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Sonntag, 28. Februar 2021

Christengemeinde ecclesia in Langenfeld gewinnt Gottesdienstbesucher über Google

Heute waren wir mal wieder auf der Suche nach einem Gottesdienst, den wir bisher nicht besucht hatten. Auf der ersten Ergebnisseite bei Google entdeckten wir die Christengemeinde ecclesia aus Langenfeld.


Die Christengemeinde ecclesia aus Langenfeld ist sehr clever, was die Platzierung bei Google betrifft. Wo sonst nur EKD, PRO Medienmagazin, ZDF, Bibel TV oder katholisch.de die besten Plätze belegen, mischt die Christengemeinde mit ihrer Domain Gottesdienst-TV.de voll mit und hat sogar das ZDF auf Platz 5 verdrängt. Suchmaschinenoptimierung vom Feinsten! Dass die Gemeinde in dieser Hinsicht seht fit ist, zeigt sich auch darin, dass die Domains Gottesdienst.online und LiveKirche.TV auf diese Gemeinde angemeldet sind.

Langenfeld liegt im Rheinland auf halber Strecke zwischen Düsseldorf und Köln. Die Gemeinde gehört dem BFP (Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden) an und bezeichnet sich als charismatisch. Letzteres wurde nur durch das Vorhandensein des liturgischen Elementes Lobpreis sichtbar. Insgesamt hätte die heutige Live-Übertragung auch als typischer Gottesdienst einer Evangelisch Freikirchlichen Gemeinde durchgehen können. Hier wird deutlich, wie weit sich freikirchliche Gottesdienstformen inzwischen angenähert haben.

Die Gottesdienste der Christengemeinde ecclesia (griechisch für Gemeinde) beginnen um 10:30 Uhr. Eine humane Anfangszeit, die insbesondere Familien mit Kindern entgegenkommt. Wie bereits erwähnt, gab es zunächst einen umfangreichen Lobpreis - auf Deutsch. Die Liedtexte wurden eingeblendet und auch die Mitwirkenden wurden durch Einblendungen vorgestellt. Sehr gut für Gäste.

Gästen einen möglichst niederschwelligen Zugang zu ermöglichen zahlt sich aus: Gemeinden, die während Corona schnell und professionell auf Online-Gottesdienste umgestellt haben, verzeichnen einen deutlichen Zuwachs an Besuchern. Die Gemeinde bietet deshalb auch um den Gottesdienst herum verschiedene Formate für Mitglieder und Interessierte an: Alpha-Kurse und andere Seminarreihen, ein Predigt-Archiv, eine Live-Chat-Funktion, ein Kontaktformular für Gebetsanliegen und eine Rubrik mit äußerst witzigen Online-Kindergottesdiensten. Die "Kirche für Kids" ist so gut gemacht, dass sie auch in anderen Gemeinden genutzt werden sollte.

Zurück zum Gottesdienst: Heute predigte Ezekiel. Nicht der aus der Bibel, sondern ein Ezekiel mit Nachnamen Goodman. Es war wohl seine erste Predigt auf Deutsch. Diese Herausforderung meisterte er entspannt und mit Bravour. Es ging darum, dass Gott alles im Griff hat und wir ihm bedingungslos vertrauen können. Wenn Gott etwas zusagt/verspricht, hält er es auch. Die frei vorgetragene Predigt wurde mit vielen Beispielen aus dem Alltag untermalt und auch die Anwesenden im Saal wurden gut mitgenommen. Gegen 12 Uhr war der Gottesdienst vorbei und wer wollte, konnte sich noch in die Video Lounge einklicken - per Zoom.

Wie viele Besucher vor Ort waren, konnte der Online-Gast nicht sehen. Die Kameras hatten immer nur die Bühne eingefangen. Der Schnitt war professionell, die Texteinblendungen ebenfalls. Allein beim Sound, den Kamerapositionen und dem Bildhintergrund gab es noch Optimierungspotenzial. Bereiche, die mit relativ wenig Aufwand korrigierbar sind. Wünschenswert wäre noch eine Infoseite zu Geschichte, Struktur und geistlicher Verortung der Christengemeinde Langenfeld. Auf alle Fälle hat die Gemeinde das beste aus Corona gemacht und wirkt auch personell sehr einladend.

Freitag, 27. November 2020

Geistlicher Missbrauch - Katholiken als Vorreiter bei der Klärung eines Tabu-Themas

Mitte November fand in Leipzig eine mehrtägige Konferenz zu geistlichem Missbrauch statt. Sie war von der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen organisiert worden und von hochkarätiger und breiter Expertise begleitet. Wegen Corona konnte die Veranstaltung virtuell besucht werden.


Mitgliederschwund, Imageschaden und spektakuläre Racheakte haben die katholische Kirche veranlasst, aktiv gegen Missbrauch in den eigenen Reihen vorzugehen. Dabei geht es bei weitem nicht nur um sexuellen Missbrauch, sondern den viel weiter gefassten Missbrauch von Macht und Vertrauen sowie das bewusste Überschreiten von Grenzen - im Namen Gottes. Das Basiswerk der Christen - die Bibel - beschäftigt sich schon auf den ersten Seiten mit Tendenzen des religiösen Missbrauchs. So lautet das zweite der berühmten zehn Gebote: "Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen." (2.Mose 20,7) "Denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht", geht der Text weiter.

Nach 1.990 Jahren Kirchengeschichte sind geistlich Verantwortliche lange schon im Handlungsschema der biblischen Pharisäer angekommen. Die Pharisäer waren zunächst auch nur eine Laienbewegung von Menschen, die mit ihrem Lebensstil Gott gefallen wollten. Nachdem dann eine Königin der Region auf sie aufmerksam geworden war und sich von ihnen hatte begeistern lassen, war der Schritt zu Finanzen und politischer Macht geebnet. Die ursprünglichen Werte wurden durch Machtbestreben und Missbrauch ersetzt. In Matthäus 23 wird die Wirkungsweise detailliert beschrieben. Matthäus 23 zeigt auch, dass Jesus kein weltfremder Schwächling war, sondern klar die Probleme seiner Zeit auf den Punkt gebracht hatte - egal, wer gerade vor ihm stand.

Das Christentum hat eine ähnliche Entwicklung durchgemacht. Deshalb gab es immer wieder Abspaltungen und Neugründungen. Wohl jede dieser Abspaltungen hatte Ambitionen, es endlich richtig zu machen und nicht in die alten Fallen von Macht und dessen Missbrauch zu tappen. Dass das dauerhaft gelingt, scheint eine Illusion zu sein. Deshalb ist es umso wichtiger, Mechanismen zu entwickeln, toxischen Leitungsanwandlungen vorzubeugen, oder diese wirkungsvoll aus der jeweiligen Struktur zu entfernen.

Lernen von Don Bosco

Ausgerechnet die katholische Kirche, der gerne ein ausgeprägter Hang zu Tradition und Macht unterstellt wird, ist nun Vorreiter bei der Klärung des Themas Missbrauch. Der Stein kam beim Kinder- und Jugendwerk der "Salesianer Don Boscos" ins Rollen. Im Frühjahr 2010 setzte sich das Werk aktiv mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs auseinander und konnte die Angelegenheit durch relativ simple Handlungsprinzipen klären:

1) Betroffene wurden angehört und ernst genommen.
2) Die Vorgänge wurden durch eine unabhängige Instanz geprüft.
3) Es wurde konsequent gegen die Täter vorgegangen.

Das Werk "Don Bosco" konnte durch diese Maßnahmen nachhaltig seinen Ruf verbessern und das Vertrauen zurückgewinnen. Da immer wieder Berichte zu Missbrauch durch die Presse gingen und auch immer mehr Bücher darüber geschrieben wurden, hat die katholische Kirche in einigen Bistümern Arbeitsgruppen eingerichtet - wie beispielsweise in Osnabrück. Seelsorger tasten sich an das Thema heran und stellen neben sexuellem Missbrauch auch jede Menge weiteren Machtmissbrauch fest. Bei der Klärung kommt das oben beschriebene 3-Punkte-Programm von "Don Bosco" zum Einsatz.

Konferenz der Katholischen Akademie "Gefährliche Seelenführer?"

Unter dem Titel "Gefährliche Seelenführer? Geistiger und geistlicher Missbrauch" fand Mitte November eine virtuelle Konferenz der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen statt. An zwei Tagen trafen sich hochkarätige Sprecher und Experten, um den religiösen Missbrauch aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten: Erfahrungsberichte, systemische Betrachtungen, Psychoanalyse, internationale Erfahrungen, Handlungsempfehlungen, Buchautoren, theologische Aspekte, Kirchenrecht und Strafrecht standen auf dem Programm. Die Moderation war sehr professionell und per Zoom zugeschaltete Teilnehmer konnten Fragen an die Vortragenden stellen. Der Vernetzungsgrad von Betroffenen und Experten wäre sicher höher gewesen, wenn die Konferenz - wie geplant - als Präsenztreffen in Leipzig stattgefunden hätte. Durch Corona musste die Veranstaltung ins Internet verlagert werden. Allerdings konnte dadurch eine beachtliche Zahl weiterer Interessenten teilnehmen.

Mit dem Aufkommen aggressiv agierender Sekten in Frankreich, wurde dort im Jahr 2001 das Strafgesetz um einen entsprechenden Tatbestand ergänzt. Artikel 223-15-2 stellt es unter Strafe, wenn sexueller, finanzieller oder autoritärer Missbrauch oder der Missbrauch von Schwäche oder geschwächter Personen stattfindet. Diese geschwächten Personen können auch Personen sein, die in gutem Glauben bei einem Seelsorger ihr Herz ausschütten und anschließend feststellen müssen, dass dieser das Wissen zur Manipulation, Erpressung oder Vorteilsgewinnung ausnutzt. In Deutschland ist das Strafrecht noch nicht so weit. Das Thema ist hier relativ unterbelichtet. Obwohl es im Kirchenrecht schon gewisse Regelungen gibt, mit denen ein konsequentes Vorgehen gegen "Wölfe im Schafspelz" möglich ist.

Evangelische Kirche

In der evangelischen Kirche scheint das Thema noch nicht angekommen zu sein. Hier zeigt man gerne mit dem Finger auf den sexuellen Missbrauch bei den Katholiken. Dabei gibt es auch aus der evangelischen Kirche Berichte von Missbrauch. Dieser ist aber eher im psychisch-geistlichen Bereich zu verorten und geht in Richtung Mobbing, Nötigung oder Betrug.

Freikirchen und die Rolle der Evangelischen Allianz

Einen ausgeprägten Mangel an Selbstreflexion zeigen evangelikale Freikirchen. Diese sammeln sich unter dem Dach der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA). Auch wenn die Allianz nach eigenen Angaben weit über eine Million Christen in Deutschland vertritt, hat sie ihr Nischendasein behauptet und bringt sich nur einmal pro Jahr mit der Allianz-Gebetswoche ins Gespräch. Hochproblematische Gruppen quer durch das Bundesgebiet nutzen die einfach zu erwerbende Mitgliedschaft in der Allianz als Etikett zur Verschleierung autoritativer Gemeindekonzepte. Diese Gemeinden entziehen sich jeglicher externer Kontrolle und sind gegenüber der Allianz weder rechenschaftspflichtig noch sanktionierbar. Viele dieser Gruppen sind so neu, modern und anziehend, dass ein Imageverlust durch Missbrauch zurzeit noch keine Rolle spielt. Falls es in diesen Konstrukten übergeordnete Instanzen gibt, fühlen sich diese in der Regel nicht zuständig. Ignoranz und Vernachlässigung der Berufsaufsicht stellen dabei noch die harmlose Variante dar. Oft genug wird der religiöse Missbrauch direkt vor den Augen und in aktiver Mitwirkung der höheren Leitungsebenen praktiziert.

