Posts mit dem Label Mission werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Mission werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Sonntag, 3. April 2022

Gottesdienst mit Kokosnuss: Pura Vida Church in Esterillos

Auf unserer Reise nach Costa Rica besuchten wir auch einen Gottesdienst der Pura Vida Church in Esterillos. Die Gemeinde versammelt sich entweder in einer Schule oder am Pazifik-Strand.

"Halt mal an!", rief meine Frau vom Rücksitz. Vor uns flogen gerade knallrote Papageien in eine große Palme. Langsam fuhren wir weiter bis zum Ende der Straße. Der Weg wurde sandig. Wir zogen eine Staubwolke hinter uns her. Rechts Palmen, Stand und Pazifik - links flache Häuser oder Büsche. Irgendwo entdeckten wir drei junge Leute, die wie ein Lobpreis-Team aussahen. Dort hielten wir an und stellten sicher, dass wir nicht unter Kokosnüssen parkten.

Da wir recht früh vor Ort waren, konnten wir beobachten, wie der Pastor und die Gottesdienstbesucher eintrafen. Zusammen mit einigen Jugendlichen räumten wir Stühle vom Pickup und stellten sie als Auditorium auf. Natürlich mit Blick zum Meer. Am Strand lag ein kleines blaues Boot. der geeignete Vordergrund für ein Postkartenfoto.

Immer wieder zogen Staubwolken durch die Palmen zum Meer. Bald war das Areal mit Geländewagen umstellt und der Gottesdienst konnte beginnen. Die Texte für den Lobpreis hätte man sich per QR-Code aufs Handy laden können. Dazu wäre aber eine Internetverbindung notwendig gewesen. So sangen wir irgendwie ohne Text mit. Es gab nur wenige Ansagen. Diese wurden von einem Amerikaner auf Spanisch vorgetragen. Wie groß die sprachliche Not bei der Verständigung in Costa Rica ist, zeigt schon allein der Umstand, dass so gut wie alle anwesenden Amerikaner Spanisch gelernt hatten.

Nach den Ansagen startete die Predigt. Diese wurde von einem Amerikaner auf Englisch und Spanisch gehalten. Er übersetzte sich selbst und redete über die Berufung und Vollmacht Moses, während sich mein Stuhl immer tiefer in den Sandboden bohrte. Einige der Zuhörer schrieben eifrig mit.

Die Pura Vida Gemeinde unterstützt eine Freiwilligen-Organisation, die unter anderem zwischen Deutschland und Costa Rica aktiv ist - und zwar bidirektional: Deutsche gehen für ein Jahr nach Costa Rica und Tikos (so nennen sich die Costa Ricaner selbst) kommen für ein Jahr nach Deutschland. Nach dem Gottesdienst wurden wir von einem braungebrannten Einheimischen in fließendem Deutsch angesprochen. Er war seinerzeit als Freiwilliger in Berlin und hatte bei der Gelegenheit seine heutige Frau kennengelernt. Sie stammt aus Texas. Damit aber nicht genug: Seine damaligen Gasteltern waren uns aus Berlin gut bekannt.

Statt eines Gemeindecafés gab es hier am Strand Gemeindekokos. Zwei Männer mit Machete schlugen die frisch von den Palmen gefallenen Kokosnüsse zurecht und steckten Strohhalme in die Öffnungen. Überall standen Gottesdienstbesucher, unterhielten sich und schlürften dabei Kokoswasser. Die Zusammensetzung der Gemeinde war recht bunt: Einheimische, Amerikaner und Europäer mit einer breit gefächerten Altersstruktur: Vom Säugling bis zum Senioren war alles vertreten.

Das Meer rauschte und das touristische Interesse drängte. Es war keine Kokosnuss auf unser Auto gefallen. Mit einer imposanten Staubwolke verließen wir den Strand und schauten uns noch weitere Dinge in und um Esterillos an. "Pura Vida" ist übrigens das Lebensmotto der Costa Ricaner. Es bedeutet "Leben aus vollen Zügen".

Sonntag, 19. April 2020

Gospelhouse Baden-Baden und die tierisch gute Predigt

Auf der Suche nach weiteren interessanten Online-Gottesdiensten schlug unsere Tochter das Gospelhouse Baden-Baden vor. Das Gospelhouse Baden-Baden hatte sie als Unterstützer ihres Schulprojektes in Madagaskar kennengelernt.



Neun Uhr war für uns so früh, dass wir den Livestream anhalten mussten. Mein Sohn quälte sich aus dem Bett und wir stopften noch hastig die letzten Bissen des Frühstücks rein. Neben dem angehaltenen Video aus dem Gospelhouse Baden-Baden wurden bereits herzliche Grüße aus Südafrika, Süddeutschland, Berlin und anderen Orten ausgetauscht. Es wurde auch ein gewisser Rainer gegrüßt. Eine weitere Beteiligung am Chat wurde mir untersagt, weil meine Frau eingeloggt war.

Die journalistische Regel "Hintergrund macht Bild gesund" hatte das Gospelhouse verinnerlicht und projizierte grüne Palmblätter auf die Wand hinter der Lobpreisband. Letztere bestand aus vier Personen, die sich bemühten, den vorgeschriebenen Corona-Abstand einzuhalten. Vielleicht wohnten sie aber auch im selben Haushalt. Es gab einige mitreißende Lieder, zu denen der Text eingeblendet wurde. Wir kannten diese und konnten mitsingen.

Nach der Kollekte mit Hinweis auf PayPal und andere Kontoverbindungen folgte ein weiteres Lied. Dann begann die Predigt. Diese war der vierte Teil einer Predigtreihe zu herrschaftlichen Tieren der Bibel mit dem Titel "tierisch gut". Adler, Lamm und Löwe waren bereits thematisiert worden als König der Lüfte, Lamm Gottes und Löwe von Juda. Heute war der Hirsch dran. Der Hirsch taucht in der Bibel recht selten auf und wurde uns als König des Waldes vorgestellt.

Die Gedanken schweiften ab zu einer Diskussion, die ich vor ein paar Tagen über das Erlegen von Wildschweinen geführt hatte. Man brauche dafür ein Jagdgewehr mit hoher Durchschlagskraft. Die Kugel müsse die richtige Stelle treffen und das Tier komplett durchbohren. Wegen der weiterfliegenden Kugel weist die Berufsgenossenschaft regelmäßig auf den Kugelfang hin. Vom Hochstand aus landet die Kugel normalerweise im Erdboden. Ein Horizontalschuss könnte dem erlegten Tier jedoch noch einen Pilzsucher oder Wanderer beigesellen.

In der Predigt ging es aber nicht um die Jagd. Ein Hirsch werde - so er nicht gejagt wird - etwa 20 Jahre alt. Seine Höhe entspricht dem Abstand, der aktuell für Corona vorgeschrieben ist: 1,5 Meter. Im Schwarzwald gebe es Rothirsche und Damhirsche. Vor Corona hatten sie sich immer weiter in den Wald zurückgezogen, weil doch zu viele Menschen Pilze suchend, wandernd oder jagend durch den Schwarzwald gestreift waren. Jetzt, wo sich die Menschen zurückgezogen haben, können sie sich wieder etwas weiter hinauswagen.

Zwei wesentliche Dinge werden in der Bibel über den Hirsch berichtet: Er lechzt nach frischem Wasser und er kann Hindernisse überspringen. Pastorin Nicole Oppermann baute ihre kurze und knackige Predigt um die Eigenschaften und Verhaltensweisen des Hirsches auf und schlug weitere Brücken zu unserer Beziehung mit Gott.

Verliert ein Hirsch beispielsweise sein Geweih, dauere es hundert Tage, bis dieses nachgewachsen ist. In dieser Zeit überziehe eine gut durchblutete Haut das Geweih. Wenn es ausgewachsen ist, streife der Hirsch diese Haut ab. Nicole Oppermann verglich das mit dem Wachstumsprozess eines Christen, der alte Gewohnheiten abstreife und als stärker gewordener Christ daraus hervorgehe.

Nach weniger als 40 Minuten war der Online-Gottesdienst zu Ende. Die Familie verkrümelte sich in sämtliche Bereiche der Wohnung. Nur ich blieb auf der Couch liegen: Soll ich aufstehen? Und dann? Erstmal duschen oder gleich den Artikel schreiben?

Freitag, 17. April 2020

Hope is Rising mit Campus für Christus

Campus für Christus ist eigentlich eine Studentenbewegung. Heute schauten wir uns den Livestream Hope is Rising an.



Ein guter Freund, der inzwischen seinen Vorruhestand auslebt, informierte uns nun schon zum zweiten Mal über Hope is Rising. Die Werbung war reißerisch aufgemacht und soll vermutlich die Zielgruppe von Campus für Christus ansprechen: Studenten. Da auch wir uns noch jung fühlen, verabredeten wir uns zu 20 Uhr im Wohnzimmer und schalteten den Beamer ein.

Meine Frau hatte schon den ganzen Tag verzweifelt ihre Hörgeräte gesucht. Den ganzen Tag über kam es zu akustischen Missverständnissen. Aber Dank Campus für Christus fanden wir die kleinen Hilfsgeräte - beim Aufklappen des Laptops.

Der Livestream war bewusst als Amateurvideo deklariert. Dennoch enthielt er professionelle Anteile. Das Programm war sehr abwechslungsreich. Wichtig, wenn man eine Online-Community für 90 Minuten bei der Stange halten will. Es gab eine Einleitung aus der Schweiz. Dann folgten Hip Hop von O Bros und ein kurzer Input aus dem Keller eines Campus-Leiters. Der Keller war in morbidem Grün gestrichen.

Es folgten mehrere rockige Musikstücke von Planet Shakers aus Australien. Wir fragten uns, wie die das mit den acht Stunden Zeitunterschied zwischen Melbourne und Deutschland machen? Vermutlich doch eine Aufzeichnung. Im Internet lässt sich sowas leicht kaschieren. Es folgte ein weiterer Input aus dem ICF München. Dabei lernten wir, dass die Quarantäne eine biblische Grundlage hat. Das Wort Quarantäne leitet sich vom lateinischen Wort quadraginta (vierzig) ab. Das ist die Zeit, die sich Kranke absondern sollen, bis sie genesen oder nicht mehr ansteckend sind.

Zum Abschluss von Hope is Rising wurden zwei weitere Lieder gespielt. Der Ton war leider völlig übersteuert. Aber das passiert eben bei einem Livestream. Danach verließen Frau und Tochter das Wohnzimmer. Die Nähmaschine im Schlafzimmer setzte ihr Werk fort: Gesichtsmasken.

Ein Reinschauen bei Hope is Rising lohnt sich durchaus. Man lernt neue Bands kennen und bekommt mehrere Inputs von fitten christlichen Leitern. Allein der Moderator mit seinem weißen Feinripphemd war heute etwas anstrengend.

Montag, 10. Juni 2019

Pfingskonferenz der AVC in Nidda

Über Pfingsten besuchte die Tochter des Church Checkers in Nidda eine Konferenz der AVC. Hier ihr Bericht:



Die alljährliche Pfingstkonferenz von AVC fand in dieser kleinen Stadt statt. AVC steht für „Aktion für verfolgte Christen und Notleidende“. Der Verband wurde 1972 gegründet, um verfolgten Christen in der damaligen Sowjetunion beizustehen. Inzwischen hat er sich zu einem großen Missionswerk entwickelt, welches Missionare in allerhand Länder auf der ganzen Welt entsendet, zum Beispiel nach Madagaskar und in die Philippinen.

Über das Pfingstwochenende versammelten sich zur „Mission Live Konferenz 2019“ Menschen aus der Umgebung, Jugendgruppen aus ganz Deutschland und Missionare von überall. Den Start bildete am Freitag die Pastorenkonferenz. Missionare und Pastoren berichteten von ihrem Wirken in Sibirien, Sudan und Süddeutschland und konnten sich bei Kaffee und Kuchen von ihren Strategien und Erfahrungen erzählen. Einig waren sich alle in dem Punkt, dass Mission Zeit braucht. Viele Evangelisten verbringen Jahre an einem Ort, bis sie überhaupt eine Gemeinde gründen können oder von einem  Baum steigen können, wie ein Pastor aus dem Südsudan erzählte. Er sei auf einen Baum geklettert und habe von dort aus gepredigt, bis sich die Dorfältesten bekehrt hatten. Erst dann sei er heruntergestiegen. Harte Zeiten erfordern eben harte Maßnahmen.

