellt, was mich verwunderte. Bei der Akkreditierung des israelischen Botschafters, also drei Tage vor dem Zusammenbruch, fragte eine Pressekollegin nach. Dem "Gut" fügte ich einen Hinweis auf die zwei Wochen Urlaub Anfang August hinzu. Kurz darauf rührte sich eine Lungenentzündung mit starken Stichen in der linken Seite. Ein Vorbote für noch Schlimmeres.

Hi, how are you?

Eine amerikanische Missionarin beschwerte sich einmal, dass der Hausmeister ihres Berliner Mietshauses auf die Hi-How-Are-You-Floskel (Hallo, wie geht es dir?) tatsächlich geantwortet hatte. Dabei sollte es nur im Vorbeigehen nett klingen - und dann erzählt doch der Mann allen Ernstes eine halbe Stunde lang, wie es ihm geht. Unfassbar!

Die Frage nach dem Wohlergehen kann also auch nach hinten losgehen und sollte nur gestellt werden, wenn Zeit zum Zuhören eingeplant wurde. Deshalb stelle ich solche Fragen fast nie. Es sei denn, es interessiert mich wirklich. Neuerdings wickle ich das per WhatsApp ab und verbinde das gleich mit einer entsprechenden Gebetsunterstützung.

Ehrliches Interesse

Nach der Lungenembolie war ich bei meiner Hausbank. "Geht's gut?", wollte die Kassendame wissen. "Nein", sagte ich und schilderte kurz die gesundheitliche Situation. Betroffenheit und beste Wünsche. Die Frau hatte sich ehrlich dafür interessiert. Auch aus der Leserschaft dieses Blogs, der Kundschaft und dem Bendlerblock kamen Anfragen und Genesungswünsche. Ernsthaftes Interesse. Das gab mir Kraft und Motivation.

Rückblickend und mit einem gesunden Abstand kann ich Römer 8 Vers 28 immer wieder bestätigen. Gott hat einen Plan und alle Herausforderungen und schweren Zeiten haben einen Sinn.

Sonntag, 10. September 2017

Gottesdienst im Klinikum

Wenn ich die Bibel richtig verstanden habe, ist Gottesdienst eine 24/7-Angelegenheit. Diese konnte ich in der vergangenen Woche im Vivantes Friedrichshain feiern.



Es begann mit einem Gottesdienst bei Brücke Berlin in Charlottenburg. Der Aufstieg ins Dachgeschoss war ein sicherer Indikator für die Familie, mich anschließend beim Krankenhaus abzusetzen. In der Notaufnahme ging alles sehr schnell. Ergebnis: Lungenembolie mit sehr ausgeprägter Diagnose.

Rote Tasche mit Elberfelder in großer Schrift

Während meine Frau die eine Zeitschrift im Wartebereich studierte, packten die Kinder zu Hause meine Krankenhaus-Ausrüstung ein. conhIT Connecting Healthcare IT stand auf der knallroten Umhängetasche. Ein Schlafanzug, eine Unterhose, ein T-Shirt, mein Handy mit Ladekabel und die Elberfelder in großer Schrift. "Du sollst dich ja nicht so anstrengen", war ihre Argumentation für die Wahl der Elberfelder. Danke, aber ich lese gerade eine andere Bibel. Deshalb bat ich meine Frau, mir am nächsten Tag die Vulgata mitzubringen.

Langzeit-Ehe und noch immer frisch

Meine Mitpatientin hinter der Spanischen Wand war fortgeschrittenen Alters und lag hier wegen eines Schlaganfalls. Ihr Gesundheitszustand wurde merklich besser, so dass wir bald ins Gespräch kamen. besonders beeindruckend war die Beziehung zu ihrem Mann. Liebe wie am ersten Tag. Ein Beispiel für jeden guten Ehekurs, nur eben keine wirkliche Beziehung zu Jesus. Das fand ich sehr schade. Leider ergab sich kein Anknüpfungspunkt, um noch etwas über das Danach mit ihr ins Gespräch zu kommen.

Dreibett-Zimmer

Nach etwa 24 Stunden wurde ich von den Kabeln befreit und auf die normale Abteilung verlegt. Dreibett-Zimmer. Bei den vielen guten Begegnungen taten mir die Privatpatienten leid, die sich im Einzelzimmer langweilen. Im Zimmer lag bereits ein älterer Herr, der sein Leben lang als Maler gearbeitet hatte und nun kurz vor dem Abschied stand. Ein feiner und freundlicher Bettnachbar.