Als Folge der NDR-Doku "Mission unter falscher Flagge" wurde bei der Deutschen Evangelischen Allianz eine Ombudsstelle eingerichtet. Hilfesuchende berichten, dass diese Ombudsstelle hauptsächlich den Tätern in die Hände spiele. Betroffene werden zunächst mit der Beschaffung von Beweismaterial beschäftigt und mit der Aussicht auf eine Klärung ruhig gestellt. Durch eine homöopathische Finanzdecke und fehlende Möglichkeiten der Sanktion verlaufen die Fälle normalerweise im Sande oder werden wegen unzureichender Expertise komplett gegen die Wand gefahren. Sehr zum Schaden der Betroffenen, die durch das Scheitern des Klärungsversuchs noch tiefer in ihr Trauma abrutschen und zuweilen sogar Selbstmord begehen.

Sichtbar und vernetzt

Mit der virtuellen Konferenz der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen wurde ein wichtiger Anfang gemacht. Der Vernetzungsgrad von Betroffenen, Seelsorgern und anderen Experten steigt. Für toxische Leiter und Missbraucher wird es immer enger. Vor allem wird das Thema durch solche Konferenzen auch weiter in die öffentliche Wahrnehmung und vor den Gesetzgeber getragen.

Sonntag, 3. Mai 2020

Jubilate online und offline - 3. Sonntag nach Ostern

In der Kirchengeschichte wurde der 3. Sonntag nach Ostern mit der Bezeichnung Jubilate versehen. Zu Jubilate habe ich eine ganz besondere Beziehung.


Das Wort Jubilate erzeugt bis heute ein breites Grinsen. An viele Gottesdienste aus meiner Kindheit in einer Berliner Baptistengemeinde kann ich mich nicht erinnern. Auch bei längerem Nachdenken fallen mir nur drei Gottesdienste ein, obwohl wir wohl regelmäßig dabei waren.

In einem der Gottesdienste waren meine Filzstifte heruntergefallen und langsam aber sicher unter den Bänken Richtung Kanzel gerollt. Als nächstes kann ich mich an eine Predigt erinnern, die so gut war, dass die gesamte Gemeinde betroffen in den Bänken saß. Vielleicht wäre mir auch noch deren Inhalt im Gedächtnis geblieben, wenn nicht unmittelbar danach Bruder B. nach vorne gegangen wäre und die Predigt noch einmal ausführlich zerredet hätte. Die Stimmung war danach komplett ruiniert.

Kein Wunder also, dass mir sonst nur noch eine Predigt haften geblieben ist. Es ging um Jubilate. Der Chef des Baptistenbundes höchst persönlich war erschienen: schwarzer Anzug, schwarze Krawatte, schwarze Hornbrille, süßliche Stimme. Das Wort Jubilate wurde in seiner Predigt inflationär eingesetzt. Vielleicht hätte ich es mir auch gar nicht gemerkt, wenn er nicht bei jedem Jubilate verzückt nach oben geschaut und einen Freudensprung auf der Kanzel vollzogen hätte. So also predigt der oberste Bruder schlechthin. Jubilate: Bis heute schüttelt meine Mutter den Kopf, wenn ich dieses Wort in den Raum werfe.

Jubilate lässt sich ganz gut ins Deutsche übersetzen. Wir kennen ja das Jubeln - Neudeutsch Lobpreis. Man spricht heute sogar von der Generation Lobpreis, die sich vor etwa 20 Jahren entwickelt hat und in kontemporären Gemeinden wie ICF, Hillsong, Equippers oder ähnlichen Konstrukten tummelt. Die Generation Lobpreis ist um die 30, wechselt öfter mal die Gemeinde und kennt sich mäßig in der Bibel aus. Aber, Jubilate kann sie.

Meine Mutter ist inzwischen Mitglied in der evangelischen Landeskirche. Durch Corona hat nun auch die Landeskirche die Möglichkeit von Online-Gottesdiensten entdeckt. Regelmäßig stellt mir ein Freund aus dem Gemeindezentrum Marzahn Nord per WhatsApp die aktuellen Predigten auf YouTube zu. Und heute nun geht es um: Jubilate.

Auch das Robert Koch-Institut empfiehlt zurzeit die Online-Gottesdienste. Die Ansteckungsgefahr liegt bei null. Zudem erhöhen Online-Angebote die Teilnehmerzahl. Aber es gibt noch einen weiteren Vorteil: Wer sich persönlich bisher nie über eine Kirchenschwelle getraut hat, kann das jetzt ganz bequem und anonym vom Wohnzimmer aus tun. Übrigens gibt es auch gute Lobpreismusik bei YouTube. Diese kann man nach Herzenslust per Kopfhörer aufsaugen und dabei sein ganz persönliches Jubilate-Erlebnis haben.

Freitag, 24. April 2020

#COVID19 - bald wieder Offline-Gottesdienste

Seit zwei Wochen wird in der Bundespressekonferenz regelmäßig gefragt, wann und unter welchen Auflagen wieder Gottesdienste stattfinden dürfen. Gemeint sind damit Gottesdienste vor Ort in den Gemeinderäumen.



Es habe "ausgesprochen hilfreiche Gespräche" gegeben. Am 17. April 2020 hatten sich Vertreter der Religionsgemeinschaften erstmalig mit Staatsekretär Kerber im Innenministerium getroffen. Schnell hatten sie sich auf die Einrichtung einer Arbeitsgruppe verständigt. Ziel war die Erarbeitung eines Konzeptes zum Wiederanlauf von Gottesdiensten und Veranstaltungen in den Gemeinderäumen.

Eine große Zeitung war von der Verschleppung des Vorgangs durch die muslimische Seite ausgegangen. Das konnte vom Ministerium nicht bestätigt werden. Alle Zuarbeiten seien fristgerecht eingegangen - eine zweistellige Anzahl von Vorschlägen. Daraus sei ein "gutes, tragfähiges Konzept" erarbeitet worden. Momentan werde es durch das Robert Koch-Institut geprüft. Auch die Bundesländer schauen noch einmal drüber.

Gerade Letztere überholen die Kanzlerin gerne mal bei der Lockerung der Corona-Regeln. In diplomatisch gefärbtem Deutsch bezeichnet man das als "unterschiedliche Entwicklung". Deshalb bleibt abzuwarten, ob sich die Länder und einzelnen Gemeinden an die Vorgaben des Konzeptes halten. Einige Gemeinden könnten im Überschwang der Harmonie für eine wundersame Infektionsvermehrung sorgen. Eine freikirchliche Konferenz mit über 2.000 Teilnehmern im Februar im Elsass hatte in diesem Zusammenhang für erhebliche mediale Aufregung gesorgt.

Die oben genannte Arbeitsgruppe bestand aus Vertretern der evangelischen, katholischen und orthodoxen Kirche sowie des Zentralrats der Juden und des Koordinierungsrates der Muslime. In der Sache "baldige Versammlungen nach Corona" waren sich alle einig und konnten deshalb konstruktive Ergebnisse erzielen. Eine ungewohnte Einheit wie derzeit in der Großen Koalition.

Allein die Freikirchen mit ihren 1,3 Millionen Mitgliedern waren nicht an der Ausarbeitung der Konzepte beteiligt. Den Freikirchen fehlt ein entsprechender Dachverband. Auch wenn sich die Deutsche Evangelische Allianz als solch ein Dachverband ansieht, scheint sie doch von der Politik nicht wirklich wahrgenommen zu werden. Auch bei ihrer Zielgruppe hat sie eher ein verstaubtes Image, das einmal im Jahr durch die Allianz-Gebetswoche in Erscheinung tritt.

Modernen Freikirchen kann Corona nahezu egal sein. Ihre zahlreichen Gottesdienstbesucher verfolgen die Predigten und den Lobpreis auch gerne von zu Hause aus. Kleingruppentreffen gestalten sie per Videokonferenz. Parallel dazu wird die leidende Gastronomiebranche durch Pizza-Bestellungen unterstützt. Auch wir haben uns inzwischen an internationale Gottesdienste per Livestream gewöhnt.

Sonntag, 19. Januar 2020

Martin Luther in Steglitz

Steglitz - der Bible Belt von Berlin. Heute besuchten wir den Gottesdienst der Martin-Luther-Kirche in der Nähe des Botanischen Gartens.



Das Navi führte uns einen interessanten Weg. Wegen der Libyen-Konferenz war die Innenstadt gesperrt. Die Innenstadt ist das Nadelöhr, wenn man nach Steglitz fahren möchte. Meine Frau nutzte die Zeit, um das Bonusprogramm ihrer Hebräisch-App zu absolvieren: "Ani koneh Tick schechor" (Ich kaufe eine schwarze Tasche.), "Atta jodea lizlol?" (Kannst du tauchen?) - Wir kamen über die sprachlichen Unterschiede von Können und Befähigung ins Gespräch. Nach einer halben Stunde waren wir in Steglitz und bogen in ein blumiges Wohngebiet ein: Hyazinthenstraße, Tulpenstraße, Hortensienstraße.

Martin Luther war eingerüstet. Am Gerüst ein großes Schild der Lotto-Stiftung. "Aha, Oma finanziert den Bau der Kirche", bemerkte mein Sohn. Eine ältere Dame verschwand unter den Gerüsten. Wir folgten ihr und gelangten in einen hellen Vorraum. Dort wurden wir bereits vom Pfarrer begrüßt: schwarzer Talar und sehr freundlich. Ein anderes freundliches Gemeindemitglied drückte uns ausreichend Gesangsbücher in die Hand. Die Kirchenbänke waren mit Kissen belegt, so dass auch längere Gottesdienste möglich waren. Die Kirche war gut temperiert.

Bemerkenswert war die natürliche Freundlichkeit, die sämtliche Gottesdienstbesucher ausstrahlten. Man fühlte sich sofort willkommen. Es gab einige Familien und ältere Besucher, jedoch kaum Jugendliche. Die Kinder durften nach einem kurzen gemeinsamen Beginn in ihr eigenes Programm gehen. Die Anfangsliturgie nahm einige Zeit in Anspruch.

Dann folgte die Predigt. Dazu hatte sich der Pfarrer an eine Kanzel gestellt und seine Kollegin an die andere Kanzel. Beide zeigten uns, wie eine Dialogpredigt funktioniert. Das war recht interessant, weil sie sich einerseits die inhaltlichen Bälle zuwarfen und andererseits die Fragen und Bedenken des anderen auflösten. der Predigttext stand in Jeremia und war durch die Losungen vorgegeben worden. Während die Pfarrerin zunächst überlegt hatte, einen anderen Text zu nehmen, ging ihr Kollege darauf ein, dass Gott in all den herausfordernden Umständen immer noch alles im Griff habe.

Zum Abschluss des Gottesdienstes gab es noch ein gemeinsames Abendmahl, den Segen und ein Postludium von der Orgel. Meine Frau bemerkte, dass die Orgel endlich mal flott gespielt worden sei. So habe man die Lieder gut mitsingen können.

