Sonntag, 27. August 2017

Gebet, Cola-Automat und Bundeswehr

Wann immer ich nach meiner Entscheidung für Jesus gefragt werde, spielt auch der Cola-Automat eine Rolle. Beim gestrigen Tag der offenen Tür im Bendlerblock tauchte der Automat in der Andacht des katholischen Militärdekans auf.



Die Sonne schien durch die ausgestanzten Erkennungsmarken im Dach des Ehrenmals der Bundeswehr. An der goldenen Wand hinter den beiden Militär-Dekanen zeichnete sich ein interessantes Schattenbild. Schwarz und weiß bildeten den Kontrast zwischen evangelisch und katholisch. Der Reformationsfreund in Schwarz führte durch das Programm und las aus Psalm 139 vor. Der weiße Dekan mit dem goldbestickten Schal war für die Predigt zuständig.

Ehrenmal der Bundeswehr Andacht Tag der offenen Tür
Ehrenmal der Bundeswehr - Andacht am Tag der offenen Tür
Es ging um Gebet. Gebet sei für viele Situationen des Lebens wichtig und stelle die Verbindung zu Gott her. Gerade in Herausforderungen, bei denen es um Leben und Tod geht, seien die richtigen Entscheidungen wichtig. Zur Findung der richtigen Entscheidung sei ein Pausieren mit inkludiertem Gebet sehr wirkungsvoll. Gebet sei kein Kaufvorgang am Automaten, wo das Gebet reingesteckt werde und die gewünschte Antwort herauskomme. Gebet sei Dialog mit Gott, bedarf auch der Stille zum Hören und habe im Ergebnis den Effekt, bessere Entscheidungen treffen zu können.

Beten, hören und entscheiden

Das hörte auch der Inspekteur des Heeres, ein 3-Sterne-General mit gepflegtem Bart. Auch seine unzähligen Personenschützer lauschten der Predigt, während ihre Blicke unentwegt meine Kamera mit dem plüschigen Mikrofon scannten.

Nach dem Vaterunser, geleitet durch den Herrn in Schwarz, sprach der Herr in Weiß den Abschlusssegen. Schwarz und Weiß ergeben Grau. So wurde der in Grau uniformierte Inspekteur des Heeres in die Mitte genommen. Er nahm einen Kranz in die Hand und lief mit den beiden Militär-Dekanen in den südlichen Teil des Ehrenmals. Dort wurde der Kranz niedergelegt.

Ehrenmal der Bundeswehr Andacht Tag der offenen Tür
Ehrenmal der Bundeswehr - Andacht und Kranzniederlegung am Tag der offenen Tür
Das Thema Christ und Soldat ist ja in der christlichen Szene Deutschlands sehr umstritten. Dabei gibt es in der Bibel immer wieder Berührungspunkte mit Menschen, die diesen Beruf ausgeübt hatten und dennoch eine Beziehung zu Jesus leben konnten: Hauptmann von Kapernaum, Hauptmann Cornelius als erster getaufter Heiden-Christ, Gefängnis-Chef von Philippi, Tribun von Jerusalem in Interaktion mit Paulus. Ganz abgesehen von wichtigen biblischen Personen wie David, der einer der bedeutendsten Kämpfer Israels war.

Zwei Regimenter

Zu Zeiten Konstantins und der Kreuzzüge war das wohl kein strittiges Thema. Mit der Reformation wurde Luther explizit auf den Kriegsdienst angesprochen. Er setzte sich damit auseinander und verfasste 1526 die Schrift "Ob Kriegsleute auch im seeligen Stande sein können".