Die Frage nach Gott quittierte er mit einer sehr emotionalen Antwort: "Die Pfaffen kannst du alle vergessen. Die quatschen nur dummes Zeug und helfen dir letztlich doch nicht." Ein nicht ganz unbekanntes Thema. Hätte ich ihm von unserem Gemeindeaustritt vor zwei Jahren erzählen sollen? Schade jedenfalls, dass ihm die pastorale Erfahrung nun bei der direkten Kontaktaufnahme zu Jesus im Weg stand.

Am zweiten Tag kam unser dritte Mann und keiner hatte Skat-Karten dabei. Er war tätowiert, sehr kräftig, sehr sportlich, eine wahre Kämpfernatur von Mitte 40. Die Krankheit sah man ihm nicht an. Seine Brüder vom Motorad-Club gaben sich die Klinke in die Hand. Ich war fasziniert über diese Community. Sie brachten Geburtstagsgeschenke, schoben ihn im Rollstuhl zur Cafeteria, spielten Mensch ärgere Dich nicht und freuten sich auf seine Genesung.

Bibel auf dem Nachttisch

Entspannung im Krankenhaus ist nicht! Bis zum Nachmittag wurden wir mit Behandlungen, Messungen und Essenseinnahmen beschäftigt. Meine 10 x Danke pro Tag konnte ich morgens kaum am Stück aufschreiben, weil Blutdruck oder Sauerstoff-Sättigung gemessen wurden. Auch das eine Kapitel aus 4. Mose war selten in einem Rutsch zu lesen. So lag die grüne Bibel mit der goldenen Schrift oft zugeklappt auf dem Nachttisch.

Die Blicke von Ärzten und Schwestern fixierten das Buch. "Lesen Sie die Bibel?", kam ab und zu eine interessierte Frage. Der 4. Mose enthält ja so einige Geschichten, die uns den Humor Gottes nahe bringen. "Ist die Bibel so lustig?", fragte unser Motorrad-Freund. Ja, das konnte ich bestätigen.

Abschied

Nach einer Woche wurde ich entlassen. Beim Zusammenpacken der Sachen fiel mir ein, dass ich ja noch die Elberfelder in großer Schrift dabei hatte. Diese hatte ich einmal durchgelesen, so dass ich sie jetzt auch weitergeben konnte. Ich schenkte sie dem Kämpfer aus dem Nachbarbett. Er freute sich und wollte darin lesen. Ich schüttelte das Buch aus, entnahm einen Notizzettel, schaute nach eventuellen Unterstreichungen und steckte die Visitenkarte des Orthopädie-Fachhandels beim Anfang des Neuen Testaments rein: "Am besten hier anfangen". Dann packte ich den Rest zusammen und verabschiedete mich von den beiden Patienten.

Irgendwie war in den paar Tagen eine Beziehung entstanden. Trotz unserer sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten und Ansichten hatten wir uns gegenseitig aufgemuntert, viel gelacht und auf unsere Sachen aufgepasst. Mit ein wenig Abstand muss ich sagen, dass das alles einen Sinn hatte. Ich nehme es mit Römer 8 Vers 28.

Sonntag, 3. September 2017

Brücke Berlin schließt Lücke in Charlottenburg

Brücke Berlin ist eine moderne Gemeinde und bedient seit einem Jahr eine Versorgungslücke in Charlottenburg. Zu siebent besuchten wir heute den Gottesdienst.



Es waren wohl vier Brücken, die wir auf der Fahrt zu Brücke Berlin in Charlottenburg überquert hatten. Was mit der Bahn etwa 80 Minuten dauerte, ging mit dem Auto auch in 35 Minuten vom Stadtrand aus. Vor der Hausnummer 94 stand bereits ein Mann mit blauem T-Shirt. "Brücke Berlin?", fragte er und streckte seinen Arm in Richtung Eingang aus. Wir schlenderten an einer orangen Fassadenfärbung entlang in den Hinterhof. Dort stand ein Mann mit Anzug. Dieser outete sich später als Fotograf. Er zeigte auf eine schmale Tür mit grauer Treppe.