Das restliche Wochenende über gab es Gottesdienste, durch reichlich leckeres Essen unterbrochen. Die Predigten hatten oft den Heiligen Geist als Thema, denn schließlich war es ja Pfingsten. Die Rolle des Heiligen Geistes als Leiter und Anwalt wurde teils mit Bibelgeschichten, teils mit den Erlebnissen der Sprecher in fernen Ländern veranschaulicht. Mit Gottes Hilfe konnten in Syrien fahrbare Kliniken gebaut, Schulen in abgeschotteten Dörfern errichtet und viele Menschen mit der Guten Nachricht von Gottes Vergebung erreicht werden. Wer an dieser Konferenz teilnahm, hatte ein neues Herz für die Mission bekommen und war begeistert, den nächsten Schritt zu gehen oder andere bei diesem Schritt zu unterstützen.

Doch warum war gerade die Tochter des Church Checkers bei einer Missions-Konferenz in Nidda? Ich habe mein Abitur frisch in der Tasche und werde ab September einen Freiwilligendienst in Madagaskar machen. Mit französischen Missionaren als Chefs werde ich in einer Schule, die vom AVC unterstützt wird, arbeiten. Das macht mich zu einem Teil der AVC-Missionare und so wurden andere Freiwillige und ich am Ende der Konferenz offiziell ausgesendet, um in Ländern, die auf dem ganzen Globus verteilt sind, ein Licht zu sein. Wer mehr darüber erfahren möchte, der schaue gerne auf meinem Blog Madi in Mada vorbei.

Auf der Konferenz wurde deutlich: Gott wirkt überall. Nicht nur in Afrika, Asien und Südamerika, sondern auch in Nidda.

Sonntag, 16. Dezember 2018

Band of Brothers and Sisters in Spandau

"Band of Brothers and Sisters" ist eine neue übergemeindliche Initiative in Berlin. Gestern besuchte ich die Dezember18-Konferenz der "Band of Brother and Sisters" in Spandau.



Wer "Band of Brothers and Sisters" hört, könnte sogleich an einen Gospelchor denken. Tatsächlich hat diese Band etwas mit Gospel (Gute Nachricht, Evangelium) zu tun. Allerdings ist die Band im Sinne von Team zu verstehen, als ein "Team von Brüdern und Schwestern".

Am Freitag startete in Spandau die Dezember18-Konferenz der "Brothers and Sisters". Es begann mit einem Abend des Kennenlernens, mit Lobpreis und Gebet. Es war auch eine Abordnung aus Süddeutschland angereist. Das relativ locker organisierte Treffen wurde von Dirk Koeppe einberufen. Dirk Koeppe ist Pastor in der LKG Westend.

Termine und der Weg nach Spandau

Wegen vorweihnachtlicher Terminüberschneidungen und des langen Weges nach Spandau hatte ich den gestrigen Vormittag für die Konferenz eingeplant. Ich hatte keine konkrete Vorstellung, was mich erwarten werde. Mehrere Vorträge zu interessanten Leitungsthemen standen auf dem Programm. Nachdem ich den Wagen auf dem Gelände abgestellt hatte, begegnete ich sogleich einer Frau aus Süddeutschland. Sehr freundlich. Begrüßung mit Vornamen.

Freundlich und mit Vornamen ging es auch im Saal weiter. Nur Dirk Koeppe war mir bekannt, obwohl ich ihn auch nur einmal kurz bei einer Allianz-Veranstaltung getroffen hatte. Egal, so viele neue Gesichter und dazu die Namen. Wie merkt man sich das nur? Joachim, Günther, Peter. Dann schneite Detlef Czech herein. Noch ein Bekannter. Es wurde immer voller und kurz vor Beginn erschien Swen Schönheit.

Wir waren schätzungsweise 25 Männer und Frauen aus sämtlichen Generationen mit einem Durchschnittsalter von 50. Die administrative Zusammensetzung war sehr heterogen. Geistliche Leiter wie Swen Schönheit, Pastoren wie Dirk Koeppe, Otto Normalchristen und Freelancer wie Detlef Czech saßen in Harmonie nebeneinander. Uns alle verband ein Gedanke: Lasst uns das Reich Gottes - den Einflussbereich von Jesus - in Berlin und Brandenburg ausweiten!

Impulsvorträge mit Inhalt

Dirk Koeppe berichtete sehr offen von seinem pastoralen Werdegang, den Höhen und Tiefen von Gemeindeentwicklung und seinem Wunsch, noch effizienter die Menschen in der Stadt mit Jesus bekannt zu machen. Dem schloss sich Swen Schönheit an. Er zeigte jede Menge Folien zur Illustration seiner Ausführungen. Ich war fasziniert über seine Sprachgewandtheit und die Ehrlichkeit, mit der er seine jeweilige Situation reflektierte. So ließ er sich nicht von einer gut gefüllten und quantitativ wachsenden Gemeinde blenden, sondern suchte Tiefe und förderte gezielt Leiter, die diese Tiefe weitertransportieren konnten. Inzwischen engagiert er sich bei der GGE, der Geistlichen Gemeindeerneuerung in der evangelischen Kirche.

GGE passte sehr gut zu dieser Konferenz. Prophetische Eindrücke, kräftiger Lobpreis und intensives Gebet bildeten den Rahmen für die Vorträge und Fragerunden. Die Referenten standen für einen Dialog mit dem Publikum zur Verfügung und hatten dabei alle Zeit, die sie brauchten.

Es folgte Detlef Czech. Sein Arbeitsgerät war das Flipchart. Er untermalte seine Ausführungen per Edding. Als erklärter Out-of-the-Box-Denker nahm er uns in seine Erfolge und Konflikte hinein, schilderte seinen Werdegang als Gemeindegründer und geistlichen Freelancer, der sein Ohr am Geist Gottes hat und dann auch mal sehr unkonventionelle Wege beschreitet. Wir stellten in der begleitenden Diskussion fest, dass es gar nicht so einfach ist, normgebundenes Denken abzulegen. Detlef Czech stellte auch heraus, dass Gebete am Bedürfnis und nicht am Wunsch orientiert sein sollten.

Schwerwiegende Impulse

In nur wenigen Stunden hatte ich einige schwerwiegende Impulse aufgenommen: Die Theologen waren sich einig, dass im Judentum - also sämtlichen Texten der Bibel - gefragt wird, statt zu vermuten und anzuklagen. Als Softwareentwickler berechne ich einfach selbst viele Situationen voraus und stelle generell zu wenige Fragen. Das ist ein Defizit, das ich schon seit einiger Zeit an meine journalistischen Coaches herantrage.

Selbsterkenntnis und Selbstoptimierung seien die initialen Voraussetzungen für den weiteren Erfolg im Reich Gottes. Daraus kann das Gebet um Gleichgesinnte folgen und daraus das Treffen mit diesen. Wir waren uns einig, dass das Reich Gottes nicht über Gemeindeprogramme gebaut wird, sondern über persönliche, ehrliche Beziehungen, die ein konkretes Wachstum in der Beziehung zu Jesus fördern. Swen Schönheit ging sogar so weit, dass eine auf Aktionismus gebaute Gemeinde auf Sand gebaut sei. Aktion kann immer nur die Folge von Vision und Mission sein, aber nie der Beginn, auch wenn die Aktion erst einmal erfolgreich scheint.

In der Pause diskutierten die Anwesenden in kleinen Grüppchen weiter. Peter Ischka bot Bücher und Z-Magazine an. Kekse und Salzstangen wurden geknabbert. Ich machte mich auf den Weg zu meiner Familie. Sie waren ins Umland zu einem Weihnachtsmarkt gefahren. Vorweihnachtliche Terminüberschneidung eben.

Sonntag, 22. April 2018

Lutherisch auf Farsi in der Dreieinigkeits-Gemeinde Steglitz

Gottfried Martens aus der Dreieinigkeits-Gemeinde ist durch die Presse bekannt geworden. Er engagiert sich für Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten. Heute haben wir einen Doppelgottesdienst in Steglitz besucht.



Mein Begleiter trieb mich zur Eile. Wenn wir nicht pünktlich vor Ort seien, bekämen wir keinen Sitzplatz mehr. Über 1.000 Menschen mit Fluchtgeschichte gehören wohl zur Dreieinigkeits-Gemeinde in Steglitz. So entschieden wir uns, schon zur vorgelagerten Beichtandacht zu erscheinen. Diese begann um zehn.

Das Gemeindehaus steht auf einem Eckgrundstück in der Steglitzer Südendstraße. Parkplätze waren an der Straße vorhanden. Aus dem Küchenfenster klangen orientalische Klänge. Überall Schilder mit arabischen Schriftzeichen. Im Eingangsbereich wurden wir freundlich begrüßt. Ein dunkelhaariger Mann reichte uns die drei benötigten Gesangsbücher und ein separates Liedblatt.

Sieben Kreuze und Vergebung

Da die Familie nicht dabei war, konnten wir uns in der dritten Reihe platzieren. Kirchenbänke mit Kissen. Im Altarbereich zählte ich sieben Kreuze: Kanzel, Kerzen, Altarkreuze und ein herzugetragenes Aufstellkreuz. Das war eine Steilvorlage für die Beichtandacht. Wir hatten ja schon einige lutherische Gemeinden erlebt, wo auf der Sündhaftigkeit des Besuchers herumgeritten wurde - teilweise mit bedrohlich gestalteten Liedtexten an der Wand.

Hier wurde ein klarer Gegenakzent gesetzt: Ja, es gibt immer wieder Sünde, aber es gibt auch Vergebung. So stand die Beichtandacht im Zeichen der Vergebung. Gruppen von etwa 20 Personen kamen in den Altarbereich, knieten sich nieder und bekamen auf Deutsch, Farsi und Englisch Vergebung zugesprochen. Dazu legte Gottfried Martens jedem die Hand auf. Auch mein Begleiter reihte sich ein und war dann im gefühlt siebten Durchlauf dabei. Die Wartenden nahmen kein Ende. Ich war beeindruckt.

200 Plätze und kein Smartphone

Die Sitzplätze im Saal und auf der Empore müssen um die 200 Personen fassen. An jedem Platz - also sechs Mal pro Holzbank - war ein Hinweis auf Farsi und Deutsch angebracht, dass wir uns der Gegenwart Gottes bewusst sein sollten und deshalb jegliche Benutzung von Smartphones als respektlos anzusehen ist. Wer sein Smartphone benutzen möchte, solle den Saal verlassen und erst nach dem Gottesdienst wieder betreten. Eine deutliche Ansage, die wohl ihre Gründe hat.

Der Übergang zwischen Beichtandacht und Gottesdienst dauerte etwa zehn Minuten. Der Saal füllte sich noch etwas, so dass die 200 Plätze nahezu ausgereizt waren. Niemand starrte auf sein Handy. Alle konzentrierten sich auf die Liturgie. Pfarrer Martens zelebrierte die lutherische Liturgie mit Hingabe und fast komplett ohne Textvorlage. Die Liturgie schien in ihm zu leben.

Da gefühlt 90% der Anwesenden Farsi sprachen, wurden die Bibeltexte auch in Farsi verlesen. Es wurde sehr viel gesungen: Kirchenlieder, Jugendlieder von 1990 und schwungvolle Lieder auf Farsi. Ich verstand kein Wort - doch: Pontius Pilatus. Farsi ist Amtssprache im Iran, in Afghanistan und in Tadschikistan. Als indogermanische Sprache klingt sie gar nicht arabisch, obwohl Farsi die gleichen Schriftzeichen hat. Es gibt weltweit etwa 70 Millionen Muttersprachler.

Verfall und Erneuerung

Mit Hingabe predigte Gottfried Martens über einen Text aus dem zweiten Korintherbrief: "Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so werden wir doch am inneren Menschen von Tag zu Tag erneuert" (2. Korinther 4, 16). Nachts um drei habe er die Predigt vorbereitet - nach einem Tag der Herausforderungen und Rückschläge beim Einsatz für seine zum Christentum konvertierten Gemeindemitglieder. Am eigenen Körper erlebe er, wie er ermüdet. In der nächsten Woche fallen einige Veranstaltungen aus, da er "Schlaf-Urlaub" mache.