Luther differenziert zwischen zwei Regimentern. Das hat nichts mit dem Regiment als militärische Einheit zu tun, sondern mit Regierung. Da ist zuerst das geistliche Regiment Gottes, dessen Grundlagen aus der Bibel abzuleiten sind. Das zweite Regiment ist der Staat, der für Recht, Ordnung und Frieden sorgen soll. Weder Paulus in Römer 13, noch Petrus im zweiten Kapitel seines ersten Briefes haben ein Problem damit, dass Straftäter mithilfe des Schwertes durch das weltliche Regiment, die Regierung also, zur Rechenschaft gezogen werden.

Was aber, wenn ein Mitstreiter des weltlichen Regimentes eine Beziehung zu Jesus aufbaut? Wäre nicht das erste Regiment ein guter Rahmen für die Ausübung des zweiten Regimentes? An der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg wird beispielsweise "evangelische Sozialethik" gelehrt. Überhaupt ist eine ausgeprägte Frömmigkeit bei den Offizieren der Bundeswehr festzustellen. Das war mir bis vor einigen Monaten in diesem Maße noch nicht bekannt.

Luther differenziert zwischen den Personen des zweiten Regiments, die ihre Aufgabe im Sinne von Römer 13 oder 1. Petrus 2 ausführen und solchen, die marodierend durch die Gegend ziehen und aus Spaß am Morden, Vergewaltigen und Rauben diesen Beruf ergriffen hatten und damit aus dem ethischen Raster des zweiten Regimentes fallen.

Immerhin gibt es ja auch im ersten Regiment schwarze Schafe, die für Geld und Anerkennung einen Job als Schauspieler erledigen.

Tag der offenen Tür und der zweite Besuch

Während der 20-minütigen Andacht im Ehrenmal der Bundeswehr war meine Familie durch die umliegenden Infozelte geschlendert. Am Tag der offenen Tür der Bundesregierung, von Insidern auch TdoT BReg genannt,  gab es viel zu sehen und anzufassen. "Wir sind bei den Panzern", wurde mir per WhatsApp mitgeteilt. Ich sondierte die Lage, schlug mich in den Nordteil des Areals durch und fand meine Frau, die mit Jute-Beuteln in Tarnfarbe und Nahrungskonzentrat für Soldaten im Einsatz bepackt war. Die Kinder kamen hinter einem hellbraunen Panzer hervor.

Es gab so viel zu sehen, dass die geplanten vier Stunden nicht ausreichten. Deshalb fuhr ich heute noch einmal mit meiner Frau dorthin. In den Infozelten sprachen wir die Dekane der gestrigen Andacht an. Dabei wurden wir Zeugen dessen, dass die Männer bei der Truppe nachgefragt werden und wichtige seelsorgerliche Aufgaben zu erfüllen haben. Die Soldaten im Einsatz müssen nicht nur mit dem Elend an ihrem verletzten Kameraden klarkommen, sondern auch mit dem Elend, das sie nach dem Schuss durch ihr Zielfernrohr sehen.

Soldaten und Dekane

Soldaten sind ganz normale Menschen und haben nahezu die gleichen Herausforderungen des Alltags zu bewältigen. Dabei helfen die Militärseelsorger, öffnen ein kühles Getränk und lassen den Soldaten erst einmal reden.

Soldaten leben ihre Beziehung zu Jesus oft in einer Parallelwelt zur zivilen Gemeinde-Landschaft. Es gibt Soldaten-Gottesdienste, evangelische und katholische Soldaten-Magazine und große Infobereiche auf der Webseite der Bundeswehr. In Gemeinden wird den militärischen Geschwistern gelegentlich aus dem Weg gegangen. Es herrscht Unsicherheit im Umgang mit den zwei Regimentern. Dabei können Soldaten und Offiziere jede Menge Knowhow, Sozialkompetenz, Teamdenken und Leitungsqualität einbringen.

Sonntag, 20. August 2017

2 Opfer-Typen: Victima und Sacrificium

Zurzeit lese ich die Leviten, also das 3. Buch Mose. Darin geht es seitenweise um Opfer. Passend dazu fielen in einem Workshop die Worte "sacrificium" und "victima" - zwei sehr unterschiedliche Typen von Opfer.