Die oben schon erwähnte Willkommenskultur setzte sich im Vorraum weiter fort. Kaffee und Kuchen wurden uns auf eine charmante Weise regelrecht aufgedrängt. Einige Gemeindemitglieder sprachen uns an und wollten wissen, ob mein Sohn Konfirmand ist. Unsere eigene Besuchergruppe war inzwischen auf sieben Personen angewachsen: Freunde aus Saddleback, Arbeitskollegen und wir. Die Kollegen wohnen in Steglitz und sehen im kurzen Fußweg einen erheblichen Mehrwert. Der Gottesdienstbeginn um 11 ist ebenfalls gut auf jüngere Besucher abgestimmt. Ganz abgesehen von dem angenehmen Klima in der Martin-Luther-Kirche.

Sonntag, 24. Februar 2019

Greater Grace in Schöneberg

Greater Grace ist eine kleine und relativ neue Gemeinde im Stadtbezirk Schöneberg. Heute besuchten wir den Gottesdienst, der sonntags um halb elf  beginnt.



Das ganze Ausmaß der 30er-Zone für angebliche Luftreinhaltung war mir noch gar nicht bekannt. Als wir das erste Schild in der Nähe des Alexanderplatzes passierten, informierte mich mein Sohn, dass das jetzt auch in der Potsdamer Straße in Schöneberg gelte. Und tatsächlich wurden wir kilometerweit mit dieser Einschränkung gegängelt. Immer wieder blockierten uns Fahrzeuge, die sich an diese fragwürdige Regelung hielten und tatsächlich 30 km/h fuhren.

Wir stellten den Wagen vor einer 30er-Nummer der Ebersstraße in Schöneberg ab. Nach wenigen Metern hatten wir die 37 erreicht. Eine moderne Glastür in einem schätzungsweise 130 Jahre alten Mietshaus trug die Aufschrift "Greater Grace" - "Größere Gnade". Die Tür öffnete nach innen und gab den Blick auf einen hellen Vorraum frei. Links standen Kaffeetassen und rechts einige Tische. Man empfing uns sehr freundlich und bald hatte sich eine Traube von Gemeindemitgliedern um uns geschart.

Kenosis und Bowling

Einige Kinder liefen aufgeregt an uns vorbei. Heute sollte endlich ein Weihnachtsversprechen eingelöst werden: Der Kindergottesdienst macht einen Ausflug zum Bowling. Pastor Stephan Stein erklärte uns, dass es in seiner Predigt heute um die Kenosis gehen solle. Kenosis bedeute wohl Entleerung und beziehe sich auf das zweite Kapitel des Philipperbriefes, in dem sich Jesus selbst erniedrigt und uns Menschen gleich wird.

Da ich mit Altgriechisch nichts am Hut habe, war mir das Wort Kenosis nicht bekannt. Leider war die Mobilfunkverbindung im Gemeindesaal so schwach, dass ich mir auch keine griechische Bibelversion aufs Handy laden konnte. Das Wort ekenosen taucht im Vers 7 auf und wird im Deutschen gerne mit entkleiden oder entäußern übersetzt. Entleeren ist da schon ein stärkerer Begriff. Die Lateiner verwenden das Wort exinanire, was eindeutig mit ausleeren zu übersetzen ist.

Gute Mischung

Durch die Bowlingaktion, der sich ganz viele erwachsene Helfer anschlossen, passte das Thema auch perfekt zur Anzahl der Gottesdienstbesucher. Wir waren etwas über 20 Personen im Saal. Normalerweise sitzen hier gut 40 Zuhörer, während im Nachbarraum zehn Kinder ein eigenes Programm erleben. In dieser kleinen Gemeinde sind fast alle Generationen vertreten. Sie ist auch ethnisch gut durchmischt.

Zunächst wurde gesungen, Kollekte eingesammelt und die üblichen Ansagen gemacht. Unter der Woche finden relativ wenige Veranstaltungen statt, so dass noch genug Zeit für außergemeindlichen Beziehungsaufbau bleibt. Die Predigt blieb zwar beim Thema, hätte aber zeitlich gestrafft werden können. Die Prediger wechseln sich bei Greater Grace regelmäßig ab.

Torte, Kaffee und Gyros-Pita

Am Ende wurde noch eine Torte hereingetragen, weil eine der afrikanischen Sängerinnen heute Geburtstag hatte. Das Licht wurde ausgeschaltet, damit die Kerzen auf der Torte besser zur Geltung kommen. Es kam richtig Stimmung auf. Danach gingen wir in den Vorraum und unterhielten uns bei Kaffee und Torte mit einigen Mitgliedern der Gemeinde. An der Wand hing eine große Weltkarte mit vielen roten Punkten: den Standorten von Greater Grace auf sämtlichen Kontinenten. Das Hauptzentrum befindet sich in Baltimore, Maryland, USA. Von dort aus kamen vor über 20 Jahren zwei Frauen nach Schöneberg und bauten hier eine neue Gemeinde auf. Das offizielle Gründungsjahr war 1998.

Von Schöneberg aus fuhren wir wieder durch die 30er-Strecke zurück, machten einen Zwischenstopp und aßen jeweils eine der sehr empfehlenswerten Gyros-Pitas bei Berkis am Winterfeldtplatz. Dann ging es weiter. Eine elektronische Anzeige bedankte sich mit grüner Schrift bei uns. "Papa, warum fährst du so langsam?" - "Ich wollte den Dank sehen."

Mittwoch, 31. Oktober 2018

Katholiken und Lutheraner beim Reformationstag in der Dorfkirche Marzahn

Reformationstag zusammen mit einer katholischen Gemeinde? Geht sowas überhaupt? In der Dorfkirche Marzahn sahen wir heute, wie das funktioniert.



Es begann um 17:45 Uhr. Acht Wellen morbide geschminkter Kinder fluteten durch unsere Straße. Näääääht, schrillte die Klingel. Ich war allein zu Hause und machte die Bürotür zu. Meine Familie nutzte den Eingang des Nachbarhauses und schlich sich über den Durchgang in der neunten Etage in unseren Aufgang. Erwischt! Überall totgeschminkte Kinder, die nach Süßigkeiten bettelten.

Im Familien-Chat der Großfamilie wurden Gruselvideos geteilt und mit entsprechenden Emojis kommentiert. Meine Schwiegermutter setzte ihren eigenen Akzent: "Damit kann ich mich nicht anfreunden, für mich ist heute Reformationstag". Zuvor hatte sie darum geworben, mit uns zusammen das Abendmahl in der Dorfkirche Marzahn einzunehmen. Das entsprach nicht ganz so unseren Vorstellungen. Dennoch kamen meine Frau und ich ihrem Wunsch nach.

Bereits an der Tür begegnete uns eine junge Frau in knallrotem Mantel. Soviel Frische hatte ich nicht erwartet. In der Kirche war es gut geheizt, aber nicht überheizt. In den Bänken saßen viele ältere Herrschaften. Wir platzierten uns auf einer der vorderen Reihen, damit meine Schwiegermutter gut hören konnte.

Es kamen weitere Besucher, auch jüngere Leute. Die Empore war voll. Der ökumenische Chor, bestehend aus evangelischen und katholischen Sängern, hatte sich auf diesen Abend gut vorbereitet. Geleitet wurde er vom Kantor der benachbarten katholischen Kirche. Die Beziehungen zwischen den beiden Gemeinden bestehen schon sehr lange. Immer wieder werden gegenseitig Räume zur Verfügung gestellt und Feste des Kirchenjahres gemeinsam zelebriert.

Der Gottesdienst zum Reformationstag lief mit einer umfangreichen Liturgie ab. Lieder von Paul Gerhard und anderen bekannten Kirchenmusikern wurden gesungen oder durch den Chor vorgetragen. Da Pfarrer Ludewig verhindert war, führte ein theologischer Mitarbeiter durch das Programm und hielt auch die Predigt.

In der Predigt ging es um den Galaterbrief mit der Kernaussage (Galater 5, 1): "Zur Freihat hat uns Christus befreit". Freiheit, die in Verantwortungsbewusstsein gelebt wird und uns entspannt das Richtige zur richtigen Zeit tun lässt. Im Mittelpunkt stand Jesus. Jesus war auch das Bindeglied des heutigen Abends für die katholischen und evangelischen Christen.

Dann sangen wir zusammen mit den Katholiken noch den Reformationsklassiker "Ein feste Burg", sprachen das Glaubensbekenntnis und nahmen gemeinsam das Abendmahl ein. Drei Sachverhalte, die normalerweise in dieser Form nicht üblich sind.

Bei den Ansagen erfuhren wir, dass das katholische Gemeindehaus zurzeit renoviert wird. deshalb nutzt die Gemeinde die evangelische Dorfkirche für ihre Gottesdienste und sonstigen Veranstaltungen. Auch das Martinsfest wird in diesem Jahr in der Dorfkirche stattfinden.

Sonntag, 22. April 2018

Lutherisch auf Farsi in der Dreieinigkeits-Gemeinde Steglitz

Gottfried Martens aus der Dreieinigkeits-Gemeinde ist durch die Presse bekannt geworden. Er engagiert sich für Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten. Heute haben wir einen Doppelgottesdienst in Steglitz besucht.



Mein Begleiter trieb mich zur Eile. Wenn wir nicht pünktlich vor Ort seien, bekämen wir keinen Sitzplatz mehr. Über 1.000 Menschen mit Fluchtgeschichte gehören wohl zur Dreieinigkeits-Gemeinde in Steglitz. So entschieden wir uns, schon zur vorgelagerten Beichtandacht zu erscheinen. Diese begann um zehn.

Das Gemeindehaus steht auf einem Eckgrundstück in der Steglitzer Südendstraße. Parkplätze waren an der Straße vorhanden. Aus dem Küchenfenster klangen orientalische Klänge. Überall Schilder mit arabischen Schriftzeichen. Im Eingangsbereich wurden wir freundlich begrüßt. Ein dunkelhaariger Mann reichte uns die drei benötigten Gesangsbücher und ein separates Liedblatt.

Sieben Kreuze und Vergebung

Da die Familie nicht dabei war, konnten wir uns in der dritten Reihe platzieren. Kirchenbänke mit Kissen. Im Altarbereich zählte ich sieben Kreuze: Kanzel, Kerzen, Altarkreuze und ein herzugetragenes Aufstellkreuz. Das war eine Steilvorlage für die Beichtandacht. Wir hatten ja schon einige lutherische Gemeinden erlebt, wo auf der Sündhaftigkeit des Besuchers herumgeritten wurde - teilweise mit bedrohlich gestalteten Liedtexten an der Wand.

Hier wurde ein klarer Gegenakzent gesetzt: Ja, es gibt immer wieder Sünde, aber es gibt auch Vergebung. So stand die Beichtandacht im Zeichen der Vergebung. Gruppen von etwa 20 Personen kamen in den Altarbereich, knieten sich nieder und bekamen auf Deutsch, Farsi und Englisch Vergebung zugesprochen. Dazu legte Gottfried Martens jedem die Hand auf. Auch mein Begleiter reihte sich ein und war dann im gefühlt siebten Durchlauf dabei. Die Wartenden nahmen kein Ende. Ich war beeindruckt.

200 Plätze und kein Smartphone

Die Sitzplätze im Saal und auf der Empore müssen um die 200 Personen fassen. An jedem Platz - also sechs Mal pro Holzbank - war ein Hinweis auf Farsi und Deutsch angebracht, dass wir uns der Gegenwart Gottes bewusst sein sollten und deshalb jegliche Benutzung von Smartphones als respektlos anzusehen ist. Wer sein Smartphone benutzen möchte, solle den Saal verlassen und erst nach dem Gottesdienst wieder betreten. Eine deutliche Ansage, die wohl ihre Gründe hat.