Ein Leuchten kam in seine Augen, als er den zweiten Teil des Predigttextes betrachtete. Wir werden täglich am inneren Menschen erneuert und erfrischt. Sehr plastisch malte er uns mit seinen Worten die Spannung zwischen äußerem Verfall und innerer Erneuerung - renovatur im Lateinischen - vor Augen. Ich betete für ihn, dass er in der nächsten Woche wirklich diese innere Kraft tanken kann.

Abendmahl mit Weißwein

Zum Abschluss des Gottesdienstes gab es Abendmahl. Dieses dauerte über eine halbe Stunde. Es müssen um die zehn Gruppen zu je zwanzig Leuten nach vorne gekommen sein. Der Pfarrer legte die Oblaten in den Mund jedes Einzelnen. Dann kam der Kelch mit Weißwein. Gerade der Wein muss eine besondere Herausforderung für ehemalige Moslems sein. Ein starkes Zeichen der Lebensveränderung.

Nach dem Gottesdienst verabschiedete Gottfried Martens alle Besucher persönlich. Äußerlich vom Stress gezeichnet, aber innerlich erneuert. Das verriet sein Blick, als er uns verabschiedete. Wir schauten noch kurz in den Essenssaal im Erdgeschoss und verließen dann die Dreieinigkeits-Gemeinde in Steglitz.

Samstag, 21. April 2018

Moskau Teil 4: Pastoren treffen sich in Selenograd

Gemeindegründung ist ein internationales Thema. Im 4. Teil ihres Reiseberichtes erzählt Gastautorin Martina über eine Pastoren- und Leiterkonferenz in Selenograd. Sie musste wohl erst nach Moskau reisen, um weitere Prinzipien guter Gemeindeleitung zu entdecken.



Als wir nach unserem Stadtausflug viel später als erwartet zur Baptistengemeinde von Selenograd zurückkehrten, hatte sich das Haus gut gefüllt. Wir versuchten, eine Aufgabe zu finden und halfen ein wenig bei der Registrierung. Dabei lernten wir weitere sehr freundliche Mitglieder aus der gastgebenden Gemeinde kennen.

Von den angereisten ca. 150 Pastoren und leitenden Mitarbeiter aus ganz verschiedenen Gemeinden und Gegenden Russlands konnten wir in den nächsten Tage einige kennenlernen. Es waren neben den Baptisten auch Christen aus Pfingstgemeinden und evangelischen Kirchen vertreten. Russisch-Orthodoxe waren nicht zu erkennen.

Moskauer Pastoren treffen sich einmal pro Monat

Als die Kommunisten in den 1920er und 1930er Jahren die Macht übernahmen, fassten sie die Freikirchen unter einem Dach zusammen. Sie hofften dadurch, dass die Christen sich wegen einiger unterschiedlicher Glaubensgrundsätze gegenseitig zerfleischen würden. Das Gegenteil war jedoch der Fall - und so sind heute vielleicht noch die Früchte daraus zu sehen. Für die Moskauer Region gibt es jedenfalls ein monatliches Pastorentreffen, zu dem Pastor Pavel alle Konferenzteilnehmer einlud.

Überhaupt scheint er ein Netzwerker zu sein. Er hatte es geschafft, so viele verschiedene Denominationen, Regionen und Ethnien nach Selenograd einzuladen und eine Atmosphäre der Gemeinschaft von Christen anzuregen. Hier können wir uns in Deutschland eine riesige Scheibe abschneiden.

Moskau Selenograd Baptisten Pastorenkonferenz
Pastorenkonferenz in der Selenograder Baptistengemeinde (Foto: Dave Schnitter)
Video à la Saddleback

Bei der ersten Live-Übertragung aus Amerika konnten wir nach dem Abendessen im Gemeindesaal dabei sein. Das Auditorium hörte gespannt zu, wie Tom Holladay seine Einleitung und einige Grußworte überbrachte. Er wurde live von der Bühne ins Russische übersetzt. Für Tom und Andrew aus Amerika, die eigentlich Hauptredner sein sollten, waren recht spontan zwei andere Pastoren namens Dave Holden und Dave Page, ebenfalls aus den USA angereist.

Es sollte um eine erneuerte Kirche und das Predigen mit Vision gehen. Dies ist Teil des Programms "Kirche mit Vision" der Saddleback Church aus Kalifornien. Nachdem in den 1990er Jahren das Buch "Leben mit Vision" von Rick Warren zu einem Weltbestseller in christlichen Kreisen geworden war, hat Pastor Rick weiter an Konzepten gearbeitet, wie einzelne Personen, Kirchen und Gemeinden und sogar ganze Länder von der Rückbesinnung auf Gottes Vision für uns Menschen verändert werden können. Dies ist alles unabhängig von nationalen Grenzen angelegt.

Handwerkszeug

In den nächsten Veranstaltungen im großen Saal ging es darum, als Gemeinde im Lobpreis, in Gemeinschaft, Jüngerschaft, Dienst und in der Weitergabe der Guten Nachricht zu wachsen. Insbesondere zum letzten Punkt gab es ganz konkrete Ideen und Anleitungen mit umfangreichem Material und vielen praktischen Beispielen der Redner. Alles wurde schließlich am Samstagmorgen zusammengefasst mit der Ermutigung für die Pastoren, ihre Gemeinden zu lieben.

Ich war beeindruckt von der Professionalität der Technik. Die Live-Übertragungen aus Kalifornien liefen ruckelfrei und waren gut zu verstehen. Das einzige, was zu der Zeit nicht funktionierte, war das W-LAN im Saal. Beeindruckt war ich auch von der guten Performance der beiden Übersetzer. Wobei überraschend viele Einheimische ihre Englischkenntnisse hervorholten, wenn wir uns mit ihnen unterhielten.

Moskau Selenograd Baptisten Pastorenkonferenz
Pastorenkonferenz in Selenograd - Casper, Martina, Ayanna (v.l.n.r. - Foto: Dave Schnitter)
Singen auf Russisch

Der Lobpreis - komplett auf Russisch - wurde zumeist von Andre aus Selenograd geleitet. Im Laufe der Konferenz zeigte sich, dass er zahlreiche Instrumente beherrschte. Bemerkenswert war außerdem die unterschiedliche Zusammensetzung des Teams bei gleichbleibend großer Begeisterung und Qualität. Manche Lieder kannten wir aus dem Englischen, andere waren völlig neu für uns. Alle Lieder wurden nur auf Russisch gesungen. Mein Vorteil war, dass ich alles mitsingen konnte, weil ich ja die russischen Texte vom Beamer lesen konnte. Die Lobpreiszeiten hätten für meinen Geschmack ruhig länger sein können.

Seminare über gesunden Gemeinde-Aufbau

Am Freitag und Samstag Nachmittag gab es je zwei Seminarblöcke, die entweder von den angereisten Amerikanern, von Dave Schnitter aus Berlin oder von Mitgliedern der Selenograder Gemeinde gehalten wurden. Es gab auch wieder Live-Übertragungen aus den USA. Inhalte waren der Aufbau von Gemeinden in Gegenden, in denen kaum noch jemand zur Kirche geht. Außerdem gab es Anregungen, wie man Nichtchristen mit dem Evangelium erreichen könnte. Oder auch Seminare darüber, wie man wertschätzend mit Mitarbeitern umgeht.

Ich entschied mich, mehr über die Gründungsgeschichte von Saddleback Berlin zu erfahren und ging zu Dave Schnitter. Da muss man erst nach Moskau reisen… Hätte ich bestimmt auch zu Hause erfragen können, bin aber nie auf die Idee gekommen.

Endlich putzen!

Schließlich konnten wir anderen drei nach etlichen Anläufen doch noch ein wenig helfen: Putzen. Dabei lernte Casper, wie man einen Staubsauger auf dem Rücken trägt. Ich lernte Olja kennen, die das komplette Gemeindehaus blitzblank hält. Mein Russisch war inzwischen auf 3-Wort-Sätze angewachsen. So konnten wir sogar eine Art Gespräch führen, denn Olja sprach gar kein Englisch.

Moskau Selenograd Baptisten Pastorenkonferenz
Putzen in Selenograd (Foto: Dave Schnitter)
Dann durfte ich sogar noch die Eingangstreppe sowie die Waschräume wischen. Wenn wir gerade nicht zur Stelle waren - also meistens - wird Olja bei solchen Veranstaltungen von den Jugendlichen aus der Baptistengemeinde unterstützt. Sie wienern das Haus, wenn alle Gäste die Lokalität verlassen haben und sorgen dafür, dass man sich am nächsten Morgen wohl und willkommen fühlt. Stolz erzählten einige junge Leute, dass sie im letzten Jahr sogar eine Urkunde für ihre Unterstützung erhalten hatten. Man merkte an dem Umgang miteinander, dass eine Atmosphäre der Wertschätzung und Anerkennung in diesem Haus nicht nur bloße Theorie ist, sondern gelebte Wirklichkeit.

Das ist wohl auch eins der Geheimnisse, warum Pastor Pavel Kolesnikov es geschafft hat, ein so junges, engagiertes Team zusammenzustellen, das wir am ersten Abend vorgestellt bekamen. Und bestimmt auch die Vision, eine gesunde, wachsende Kirche für sein Städtchen Selenograd zu etablieren.

Autorin: Martina Baumann (redaktionell bearbeitet von Matthias Baumann)

Freitag, 20. April 2018

Moskau Teil 3: Wanderung mit Karolina

Neben Kak, Da und Njet gibt es wohl nur noch ein Wort, das sich der per Pflicht-Unterricht gebildete Schüler aus dem Russischen gemerkt hat: Dostroprimeltschatjelnosti - Sehenswürdigkeiten. Der folgende Gastbeitrag meiner Frau Martina berichtet von einem Stadtrundgang mit Karolina.



Pünktlich um sieben trafen wir uns als Berliner mit zwei Amis und mit Karolina aus Selenograd. Karolina wollte uns Moskau zeigen. Auf das Frühstück hatten wir verzichtet, um den leeren Schnellzug in die City zu erwischen.

Der Zugverkehr zu den Vororten ist ähnlich wie in Paris organisiert. Es gibt Züge, die an drei Stationen halten und dann nur 35 Minuten brauchen. Und solche, die 50 Minuten unterwegs sind, weil sie jede Haltestelle ansteuern. Karolina hatte die richtigen Fahrkarten besorgt und kümmerte sich trotz ihres jugendlichen Alters auch im weiteren Tagesverlauf darum, dass wir die richtigen Züge und Metros benutzen konnten.

Moskau Metro
Moskau - Metrostation (Foto: Dave Schnitter)
Als wir in Moskau-Komsomolskaja ausstiegen, blitzte so langsam die Sonne durch die Wolken, auch wenn der Wind noch eisig war. Hier gibt es insgesamt drei Bahnhöfe, allesamt sehr imposante Gebäude. Komsomolkaja ist einer der berühmten U-Bahnhöfe aus den 1960er Jahren, mit Stuck und Kronleuchtern. Hier kreuzen sich zwei Metrolinien. Im Berufsverkehr waren wir offensichtlich die einzigen, die die Architektur dieses Bahnhofs bewundern, genießen und fotografieren wollten. Am Bahnhof Belarus passierten wir eine weitere sehenswerte Metrostation.

Endlich gab es Frühstück: Kaffee und Croissants. So gestärkt bejahten wir Karolinas Frage nach unserer Bereitschaft zu einem längeren Fußmarsch.

Moskau Roter Platz Basilius Kathedrale
Moskau - Roter Platz mit Basilius-Kathedrale (Foto: Martina Baumann)
Auf unserem Weg zum Roten Platz, dem wir uns in kleiner werdenden Umrundungen näherten, zeigte uns Karolina verschiedene versteckte Ecken. Gut, dass wir eine Einheimische dabei hatten. So sahen wir beispielsweise das Theaterviertel, in dem man rund ums Bolschoi-Theater in Cafés und Restaurants in einer Fußgängerzone draußen sitzen könnte. Ein richtiger Geheimtipp war das Kinderkaufhaus, das eine kostenlose Aussichtsterrasse mit wunderbarem Blick über den Roten Platz samt Kreml und große Teile Moskaus bietet.

Nach fünf Kilometern gelangten wir auf dem Roten Platz an. Er kam mir viel kleiner vor als im Fernsehen und ich wunderte mich, wie dort mit solcher Präzision Paraden abgehalten werden können. Natürlich mussten die obligatorischen Fotos vor der Basilius-Kathedrale geschossen werden. Die Kathedrale ist heute ein Museum, weshalb wir sie nur umrundeten. Der Wind war kalt und kräftig.