Der Workshop am letzten Donnerstag war hochkarätig besetzt. Silberne und goldene Sterne auf den Schultern. Dazu silbernes oder goldenes Eichenlaub. Es ging auch um Vorbilder und ob diese immer erst sterben müssten, um ihren Namen für Brücken, Schiffe, Schulen oder Sonstiges geben zu können. Das tote Vorbild sei ein Vorbild, das durch einen anschließenden Fehler nichts mehr kaputt machen könne. Ein passendes Beispiel aus der Bibel ist wohl Hiskia mit seinen angehängten 15 Lebensjahren (2. Könige 20).

Vorbilder und Beispiele

Eine Frau warf ein, dass das einzige fehlerfreie Vorbild Jesus von Nazareth sei. Alle anderen hätten ihre Schattenseiten gehabt. Sie zählte dann gleich mehrere Feldherren der letzten 2.000 Jahre auf und nannte deren Schwachpunkte.

Ein erfahrener Seemann warb um eine Änderung der Begriffswahl: Beispiel statt Vorbild. Auf diesem Wege könne die bemerkenswerte Tat von der unvollkommenen Person abgekoppelt werden. Dieser Vorschlag fand allgemeine Zustimmung.

Noch 10 Minuten bis zum Helden

Es sei ohnehin zu beobachten, dass Helden zehn Minuten vor ihrer Heldentat gar nicht wüssten, dass gleich eine Heldentat zu vollbringen sei. Sie treffen in der kommenden Situation die richtige Entscheidung und handeln danach. So sei der Geburtshelfer von Sophia auf der Fregatte Schleswig-Holstein kurz aus dem Maschinenraum gekommen, habe bei der Geburt geholfen und sei dann wieder in die 50°C seines Arbeitsumfeldes abgetaucht. Helden und Beispielgeber des Alltags.

Manch ein Held wird sein Leben lang in der Persönlichkeit geformt, um dann für wenige Augenblicke eine außergewöhnliche Tat zu vollbringen. Wenn er dabei stirbt, stirbt er als vorbildhaftes Opfer: Sacrificium. Jesus ist ein klassisches Beispiel für ein Sacrificium. Er ging bewusst nach Jerusalem, ließ sich bewusst gefangen nehmen, ließ sich bewusst wegen Gotteslästerung zum Tode verurteilen und starb bewusst am Kreuz. Er opferte sich bewusst, damit wir einen Zugang zur lebendigen Beziehung mit Gott haben können.

Victima

Es gibt aber auch Menschen, die sich nicht als Sacrificium sondern als Victima opfern. Im Ehrenmal der Bundeswehr werden etwa 3.000 Namen genannt, deren Träger während des Dienstes ums Leben gekommen waren. Nicht jeder von ihnen ist bei einem heldenhaften Einsatz gestorben. Vielleicht wurde im Flugzeug der falsche Knopf gedrückt. Vielleicht wurde die Fahrbahn bei Rot überquert oder es fiel der Steiger um, als am Dach der Kaserne hantiert wurde. Unfälle, die wohl in jedem beruflichen Kontext passieren können und anschließend zur Illustration von Seminaren der Berufsgenossenschaft dienen.

Victima ist ein relativ sinnfreies und deshalb bedauernswertes Opfer.

Wir haben Menschen erlebt, die sich als Victima fühlten, obwohl sie keines waren. Ja, sie definierten sich sogar darüber. Ein biblisches Beispiel für solch ein Victima ist der Mann vom Teich Bethesda aus Johannes 5. Diese Stelle regt mich immer wieder auf. Jesus stellt proaktiv die Frage, ob er gesund werden wolle. Der seit 38 Jahren Gelähmte antwortet ausführlich, warum er nicht geheilt werden könne. Jesus sagt darauf in Vers 8, er solle aufstehen, seine Matte nehmen und herumlaufen. Das macht der Mann. Als er darauf gefragt wird, warum er am Sabbat eine Matte trägt, geht er hin und verpetzt Jesus als Sabbatschänder (Vers 15).