Der Übergang zwischen Beichtandacht und Gottesdienst dauerte etwa zehn Minuten. Der Saal füllte sich noch etwas, so dass die 200 Plätze nahezu ausgereizt waren. Niemand starrte auf sein Handy. Alle konzentrierten sich auf die Liturgie. Pfarrer Martens zelebrierte die lutherische Liturgie mit Hingabe und fast komplett ohne Textvorlage. Die Liturgie schien in ihm zu leben.

Da gefühlt 90% der Anwesenden Farsi sprachen, wurden die Bibeltexte auch in Farsi verlesen. Es wurde sehr viel gesungen: Kirchenlieder, Jugendlieder von 1990 und schwungvolle Lieder auf Farsi. Ich verstand kein Wort - doch: Pontius Pilatus. Farsi ist Amtssprache im Iran, in Afghanistan und in Tadschikistan. Als indogermanische Sprache klingt sie gar nicht arabisch, obwohl Farsi die gleichen Schriftzeichen hat. Es gibt weltweit etwa 70 Millionen Muttersprachler.

Verfall und Erneuerung

Mit Hingabe predigte Gottfried Martens über einen Text aus dem zweiten Korintherbrief: "Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so werden wir doch am inneren Menschen von Tag zu Tag erneuert" (2. Korinther 4, 16). Nachts um drei habe er die Predigt vorbereitet - nach einem Tag der Herausforderungen und Rückschläge beim Einsatz für seine zum Christentum konvertierten Gemeindemitglieder. Am eigenen Körper erlebe er, wie er ermüdet. In der nächsten Woche fallen einige Veranstaltungen aus, da er "Schlaf-Urlaub" mache.

Ein Leuchten kam in seine Augen, als er den zweiten Teil des Predigttextes betrachtete. Wir werden täglich am inneren Menschen erneuert und erfrischt. Sehr plastisch malte er uns mit seinen Worten die Spannung zwischen äußerem Verfall und innerer Erneuerung - renovatur im Lateinischen - vor Augen. Ich betete für ihn, dass er in der nächsten Woche wirklich diese innere Kraft tanken kann.

Abendmahl mit Weißwein

Zum Abschluss des Gottesdienstes gab es Abendmahl. Dieses dauerte über eine halbe Stunde. Es müssen um die zehn Gruppen zu je zwanzig Leuten nach vorne gekommen sein. Der Pfarrer legte die Oblaten in den Mund jedes Einzelnen. Dann kam der Kelch mit Weißwein. Gerade der Wein muss eine besondere Herausforderung für ehemalige Moslems sein. Ein starkes Zeichen der Lebensveränderung.

Nach dem Gottesdienst verabschiedete Gottfried Martens alle Besucher persönlich. Äußerlich vom Stress gezeichnet, aber innerlich erneuert. Das verriet sein Blick, als er uns verabschiedete. Wir schauten noch kurz in den Essenssaal im Erdgeschoss und verließen dann die Dreieinigkeits-Gemeinde in Steglitz.

Montag, 16. April 2018

Heinrich Grüber und der Kirchenkampf der Nachkriegszeit

Und wieder lief mir ein wichtiger Akteur der Bekennenden Kirche über den Weg: Heinrich Grüber. Eher beiläufig erfuhr ich von einer Doktorarbeit über Grübers Wirken nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Ausführungen habe ich dann sogleich gelesen.



Wir genossen die Frühlingssonne, als wir zum Savoy schlenderten. Militärbischof Dr. Sigurd Rink sprach über die Geschichte seines Dienstgebäudes unmittelbar neben dem Bahnhof Zoo. Dort habe auch ReiBi Müller gesessen. Das niedliche ReiBi bedeutet Reichsbischof und war für die Christen der damaligen Zeit gar nicht niedlich. Der ReiBi gehörte den Deutschen Christen (DC) an, über deren Spezifika hier ja in letzter Zeit mehrfach berichtet wurde.

Die gegenüberliegende Bahnhofsmission war eine der Einrichtungen, die nach 1933 zuerst verboten worden war. Ein Zeichen für deren gute Arbeit. Im Gespräch über die DC fielen schnell die Namen Niemöller und Grüber. Eher beiläufig erwähnte der Bischof dazu, dass er seine Doktorarbeit über Heinrich Grüber geschrieben habe.

Schon wieder Grüber

Mir klappte die Kinnlade herunter. Stand doch ein Denkmal von Grüber direkt vor dem CVJM-Haus in Kaulsdorf. Doktor Rink als gebürtiger Hesse hätte doch über sonst welche praxisfernen Themen der Theologie schreiben können, aber ausgerechnet über Heinrich Grüber? Das war so spannend, dass ich nach dem Termin mit einem orangenen Buch und einer persönlichen Widmung das Haus verließ.

Sigurd Rink - Der Bevollmächtigte Probst Grüber und die Regierung der DDR - Doktorarbeit
Sigurd Rink "Der Bevollmächtigte - Probst Grüber und die Regierung der DDR" (Doktorarbeit)
An zwei Arzt-Terminen und einem Wochenende verschlang ich die 246 Seiten der Doktorarbeit. Titel: "Der Bevollmächtigte - Probst Grüber und die Regierung der DDR".

Die Arbeit stellt nicht nur eine fundierte Informationsquelle zu den politischen und kirchlichen Zuständen zwischen 1945 und 1958 dar. Sie zeigt auch sehr deutlich, dass dessen Autor Wert auf allgemeine Verständlichkeit legt. Sobald man sich mit dem Schriftbild angefreundet hat, liest sich das Werk sehr flüssig. In sehr seltenen Fällen werden Fremdwörter, lateinische Begriffe oder Zitate auf Englisch verwendet.

Pragmatiker und Diplomat

Systematisch nähert sich Sigurd Rink den jeweiligen Lebensabschnitten Heinrich Grübers. Dabei werden die politischen Zusammenhänge und Machtgeflechte mit den speziellen Begabungen Grübers in Verbindung gebracht. Heinrich Grüber war theologisch ausgebildet, hatte seinen Schwerpunkt jedoch immer in den sozialen Aspekten des barmherzigen Samariters gesehen. Das Samariter-Gleichnis war die rote Linie in seinen Entscheidungsprozessen und seinem sehr beherzten, schnellen und flexiblen Handeln. Heinrich Grüber war Pragmatiker und diplomatisch gewandt. Heute würde man ihn als Networker, Lobbyisten und Manager bezeichnen.

Grüber, der selbst einige Zeit im KZ gesessen hatte, kam in den 13 Jahren nach dem Krieg faktisch vom Regen in die Traufe. Getrieben vom Samariter-Vorbild kümmerte er sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und Kontakten um eine praktische Linderung der Not in Berlin. Er bewies Fingerspitzengefühl beim Umgang mit der russischen Besatzungsmacht und den Entscheidern beim Magistrat. Er vernetzte Hilfsorganisationen, Kirchenstellen, überkonfessionelle Akteure und Staatssekretäre. Auch international war er bekannt und anerkannt. So konnte er Einiges in Sicht auf die schwierige Versorgung mit Medikamenten und medizinischem Gerät erreichen.

Tatsachen schaffen und Kirche aushungern

Sobald die Seitenzahl dreistellig wurde, konnte ich das Buch kaum noch zur Seite legen. Stalins Tod, der vorauseilende Gehorsam der SED-Führung, die Vorbereitung juristischer Rahmenbedingungen zur Zerstörung der Kirche in Ostdeutschland und deren praktische Anwendung illustrierten einen Teil der Zeitgeschichte, dem ich mich in dieser Intensität und differenzierten Betrachtung noch nie genähert hatte.

Heinrich Grüber zieht sich zwar durch alle Kapitel hindurch, ist aber oftmals gar nicht der Hauptdarsteller. Spannend ist die Interaktion seiner Bezugspersonen. Diese standen immer auch im Spannungsfeld des beginnenden Kalten Krieges, der Besatzungsmacht, der Pressefehden und dem systematischen Aushungern der Kirche im Osten.

Jugend und Zukunft

Schon oft habe ich an dieser Stelle bemerkt, dass wir in den Gemeinden Berlins nur selten eine funktionierende Jugendarbeit angetroffen haben. Unser damaliges Gründungsprojekt in Marzahn hatte ja einen starken Fokus auf Jugendliche und eine entsprechend hohe Fluktuation. Das änderte sich nach etwa 10 Jahren, als die jugendliche Kern-Mannschaft die Zwanzig überschritten hatte. Die Zielgruppe änderte sich darauf in Richtung Mittdreißiger mit Kleinkindern. Die typische Demografie der angesagten Gemeinden Berlins.

Die Doktorarbeit von Sigurd Rink setzt hier noch einmal einen sehr klaren Akzent. In den 1950er Jahren entbrannte ein erbitterter Kampf um die Jugend im Osten Deutschlands. Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) sollte die Themen besetzen und die Junge Gemeinde wurde aktiv verfolgt. Das Ergebnis bekamen wir Mitte der 1990er Jahre in Marzahn zu spüren. Atheismus in dritter Generation: "Den englischen Text verstehe ich, aber was ist ein Jesus?"

Good Guy - Bad Guy

Trotz seines Pragmatismus und seiner ausgeprägten Manager-Fähigkeiten, war Grüber durch und durch Diplomat und bezeichnete sich immer wieder selbst als Pontifex - Brückenbauer. Dialog und Zielerreichung in kleiner Runde waren seine Strategie. Dem gegenüber stand Bischof Otto Dibelius, sein Chef. Dieser ging die sowjetische Besatzungsmacht und die SED-Führung offen und konfrontativ an und zog sogar Vergleiche zur jüngst abgelösten Diktatur. Damit erzielte er zwar auch Effekte, aber keine, die der Kirche genützt hätten.

Grüber hatte mit seiner Diplomatie wesentlich mehr Erfolg. Allerdings auch nur bis 1958. Dann fühlte sich der Machtapparat der DDR so gefestigt, dass sämtliche Brücken zwischen evangelischer Kirche und Staat abgebrochen wurden. Der Ministerpräsident entzog Grüber die Akkreditierung und die Angelegenheiten der Kirche wurden an die Regionalebenen delegiert. Damit gab es keinen einheitlichen Ansprechpartner mehr und der Klassenfeind Kirche war als segmentierter Feind besser zu bekämpfen.

Selbst lesen

Man könnte hier sicher noch auf die Massenflucht, die fatalen Wirkungen des Militärseelsorge-Vertrages, die Sicht der Russen auf die Stellung der Kirche oder die legislativen Vorbereitungen eingehen. Das würde aber an dieser Stelle zu weit führen.

Ich jedenfalls fand die Lektüre äußerst spannend und kann das Buch in mehrfacher Hinsicht empfehlen: Geschichtsbildung, Charakterbildung und Durchblick in verschiedenen Macht-Konstruktionen bei Kirche, Organisationen und Staatsgebilden.

Donnerstag, 12. April 2018

Lunch mit dem Bischof

Schon mehrfach wurden hier die Parallelwelten in der christlichen Szene erwähnt. Oftmals existieren diese nur wenige Meter voneinander entfernt und kommen einfach nicht zusammen. Gestern gab es eine Begegnung mit der Parallelwelt Bundeswehr. In der City traf ich den evangelischen Militärbischof Dr. Sigurd Rink zum Lunch.



Während die Bundesregierung in Meseberg über Abgase von Diesel-Fahrzeugen und andere wichtige Dinge redete, genossen wir die Sonne in der City West. Am Tisch vor dem Savoy saßen der evangelische Militärbischof Dr. Sigurd Rink, sein persönlicher Referent Dr. Klaus Beckmann und der bischöfliche Pressereferent Dr. Roger Töpelmann.