Moskau Christus Kirche
Moskau - orthodoxe Christus-Kirche (Foto: Martina Baumann)
Abschließend besuchten wir noch zwei Parks und die Russisch-Orthodoxe Christus-Kirche, in der zwei verschiedene Kirchenräume untergebracht sind. Nach 8 Stunden und 13 Kilometern Fußmarsch fuhren wir mit dem Schnellzug nach Selenograd zurück. Wir waren völlig fertig, hatten aber das Gefühl, alles Wichtige von Moskau gesehen zu haben.

Fazit 1: Moskau ist eine sehr schöne Stadt.
Fazit 2: Mit einer Einheimischen die Stadt zu erkunden ist sehr bereichernd.
Fazit 3: Die Einheimische sollte nicht sehr viel sportlicher sein als die Touristen.

Autorin: Martina Baumann (redaktionell bearbeitet von Matthias Baumann)

Donnerstag, 19. April 2018

Moskau Teil 2: Baptisten und Selenograd

Im Moskauer Vorort Selenograd gibt es eine Baptisten-Gemeinde und viele andere Dinge zu entdecken. Der 2. Teil des Reiseberichtes meiner Frau Martina beschäftigt sich mit der Anreise, der Baptistengemeinde und dem Alltagsleben in Selenograd.



Der Gruppenchat funktionierte, wie verschiedene Kaffee- und S-Bahn-Posts auf dem Weg zum Flughafen bestätigten. Ich wurde liebevoll von meinem Mann auf dem Parkplatz verabschiedet, sofern man das in fünf Minuten kostenfreier Parkzeit bewerkstelligen kann.

Alle inklusive der Aeroflot-Maschine (Flugzeug heißt übrigens auf Russisch samoljot) hatten sich pünktlich eingefunden und das Abenteuer konnte beginnen. Der Flug war ruhig und mit nur 2,5 Stunden sehr kurz. Abenteuerlich die Landung in Moskau-Scheremetjewo. Ich überlegte, ob die Absätze zwischen den Betonplatten extra abbremsen sollen, falls die Bremsen einmal versagen. Ist das nötig bei Aeroflot? Eine Frage, der man vor einem Flug vielleicht lieber nicht näher nachgehen sollte. Nach einer Busfahrt, die unsere Reisezeit fast verdoppelte, gelangten wir am Flughafengebäude an. Passkontrolle – falsche Schlange – hier guckte die Staatsbedienstete jedes Passbild achtmal an – Koffer holen, die letzten auf dem Band.

Draußen wurden wir von Nieselregen, zwei Frauen namens Nastja und einem Mann namens Daniel erwartet. Sie fuhren uns in zwei PKW über die leere Maut-Autobahn. Nastja erzählte Ayanna und mir über großes Verkehrschaos in Moskau – außer auf dieser Straße, weil man ja hier bezahlen müsse.

Moskau Selenograd
Moskau - Wohnen in Selenograd (Foto: Martina Baumann)
Unser Ziel war Selenograd, ein Außenbezirk Moskaus, 37 km vom Zentrum entfernt. Es ist der größte Außenbezirk Moskaus und wurde 1958 auf dem Reißbrett entworfen. Zuerst hatte die Regierung es als Textilstandort gewählt, relativ bald wurde das geändert und ein Elektronik-Zentrum wurde angepeilt, ähnlich dem Silicon-Valley in den USA. Bis 1989 war Selenograd dann auch eine "verbotene Stadt", jedenfalls für Ausländer. Es durften damals vom Zentrum und den Forschungseinrichtungen keine Fotos gemacht werden.

Baptisten und Backsteine

Die Selenograder Baptistengemeinde ist ein recht großer Backstein-Komplex mit Gemeindesaal in Kinoform, zahlreichen Seminar- und Kinderräumen, Küche mit Speisesaal für 50 Personen sowie einem Bereich mit einfachen Zimmern für eine günstige Übernachtung auf Spendenbasis.

Wir wurden herzlich begrüßt, bekamen unsere Zimmer – wir Frauen zu zweit. Die Männer wurden in Erwartung der anderen Konferenzteilnehmer zu fünft in einem Raum untergebracht. Die Räume waren zum großen Teil mit Doppelstockbetten, Schrank, Tisch und Stühlen eingerichtet. Wer auf ein weiches Bett angewiesen ist, sollte sich noch eine aufblasbare Isomatte als Zwischenschicht mitbringen. Bettwäsche und Handtücher waren vorhanden.

Pavel und die Putzkolonne

Pastor Pavel Kolesnikov erwartete uns mit einer Führung durch das Haus, das trotz des Wetters draußen einen sehr hellen und gastfreundlichen Eindruck machte. Alles war liebevoll eingerichtet und dekoriert. Man sah an allen Ecken und Enden noch Menschen aus der Gemeinde putzen und wienern, so dass es schließlich kein Staubkörnchen mehr irgendwo gab.

Wir bekamen ein leckeres, frisch zubereitetes Mittagessen vorgesetzt und lernten das Pastorenpaar Dave und Peggy McKee aus der Saddleback-Gemeinde Kalifornien kennen. Sie waren schon mehrmals in Selenograd und anderen Teilen Russlands gewesen. Außerdem waren noch Michael und Dean zur Konferenz angereist, zwei Ruheständler aus den USA, die ihre freie Zeit zur Unterstützung von Gemeindearbeit in allen ihren Facetten verwenden.

Hochhäuser und der Zahn der Zeit

Nach dem Essen blieben uns zwei Stunden und wir ließen uns von Dave und Peggy das nächstgelegene Einkaufszentrum zeigen. Wir gingen 15 Minuten an der Hauptstraße entlang, und diese sechsspurige Straße war extrem laut. Der Teil des Ortes, den wir sahen, bestand aus wenigen Einfamilienhäusern auf der anderen Seite der Hauptstraße, abgeschirmt durch eine Lärmschutzwand. Größtenteils gab es Hochhäuser älterer und neuerer Bauart mit mindestens 22 Etagen. Während die neueren Häuser in Architektur und Anlage modern und vielseitig, fast kreativ wirkten, betrachteten wir mit Sorge die älteren Gebäude: Fehlende Balkons mitten in der Front, unterschiedlichste Fensterrahmen oder zersplitterte Fenster, Verkabelungen von Sattelitenschüssel zu Sattelitenschüssel, die von Hochhaus zu Hochhaus führten.

Es machte den Eindruck dass seit ihrer Errichtung in den 1970er Jahren außer dem Zahn der Zeit keiner mehr an den Häusern eine Veränderung vorgenommen hat. Man kann nur hoffen, dass sie innen besser erhalten sind. Das trübe Wetter, wenigstens inzwischen trocken, ließ diese Häuser noch trostloser wirken.

Moskau Selenograd Markt
Moskau - Supermarkt in Selenograd (Foto: Martina Baumann)
Kontrastprogramm war das Einkaufszentrum, das gut mit jeder Berliner Shopping-Meile mithalten könnte. Mobiltelefon-Läden, Klamottenläden, Fressmeile. Sogar Burger King gab es hier. Wir steuerten den Geldautomaten an und ich hielt nach drei Versuchen meine ersten Rubel in der Hand. Ein Rubel ist die kleinste Einheit. Kopeken, wie in meiner Kindheit, gibt es nicht mehr.

Supermarkt auf Russisch

Der Supermarkt auf der anderen Straßenseite kam mir bekannt vor. Er entsprach mit Produkten und Einrichtung in etwa den russischen Supermärkten, die aktuell im Osten Berlins an verschiedenen Stellen zu finden sind. Die anderen Berliner kannten das offensichtlich noch nicht und es wirkte um so exotischer, da sie ja auch die Schrift nicht lesen konnten. Es gab viel Fisch (ruiba), Tee (tschai), Kerne zum Knabbern und extrem süße Süßigkeiten. Natürlich auch andere Waren wie Milch (moloko) und Zucker (sacher), die auch bei uns im Regal zu finden wären. Einzig die Gefriergemüse-Truhe, aus der man die gefrosteten Blumenkohl-Stücken lose entnehmen konnte, kannte ich so auch nicht.

See, Taufen und Orthodoxie

Zurück ging es zum Glück nicht mehr an der Hauptstraße entlang, sondern an einem See vorbei, der vom Fluss Skhodnya gespeist wird. Auch am Ufer des Sees gab es Hochhäuser, auf der anderen Seite befand sich eine Badestelle. Der See wurde in der Vergangenheit bereits durch die Baptistengemeinde zu Taufen genutzt, auch wenn es im Gemeindehaus ein Taufbecken gibt. Heute wäre das sehr unangenehm gewesen, es schwamm noch Eis auf dem See. Die Strecke durch den Park und am See entlang war nicht nur schöner, sondern auch kürzer, so dass wir bei späteren Ausflügen zum Bahnhof oder auf den Markt diesen Weg benutzten.

Gegenüber der Baptistengemeinde stand eine Russisch-Orthodoxe Holzkirche, die auch innen sehr schön sein soll, zu deren Besuch aber leider keine Zeit blieb.

Eingespielte Teams

Zurück in der Gemeinde gab es Abendbrot und anschließend eine Teamrunde. Hier trafen sich die drei Nationen Amerika, Deutschland (mit Erweiterungen) sowie Russland und wir teilten kurz unsere aktuelle Lebens- und Gemeindeposition. Von den Selenograder Baptisten waren ungefähr zehn Personen anwesend. Pastor Pavel Kolesnikov hatte ein junges engagiertes Team aus Mittzwanzigern bis -dreißigern. Viele von ihnen waren ehrenamtlich tätig und ansonsten Ingenieure oder Studenten. In der Gemeinde sind sie als Pastoren, Hauskreisleiter, Dekorateure, Übersetzer oder auch Mut-Macher aktiv.

Am Ende des Abends hatten wir viele freundliche Menschen kennengelernt, waren herzlich willkommen geheißen und hatten keine Aufgabe für die Konferenz bekommen. Aber wir verabredeten uns mit Karolina zu einer Führung durch Moskau.

Shopping in Selenograd

Am Freitagnachmittag nutzte ich eine letzte Möglichkeit, mich noch auf dem Markt gleich neben dem Bahnhof von Selenograd umzusehen. Mit seinen Nüssen, Trockenfrüchten und Gewürzständen mutete er etwas orientalisch an. Es gab außerdem Buden mit Schuhen, Schürzen und auch selbstgemachten eingelegten Früchten, die russische Mütterchen feilboten. Im Regen bekommt man hier bestimmt nasse Füße, denn die ausgelegten Bretter reichten gerade für den Matsch, der noch vom Vortag übrig war.

Es gab auch eine Markthalle, die sehr aufgeräumt wirkte. Trotz mehrerer Fischstände roch es nicht nach Fisch und Obst und Gemüse lagen hübsch aufgestapelt an den einzelnen Ständen. In einem Süßigkeitsladen entdeckte ich die Süßigkeiten, die mir in der Gemeinde am ersten Abend überraschend gut geschmeckt hatten. So war mein Mitbringsel für die Lieben daheim gerettet. Am Trockenfrüchte-Stand brachte ich eine Art Unterhaltung zustande, bei der ich den Preis erfragen (skolko stoit) und auf Nachfrage mitteilen konnte, dass wir aus Deutschland (ies germanii, ies berlina) kämen. Daraufhin holte mir der Händler einen 1-kg-Beutel Trockenfrüchte aus dem hinteren Bereich der Bude und meinte, diese seien besser als die ausgelegten. Ist doch schön, wenn die Sprachversuche sich in solchen messbaren Erfolgen niederschlagen.

Autorin: Martina Baumann (redaktionell bearbeitet von Matthias Baumann)

Mittwoch, 18. April 2018

Moskau Teil 1: Vorbereitung

Heute gegen acht brachte ich meine Frau zum Flughafen Schönefeld: Moskau-Reise mit drei weiteren Leuten von Saddleback Berlin. Nachfolgend Teil 1 des Reiseberichtes von Gastautorin Martina, in dem es um die Vorbereitungen geht.



Moskau, Moskau - diese Stadt hatte bereits Dschinghis Khan entdeckt: musikalisch und eventuell auch auf einem Feldzug. Nun wollte ich selbst einmal auf Entdeckungstour gehen.