Heiliges Tun

Das Wort Sacrificium setzt sich aus sacra und facere zusammen, also heilig und tun. Das trifft auch den Sinn von Römer 12, 1. Dort wird von "hostiam viventem, sanctam" geredet. Einem Opfer, das lebendig und heilig ist. Hostia ist ursächlich nicht die kleine Oblate beim Abendmahl, sondern das fehlerlose Tier, das für Gott geopfert wird. Ein Sacrificium muss also nicht zwangsläufig mit Todesfolge einhergehen. Sacrificium kann und sollte ein lebenslanger Prozess sein.

Sonntag, 13. August 2017

13. August und die Umwidmung eines historischen Datums

Der 13. August 1961 hat eine besondere Bedeutung in Deutschland. In der Kalkscheune wurde dieses historische Datum heute umgewidmet.



Am 13. August, einem Sonntag vor 56 Jahren, begann in unmittelbarer Nähe der Kalkscheune eine Großbaustelle. An das Stadtschloss, Downtown Potsdamer Platz oder das Band des Bundes war zu dieser Zeit noch nicht zu denken. Diese Bauwerke hätten wohl eher in einem Science Fiction ihren Platz gefunden, als Provokation eines subversiven Elementes, das durch die aggressivsten Kreise des Imperialismus unter der Vorherrschaft der USA und der BRD gesteuert wurde. 1961 tobte der Kalte Krieg. Inzwischen sind die Kriege asymmetrisch und hybrid geworden, gelegentlich auch heiß.

Heiß und kalt

Das Wasser im Hof der Kalkscheune war relativ kalt. Der blaue INTEX-Pool war schnell gefüllt. Fassungsvermögen: 2.700 Liter. Kameras und Mikros mit Windschutz standen bereit. Ebenso begleitende Verwandte mit Handtüchern und Wechselsachen. Drei junge Leute wollten sich taufen lassen.

Vorher gab es eine intensive Predigt über Simson. Dieser biblische Held war äußerlich stark und innerlich völlig unreif. Tom Holladay ging auf 5 Punkte ein, die starke Personen ausmachen: Motivation zur Verwendung der Stärke, Teamfähigkeit, Steuerung eigener Gelüste, Vertrauen auf Gottes Geist und Nutzung der zweiten Chance.

Second Chance

Das S am Anfang von Saddleback wird auch als Merk-Buchstabe für Second Chance (zweite Chance) kommuniziert. Heute war die Second Chance für den 13. August.

Auch bei Trauma-Therapien ist es üblich, alte Sequenzen anzusehen. Dabei wird ehrlich in die Situation hineingefühlt und der Film dann neu programmiert. Das ist eine sehr wirkungsvolle Methode, alte Verletzungen auszuheilen oder sogar in die Vergessenheit zu schieben.

Beisetzung und Auferstehung

Die Taufe wird in der Bibel mit einem Begräbnis verglichen. Eine Beisetzung zusammen mit Jesus und eine Auferstehung zusammen mit Jesus. Dieses Symbol wurde vor dem Planschbecken noch einmal genau erklärt und dann unter Jubel und Medienpräsenz durchgeführt. Ich hielt ein langes Mikrofon, während meine Tochter zusammen mit einem GoPro Action-Camcorder ins Wasser getaucht wurde.

Der 13. August hat nun eine ganz neue Bedeutung für uns. Statt Bau einer Mauer, das Durchbrechen der Mauer zwischen Gott und Menschen.