Im Terminplan des Bischofs ist wenig Luft. Er ist viel unterwegs, bereist die Einsatzgebiete und Standorte der Bundeswehr, ist in seiner regionalen Kirchengemeinde aktiv und trifft sich regelmäßig mit Pastoren zum Austausch. So hatte es einige Wochen gedauert, bis ein passender Termin gefunden war: Mittwoch nach Quasimodogeniti 2018.

Evangelischer Militärbischof Sigurd Rink
Evangelischer Militärbischof Dr. Sigurd Rink (links) und sein persönlicher Referent Dr. Klaus Beckmann (rechts) - in der Mitte eine Blume und ein unbekanntes Double von Alexander Garth
Bemerkenswert war, dass die drei Doktoren nicht selbst das Wort ergriffen, sondern ein unmittelbares Interesse an meiner Firma und der persönlichen geistlichen Entwicklung zeigten. War ich ungeplant in eine Seelsorge-Sitzung geraten? Der Bischof und seine Mitarbeiter hatten ein offenes Ohr und stellten Fragen über Fragen. Dabei wollte ich doch Sigurd Rink kennenlernen und erleben, wie er tickt und wie er bestimmte geistliche Themen sieht.

Christliche Parallelwelten

Die christliche Szene in Deutschland hat ja generell ein gespaltenes Verhältnis zur Bundeswehr. Um Militärseelsorger und Christen in der Bundeswehr macht der Otto Normalchrist einen großen Bogen. Pazifismus gehört zum guten Ton. Dabei fühlen sich 56% der Bundeswehrangehörigen einer der großen Volkskirchen verbunden - mit einem leichten Übergewicht zugunsten der Protestanten.

Sigurd Rink war durch den Völkermord in Ruanda (2014) nachdenklich geworden. Paulus und Petrus sprechen im Neuen Testament vom Sinn der obrigkeitlichen Gewalten als bewaffnete Ordnungshüter. Bestätigt wurde der Militärbischof durch die Kriegsleute-Schrift von Martin Luther (1526). Luther greift Bibelpassagen wie Römer 13 auf und entwickelt daraus die so genannte Zwei-Regimente-Lehre. Regiment ist hier im Sinne von Regierung zu verstehen. Das erste Regiment führt Gott und das zweite der Staat. Der Staat ordnet sich idealerweise den ethischen Grundsätzen der Bibel unter. Moral und Ethik sind Dreh- und Angelpunkt der Kriegsleute-Schrift. Am Ende der Ausführungen wünscht sich Luther noch viel mehr Christen in der Armee, die entsprechend positive Akzente setzen könnten.

Traditionserlass und christliche Wurzeln

Der neue Traditionserlass der Bundeswehr enthält viele dieser ethischen Grundlagen, obwohl Gott nicht ein einziges Mal darin erwähnt wird. Die Begleitung des Prozesses zur Erarbeitung der neuen Richtlinien offenbarte eine tiefe Verwurzelung von Offizieren und Generälen im christlichen Glauben. Ein Grund dafür ist die Herkunft aus den alten Bundesländern und die natürliche christliche Sozialisierung. Allerdings gehört auch Mut dazu, seinen Glauben offen zu bekennen. So sei den studierten Theologen aufgefallen, dass prozentual mehr Christen in der Bundeswehr zu finden seien als im wirtschaftlichen Kontext.

Hilfe bei PTBS und das Ohr an der Truppe

Der hohe ethische Standard bei Bundeswehrangehörigen wird auch bei der Behandlung Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) sichtbar. Innere Konflikte entstehen nicht nur durch eigenes Leid, sondern auch durch die Verletzung oder Tötung von Gegnern. Die Auslandseinsätze produzieren derzeit etwa vier neue PTBS-Fälle pro Tag. Das ist eine beachtliche Zahl, die durch Fachpersonal der Bundeswehr und eben auch die Seelsorger behandelt wird. Roger Töpelmann warf mit merklichem Stolz ein, dass die Militärseelsorge erhebliche Erfolge bei der Minderung und Überwindung von PTBS habe. Es gibt sogar eine Bundeswehr-App mit dem Namen Coach PTBS.

Die Militärseelsorge ist zwar eingebettet in die Truppe, steht aber administrativ daneben. Durch die Einbettung erleben die Seelsorger den Alltag der Soldaten und können sich ohne große Erklärungen in deren Umstände hineinversetzen. Sie sind an das Seelsorge-Geheimnis gebunden und dienen deshalb als Anlaufstelle für Themen, die sonst niemand erfährt. Auch Toxic Leadership (vergiftende Leitung) kann in der Seelsorge angesprochen werden. Es wird dann nach Lösungswegen gesucht.

Evangelischer Militärbischof Sigurd Rink
Evangelischer Militärbischof Dr. Sigurd Rink in seinem Büro
Gehen statt auf Kommende warten

Was Militärgeistliche an ihrer Arbeit reizt, ist die Gehen-Mentalität in der Bundeswehr. Die Ortsgemeinde lebt vom Kommen: Anwohner kommen in die Kirche. Bei der Bundeswehr geht der Pfarrer an die Standorte, in den Einsatz, zur Truppe. Rumsitzen und auf Zuhörer warten? Das funktioniert bei der Bundeswehr nicht. Es gilt, einen Draht zur Truppe aufzubauen. Auch wenn keine aktive Mission betrieben wird, so entscheiden sich doch immer wieder Soldaten für eine Taufe und eine Lebensausrichtung auf das Vorbild Jesus Christus.

Apropos Jesus Christus: Der immer stärker werdende Migrationsanteil unter den Soldaten bringt neue Herausforderungen für die Seelsorge mit sich. Die wenigen Juden werden zumeist von regionalen Synagogen betreut. Moslems kennen keine Seelsorge. Dennoch konsultieren sie christliche Seelsorger, die wiederum sehr positive Erfahrungen mit den Moslems machen. Auch wenn es im Militärseelsorgevertrag von 1957 anders steht, sind die Seelsorger offen für alle Soldaten, deren Seele eine Sorge hat. Das kann ein Katholik, ein Orthodoxer, ein Moslem, ein Freikirchler oder ein Humanist sein. Da der Seelsorger seiner Kirche untersteht, wird er sich jedoch nicht verbiegen und die Eigenheiten der anderen Denomination adaptieren.

Militärseelsorger ohne Uniform

Die Herren am Tisch waren froh darüber, dass die Militärgeistlichen in Deutschland nicht in die Armeestrukturen eingebunden sind. In anderen Ländern ist das anders geregelt und die Pfarrer tragen sogar Uniformen. Uniformen hebeln zudem die Seelsorgekompetenz aus, da die Geistlichen dem zweiten Regiment (Staat) unterstellt sind. Sigurd Rink führte in diesem Zusammenhang Predigten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg an, die als Sahnehäubchen für die Kampfmoral gedient hatten und weit entfernt waren von verantwortungsvoller christlicher Lehre.

Die Authentizität und Kompetenz, mit der die drei Gesprächspartner von ihrer Arbeit und ihrem Glauben erzählten, überzeugten mich davon, dass Bischof Rink der richtige Mann am richtigen Platz ist. Ein enger Mitarbeiter der Ministerin hatte mir vorab schon mitgeteilt, dass Sigurd Rink "sehr sehr nett" sei. Das fand ich bestätigt.

Donnerstag, 15. März 2018

Deutsche Christen und Bekennende Kirche im Großraum Marzahn

Die Denkweisen und das Wirken der Deutschen Christen hat heute kaum noch jemand auf dem Radar. Bekannt ist vielleicht noch, dass die Bekennende Kirche einen Gegenakzent gesetzt hatte. Gestern Abend informierten wir uns über die damaligen Konstellationen in den Ortsteilen Biesdorf, Mahlsdorf und Kaulsdorf.



Nationalsozialismus ist eng mit Zahlensymbolik verbandelt. So steht 88 für HH, die Abkürzung von Heil Hitler. Die 18 steht für AH wie Adolf Hitler und die 43 für DC wie Deutsche Christen. Das war wohl auch ein Grund dafür, dass die Kirche43 in Marzahn ihre 43 nur im Branding tragen durfte. Der Verein musste sich alternativ Junge Kirche Marzahn e.V. nennen, obwohl ein Marketing-Experte aus Bielefeld die 43 lediglich aus der alten Postleitzahl extrahiert hatte. Ortsgemeinde eben.

Wie schon vor ein paar Tagen in Dahlem festgestellt, ist die Geschichte der Kirche zwischen 1933 und 1945 sehr spannend. Die Art und Weise der Machtübernahme mit vollendeten Tatsachen, kurzfristigen Terminen und Denunzierungen passt in das hier schon mehrfach thematisierte Schema des Machtmissbrauchs. Prinzipiell läuft so etwas immer gleich ab. Im national-sozialistischen Berlin hatte es allerdings größere Ausmaße, wurde offen praktiziert und war lebensgefährlich.

Deutsche Christen

Die Deutschen Christen traten schon 1932 offen zu Tage. Die Mitglieder der DC einte ein klares Bekenntnis zum Führer mit der Umschrift 18. 1933 besetzten die DC sämtliche Gemeinde-Kirchenräte und offiziellen Kirchenämter. Zunächst bestand die Hoffnung, dass Hitler die gottlosen Strömungen der 1920er Jahre auf ein christliches Fundament zurückhole. Das entpuppte sich einige Jahre später jedoch als Irrtum. Die 43er reklamierten immer wieder Einheit in der deutschen Christenheit. Einheit unter der 18.

Bekennende Kirche

Die Bekennende Kirche setzte mutig einen Gegenakzent und konnte erst einmal relativ frei agieren. Ihre Mitgliedskarte war knallrot. Es wurde auch ein Pfarrernotbund gegründet, der Pfarrer unterstützen sollte, die wegen ihrer Abstammung nicht mehr offiziell für ihren Beruf zugelassen waren. Durch die fingierten Gemeindewahlen hatten die DC sämtliche Posten der kirchlichen Upline besetzt und regierten ihre Ansichten bis in die Ortsgemeinden durch.

Fließende Übergänge

Bei der gestrigen Veranstaltung im Bezirksmuseum fielen jede Menge Namen: Bischöfe, Pfarrer, Einwohner des Großraums Marzahn. Einige waren straffe Anhänger von 18 und 43. Andere bezeichneten sich als neutral, waren aber Anhänger von 18. Weitere Christen schlossen sich der Bekennenden Kirche an und stellten Jesus über die 18. Einige wechselten die Seiten. Andere wurden wegen belangloser Äußerungen ins Konzentrationslager geschickt.

Es war eine turbulente Zeit, die jedoch die viel beschworene Einheit innerhalb der DC ins Bröckeln brachte. Wenn Jesus aus dem Fokus gerät, kann das im Raum der Kirche nicht auf Dauer funktionieren. Doppelmitglieder von SA und DC überwarfen sich mit heidnischen SA-Leuten, gerieten in die Strukturen der Macht und wurden letztlich fallen gelassen.

Heinrich Grüber aus Kaulsdorf

Eigentlich sollte es um den Pfarrer Heinrich Grüber aus Kaulsdorf gehen. Dieser stellte aber bei der Fülle der Informationen nur eine Randfigur dar. Heinrich Grüber hatte auch die Rote Karte der Bekennenden Kirche und war aktiv an der Rettung konvertierter Juden beteiligt. Er selbst musste einige Jahre in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau verbringen. Schutzhaft nannte sich das.

Heinrich Grüber überlebte diese Zeit und wirkte nach dem Krieg als Bürgermeister von Kaulsdorf. Er versteckte viele Frauen und Mädchen vor den Massen-Vergewaltigungen durch russische Soldaten. Vom Regen in die Traufe. Beim Eichmann-Prozess sagte er 1961 als einziger Nicht-Jude aus. In einem guten Alter von 84 Jahren starb er in Berlin.