Zu Russland hatte ich als gebürtiger Ossi schon aus geopolitischen Gründen einen Bezug. Hinzu kam der Besuch einer Schule mit erweitertem Russisch-Unterricht. Ich schlug mich mal mehr, mal weniger gut durch die russisch geprägte Schulzeit. Vor allem der Erdkunde-Unterricht auf Russisch über das damals noch Sowjetunion genannte Land erforderte mehr Sprachkenntnisse, als ich mir aneignen wollte. Später in West-Berlin spielte ich kurzzeitig mit dem Gedanken, Russisch als Abiturfach zu wählen. Mit den Muttersprachlern konnte ich jedoch nicht mithalten.

Theorie wird zur Praxis

Was mir nach zehn Jahren Schul-Russisch noch fehlte, war ein Besuch in Russland. Da die Schulzeit nun schon zwei bis drei Jahre zurückliegt, überraschte mich mein starkes Interesse selbst. Dave Schnitter, Pastor bei Saddleback Berlin, erwähnte in einem Gottesdienst Anfang März eine geplante Reise nach Moskau. Er wolle dort eine Gemeinde besuchen, die eine Pastorenkonferenz ausrichte. Dave würde sich freuen, wenn ihn jemand begleite, um die Gemeinde vor Ort zu unterstützen.

Nach kurzem Überlegen, Ermutigung durch die Familie - "Da wolltest Du doch schon immer mal hin“ - und einigen Details zur Reise, entschloss ich mich zur Fahrt gen Osten. Urlaub war schnell verlegt, Flug gebucht und Visum mit einer Unmenge an Papierkram beantragt. Es war erstaunlich, was der russische Staat für das Visum alles haben wollte: Passbild und Krankenversicherung leuchteten ja ein, aber bei Adresse und Lohnnachweis des Arbeitgebers und einem Einladungsschreiben, das man als Tourist auch für 15 Euro bei irgendeiner dubiosen Internet-Firma erwerben konnte, erschloss sich mir der Sinn nicht wirklich.

Schließlich musste der Reisepass für eine Woche beim Konsulat abgegeben werden. Wobei man beim Konsulat gar keinen Termin bekam, sondern in jedem Fall über das Russische Visa-Zentrum oder einen anderen kommerziellen Anbieter den Antrag stellen musste. Arbeitsbeschaffung auf Russisch.

Casper, Dave, Ayanna

Schnell gesellte sich Ayanna dazu. Sie kommt ursprünglich aus Trinidad und Tobago und macht in Berlin ihren Doktor in Energietechnik. Ihre Euphorie war ansteckend und ihre Organisationskünste stellten alle deutschen Bürokraten in den Schatten. Wenn ich etwas über Visa-Angelegenheiten oder Geldautomaten wissen wollte, antwortete Dave mit einem 1-Zeiler und Ayanna schickte fünf Minuten später eine wissenschaftliche, selbst recherchierte Abhandlung zum Thema. Der vierte im Bunde war Casper. Er ist gebürtiger Holländer, der inzwischen seit zehn Jahren in Berlin lebt. Er bekam kurzentschlossen noch Visum und Flugtickets.

Drei Tage vor der Abreise wurden wir im Gottesdienst bei Saddleback Berlin gesegnet. Ayanna und ich trafen Casper bei diesem Anlass zum ersten Mal. Welche Aufgaben wir erledigen sollten, ließ sich vor der Abreise nicht herausfinden. Überraschung!

Ich spreche Russisch.

Wenigstens fand ich das Buch "Ich spreche Russisch" im Bücherregal und begann, meine Sprachkenntnisse aufzutauen. Das ging besser als gedacht. Lesen fließend, verstehen Vieles. Aber beim Reden haperte es ganz schön - mir fehlte der passende Gesprächspartner. Meine Tochter ließ es mit viel Geduld über sich ergehen.

Apropos Sprache. Natürlich gab es eine Gruppe mit der Bezeichnung "We are going to Moscow" bei WhatsApp. Chatsprache war Englisch. Wie sich später herausstellte, hatten alle anderen Beteiligten bereits einen Teil ihres Lebens im englischsprachigen Ausland verbracht oder dies gar als Muttersprache. So musste ich also nicht nur Russisch wiederholen, sondern konnte auch noch mein Englisch-Wörterbuch zur Bildung von sinnvollen Sätzen nutzen.

Autorin: Martina Baumann (redaktionell bearbeitet von Matthias Baumann)

Donnerstag, 12. April 2018

Lunch mit dem Bischof

Schon mehrfach wurden hier die Parallelwelten in der christlichen Szene erwähnt. Oftmals existieren diese nur wenige Meter voneinander entfernt und kommen einfach nicht zusammen. Gestern gab es eine Begegnung mit der Parallelwelt Bundeswehr. In der City traf ich den evangelischen Militärbischof Dr. Sigurd Rink zum Lunch.



Während die Bundesregierung in Meseberg über Abgase von Diesel-Fahrzeugen und andere wichtige Dinge redete, genossen wir die Sonne in der City West. Am Tisch vor dem Savoy saßen der evangelische Militärbischof Dr. Sigurd Rink, sein persönlicher Referent Dr. Klaus Beckmann und der bischöfliche Pressereferent Dr. Roger Töpelmann.

Im Terminplan des Bischofs ist wenig Luft. Er ist viel unterwegs, bereist die Einsatzgebiete und Standorte der Bundeswehr, ist in seiner regionalen Kirchengemeinde aktiv und trifft sich regelmäßig mit Pastoren zum Austausch. So hatte es einige Wochen gedauert, bis ein passender Termin gefunden war: Mittwoch nach Quasimodogeniti 2018.

Evangelischer Militärbischof Sigurd Rink
Evangelischer Militärbischof Dr. Sigurd Rink (links) und sein persönlicher Referent Dr. Klaus Beckmann (rechts) - in der Mitte eine Blume und ein unbekanntes Double von Alexander Garth
Bemerkenswert war, dass die drei Doktoren nicht selbst das Wort ergriffen, sondern ein unmittelbares Interesse an meiner Firma und der persönlichen geistlichen Entwicklung zeigten. War ich ungeplant in eine Seelsorge-Sitzung geraten? Der Bischof und seine Mitarbeiter hatten ein offenes Ohr und stellten Fragen über Fragen. Dabei wollte ich doch Sigurd Rink kennenlernen und erleben, wie er tickt und wie er bestimmte geistliche Themen sieht.

Christliche Parallelwelten

Die christliche Szene in Deutschland hat ja generell ein gespaltenes Verhältnis zur Bundeswehr. Um Militärseelsorger und Christen in der Bundeswehr macht der Otto Normalchrist einen großen Bogen. Pazifismus gehört zum guten Ton. Dabei fühlen sich 56% der Bundeswehrangehörigen einer der großen Volkskirchen verbunden - mit einem leichten Übergewicht zugunsten der Protestanten.

Sigurd Rink war durch den Völkermord in Ruanda (2014) nachdenklich geworden. Paulus und Petrus sprechen im Neuen Testament vom Sinn der obrigkeitlichen Gewalten als bewaffnete Ordnungshüter. Bestätigt wurde der Militärbischof durch die Kriegsleute-Schrift von Martin Luther (1526). Luther greift Bibelpassagen wie Römer 13 auf und entwickelt daraus die so genannte Zwei-Regimente-Lehre. Regiment ist hier im Sinne von Regierung zu verstehen. Das erste Regiment führt Gott und das zweite der Staat. Der Staat ordnet sich idealerweise den ethischen Grundsätzen der Bibel unter. Moral und Ethik sind Dreh- und Angelpunkt der Kriegsleute-Schrift. Am Ende der Ausführungen wünscht sich Luther noch viel mehr Christen in der Armee, die entsprechend positive Akzente setzen könnten.

Traditionserlass und christliche Wurzeln

Der neue Traditionserlass der Bundeswehr enthält viele dieser ethischen Grundlagen, obwohl Gott nicht ein einziges Mal darin erwähnt wird. Die Begleitung des Prozesses zur Erarbeitung der neuen Richtlinien offenbarte eine tiefe Verwurzelung von Offizieren und Generälen im christlichen Glauben. Ein Grund dafür ist die Herkunft aus den alten Bundesländern und die natürliche christliche Sozialisierung. Allerdings gehört auch Mut dazu, seinen Glauben offen zu bekennen. So sei den studierten Theologen aufgefallen, dass prozentual mehr Christen in der Bundeswehr zu finden seien als im wirtschaftlichen Kontext.

Hilfe bei PTBS und das Ohr an der Truppe

Der hohe ethische Standard bei Bundeswehrangehörigen wird auch bei der Behandlung Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) sichtbar. Innere Konflikte entstehen nicht nur durch eigenes Leid, sondern auch durch die Verletzung oder Tötung von Gegnern. Die Auslandseinsätze produzieren derzeit etwa vier neue PTBS-Fälle pro Tag. Das ist eine beachtliche Zahl, die durch Fachpersonal der Bundeswehr und eben auch die Seelsorger behandelt wird. Roger Töpelmann warf mit merklichem Stolz ein, dass die Militärseelsorge erhebliche Erfolge bei der Minderung und Überwindung von PTBS habe. Es gibt sogar eine Bundeswehr-App mit dem Namen Coach PTBS.

Die Militärseelsorge ist zwar eingebettet in die Truppe, steht aber administrativ daneben. Durch die Einbettung erleben die Seelsorger den Alltag der Soldaten und können sich ohne große Erklärungen in deren Umstände hineinversetzen. Sie sind an das Seelsorge-Geheimnis gebunden und dienen deshalb als Anlaufstelle für Themen, die sonst niemand erfährt. Auch Toxic Leadership (vergiftende Leitung) kann in der Seelsorge angesprochen werden. Es wird dann nach Lösungswegen gesucht.

Evangelischer Militärbischof Sigurd Rink
Evangelischer Militärbischof Dr. Sigurd Rink in seinem Büro
Gehen statt auf Kommende warten

Was Militärgeistliche an ihrer Arbeit reizt, ist die Gehen-Mentalität in der Bundeswehr. Die Ortsgemeinde lebt vom Kommen: Anwohner kommen in die Kirche. Bei der Bundeswehr geht der Pfarrer an die Standorte, in den Einsatz, zur Truppe. Rumsitzen und auf Zuhörer warten? Das funktioniert bei der Bundeswehr nicht. Es gilt, einen Draht zur Truppe aufzubauen. Auch wenn keine aktive Mission betrieben wird, so entscheiden sich doch immer wieder Soldaten für eine Taufe und eine Lebensausrichtung auf das Vorbild Jesus Christus.

Apropos Jesus Christus: Der immer stärker werdende Migrationsanteil unter den Soldaten bringt neue Herausforderungen für die Seelsorge mit sich. Die wenigen Juden werden zumeist von regionalen Synagogen betreut. Moslems kennen keine Seelsorge. Dennoch konsultieren sie christliche Seelsorger, die wiederum sehr positive Erfahrungen mit den Moslems machen. Auch wenn es im Militärseelsorgevertrag von 1957 anders steht, sind die Seelsorger offen für alle Soldaten, deren Seele eine Sorge hat. Das kann ein Katholik, ein Orthodoxer, ein Moslem, ein Freikirchler oder ein Humanist sein. Da der Seelsorger seiner Kirche untersteht, wird er sich jedoch nicht verbiegen und die Eigenheiten der anderen Denomination adaptieren.

Militärseelsorger ohne Uniform

Die Herren am Tisch waren froh darüber, dass die Militärgeistlichen in Deutschland nicht in die Armeestrukturen eingebunden sind. In anderen Ländern ist das anders geregelt und die Pfarrer tragen sogar Uniformen. Uniformen hebeln zudem die Seelsorgekompetenz aus, da die Geistlichen dem zweiten Regiment (Staat) unterstellt sind. Sigurd Rink führte in diesem Zusammenhang Predigten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg an, die als Sahnehäubchen für die Kampfmoral gedient hatten und weit entfernt waren von verantwortungsvoller christlicher Lehre.

Die Authentizität und Kompetenz, mit der die drei Gesprächspartner von ihrer Arbeit und ihrem Glauben erzählten, überzeugten mich davon, dass Bischof Rink der richtige Mann am richtigen Platz ist. Ein enger Mitarbeiter der Ministerin hatte mir vorab schon mitgeteilt, dass Sigurd Rink "sehr sehr nett" sei. Das fand ich bestätigt.

Dienstag, 3. April 2018

Pastor Andrew Brunson und der Wert einer Geisel

Geiselnahmen zählen in Europa zu den seltenen Delikten. Deshalb ist kaum jemand darauf geschult oder versteht gar deren tieferen Zweck. Die Betrachtung der Situation von Andrew Brunson legt eine Geisel-Option nahe.