Offizielles Video: Taufe am 13. August 2017 @SaddlebackBLN

Donnerstag, 10. August 2017

Münster und die Sache mit der Taufe

Dass Münster etwa die gleiche Einwohnerzahl wie Berlin-Marzahn hat, war einem Dialog der Kanzlerin mit Kulturstaatsministerin Grütters zu entnehmen. Münster lag in der Nähe unserer Urlaubsroute und bot Potenzial für weitere Entdeckungen.



Über den Sinn eines Kulturstaatsministers ließe sich an geeigneter Stelle philosophieren. Immerhin dient Berlin-Marzahn als Wahlkreis für Monika Grütters. Monika Grütters wurde 1962 in Münster geboren. Das ist die erste Brücke. Die zweite Brücke besteht in der Einwohnerzahl von knapp 260.000. Weitere Brücken wären die hervorragende Infrastruktur und das viele Grün. Das war es dann aber wohl schon.

Zwei Fahrräder

Münster gilt als Studentenstadt und die Stadt mit dem höchsten Fahrradaufkommen pro Kopf in Deutschland. Nämlich zwei. Das ergibt ein Gesamtaufkommen von einer halben Million Drahtesel. Eine Horrorvorstellung für den Autofahrer aus Berlin, der die rücksichtslose Militanz des gemeinen Radfahrers aus der Innenstadt kennt.

Münster
Münster - City ohne Autos
Deshalb erstaunte uns sehr, wie gesittet die Radler in Münster unterwegs waren. Die Autofahrer wurden ersatzweise mit sinnfreien Regeln gegängelt. Parkplätze für Anwohner oder per Prepaid-Ticket mit einer maximalen Parkdauer von ein oder zwei Stunden. In die Tiefgaragen konnten wir mit dem gemieteten VW Caddy nicht einfahren. Die Decken waren zu niedrig. Deshalb stellten wir den 7-Sitzer auf einem Platz mit zwei Stunden Maximalzeit ab und liefen Richtung Altstadt.

In der autofreien City steuerten wir die Kirche St. Lamberti an. In einer dekorativen Anordnung hingen drei große Metallkäfige oberhalb der Turmuhr: Zeugnisse der Reformationszeit.

Reformation und Baptismus

Mit Luther erschienen auch die Wiedertäufer auf der Bildfläche. Das waren Theologen, die die Passagen über die Taufe und deren Bedeutung als bewusste Entscheidung für Tod und Leben mit Jesus im Römerbrief und weiteren Stellen des Neuen Testamentes praktisch umsetzen wollten. Wiedertäufer deshalb, weil fast alle ihre Zeitgenossen als Kind getauft worden waren. Eben nach den gesellschaftlichen Gepflogenheiten und nicht aus freier eigener Entscheidung.

Das Dogma der Baptisten gruppiert sich ebenfalls um eine Taufe als mündiger Christ. Ich hatte erlebt, dass Abendmahl, Mitgliedschaft oder Singen im Chor nur nach erfolgter Glaubenstaufe gestattet war. Bei den Methodisten, dem Mülheimer Verband oder anderen Denominationen sieht man das etwas lockerer: Kindestaufe wird praktiziert und anerkannt, auf Wunsch noch einmal getauft oder nach der bewussten Entscheidung erstmalig getauft.

Ein Historiker wurde im Radio gefragt, ob es für ihn nicht interessant wäre, Luther und andere Reformatoren im Bekanntenkreis zu haben. Ohne Denkpause verneinte er das und bemerkte, dass wohl keiner von uns längere Zeit mit diesen Personen der Zeitgeschichte auskommen würde. Es waren Extremisten in religiöser Hinsicht, die durch ihre extremen Ansichten und Handlungsweisen Vieles bewegt hatten.

Münster
Münster - St. Lamberti und die drei Käfige
Auch die drei Käfige zeugen von Extremismus während der Reformationszeit. Im Frühjahr 1534 hatten die Wiedertäufer unter Bernhard Krechting, Bernd Knipperdolling und Johann Bockelson - auch als Jan van Leiden bekannt - die Herrschaft in Münster übernommen. Zur Durchsetzung der neuen Erkenntnisse wurden auch Todesurteile gefällt und andere seltsame Dinge praktiziert. Knipperdolling fungierte dabei zunächst als Bürgermeister und dann als Scharfrichter.