Sonntag, 25. Februar 2018

St. Annen und die mutigen Christen von Dahlem

Bei einer Veranstaltung der israelischen Botschaft hörte ich am Dienstag erstmalig den Namen Elisabeth Schiemann. Ihre Geschichte führte zu Pfarrer Niemöller und den Christen im Stadtteil Dahlem. Heute besuchten wir dort die evangelische Kirchgemeinde St. Annen.



Peinlich! Selbst regionale Ureinwohner kennen die Geschichte der mutigen Christen von Dahlem nicht.

Am Dienstag war ich 25 km quer durch die Stadt gefahren, um eine Veranstaltung der israelischen Botschaft in Dahlem zu besuchen. Eine gewisse Elisabeth Schiemann sollte den Titel einer "Gerechten unter den Völkern" erhalten. Die Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem hat diesen Titel bereits an 26.513 Menschen aus 51 Ländern vergeben - darunter 601 Deutsche. Den Titel bekommt, wer keine jüdische Abstammung hat und während des Holocaust (lateinisches Wort für Brandopfer) das Leben von Juden gerettet hatte.

Elisabeth Schiemann und die Genetik

Elisabeth Schiemann war eine bedeutende Wissenschaftlerin des 20. Jahrhunderts. Ihr Fachgebiet war die Genetik. Ein Thema, das mit den Rassengesetzen des Dritten Reiches kollidieren musste. Einmal saß sie in einem Vortrag, in dem der Referent ausführte, dass es drei Rassen gäbe: eine schlechte, eine gute und Juden. Das Publikum teilte sich darauf in drei Gruppen: Zustimmung, Ignoranz und Elisabeth Schiemann. Wie Sandra Witte von der israelischen Botschaft ausführte, wurde Elisabeth Schiemann 1940 entlassen, da "Zweifel an der politischen Zuverlässigkeit" bestanden. Ein Satz, der wohl bei vielen im Saal haften blieb und sogar im Tagesspiegel zitiert wurde.

In der Laudatio wurde mehrfach erwähnt, dass Elisabeth Schiemann Kraft, Mut und Ethik aus ihrem starken christlichen Glauben gezogen hatte. Viele ihrer Handlungsmuster waren ein selbstverständliches Abbild ihres Vorbildes Jesus. Sie war Mitglied der evangelischen Kirche in Berlin-Dahlem. Dahlem hatte sich beharrlich gegen eine Eingemeindung in die DC - Deutsche Christen - gewehrt und war sämtlichen Tricks zur Übernahme der Machtpositionen zuvor gekommen. Die Verantwortungsträger der Deutschen Christen hatten ihren Fokus von Jesus auf Hitler verschoben und bekannten ihren Glauben, indem sie beispielsweise in SA-Uniformen zur Synode erschienen.

Martin Niemöller und St. Annen

Pfarrer Niemöller? Schon mal von gehört. Martin Niemöller war Pfarrer der St.-Annen-Kirche in Berlin-Dahlem. Er war Ansprechpartner für Elisabeth Schiemann und wurde bereits 1937 inhaftiert. Zu forsch war er in seinen Predigten gegen die politische Lage vorgegangen, hatte maßgeblich an der Gründung der Bekennenden Kirche mitgewirkt, einen Fonds für verfolgte Pfarrer gegründet und Hitler buchstäblich die Meinung ins Gesicht gesagt. Hitler hatte ihn dafür zum persönlichen Feind erklärt. Martin Niemöller überlebte das Konzentrationslager Dachau nur knapp. Er galt als prominente Geisel der SS und sollte in den Verhandlungen mit den Alliierten als Pfand eingesetzt werden. Am 30. April 1945 war seine Geiselgruppe durch eine beherzte Aktion der Wehrmacht befreit worden. Fast so spannend wie bei Martin Luther am 4. Mai 1521.

Martin Luther, St. Annen und der Friedhof

Apropos Luther: Pfarrerin Kulawik trug heute einen schwarzen Talar und das lutherische Beffchen. Das lutherische Beffchen ist von oben bis unten geteilt. Aber der Reihe nach ...

St. Annen ist deutlich kleiner als die Fotos auf der Webseite suggerieren. So fuhren wir zunächst daran vorbei. Nur die Nummer 55 überzeugte uns, einen Parkplatz zu suchen. Das alte Gemäuer ist von einem Friedhof umgeben. Mehrere Ruhestätten sind als Ehrengräber des Landes Berlin gekennzeichnet.

In der Kirche wurden wir freundlich begrüßt und bekamen zwei Gesangsbücher. Vor dem Altar übten einige Konfirmanden das Fürbittgebet. Es war gut geheizt. Die Kirche wirkte alt, schlicht und freundlich. Die Pfarrerin mit dem lutherischen Beffchen ging durch die Reihen und begrüßte die Gäste. Ein älteres Paar schien sonst auf unseren Plätzen zu sitzen, aber wir waren vor ihnen hier angekommen.

Bonhoeffer und die Christen in Ägypten

Die Liturgie nahm ihren Lauf. Lieder mit einer Null vor der Zahl wurden aus einem violetten Buch gesungen und die anderen aus einem grünen Buch. Das lernten wir relativ schnell. Die musikalische Begleitung erfolgte ausschließlich per Orgel. Es waren etwa 70 Personen zum Gottesdienst erschienen, deren Altersmix von Pubertät bis Rentner reichte.

Den Predigttext aus Jesaja 5, 1-7 verknüpfte die Pfarrerin sehr treffend mit einem Zitat von Dietrich Bonhoeffer. Darin ging es um billige und teuer erkaufte Gnade sowie die Mahnung an die Kirche, die Gnade Gottes nicht billig zu verschleudern. Der flüssige Start mündete in detaillierte Ausführungen über die Situation der Christen in Ägypten. Diese seien zum Spielball von Regierung und Terroristen geworden. Thematisch passte das zum Gebetstag für bedrängte und verfolgte Christen: Reminiszere.

Kälte, Gräber und die Batterie

Nach der Predigt wurde in zwei Gruppen das Abendmahl gefeiert. Es gab weitere Lieder, eine Kollekte und den Segen. Danach ein Postludium. Dann war der Gottesdienst zu Ende und wir traten hinaus in die eisige Kälte. Wir schlenderten durch die Grabreihen und hielten nach bekannten Namen Ausschau. Martin Niemöller ist hier nicht begraben. Er hatte seine reservierte Grabstelle 1979 an Rudi Dutschke abgetreten. Niemöller wurde 1984 in der Nähe von Osnabrück beigesetzt. Die 1972 verstorbene Elisabeth Schiemann ist hier begraben. In Ermangelung eines aussagekräftigen Planes fanden wir ihr Grab jedoch nicht.

Meine Autobatterie hatte sich beim Einparken vor der Kirche gemeldet. Sie sei leer, hatte das Display verkündet. Der Motor startete jedoch sofort und es erfolgte auch keine weitere Meldung der Batterie. So konnten wir mit Sitzheizung und 21-Grad-Klimatisierung den Rückweg antreten.

Samstag, 20. Januar 2018

Katholisch + Evangelisch + Orthodox + Koptisch = EINS

EINS war eines der ersten Gebets-Events für Berlin, an dem mehrere Hundert Christen unterschiedlicher - überaus unterschiedlicher - Prägung teilnahmen. Wir besuchten EINS heute in der EFG Schöneberg.



"Was bitte sind Alt-Katholiken?", fragte ich den jungen Mann an unserem Tisch. Die römisch-katholische Kirche hatte wohl nach Luther eine weitere Reformation erlebt, aus der die Alt-Katholiken hervorgegangen waren. Alt ist hier im Sinne von Fundament zu verstehen. Die Alt-Katholiken haben sich auf die allgemeine = katholische Kirche besonnen und lehnen die Unfehlbarkeit des Papstes ab.

Es entwickelte sich ein gutes Gespräch mit Menschen, deren Augen leuchteten, wenn es um EINS ging, nämlich Jesus als gemeinsame Grundlage. Weitere Bekannte gesellten sich dazu. Bald waren vier Gemeinden am Tisch vertreten. Wir trafen insgesamt sehr viele Alt-Bekannte quer durch die christliche Szene Berlins. Durchweg fitte Leute, denen die positive Entwicklung der Stadt wichtig ist.

Von EINS bis Erweckung

Auch die Erweckung um 1900 hatte mit gemeinsamen Gebetstreffen begonnen. Damals hatten sich die Christen gegenseitig um Vergebung gebeten, weil so viele trennende Dogmen und Praktiken den Blick auf EINS versperrt hatten, nämlich auf Jesus. Danach war es wie in der Apostelgeschichte abgegangen. EINS in Schöneberg bot dasselbe Potenzial. Mit dem Unterschied, dass noch Kopten, Orthodoxe und Katholiken dabei waren.

Multi-Kulti

An den Kopten waren wir bereits auf dem Weg zur EFG Schöneberg vorbeigeeilt und hatten noch überlegt, welcher Ethnie sie zuzuordnen seien. "Inder", meinte meine Frau. Ich verortete sie in Afrika. Dass man sich in der Herkunft täuschen kann, zeigten uns später der griechisch-orthodoxe Archimandrit und die südkoreanische Moderatorin. Beide kamen aus Duisburg.

Der hohe Anteil an Afrikanern, Asiaten, Syrern, Iranern und anderen Nicht-Muttersprachlern sorgte dafür, dass etwa die Hälfte der Gebetsstationen bei EINS mehrsprachig durchgeführt wurde. Fürbitte, Tanz, Singen und weitere Ausdrucksformen kamen zum Einsatz. Manch ein Teilnehmer betete erstmalig in einem neuen Stil und fühlte sich dadurch bereichert. Überhaupt herrschte den ganzen Nachmittag und Abend eine bemerkenswerte Harmonie.

Ökumene und Buffet

Musikalisch wurden wir von Afrikanern und Kopten begleitet. Die Predigt hielt Tobias Schöll vom Christus-Treff in Treptow. Der Vorsitzende des Ökumenischen Rates Berlin-Brandenburg hielt ein Grußwort. Der ÖRBB wird von Emanuel Sfiatkos von der griechisch-orthodoxen Kirche geleitet. Sehr bunt also das Event und gut aufeinander abgestimmt.

Griechen und Afrikaner waren für das Catering zuständig. Sie hatten zwei lange Buffets aufgebaut und einige Mitarbeiter zum Verteilen der spannenden Nationalgerichte dahinter gestellt. Wie üblich ging ich antizyklisch vor und hatte relativ schnell einen Zwischen-Snack, Besteck und Teller für unsere 5er-Gruppe besorgt. Die Befüllung der Teller musste in Eigenregie erfolgen. Das klappte auch ganz gut - schließlich ist Lebenszeit zu kostbar, um sie mit langem Warten zu verplempern. Während bekannte Pastoren noch in der Schlange standen, brachte ich unsere Teller zur Geschirrablage und versorgte die Wartenden mit einem Zwischen-Snack vom Buffet. Sie hatten aber gute Gespräche in der Reihe - wir am Tisch.

Gebetskonzert

Nach dem Essen sollte es ein Gebetskonzert mit BerlinUniteD geben. Da wir ständig alte Bekannte und neue Leute trafen, kamen wir kaum aus dem Untergeschoss heraus. Der Saal oben war inzwischen restlos mit Jugendlichen besetzt. "Wo gehen die eigentlich alle zur Gemeinde?", wollte meine Frau wissen. Bei unseren Streifzügen durch die Stadt hatten wir fast nur Gemeinden angetroffen, bei denen die Generation zwischen 10 und 20 fehlte.