Geiseln haben einen Wert. Sie schützen Verbrecher vor einer zu schnellen Überwältigung. Geiseln können an andere Verbrecher weitergegeben oder eingetauscht werden. Sie können an die Familie, den Staat, die Firma oder die Organisation der Geisel verkauft werden. Geiseln können zum Austausch von Gefangenen genutzt werden oder als Verhandlungsmasse in eigentlich aussichtslosen Vertragsszenarien zum Einsatz kommen.

Wert einer Geisel

Eine Geisel hat einen Wert und muss diesen im eigenen Interesse so lange wie möglich erhalten. Bei einer Entführung im afrikanischen Busch oder nach einem Banküberfall in Deutschland spielt der Faktor Zeit eine große Rolle. Je mehr Zeit verstreicht, umso stärker sinkt der Wert der Geisel. Das kann für diese lebensbedrohlich werden. Will doch der Geiselnehmer weder entdeckt noch überwältigt werden.

Eine Geisel, die ihren Wert dadurch zu mindern sucht, dass sie sich selbst gesundheitlichen Schaden zufügt, spielt mit dem eigenen Leben. Dem gemeinen Geiselnehmer ist das Leben der Geisel grundsätzlich egal. Deshalb sollte sich eine Geisel bis zu einem bestimmten Grade kooperativ zeigen, auf ihre Gesundheit und ausreichende Ernährung achten und so die eigene Überlebenschance erhöhen. Der Verbrecher selbst hat Interesse am Werterhalt seiner Geisel. Er betrachtet sie als einen Besitz.

Pastor Andrew Brunson

Regelmäßig stolpern wir in Facebook über Gebetsaufrufe für Pastor Andrew Brunson. Nach dem vermeintlichen Putschversuch im Sommer 2016 war der Amerikaner in der Türkei verhaftet worden. Es erwartet ihn ein Prozess, der ihn bis zum Lebensende hinter Gittern bringen könnte. Alles deutet auf einen Schauprozess hin. Die Anklagepunkte Spionage und Terrorismus sind wohl eher Standardphrasen einer typischen Diktatur.

Auch Jesus wurde in der Nacht zu Karfreitag vor den Hohen Rat gezerrt, obwohl das Urteil längst feststand. Der Prozess war ein rechtsstaatliches Feigenblatt zur Beruhigung des Gewissens der Richter, hatte aber faktisch keine Auswirkung auf das Urteil. Deshalb schwieg Jesus und verschwendete keine Zeit mit letzten Rechtfertigungen.

Dass Andrew Brunson im Sinne der Anklage unschuldig ist, daran besteht außerhalb der Türkei kaum Zweifel. Es muss also einen anderen Grund geben, den 50-Jährigen in einem türkischen Gefängnis festzuhalten. Hier kommt wieder das Thema Geiselnahme ins Spiel. Geiseln kommen in der Regel unfreiwillig in diese Zwangssituation - außer vielleicht der französische Polizist Arnaud Beltrame, der sich kurz vor Ostern bewusst gegen eine zivile Geisel hatte eintauschen lassen. Vermutlich war er auf solche Situationen geschult, bezahlte am Ende aber trotzdem mit seinem Leben.

Verhandlungsmasse und Tauschobjekte

Da haben wir es wieder: eintauschen und bezahlen. Schauen wir uns dazu die Geschichte des Kalten Krieges an. Auf der Glienicker Brücke wurden mehrfach Gefangene aus Ost und West gegeneinander ausgetauscht. Israel tauscht regelmäßig verurteilte Terroristen der Hamas gegen eigene Soldaten aus. Die SS hatte zu Kriegsende eine dreistellige Zahl prominenter Geiseln wie Pfarrer Niemöller oder Stauffenberg-Angehörige als Verhandlungsmasse inhaftiert. Diese sollten zum Einsatz kommen, wenn man den Alliierten hätte entgegen kommen müssen.

Zur Erstellung von Zukunftsprognosen beobachten Nachrichtendienste die roten Linien in den Handlungsmustern der jeweiligen Akteure. Die rote Linie des türkischen Autokraten ist eher eine grüne, nämlich die des Islamismus. Pastor Andrew stellt in dieser Betrachtung einen klaren Gegner dar. Die ideale Voraussetzung für eine Nutzung als Geisel. Keine persönliche Beziehung zur Person, Ablehnung seines Glaubens und Amerikaner. Sollte also Amerika Embargos verhängen, türkische Spione enttarnen oder wichtige Diplomaten ausweisen: Pastor Andrew kann helfen, nämlich als Druckmittel, als Machtdemonstration oder - so sei es für Pastor Andrew zu hoffen - als Tauschobjekt.

Christ in der Geiselhaft

Würden wir uns hier nicht im christlichen Umfeld bewegen, könnte man über die Schaffung von Situationen nachdenken, die einen Austausch mit Andrew Brunson provozieren würden. Donald Trump hätte sicher auch einige Ideen. Wahrscheinlich wird die Türkei diese Situation aber selbst herbeiführen, so dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann Pastor Brunson eingetauscht wird.

Andrew Brunson sollte also auf seine Fitness und Gesundheit achten, die Zeit im Gefängnis zur Weitergabe seiner Hoffnung in Jesus Christus nutzen und allgemein seinen Wert als Geisel des türkischen Staates stabil halten. Welche Geisel hat schon die Kraft und Ausdauer, solch ein Drama durchzustehen, wenn nicht ein Mensch, der Jesus in sich hat.

Auch wir können etwas zur Erhöhung seines Wertes beitragen, indem wir diesen Fall nämlich beständig an die Öffentlichkeit zerren. Open Doors und einige Freunde von Andrew tun das bereits mit Erfolg.

Segnen wir Andrew, dass er gut durchhält und gestärkt und bald aus dieser Situation herauskommt!

Sonntag, 11. März 2018

Transforum 2018 in der Josua Gemeinde Spandau

Das Transforum gibt es seit 2004. Es findet alle zwei Jahre statt. Es geht um den positiven Einfluss des Christseins auf die urbane Umgebung. Wer am Transforum 2018 teilnehmen wollte, musste nach Spandau fahren.



Ich war noch nie beim Transforum. Dabei hatte ich fast zehn Jahre lang die Webseite inklusive der Archiv- und Anmeldefunktionen betreut. So wusste ich immer, welche Referenten erwartet werden und um welche Themen es geht. Den Haupt-Initiator Gemeinsam für Berlin kenne ich ebenfalls von Anbeginn und gehe mit deren Zielen konform. Aber ich war noch nie beim Transforum.

Das Programm

Als vor ein paar Tagen der Rundbrief zum Transforum 2018 eintraf, suchte ich vergebens nach einem aussagekräftigen Programm. Wegen der Zeit-Effizienz besuche ich mehrtägige Veranstaltungen in der Regel nur gezielt zu bestimmten Programmteilen, verschaffe mir einen Überblick, sauge die Stimmung vor Ort auf, nehme ein paar Impulse mit und widme mich dann wieder anderen Tagesaufgaben. Manchmal habe ich den Artikel sogar schon in der Schublade, bevor ich losfahre. In seltenen Fällen werde ich dann vor Ort überrascht, so wie damals bei "Farm & Food 4.0".

Am Freitag Vormittag fiel mir plötzlich wieder das Transforum ein. Schnell rief ich die Webseite auf und versuchte dort ein konkretes Programm zu finden. Die Aufmachung moderner Webseiten ist ja sehr plakativ. So fand ich neben einem überdimensionierten Baumaschinen-Piktogramm einen kurzen Text mit der Überschrift "Antwortsuche". Darunter den Button "Workshops": Klick! Tatsächlich öffnete sich eine Liste mit Workshops.

Workshops

Einige Workshops erschienen mir interessant:
  • Lernen von den Start-ups - Tools für Gemeindeentwicklung
  • Christliches Netzwerk für die Stadt
  • Gemeindekonflikte erkennen und lösen
  • Altlasten Ost-West
  • Income Inequity - The growing Gap (Ungleiches Einkommen - die wachsende Kluft)
Dann schaute ich auf die Uhr und dachte an den Weg. Ja, der Weg: 30 Kilometer am Mittag quer durch die Stadt. Google avisierte eine Stunde Fahrzeit. Ein hartes Ringen begann. Per WhatsApp fragte ich einen Freund, ob er spontan mitkommen wolle. Nein, es war zu kurzfristig. Also widmete ich mich wieder dem Tagesgeschäft.

So lief auch in diesem Jahr das Transforum an mir vorbei.

3 Tage in Spandau

Das Transforum startete am Donnerstag und ging bis Samstag. Es fand diesmal in der Josua Gemeinde Spandau statt. Teilnehmer und Referenten kamen wie üblich aus verschiedenen Organisationen und Gemeinden. Das gemeinsame Thema ist seit dem ersten Transforum eine positive Klimaveränderung in der Stadt. Das Klima verändert sich, wenn sich Menschen für ein Leben mit Jesus entscheiden. Die spannende Entwicklung in New York City ist ein Beispiel dafür, dass es funktioniert. Erreicht werden kann es unter anderem durch Vernetzung der Christen, gemeinsames Gebet, Gemeindegründung, authentischen Lebensstil im Alltag, soziale Projekte oder Nachbarschaftshilfe.

Business-Transforum

Ich war übrigens auch noch nie beim Business-Transforum. Das Business-Transforum gibt es seit 2012. Es findet jährlich statt. Das aktuelle Business-Transforen vom 20. bis 21. April 2018 ist fast so gut erreichbar wie das normale Transforum 2018: Essen. Essen ist hier nicht der Imperativ zur Nahrungsaufnahme, sondern der Veranstaltungsort. Warum auch immer Essen? Teilnehmer und Protagonisten haben berichtet, dass das Business-Transforum intensiv und wertvoll sei. Es nehmen erfahrene Christen aus der Wirtschaft teil. Die Besetzung ist international.

Das Business-Transforum läuft ähnlich ab, wie das normale Transforum. Schwerpunkte sind allerdings Themen aus der Wirtschaft und Fragen nach den Bau des Reiches Gottes im Berufsumfeld.

Wer ein wenig in der Szene christlicher Unternehmer unterwegs ist, wird in Essen viele Bekannte treffen. Das bietet gute Kontaktmöglichkeiten am Rande der Workshops und Plenumszeiten. So manch ein spontaner Input erfrischt dann das Business. Weisheit und Erfahrung anderer Teilnehmer helfen zudem beim Treffen wichtiger Entscheidungen.

Aber  auch in diesem Jahr werde ich nicht am Business-Transforum teilnehmen. Ich habe einen anderen Termin.

Mittwoch, 24. Januar 2018

Berliner Kneipengespräche: Erklär-Videos aus dem Kiez

Die Kneipenkultur gehört zu Berlin wie das Gell zum Schwaben. Der ungehemmte Zuzug verschiebt jedoch die kulturellen Eigenheiten und drängt die Eingeborenen zusehends in den Status einer Minderheit. Dem begegnet die Internetmission Berlin mit regionalen Erklär-Videos zum christlichen Glauben.



Eine Lokalität in Berlin-Lankwitz bildet die Kulisse für die Erklär-Videos der Internetmission Berlin. Paule und Kasulske unterhalten sich bei einem Bierchen über die elementaren Fragen des Ljobens - ähm zu Deutsch Glaubens.

Die thematische Bandbreite ist enorm. Kasulske fragt nach Luther, erzählt von seiner Gänsehaut in der Kirche, redet mit Paule über das Beten vor dem Essen, trauert zusammen mit seinem Kneipenkumpel und quetscht ihn über das Leben nach dem Tod aus. Es gibt eine kleine Rahmenhandlung, zwei Bier und gelegentlich auch eine Zigarette. Die Frisur von Paule variiert je nach Jahreszeit. Beide Darsteller wirken authentisch. Kameraführung und Schnitt sind professionell.

Was sonst nur Seminare, Webinare und Bücher vermitteln, wird in den Kurz-Filmen auf flapsige Weise diskutiert. Die Länge der Videos liegt zwischen vier und acht Minuten. Dadurch sind sie auch gut geeignet als Gottesdienst-Intro. Die Wissensvermittlung erfolgt kurzweilig und auf Berlinerisch. Neubürger und Berliner können inhaltlich und sprachlich etwas dazulernen.