Treppe ins Dachgeschoss

Als ich die Tür und die Treppe sah, versuchte ich tief durchzuatmen. Meine Familie hatte bereits eine halbe Etage erklommen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich eine Lungenembolie hatte. Ein Mann ignoriert starkes Seitenstechen. Geht ja auch irgendwann wieder weg. Brücke Berlin hat neue Räume im Dachgeschoss mit Oberlicht. Oben angekommen, kroch ich in den Flur und versuchte die vielen Bekannten halbwegs im Stehen zu begrüßen und hechelte erst einmal am Tresen aus. Die Kinder schauten mich besorgt an. Man reichte mir einen Becher mit Wasser.

Lobpreis und Gründer-Mentalität

Sitzen war gut! Wir okkupierten zwei Reihen. Der Saal füllte sich, so dass letztlich um die vierzig Erwachsene und einige Kleinkinder anwesend waren. Ein Schwarzer mit Krawatte trat ans Keyboard und wurde von einer voluminösen schwarzen Frau mit Gesang begleitet. Die Frau hätte mit ihrer Performance einen kompletten Gospelchor ersetzen können. Wir gingen mit. Knie wippten. Oberkörper bewegten sich im Rhythmus.

Zur Einleitung des Gottesdienstes war Torsten Hebel eingeladen worden. Torsten Hebel ist Moderator, Comedian und Gründer. Brücke Berlin schaut sich zurzeit die verschiedenen Gründertypen der Bibel an, so dass Gründer Hebel sehr gut passte. Mit viel Humor brachte er uns das Thema nahe und erzählte auch von seinen tiefen Krisen und Herausforderungen beim Gründen. Seinen Leitgedanken zum Gründen könnte man wie folgt zusammenfassen:

Hier ist ein Problem. Keiner löst es. Ich habe eine Idee. Also mache ich!

Zwischendurch wurden immer wieder Lieder von der kernigen Sängerin vorgetragen. Das verleitete mich zu der Annahme, dass Torsten Hebel auch die Predigt gehalten hatte. Die Predigt kam aber anschließend. Es ging um die Gründertypen Aquila und Priscila. Dass Priscila im Neuen Testament immer zuerst genannt wird, fand ich auf Nachforschung nicht bestätigt. Die Aufzählung wechselt immer ab. Egal, es muss sich jedenfalls um ein Dream-Team gehandelt haben, das zudem ehelich verbandelt war. Sie werden immer zusammen genannt und an ihren Wirkungsstätten hatten sie wohl immer richtig was bewegt. Ein vergleichbares Ehepaar saß übrigens heute mit uns im Gottesdienst.

1 Jahr Brücke Berlin

Nach Kollekte, Ansagen, Segen und einigen Liedern wurde das Buffet freigegeben. Brücke Berlin feierte heute sein einjähriges Bestehen und den Umzug in die Location im Dachgeschoss. Wirklich schöne Räume mit Blick auf den Himmel über Charlottenburg. Ich hatte keinen Hunger und hielt mich an einem Becher Kaffee fest. Wir wurden mehrfach angesprochen und hatten längere gute Unterhaltungen. Die Willkommenskultur war ausgesprochen gut.

Hier kannst du deinen Chef mitbringen.

Erklärtes Ziel der Brücke Berlin ist es, eine Gemeinde zu sein, in die auch der Chef mitgebracht werden kann, ohne dass man danach die Firma wechseln muss. Verständliche Predigt, moderne Elemente wie Lobpreis und Kabarett können wir nach dem Besuch bestätigen. Während sich die "coolen" Gemeinden in Mitte, Prenzlberg und Friedrichshain auf die Füße treten, ist Charlottenburg noch unerschlossenes Land. Brücke Berlin ist ein erster Schritt zur Bedienung dieser Lücke westlich der City.

Brücke Berlin läuft unter dem Dach des Bundes der Baptisten. Auch dort ist der Bedarf an Gemeinden für die unterschiedlichen Zielgruppen der Stadt angekommen und wird nun konsequent bedient. Würde Gemeindegründung meiner aktuellen Berufung entsprechen, hätte ich dort sicher den richtigen Partner gefunden.

Rückweg über drei Brücken

Vorsichtig stieg ich die Treppe herunter. "Merkst du, wie langsam du läufst", schaute mich meine Frau an. Die Familie drängte mich nach nur drei Brücken zum Stopp am Krankenhaus Friedrichshain: Notaufnahme, 10 Minuten warten und dreieinhalb Stunden CT, Infusionen, Spritzen, Röntgen, Ultraschall und letztlich die Diagnose: Lungenembolie. "Ich muss Sie hier behalten", sagte die Ärztin und schob mich mit Tropf, Kabeln, Beatmung und Monitoren in die Beobachtungsstation.