Wir begaben uns auf die Empore und fanden sogar noch zwei Sitzplätze. Die Band rockte das Haus. Drei unbekannte Lieder. Der Pastor neben uns kannte die auch nicht. Trotzdem eine mitreißende Stimmung. Dann trat wieder Tobias Schöll auf. Am Flipchart entfaltete er eine kraftvolle Predigt zu Adam, Eva, dem System des Todes und der Überwindung dieses Systems durch Jesus mit dem System des Lebens.

Die Predigt war so kraftvoll, dass Jugendliche in Scharen nach vorne kamen und sich ein XP auf die Hand schrieben. Ein Zeichen, dass sie Jesus als Chef über ihr Leben anerkannten und Teil der Überwindung sein wollten. XP (Chi Ro) sind die griechischen Initialen für Christus - Χριστός - Christós.

Abgang

Da wir nun schon fünf Stunden bei EINS waren und auch nicht mehr so ganz mit der Altersstruktur harmonierten, entschlossen wir uns zur Heimreise. Zusammen mit dem Pastor neben uns verließen wir die Empore. Luftballons wurden durch den Saal geworfen. Diese sollten knallen, damit die Zettel mit den entsprechenden Gebetsthemen freigesetzt werden konnten. Jugend eben. Schade, dass unsere Kinder nicht dabei waren.

Wir holten die Winterjacken und wurden Zeugen einer ernst gemeinten Forderung an die EINS-Initiatoren: "Sowas müsste es jeden Monat geben!"

Sonntag, 17. Dezember 2017

Life Berlin in Moabit

Life Berlin versteht sich als Gemeinde für den Kiez: Berlin-Moabit. Life Berlin ist noch ganz frisch im Bezirk. Heute besuchten wir den "Pop Up Weihnachtsgottesdienst" in der Zunftwirtschaft.



Die Kekse hatten eine stilechte Prägung: Life Berlin. Ergänzend dazu trugen die etwa 12 Mitglieder des Kern-Teams gelbe Buttons mit ihren Namen. Alle hießen "Hello" oder so. Kaum hatten wir die Außentür der Zunftwirtschaft in der Markthalle Moabit passiert, waren wir von freundlichen Hellos umringt. Wir stellten uns kurz vor, hängten unsere Jacken weg und wurden dann zu den einprägsamen Keksen geleitet.

Kekse, Mittdreißiger und Kleinkinder

In der Tat mussten wir uns den Schriftzug Life Berlin einprägen, da die Kekse sehr schnell ihrem eigentlichen Zweck zugeführt wurden und dann eben nicht mehr sichtbar waren. Meine Frau kostete einen anderen Keks, der wie Brownie schmeckte. Sehr lecker.

An den Tischen tummelten sich jede Menge Moabiter, also die aus Berlin, nicht die Erben von Lot aus der Bibel. Es war die übliche Altersstruktur, die in Berlin wohl zum Standard gehört: Erwachsene um die dreißig und Kleinkinder. Kaum Jugendliche oder Senioren. Aber das kann wachsen. Immerhin feierte die Gemeinde heute erst ihr zweites Pop-Up-Treffen.

Leiterschulung und Team-Aufbau

Lotte Telzer und ihr Team gehen die Sache professionell und ohne Hektik an. Zwei Pop Ups, dann eine intensive Leiterschulung, Team-Aufbau und dann immer kürzere Intervalle der Meetings. Für das zweite Mal war der Gottesdienst schon sehr gut besucht. Etwa die Hälfte der Gäste kannte Lotte noch nicht. Der Kiez hat wohl das neue Angebot wahrgenommen.

Nach einer halben Stunde mit Smalltalk, Keksen und Kaffee ging der offizielle Teil los. Dazu verlegten wir unseren Standort in einen anderen Raum, der bereits für die übliche Frontal-Unterhaltung vorbereitet war. Es müssen um die 50 Personen Platz genommen haben. Wir setzten uns ans Fenster. Gegenüber leuchtete ein Gründerzeithaus - helles Pink. Sehr mutig, aber Geschmacksache.

Predigt aus dem Publikum

Der Gottesdienst selbst war alles andere als frontal. Lotte stand mitten aus dem Publikum auf und begann ihr Thema. Unterstützt wurde sie von ihrem Mann und einer größeren Gruppe von Sängern und Musikern. Im Verlauf des Nachmittags sangen wir viele Weihnachtslieder. Geschenke wurden verteilt und die Kinder durften in ihr eigenes Programm gehen.

Der Input rankte sich um den Namen Immanuel - Gott mit uns - und zielte auf die Pointe, dass Jesus auch in Moabit präsent ist. Neben Jesus rückte auch der Kiez immer wieder in den Fokus. Das Gründungsprojekt Life Berlin wurde vor 14 Monaten gestartet und richtet sich an Moabiter, die wohl keine Schwelle einer etablierten Kirche überschreiten würden. Bei der Zunftwirtschaft in der Markthalle gibt es gar keine Schwelle.

Social Network

Die Kommunikation von Life Berlin erfolgt über Facebook. Facebook weiß auch zu berichten, dass drei bekannte Pastoren der Stadt zur Gründungsmannschaft gehören. Das erscheint mir sehr clever, da sich die Moabiter damit Know-how und weitreichende Vernetzung in die Szene hinein sichern.

Wir können gespannt sein, wie sich dieses ambitionierte Projekt weiter entwickelt und wünschen Gottes Segen für die nächsten Schritte!

Dienstag, 31. Oktober 2017

Luther beantwortet Frage: Christ als Soldat?

Christ und Waffe ist in der Szene sehr umstritten. Es gibt Pro und Contra sowie die einschlägigen Bibelstellen mit der anderen Wange oder dem Sinn der obrigkeitlichen Gewalten. Auch Martin Luther musste sich vor fast 500 Jahren dazu positionieren.



Zum heutigen Reformationstag flatterte eine Pressemitteilung des evangelischen Militärbischofs ins Haus. Darin wurde wieder einmal auf die Kriegsleute-Schrift von Martin Luther verwiesen. Er hatte sie 1526 geschrieben. Diesmal wollte ich mir selbst ein Bild machen und las den Text des kleinen Büchleins.

Am Rande eines kurfürstlichen Events wurde Luther von einem Ritter befragt, wie denn das Kriegshandwerk mit dem christlichen Gewissen zu vereinbaren sei. Die kämpfenden Kollegen hätten entweder massive Gewissensbisse oder seien gänzlich vom Glauben abgefallen. Luther nahm sich des Themas an und verfasste die Schrift "Ob Kriegsleute in seligem Stande sein können".

Amt versus Person

Nach einer kurzen Einleitung nimmt der Reformator eine Unterscheidung vor, die den Leser durch das gesamte Buch begleitet:
"Ein Amt oder eine Tat kann an sich sehr wohl gut und richtig sein, aber doch böse und falsch, wenn die Person oder der Täter nicht gut oder richtig ist oder nichts richtig macht."

So könne sich selbst ein von Gott gewollter Auftrag ins Negative verkehren, wenn die ausführende Person aus egoistischen Motiven wie Ehrsucht und Geldgier handelt. Der Autor bringt so pikante Beispiele wie den Kuss des Judas. Der Kuss an sich sei etwas Gutes, im Kontext des Judas-Kusses sei dieser aber in einer zutiefst negativen Bestimmung angewendet.

Gerechter und ungerechter Krieg

Der Reformator schreibt über die unterschiedlichen Formen bewaffneter Konflikte. Für die Fallbeispiele dient ihm vorrangig das 1. Samuel-Buch. Es taucht auch der Begriff des gerechten Krieges auf. Habsucht und Tyrannei seien Wurzeln des ungerechten Krieges. Die Landesverteidigung beurteilt er dagegen als einen gerechten Krieg.

Bürgerkrieg

Detailliert geht er auf die hierarchische Richtung von Kriegen ein. Den Bauernkrieg lehnt er entschieden ab, obwohl damit gewisse Tyrannen gerichtet wurden. Er ergreift für keine der beiden Seiten wirklich Partei. Stattdessen verweist er beharrlich auf die obrigkeitlichen Gewalten aus Römer 13, 1 und darauf, dass Gott selbst die problematische Führungsebene richten werde. Das Vollstrecken des Gerichtes an gottlosen Führen bezeichnet er mehrfach als "crimen laese maiestatis divinae" - einen Raub der göttlichen Majestät. Dadurch schließe sich der Kreislauf des Unrechts.

Mit zwei Beispielen macht Luther deutlich, dass die Absetzung des einen Herrschers nicht automatisch einen besseren Nachfolger bringt. Es kann sogar schlimmer werden, was sich bis heute zeigt. Luther kommentiert das in seiner rustikalen Art:
"Der tolle Pöbel aber fragt nicht viel, wie es besser werde, sondern nur danach, dass es anders werde. Wenn es dann schlimmer wird, will er wieder etwas anderes haben."

An einigen Stellen könnte der Leser dennoch meinen, Luther schreibe ein Buch für die Fürsten. Dem tritt er entschieden entgegen und formuliert sehr deutlich, dass sich die Gottlosigkeit durch alle Gesellschaftsschichten ziehe und jeder in seiner individuellen Position von Gott zur Rechenschaft gezogen wird.

Weil Luther sämtliche Standes-Ebenen tangiert, lassen sich die Ausführungen nicht nur auf damalige Ritter und Soldaten adaptieren, sondern auch auf heutige Unternehmer, Regionalpolitiker, Witwen, Empfänger von Arbeitslosengeld II und weitere Bevölkerungsgruppen.

Wer beginnt, verliert.

Im zweiten Teil des Buches stellt Luther eine interessante These auf, die er mit diversen Bibelstellen und Beispielen seiner Zeit untermauert: Wer einen Krieg beginnt, verliert diesen auch. Deshalb spricht sich Luther sehr klar für Notwehr und Landesverteidigung aus. Angriffskriege lehnt er ab. Es sei denn, der Angriff ist für die Verteidigung notwendig.

Luther stellt sogar volkswirtschaftliche Überlegungen an. So sei der Bauer für die Nahrung, der Soldat für den Schutz des Landes und der Fürst für den Dienst am Volk zuständig. Unnütze Leute solle man nicht dulden, sondern aus dem Lande jagen. Deshalb sieht Luther die Landsknechte sehr kritisch, da sie in der Regel nur Lust auf Krieg hatten. In der Zeit zwischen ihren Freelancer-Aufträgen seien sie jedoch keiner nützlichen Tätigkeit nachgegangen.

Beziehung zu Gott

Die Beziehung des einzelnen Menschen zu Gott zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Es beginne damit, dass Gott mehr gehorcht werden solle, als einem Tyrannen - und das mit allen Konsequenzen. Luther zitiert dazu aus der Apostelgeschichte. Zudem solle der Soldat den Feind nicht verachten, sondern als Menschen sehen, der auch mit seinen Sünden zu tun habe.

Luther wünscht sich zum Abschluss viel mehr Soldaten mit einer Christus-Beziehung in den Armeen. Das könnte das Klima in der Truppe verändern und: "Sie fräßen wohl die Welt ohne einen Schwertstreich".