Käfige

Münster schien damals gut befestigt gewesen zu sein. Die katholischen Gegner unter Bischof Franz von Waldeck mussten die Geburtsstadt der Kulturstaatsministerin ganze 16 Monate lang belagern und eroberten sie am 25. Juni 1535 zurück. Es wurde eine Kostenrechnung aufgemacht und Scharfrichter Knipperdolling machte den Vorschlag, die führenden Täufer in Käfigen zur Schau zu stellen. Dafür sollte Eintritt verlangt werden. Knipperdolling hatte wohl nicht damit gerechnet, das die Käfige tatsächlich für ihn und seine Mitstreiter gebaut werden.

Am 6. Januar 1536 wurden Knipperdolling, Krechting und Bockelson von einem Inquisitionsgericht in Wolbeck zum Tode verurteilt. Die Details der Hinrichtung ersparen wir uns an dieser Stelle. Erwähnt sei jedoch, dass die sterblichen Überreste - hier in ihrer ursächlichen Wortbedeutung - in die Käfige gepackt und am Kirchturm zur Schau gestellt wurden. Noch 50 Jahre später sollen Überreste zu sehen gewesen sein. Das war wohl Abschreckung genug für die Bevölkerung und mögliche Reformatoren.

St. Lamberti

Die Kirche St. Lamberti ist ansonsten ein normales großes Kirchengebäude mit einer angenehmen Atmosphäre im Inneren. Kein Hauch der blutigen Vergangenheit. Hier ein großer Leuchter, dort ein gemalter Kreuzweg und im Deckengewölbe das Lamm Gottes.

Heute gibt es eine Baptistengemeinde, Mennoniten (Brüdergemeinde), ein Christus Zentrum eine FEG und weitere evangelische Gemeinden in Münster. Diese sind weitläufig um den Domplatz mit den drei Körben angeordnet. Man kann dort sicher auch besser parken. Unsere Kulturstaatsministerin ist übrigens katholisch.

Sonntag, 6. August 2017

Stadtkirche Offenburg

Offenburg liegt ganz in der Nähe von Straßburg, also an der Grenze zum Elsass. Da wir zu wenig Französisch verstehen, fuhren wir kurzentschlossen über den Rhein und besuchten einen evangelischen Gottesdienst in der Stadtkirche Offenburg.



Eine knappe halbe Stunde brauchten wir von Straßburg bis ins Zentrum von Offenburg. Das Navi kannte den Weg. Direkt vor der Tür der Stadtkirche wurde ein Parkplatz frei. Zwei Kinder, zwei Omas, meine Frau und ich verließen das gemietete Mehrzweckfahrzeug. Die Sonne schien.

Gastfreundschaft

Während wir noch die hohe Außenfassade und die Inschriften studierten, kam ein sportlicher Best Ager und begrüßte uns freundlich. Zusammen mit ihm betraten wir die Kirche und bekamen sofort zwei Gesangsbücher in die Hand gedrückt. Ein weiterer Mitarbeiter gesellte sich dazu und fragte, ob jemand von uns bei der Fürbitte mitmachen wolle. Ich bemerkte kurz, dass wir nur zu Besuch seien. Das sei egal, wir könnten es uns noch überlegen.

Suchmaschinen-Optimierung

Wegen der Hörgeräte meiner Schwiegermutter wurde eine der vorderen Reihen angesteuert. Der Saal füllte sich mit etwa 60 Erwachsenen. Der Best Ager hatte sich einen Talar übergeworfen: Pfarrer Kühlewein-Roloff. Bei der Suche nach einem Gottesdienst in der Nähe unseres Urlaubsortes hatte meine Frau anhand der guten Internet-Bewertungen und der Facebook-Präsenz die Entscheidung zum Besuch der Stadtkirche Offenburg getroffen. Auch der Name Kühlewein-Roloff fiel mehrfach und wurde von unseren Gastgebern als empfehlenswert bestätigt.