Aus den Dreharbeiten ist eine kleine Bewegung von Kneipen-Gottesdiensten hervorgegangen, die sich von Lankwitz aus über Berlin verbreitet.

Bei der Neugestaltung der Webseite von Gott-in-Berlin hat auch der YouTube-Kanal ein Facelifting erfahren. Dort gibt es seit Neuestem eine Playlist mit allen Kneipen-Videos. Das Reinschauen lohnt sich. Viel Freude dabei!

Samstag, 5. August 2017

Oberlin: Pastor handelt mit seinen Begabungen

Unseren Gastgebern zufolge wurde im Elsass so Einiges erfunden. Ihr Patriotismus stilisierte die Region schon fast zur Wiege der Menschheit. Auch Jean Frédéric Oberlin lebte im Elsass. Wir besuchten sein Museum in Waldersbach.



Es hatte sich eingeregnet. Deshalb setzte ich die beiden Omas, die patriotische Reiseleitung und den Rest der Familie direkt vor dem Eingang des Gehöftes ab. 50 Meter weiter wurde ein Parkplatz frei. Meine Mutter hatte bereits mehrere Vorträge über Oberlin gehalten. Die Senioren waren wohl darüber beeindruckt und hatten ihr eine Rose geschenkt.

Johann Friedrich Oberlin Museum
Johann Friedrich Oberlin Museum - Bild aus der Schublade
Aber wer war Oberlin?

Dem Namen nach gehört er eigentlich nach Preußen. Oberlin als französische Schreibweise von "Oh, Berlin" oder Abkürzung für Ost-Berlin wären glaubhafte Namensbezüge. Jean Frédéric Oberlin wurde am 31. August 1740 in Straßburg geboren und starb nach einem erfüllten Leben mit knapp 86 Jahren in Waldersbach. Jean Frédéric heißt auf Deutsch Johann Friedrich.

Im Elsass gibt es einen fließenden Übergang zwischen Deutsch und Französisch, was nicht ganz leicht für die Identitätsfindung ist. Deshalb betrachten sich Elsässer in einem Sonderstatus, vergleichbar mit der Volksgruppe der Spandauer am Stadtrand von Berlin.

Johann Friedrich Oberlin Museum
Johann Friedrich Oberlin Museum - Entwicklung des Beamers
Wirtschaft und Bildung

Bereits auf dem Weg hatte uns die begleitende Elsässerin mehrere Wirkungsbereiche von Oberlin gezeigt. Er habe dafür gesorgt, dass sich rentable Industriezweige in der ärmlichen Gegend ansiedeln. Er konnte durchsetzen, dass Brücken gebaut werden, damit die Kinder ohne Schwimmabzeichen nicht mehr in den Flüssen ertrinken.

Generell hatte er einen großen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Bildung in seiner Region. Unterstützt wurde er von Mitarbeiterinnen, die zu Fuß durch die umliegenden Ortschaften zogen und Wissen sowie Hilfe zur Selbsthilfe vermittelten.

Die ausgetretenen Stufen des Schulhauses von Waldersbach dokumentieren die hohe Frequenz an Schülern, die von Oberlin unterrichtet wurden. Sein privates Haus zwischen Kirche und Schule baute er erst, nachdem die Schule fertig war. Das nennt man Altruismus oder Philanthropie. Er war nicht nur an vielen Dingen interessiert. Er hatte auch die Gabe, andere Menschen mit diesem Interesse anzustecken und breites Wissen an seine Zeitgenossen zu vermitteln. Dadurch kamen gerade Kinder aus sozial schwachen Schichten in den Genuss von Bildung, die ihnen und den folgenden Generationen einen gesicherteren Lebensunterhalt ermöglichte.

Oberlin hat Teile der deutschen Pädagogik geprägt. Auf ihn werden die frühkindlichen Lehreinheiten durch spielerisches Erfassen von Wissen zurückgeführt.

Johann Friedrich Oberlin Museum
Johann Friedrich Oberlin Museum - Tuschkasten
Pastor kauft seine Lebenszeit aus

Bei so viel Effizienz dachte ich an das Berufsbild eines Unternehmers, Wissenschaftlers oder Politikers. Aber nein, Oberlin war Pastor! Im Museum war oft vom Pastor die Rede. Gemeint war damit Oberlin. Ein Pastor kam, sah und siegte.

Sein Lebenswerk erscheint im Rückblick vollmundig und komplett. Ein Mann, der seine Lebenszeit zum Bau des Reiches Gottes und zur Entwicklung seiner Gesellschaft genutzt hatte. Keine Minute schien er vergeudet zu haben. Er bewegte sich offensichtlich genau in den Bahnen, die Gott ihm vorgezeichnet hatte. Welch ein Vorbild, wenn ich es mit meinen Lebensabschnitten vergleiche.

Nachdem wir einige Dinge im Museumsladen gekauft hatten, schauten wir uns die benachbarte Kirche an. Alles sah so aus, als würde Oberlin gleich erscheinen und eine Predigt über Psalm 41 halten. Die Altarbibel war an dieser Stelle aufgeschlagen.

Sein Grab besuchten wir im Nachbarort und fuhren dann über die oben erwähnte Bettlerbrücke weiter zum nächsten Touristenpunkt. Diesmal römische Geschichte. Die Zeugnisse des Garten Edens waren durch die Sintflut weggespült worden. Sonst wäre uns das von den Gastgebern wohl auch noch als Geschichte des Elsass verkauft worden.

Mittwoch, 19. Juli 2017

William und Kate besuchen das Kinderhaus Bolle in Marzahn

Während das Image von Marzahn zurzeit durch die Presse demontiert wird, war es heute Anlaufpunkt für die Sympathieträger der Monarchie: William und Kate. Sie besuchten das Kinderhaus Bolle.



Als wir über den Film "Spuk unterm Riesenrad" redeten, warfen unsere Freunde ein: "Wir hatten letztens mal wieder ein Video über Marzahn kurz nach der Wende gesehen". Überall brauner, roter, grauer Waschbeton, schlammige Straßen und Grün im Anfangsstadium.

Wandel und dessen Akzeptanz

Mit dem Wechsel ins neue Jahrtausend war ein deutlicher Wandel der Atmosphäre in Marzahn zu spüren. Die Häuser wurden bunter, die Freiflächen grüner, die Bäume höher, die Menschen entspannter. Es kamen verschiedene Missionsteams nach Marzahn, bei denen sich insbesondere die Frauen schwer taten mit dieser Wohngegend. Der familiäre Kompromiss war dann das Haus am Stadtrand oder die Wohnung in einer Neubau-Enklave hinter der mentalen Grenze zur Plattenbau-Siedlung, dem Blumberger Damm südlich der Landsberger Allee.

Die allseits beliebten Gärten der Welt liegen ebenfalls in diesem Planquadrat. Dort findet zurzeit die IGA 2017 statt. Dass die Besucherzahlen von einer Million bis zur Halbzeit nicht erreich wurden, liefert Futter für die tendenziöse Berichterstattung. Brauchst du einen Bericht über soziale Problemfälle? Geh nach Marzahn/Hellersdorf!

Dass selbst Stadtteile wie die Bronx in New York eine positive Wandlung erfahren können, durfte ich im letzten Jahr erleben. Etwa zehn Jahre hatte es gedauert, das Klima dort zu verändern. Viel Gebet, die Entstehung neuer Gemeinden und das damit verbundene Umdenken der bislang trostlosen Menschen.

William Kate Kinderhaus Bolle Marzahn
Kinder beim Fußball im Kinderhaus Bolle in Marzahn
Hidden Champion

Marzahn verfügt über eine sagenhafte Infrastruktur, hat eine gute Autobahnanbindung, ausgedehnte Grünflächen und bemerkenswerte Einfamilienhaus-Siedlungen. Viele Autos vor unserem Hochhaus sind schwarz und liegen im Neupreissegment oberhalb der 50.000 Euro. Im Umkreis von 800 Metern stehen hier fünf neue BMW 7er, S-Klassen und große Audis. Was die Presse nicht wahrhaben will, wissen Autodiebe schon lange.

Gefälle

Dennoch gibt es in Marzahn/Hellersdorf ein starkes Nord-Süd- und Ost-West-Gefälle. Anna aus Biesdorf distanziert sich von Chantal aus Marzahn/Nord oder von Igor aus Ahrensfelde. Wobei das sich anschließende Dorf Ahrensfelde wieder gut situiert ist. Ein Marzahner will auf gar keinen Fall als Hellersdorfer gelten. Solche Dinge kennt man auch aus dem Konflikt zwischen Berlin und Spandau.

Die Arche in Hellersdorf und das Kinderhaus Bolle haben also ihre Berechtigung. Beide Häuser sind voll mit Kindern, deren Eltern lieber andere Dinge tun oder kein Geld für eine warme Mahlzeit haben. Bolle-Chef Eckhard Baumann ist eine gewisse Zeit bei der Arche mitgelaufen und versteht sich auf die Regeln des Fund Raisings. Die Arche und Bolle sind originär christliche Einrichtungen. Versuche, die Kinder und Jugendlichen in Gemeinden zu integrieren, waren jedoch selten von Erfolg gekrönt. Dennoch kennen sie die Basics von Gottes Liebe, Jesus, Vergebung und anderen geistlichen Tatsachen. Das lernen sie spielerisch an den Nachmittagen oder auf den gemeinsamen Freizeiten.

William Kate Kinderhaus Bolle Marzahn
William und Kate besuchen das Kinderhaus Bolle in Marzahn
Eckhard Baumann mit Krawatte und Bundesverdienstkreuz

Beim Besuch des Prinzenpaares trug Eckhard Baumann Anzug, Krawatte und die Bandschnalle des Bundesverdienstkreuzes. Diese Optik ist seine Zielgruppe nicht gewohnt. Dennoch wurde er voll akzeptiert, als er mit dem Megaphone das Fußballspiel beendete und zum Gruppenfoto mit William und Kate aufrief.

Die Besucher von der Insel inklusive Botschafter und Bürgermeister Müller waren etwa 40 Minuten vor Ort. Auf der Hohensaatener Straße waren sogar Lieferwagen wegen des Parkverbotes umgesetzt worden. So konnten die Eltern und Schaulustigen aus Marzahn der Ankunft um 15:20 Uhr beiwohnen. Ich hatte schon über eine Stunde im Garten hinter dem Haus ausgeharrt.

15:36 bis 15:51 Uhr im Garten

15:36 Uhr traten sie aus dem Haus. Jubel, Fähnchen und dann das Bad in der Masse. Die Fotografen neben mir ließen die Kameras sinken. Kate war nicht mehr zu sehen. Nur Rücken und Kate-Doubles mit blauen Kleidern. Die Traube bewegte sich zum Stand der Robert-Enke-Stiftung. Kate war verdeckt. Niemand bemerkte, dass William noch an der Treppe stehen geblieben war und mit zwei Leuten redete: Völlig frei zum Fotografieren. Dann verschwand auch er in der Menschentraube am Robert-Enke-Zelt. Diesmal verdeckt durch die Rücken der britischen Presse. "Tolle Aufnahmen!", wie der Pressefotograf zu sagen pflegt. William und Kate hatten jedenfalls keine Berührungsängste mit den Kindern aus Marzahn.

Dann bekam Kate einen Rosenstrauß überreicht, den sie lächelnd annahm und kurz darauf einer Bediensteten weiterreichte. Dann das oben erwähnte Gruppenfoto und kurz darauf der Abgang. Die Viertelstunde hinter dem Haus war somit in folgende Abschnitte gegliedert: Menschentraube an der Treppe 5 Minuten, Menschentraube unter dem Robert-Enke-Zelt 7 Minuten, Blumenstrauß mit Gruppenfoto und Abgang 3 Minuten. Alles exakt geplant, zumindest was die insgesamt 15 Minuten im Garten von Bolle betrifft.

Zurück in die City

William und Kate mussten wieder zurück in die City. Ab 16:35 Uhr stand ein Gesprächstermin mit dem Bundespräsidenten auf dem Programm. Da ich dazu auch angemeldet war, raste ich hinterher. Als ich ohne Blaulicht dort eintraf, kamen die Kollegen mit ihren Kameras bereits wieder heraus. Zu spät.

Mittwoch, 28. Juni 2017

Timbuktu - entschleunigte Realitäten ab FSK12

Wenn wir mal wieder zum Gottesdienst nach Lankwitz unterwegs sind, setzen wir gerne das Wort Timbuktu als Metapher für den Anfahrtsweg ein. Gibt es Timbuktu wirklich?