Zwei Gesangsbücher und drei Lesezeichen

Drei Bänder waren am dicken Gesangsbuch angebracht. Diese wurden mit den ersten drei Zahlen an den Wandtafeln harmonisiert. Nach jedem Lied oder Psalm wanderten die Bänder weiter im Buch, so dass wir gut vorbereitet durch die Liturgie kamen. Das letzte Lied wurde aus dem dünnen Jugend-Liederbuch gesungen. Geschätzter Altersdurchschnitt: 55 Plus. Allerdings passte das nicht so recht zur frischen und sehr gepflegten Optik der Kirche. Ein Großteil der Mitglieder muss wohl auf Reisen gewesen sein.

Rück-Formung durch Herz-OP

Der agile Pfarrer setzte die Zuhörer kurz in Kenntnis, dass er heute vom Predigttext aus dem Losungsbuch abweichen werde und sprach dann über die Jahreslosung. Zur Mitte des Jahres könne man das ruhig einmal machen. Die Jahreslosung aus Hesekiel 36 Vers 26 besagt, dass Gott uns ein neues Herz und einen neuen Geist schenkt. Zunächst zerlegte der Referent das inflationär genutzte Wort Reformation und machte daraus eine Rück-Formung. Über diese Rück-Formung des Menschen in einen Zustand, wie ihn sich Gott vorgestellt hatte, baute er das Sprungbrett zur Herz-Transplantation. Mir war bisher gar nicht bekannt, dass Menschen mit einem physisch neuen Herzen plötzlich anders ticken können.

Café und Alleinstellungsmerkmale

Nach dem Gottesdienst begaben wir uns in das Café. Dieses ist auf der Westseite an das Kirchenschiff angebaut. Dort unterhielten sich die Omas mit einigen Senioren. Das Café sei sehr beliebt bei Mitgliedern und Gästen. Die Stadtkirche Offenburg hat zudem ein beneidenswertes Alleinstellungsmerkmal: Potenzial an Kindermitarbeitern aber zu wenige Kinder. Der Normalfall ist ja umgekehrt.

Bemerkenswert ist auch die Eingangstür zur Kirche. Dort ist das Glaubensbekenntnis in Form einer Topic Cloud eingeprägt. Freundlich, hell und integrativ sind Attribute, die mir nach dem Besuch der Stadtkirche Offenburg im Gedächtnis haften. Wer in der Nähe ist, sollte dort einmal vorbeischauen.

Samstag, 5. August 2017

Oberlin: Pastor handelt mit seinen Begabungen

Unseren Gastgebern zufolge wurde im Elsass so Einiges erfunden. Ihr Patriotismus stilisierte die Region schon fast zur Wiege der Menschheit. Auch Jean Frédéric Oberlin lebte im Elsass. Wir besuchten sein Museum in Waldersbach.



Es hatte sich eingeregnet. Deshalb setzte ich die beiden Omas, die patriotische Reiseleitung und den Rest der Familie direkt vor dem Eingang des Gehöftes ab. 50 Meter weiter wurde ein Parkplatz frei. Meine Mutter hatte bereits mehrere Vorträge über Oberlin gehalten. Die Senioren waren wohl darüber beeindruckt und hatten ihr eine Rose geschenkt.

Johann Friedrich Oberlin Museum
Johann Friedrich Oberlin Museum - Bild aus der Schublade
Aber wer war Oberlin?