Dass es Bielefeld nicht gibt, hat sich in Berlin schon herumgesprochen. Eine mittlere Entfernung ins Nirgendwo, Mecklenburg Vorpommern beispielsweise, wird gerne als Fahrt nach Buxtehude bezeichnet. Wenn die Länge des Weges und die tatsächliche Ankunft am Zielort unkalkulierbar erscheinen, kommt Timbuktu ins Spiel.

Es gibt mehrere Dinge, die Zeitgenossen aus unserem Umfeld nicht wissen:

  • Timbuktu gibt es wirklich.
  • Timbuktu liegt am Niger.
  • Timbuktu liegt in Mali.
  • Timbuktu hat großen Stress mit islamistischem Terror.
  • Timbuktu wurde in den letzten Jahren stark zerstört.
  • Timbuktu war und ist Austragungsort eines großen jährlichen Musikfestivals.
  • Timbuktu ist nur mit hohen finanziellen und logistischen Anstrengungen zu erreichen.

Der letzte Punkt schließt dann wieder den Kreis zum Gebetsabend der FBG in Lichterfelde Ost.

Timbuktu - der Film

Seit 2014 gibt es sogar einen Film mit dem Titel Timbuktu. Die Länge des Films ist mit etwa 92 Minuten angegeben und fühlt sich deutlich länger an. Der Film ist sehr entschleunigt, überaus entschleunigt. Aber gerade in dieser Entschleunigung wird das Ausmaß der Herausforderungen der dort lebenden Menschen deutlich. Die Sinnlosigkeit und Brutalität der herrschenden Milizen zergeht langsam auf der Zunge und entfaltet dadurch eine ganz besondere Wirkung. Eine Wirkung, die ein Action-Streifen nie vermitteln könnte.

Doppelmoral, sinnfreie Regeln und Kontrollzwang

Die dargestellten Verhaltensmuster tangieren auch uns Mitteleuropäer. Wer christliche Gemeinden erlebt hat, die geistlichen Missbrauch praktizieren, wird typische Elemente wie Doppelmoral, sinnfreie Regeln und Kontrollzwang wiederentdecken. Hier im Mantel islamischer Gotteskrieger. Zweifel sind nicht erlaubt, Regeln sind nicht zu hinterfragen und Strafen sind unangemessen hoch.

Im Verlauf des Films füllt sich das Gefängnis von Timbuktu kontinuierlich. Das reale Fußballspiel wird durch Pantomime ohne Ball ersetzt und dann blendet die Kamera zu einer Steinigung wegen vermeintlichen Ehebruchs über. Und das alles sehr entschleunigt und so real ohne wirkliche Helden oder reißerische Befreiungsaktionen. Die Bilder wirken. Der allgegenwärtige feine Sand wird schon fast zum würzenden Salz bei der Aufnahme des Gesehenen.

Sand überall

In einem Logistik-Journal der Bundeswehr las ich, dass gerade der Sand eine hohe Herausforderung für Menschen und Material in Mali darstellt. Bei Regen pappt der Staub so fest zusammen, dass er in den Radkästen der Fahrzeuge zur scharfen Sichel wird, die die Reifen zerschneidet und andere Schäden anrichtet. Regnet es nicht, ist der Sand überall. "Und wenn ich sage überall, dann meine ich auch überall", erzählte mir in der letzten Woche ein Unteroffizier, der eigene Mali-Erfahrungen gesammelt hatte.

Der Film Timbuktu hatte in den Jahren 2014 und 2015 mehrere Preise abgeräumt. Zu Recht, wie ich meine.

Freitag, 16. Juni 2017

Internetmission Berlin: 8-Jährige macht Party

Die Internetmission Berlin feierte heute ihren 8. Geburtstag. Es gab Rap, Falafel und viele neue Kontakte.



Pünktlich zum #Kirchentag war die neue Webseite der Internetmission Berlin mit ihrem Branding GottinBerlin.de an den Start gegangen. 14 Monate war konzipiert, layoutet, projektiert und programmiert worden. 14, eine durchaus biblische Zahl, die uns in Matthäus 1 Vers 17 gleich dreimal über den Weg läuft. 14 entspricht dem Zahlenwert des Namens David (דוד).

David, CIA und Push!

Soweit ich mich erinnere, war jedoch kein David anwesend. Dafür aber Sammelbegriffe aus dem 50er-Segment wie Thomas oder Matthias. Überhaupt war die heutige Party eher ein Event für die ganze Familie. Kleinkinder, Jugendliche, Best Ager und Greise saßen im Saal und lauschten den Klängen der CIA. Da die CIA zur Zeit kaum in den Schlagzeilen ist, ersetzte ich das Wort auf dem Liedblatt durch NSA. Ohnehin war CIA hier im Sinne von Christen in Aktion zu verstehen.

Die CIA machten eine ähnliche Musik wie TCM: Rap. Richtig cooler Rap! Hey Yoh - Push! Und das demografisch durchmischte Publikum setzte mit ihrem Push! ein. Push hier im Sinne von Pray until something happens! (Bete bis etwas passiert!) Ein cooler Satz, den man sich so ähnlich wie BMW - Bete mal wieder! - gut merken kann.

Jänsehaut, Dominicus und Smartphone

Jänsehaut konnte man beim Gesang der schwarzen Mädels von Mélodie du Ciel (Melodie des Himmels) bekommen. Sie sangen auf Französisch oder so. Zumindest gab es eine deutsche Übersetzung. Auch der katholische Pfarrer vor uns wippte mit. Bertram Tippelt leitet die Gemeinde St. Dominicus in Gropiusstadt. Er betrat die Bühne und redete völlig frei über Jesus, den Konjunktiv und darüber, was Jesus mit einem Smartphone gemacht hätte. In der Predigt erfuhren wir zudem, dass hoch qualifizierte Kirchenmusiker wie Hausmeister bezahlt werden. Das fand der Mann im Baumwolltalar nicht angemessen.

Falafel, Würstchen und Quizduell

Anschließend gab es das von den Anwesenden ersehnte Buffet. Heute mit Spezialitäten aus dem Nahen Osten wie Humus und Falafel. Es war sehr lecker und ich entdeckte kein Fleisch. Deshalb wurden wohl draußen noch Würstchen gegrillt. Insbesondere dieser Teil der Gott-in-Berlin-Party ist hervorragend für die Vernetzung in der Szene geeignet. Meine Frau wurde von mehreren Schlüsselpersonen auf die Strategien beim Quizduell angesprochen, während ich mich über neue Technologien der Mülltrennung in China und Pakistan unterhielt.

Webseite, Kneipe und die große Uhr

Mit einer großen Uhr wurde der dritte Teil des Abends eingeleitet. Die neue Webseite und die Arbeit der Internetmission sollten vorgestellt werden. Jeder Redner hatte maximal 5 Minuten - zumindest laut Plan. Im Durchschnitt blieb es bei einer Verdoppelung dieser Vorgabe, so dass tatsächlich um 22:00 Uhr mit einem Gebet abgeschlossen werden konnte.

Ungeplant blieben wir jedoch noch eine weitere Stunde vor Ort. Während emsig Flaschenkisten und andere Utensilien an uns vorbeigetragen wurden, nahmen wir uns Zeit für ein wichtiges Gespräch mit einer alten Bekannten.

Mittwoch, 19. April 2017

Handbuch für die gefährlichsten Orte der Welt

Unbewaffnet in Krisenregionen unterwegs zu sein, erfordert alternative Methoden zum Überleben. Das hier vorgestellte Handbuch vermittelt auf kurzweilige Weise das notwendige Wissen.



Achtung! Wer die Rezension eines frommen Buches erwartet, sollte: Nicht weiterlesen!
Alternativ können hier Rezensionen über fromme Literatur abgerufen werden.


Handbuch für die gefährlichsten Orte der Welt
Handbuch für die gefährlichsten Orte der Welt - Rosie Garthwaite - 2011


Das "Handbuch für die gefährlichsten Orte der Welt" ist eines der witzigsten Handbücher, die ich je gelesen habe und stellt sogar die IT-Handbücher von O'Reilly in den Schatten. Es geht so ziemlich auf alle Situationen in Ländern mit aktiven oder jüngeren Kriegshandlungen ein und bewegt sich mit seinen Praxisbeispielen vorwiegend im Nahen und Mittleren Osten. Das liegt wohl daran, dass die Autorin eine blonde Britin ist, die als Journalistin in dieser Region arbeitet.

Training und Realität

Das Handbuch deckt sich weitestgehend mit den per Trial & Error durchlebten Lehrgangseinheiten des HEAT-Programms (Hostile Environment Awareness Training) am Vereinte Nationen Ausbildungszentrum der Bundeswehr. Nur dass die Beispiele im Buch aus echten Situationen stammen und nicht im Rollenspiel nachgestellt wurden.

Immer mehr Presseagenturen, international tätige Firmen und Hilfsorganisationen entdecken die Vorzüge einer praktischen Vorbereitung ihrer Mitarbeiter auf den Einsatz in Krisenregionen. Wie oben kurz angedeutet, fliegen gerade Mitarbeiter von Hilfsorganisationen mit dem Gedanken "Mir passiert sowas nicht" in destabilisierte Regionen und wundern sich dann, wenn ihnen die Geschosse um die Ohren fliegen, das Bein nach einem Tritt auf eine kleine bunte Mine ab ist oder ihre Hilfsorganisation die Spendengelder des Vorjahres als Lösegeld auf den provisorischen Tisch einer subtropischen Laubhütte legen muss.

Trockener Humor

Mit trockenem britischen Humor vermittelt die Autorin wichtige Kenntnisse im Umgang mit drohendem Kidnapping, Bespitzelung, Missverständnissen bei der Nutzung der Kamera, Wahl der Unterkunft, Fahrten durch die Stadt, Verhalten an Check Points oder dem Verhalten in Minenfeldern.

Erste Hilfe

Etwa hundert Seiten widmen sich der Ersten Hilfe. So kurzweilig und einprägsam hatte ich noch nie etwas über Erste Hilfe gelernt. Nun weiß ich, wie sich Erfrierungen äußern, wie man eine Wunde näht oder Gliedmaßen amputiert und was in die Notfall-Tasche gehört. Auch die stabile Seitenlage wird wiederholt und in Episoden aus dem journalistischen Alltag eingebettet. Da das Handbuch den Anspruch auf ein Nachschlagewerk erhebt, sind die Gesundheitsthemen nach Alphabet sortiert.

Ferner werden Trauma-Prävention und -Nachsorge, Sport auf engstem Raum mithilfe des Eigengewichtes, kleine Tricks der Selbstverteidigung, beherztes Agieren bei Vergewaltigung, die Wahl von Bodyguards, Fahrern oder Dolmetschern, die Wahl der Kleidung, das Entsichern einer Schusswaffe, die Wert-Zeit-Kurve einer Geisel und die zweckentfremdete Nutzung von Alltagsgegenständen thematisiert.

Expertise

Es kommen viele Pressekollegen der Autorin Rosie Garthwaite zu Wort. Einige Passagen des Buches wurden von Fachleuten geschrieben oder durch deren Expertise in die finale Form gegossen. Nach dem Lesen war ich erstaunt, wie viele Aspekte es bei solch einem Auslandsaufenthalt zu beachten gibt und dass scheinbar nichts davon im Handbuch fehlt.

Auf dem deutschen Markt gibt es viele aus dem Englischen übersetzte Bücher, die lieber im Original gelesen werden sollten. Bei diesem Handbuch mit dem als Lesezeichen dienenden schwarzen Gummiband ist Bernhard Kleinschmidt ein großartiger Wurf bei der Übersetzung gelungen.

Ernst der Lage

Im letzten Fünftel des etwa 300 Seiten starken Buches wird es ernst. Der bisherige Humor weicht einer ehrlichen Betroffenheit, wenn über Länder wie Nordkorea und Myanmar oder posttraumatische Verhaltensweisen berichtet wird. Der Reisende solle sich auf sämtliche Alltagsgegenstände wie Notizbücher, Spiegel, Medizinbeutel oder die Zahnbürste den Grund für die Anwesenheit in der jeweiligen Region schreiben. Ist der ursprüngliche Grund nicht mehr gegeben, oder werde man fremdbestimmt, ist ein geeigneter Zeitpunkt für die hoffentlich vorab geplante Rückreise gekommen.