Dem Namen nach gehört er eigentlich nach Preußen. Oberlin als französische Schreibweise von "Oh, Berlin" oder Abkürzung für Ost-Berlin wären glaubhafte Namensbezüge. Jean Frédéric Oberlin wurde am 31. August 1740 in Straßburg geboren und starb nach einem erfüllten Leben mit knapp 86 Jahren in Waldersbach. Jean Frédéric heißt auf Deutsch Johann Friedrich.

Im Elsass gibt es einen fließenden Übergang zwischen Deutsch und Französisch, was nicht ganz leicht für die Identitätsfindung ist. Deshalb betrachten sich Elsässer in einem Sonderstatus, vergleichbar mit der Volksgruppe der Spandauer am Stadtrand von Berlin.

Johann Friedrich Oberlin Museum
Johann Friedrich Oberlin Museum - Entwicklung des Beamers
Wirtschaft und Bildung

Bereits auf dem Weg hatte uns die begleitende Elsässerin mehrere Wirkungsbereiche von Oberlin gezeigt. Er habe dafür gesorgt, dass sich rentable Industriezweige in der ärmlichen Gegend ansiedeln. Er konnte durchsetzen, dass Brücken gebaut werden, damit die Kinder ohne Schwimmabzeichen nicht mehr in den Flüssen ertrinken.

Generell hatte er einen großen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Bildung in seiner Region. Unterstützt wurde er von Mitarbeiterinnen, die zu Fuß durch die umliegenden Ortschaften zogen und Wissen sowie Hilfe zur Selbsthilfe vermittelten.

Die ausgetretenen Stufen des Schulhauses von Waldersbach dokumentieren die hohe Frequenz an Schülern, die von Oberlin unterrichtet wurden. Sein privates Haus zwischen Kirche und Schule baute er erst, nachdem die Schule fertig war. Das nennt man Altruismus oder Philanthropie. Er war nicht nur an vielen Dingen interessiert. Er hatte auch die Gabe, andere Menschen mit diesem Interesse anzustecken und breites Wissen an seine Zeitgenossen zu vermitteln. Dadurch kamen gerade Kinder aus sozial schwachen Schichten in den Genuss von Bildung, die ihnen und den folgenden Generationen einen gesicherteren Lebensunterhalt ermöglichte.

Oberlin hat Teile der deutschen Pädagogik geprägt. Auf ihn werden die frühkindlichen Lehreinheiten durch spielerisches Erfassen von Wissen zurückgeführt.

Johann Friedrich Oberlin Museum
Johann Friedrich Oberlin Museum - Tuschkasten
Pastor kauft seine Lebenszeit aus

Bei so viel Effizienz dachte ich an das Berufsbild eines Unternehmers, Wissenschaftlers oder Politikers. Aber nein, Oberlin war Pastor! Im Museum war oft vom Pastor die Rede. Gemeint war damit Oberlin. Ein Pastor kam, sah und siegte.

Sein Lebenswerk erscheint im Rückblick vollmundig und komplett. Ein Mann, der seine Lebenszeit zum Bau des Reiches Gottes und zur Entwicklung seiner Gesellschaft genutzt hatte. Keine Minute schien er vergeudet zu haben. Er bewegte sich offensichtlich genau in den Bahnen, die Gott ihm vorgezeichnet hatte. Welch ein Vorbild, wenn ich es mit meinen Lebensabschnitten vergleiche.

Nachdem wir einige Dinge im Museumsladen gekauft hatten, schauten wir uns die benachbarte Kirche an. Alles sah so aus, als würde Oberlin gleich erscheinen und eine Predigt über Psalm 41 halten. Die Altarbibel war an dieser Stelle aufgeschlagen.

Sein Grab besuchten wir im Nachbarort und fuhren dann über die oben erwähnte Bettlerbrücke weiter zum nächsten Touristenpunkt. Diesmal römische Geschichte. Die Zeugnisse des Garten Edens waren durch die Sintflut weggespült worden. Sonst wäre uns das von den Gastgebern wohl auch noch als Geschichte des Elsass verkauft worden.