Nachhaltige Wirkung

Die Leitlinien des kleinen Buches tauchen auch heute noch in den Ethik-Diskussionen der Bundeswehr auf. Bei verschiedenen Anlässen war ich erstaunt, wie tief biblische Grundlagen im Denken, Reden und Handeln der Offiziere verwurzelt sind. Überhaupt gibt es bei der Bundeswehr Gottesdienste und Andachten, die am Otto Normalchristen völlig vorbeilaufen. In den sicherheits-politischen Publikationen sind regelmäßig Artikel mit christlichen Themen zu finden.

Allein der Evangelische Militärbischof Dr. Sigurd Rink aus Berlin hatte bisher 80 Standorte und Auslandseinsätze besucht. Angesichts von Gefechtssituationen oder familiären Herausforderungen dienen die Seelsorger als wichtige Ansprechpartner der Soldaten. So überschneiden sich auch 500 Jahre nach Luther noch die obrigkeitlichen mit geistlichen Bereiche. Sigurd Rink bemerkt dazu, dass es den Kirchenvertretern nicht um die Ausübung politischer Macht gehe, sondern um einen kritischen Einfluss auf die Politik.

Sonntag, 22. Oktober 2017

Marienkirche am Alexanderplatz

Wenn Fotos der Kreuz-Reflexion auf dem Fernsehturm aufgenommen werden, dient die Marienkirche oft als willkommener Vordergrund - wegen der Bildtiefe. Heute besuchten wir einen Gottesdienst in der Marienkirche.



Der erste Todestag meines Schwiegervaters veranlasste uns heute zum Besuch der Marienkirche am Alexanderplatz. Anonymes Kirchenflair und Gottesdienste am heimischen Fernseher waren für ihn das gewünschte Maß christlicher Gemeinschaft gewesen. Seine Frau schaffte es heute jedenfalls, dass wir zu sechst vor Ort erschienen.

Ein großes Plus der Marienkirche ist es, dass sonntags um den Alex herum kostenlos geparkt werden kann. Die Sonne schien und ich bemerkte, dass ich mir die Kirche bisher noch nie so genau angeschaut hatte. Die Architektur ist schon etwas seltsam und wirkt - wie Berlin - heterogen.

Willkommen und Begleitheft

Wir passierten die Enge Pforte an der Westseite, vorbei an einem Bettler und einem Schild, auf dem vor betrügerischen Bettlern gewarnt wurde. Dann drückte uns ein freundlicher Herr ein Heftchen in die Hand.

Die Begleitung meiner Schwiegermutter hat den Vorteil, dass wir endlich mal wieder ganz vorne sitzen dürfen. Die Familie fühlt sich normalerweise unsicher wegen des Aufstehens und Hinsetzens. Das kann man aus den hinteren Reihen besser nachahmen. Vorne wird man selbst zum Trendsetter.

Hier war das aber kein Problem. Im 20-seitigen Begleitheft aus Ökopapier stand alles sehr genau beschrieben. Jeden liturgische Gesang mit Noten und Text, Aufstehen, Hinsetzen, jedes Mitmach-Gebet, das Glaubensbekenntnis und den Predigttext konnten wir chronologisch verfolgen. Ich war beeindruckt.

Evangelische Kirchengemeinde St. Petri - St. Marien

Anhand der Kerzen vor dem Altarbereich, der Marienstatuen, der weißen Kleider der Akteure und des mehrfach erwähnten "St. Petri - St. Marien" war ich mir wegen der konfessionellen Einordnung der Kirche unsicher. Auf Seite 20 fand ich dann endlich den auflösenden Hinweis: "Evangelische Kirchengemeinde St. Petri - St. Marien".

Die Marienkirche hatte ich als dunkles Gemäuer in Erinnerung. Das lag wohl daran, dass ich sie bisher immer nur abends besucht hatte. Heute Morgen wurde das helle Innere von Licht durchflutet. Das betraf insbesondere den Altarbereich auf der Ostseite. Ich bewunderte die bis ins Detail modellierten Skulpturen und fragte mich, wie die Künstler damals nur so gut die Bewegung von Kleidung und Haaren ohne Windkanal nachbauen konnten.

Markus, Lukas und die Engel

Im Saal saßen wohl etwas über 80 Personen. Die Aktionen fanden zunächst vor dem Altar statt. Dort war auch ein grünes Rednerpult aufgestellt. Von diesem aus wurde der Predigttext rezitiert: Markus 1, 32-39. Das ist eine Passage, die mit Lukas 4 und 5 harmoniert und einen interessanten Umdenkungsprozess bei Petrus ausgelöst hatte.

Als wir im Begleitheft die Heftklammern erblickten, also Seite 10, begann die Predigt. Leider nicht vom grünen Pult aus. Die Vikarin stieg eine schmale Treppe empor, verschwand kurz und dann erblickten wir sie wieder - umrahmt von einer unzählbaren Schar kleiner Engel, die über und unter ihr in und um ein Wolkengebilde herum schwebten. Es waren so viele, dass ihre Bewegungsfreiheit teilweise etwas eingeschränkt erschien. Einer der Engel hangelte sich an der Öffnung mit der Vikarin herab.

Exemplarischer Tagesablauf von Jesus

Plötzlich bemerkte ich, dass die erste Reihe doch keine so gute Idee war. Wir mussten jetzt etwa 45° schräg nach oben in die Engelswolke schauen. Es war ein Gebot der Höflichkeit, die Rednerin anzusehen. Sie schilderte einen Tagesablauf, wie ich ihn kenne: Kaffee, Ruhe, Kaffee, Frühstück, Kaffee, Lesen - dann begann auch bei ihr der Alltag und endete mit Erschöpfung am Abend. Das war die passende Brücke für den Arbeitstag von Jesus, der sich dann alleine auf einen Berg zurückgezogen und gebetet hatte.

Die Predigt war recht kurz. Um der ungesunden Körperhaltung keinen Dauerzustand zu verleihen, widmete ich mich wieder der Inneneinrichtung und der immer intensiver werdenden Licht-Durchflutung. Bei den folgenden Ansagen erfuhren wir, dass die Vikarin heute geübt habe. Am nächsten Sonntag solle ihre Predigt bewertet werden.

Knack!

Der Gottesdienst ging noch über weitere sechs Seiten des Heftchens und enthielt auch das Abendmahl: Oblaten und Weißwein. Bei den Einsetzungsworten brach Pfarrer Gregor Hohberg eine große Oblate. Der Bruch schallte durch das Schiff - immer wieder ein besonderer Moment. Es folgten Abschlusslieder und der Segen. Dann wurde die Gemeinde bei Orgelmusik in den Sonntag entlassen.

Kaffee, Kekse und Thailänder

Meine Frau traf beim Rausgehen noch ihre Religionslehrerin aus Steglitz. Die christliche Welt kann ab und zu recht klein sein. Mehrere Besucher gingen auf die Vikarin zu und bedankten sich für die Predigt. Sie freute sich. Ein Mitarbeiter trug große Teller mit Keksen in den Eingangsbereich. Dort waren Tische mit Kaffee aufgebaut. Das Angebot wurde rege genutzt. Allerdings nicht von uns.

Wir wollten anlässlich des Todestages meines Schwiegervaters zu einem Thailänder in Prenzlberg fahren. Bei Ingwer-Tee mit Zitronengras unterhielten wir uns über den Gottesdienst. Fast alle konnten Passagen der Predigt wiedergeben. Allein die Akustik sei in der ersten Reihe nicht so optimal gewesen.

Samstag, 7. Oktober 2017

Kirche für Jedermann in Teltow

Die "Kirche für Jedermann" in Teltow ist eine freundliche und gemütliche Gemeinde, die sich jeden Samstag für zwei Stunden zum Gottesdienst trifft. Heute war ich dort zu Gast.


Hätte ich gewusst, dass die Hausnummer 18 am gefühlten Stadtrand von Potsdam liegt, wäre ich wohl mit Auto zur Kirche für Jedermann gefahren. So stellte ich beim Erblicken des ersten Straßenschildes "Potsdamer Straße" fest, dass ich noch über 70 Haunummern ablaufen müsse. Die Potsdamer Straße fiel durch zwei Dinge auf: Tod und Autohäuser. Zwei Bestatter, ein Denkmal mit mahnenden Toten und unzählige Gebrauchtwagen-Händler. Wenigstens regnete es nicht.

Willkommen!

Zehn nach zehn war ich endlich an der Eingangstür des großflächig bemalten Flachbaus angelangt. Die Begrüßung war sehr herzlich. Kaum hatte ich mich gesetzt, bekam ich als Gast einen Gutschein für den Buchertisch. Ich schnaufte noch etwas die 70 Hausnummern weg und hatte mich zum ersten Klang der Anbetungszeit wieder gefangen.

Anbetung

Die Anbetungszeit verdiente hier tatsächlich diese Bezeichnung, da die sehr bekannten Lieder aus den 1990ern klar auf die Ehre Gottes ausgerichtet waren und nicht auf unser Wohlbefinden. Wenn es um uns in den Liedern ging, dann mit der Bitte um ein neues Herz und die Symbiose mit Jesus. Der unterlegte Klangteppich aus Gitarren, Cajon und Keyboard hatte einen Drive, der mich die ganze Zeit über gefesselt hielt. Fasziniert war ich auch über die Harmonie der Stimmen.

Erlebt

Es schloss sich eine Zeit des Erzählens an. Endlich mal wieder eine Gemeinde, in der die Leute von ihren alltäglichen Erfahrungen mit Jesus berichten konnten. Die Leute von der Kirche für Jedermann hatten viel mitzuteilen und freuten sich gegenseitig an den Erfahrungen. Im Saal saßen etwa 50 Personen. In diesem Bereich bewegte sich auch das Durchschnittsalter mit leicht nach unten orientierter Tendenz. Hier entscheiden sich regelmäßig Menschen für Jesus. Heute sollte es sogar eine Taufe für einen Rollstuhlfahrer geben.

Die Gottesdienste finden samstags statt, weil die Wurzeln der Gemeinde auf die Adventisten zurück gehen. Hier ist aber Jedermann willkommen, so dass sich eine sehr heterogene Gruppe gebildet hat, die sich gegenseitig inspiriert.

Erziehung

Etwa zur Halbzeit wurde ein Bügelbrett mit Laken auf die Bühne getragen: das obligatorische Puppenspiel. Das Puppenspiel führte - wie auch diverse andere Elemente - zur Predigt hin. Es ging um Erziehung. Ein knuffiger Plüsch-Prinz wollte ein Praktikum als Erzieher machen und musste sich einem Test unterziehen. Er fiel durch.

Die Predigt wird bei der Kirche für Jedermann von Laien gehalten. Dadurch ist ein brauchbarer Alltagsbezug gewährleistet. Mit Hebräer 12, 6 wurden wir in die herausfordernden Facetten der Erziehung hineingenommen. Erziehung der eigenen Persönlichkeit durch schmerzliche Erfahrungen. Der heutige Prediger konnte das mit sehr vielen Beispielen plastisch erläutern und suchte auch immer wieder den Dialog mit den Zuhörern.

Segen

Zum Abschluss stellte sich die gesamte Gemeinde im Kreis auf, fasste sich an die Hände und sang ein Segenslied. Sehr familiär. Überhaupt hatte ich mich sehr heimisch gefühlt. Das Licht, die kneipenähnliche aber gemütliche Einrichtung und die natürliche Freundlichkeit der Anwesenden waren ein gelungener Mix, einen Schnupper-Gast zum Mitglied werden zu lassen.

Ich hätte mir noch ein Buch aussuchen können. Auch hätte ich noch zu Mittag essen können. Allerdings hatte ich heute noch weitere Termine und wollte das Diät-Essen in der Klinik nicht verpassen. So wechselte ich noch einige Worte und eilte hinaus. Auch der Rückweg über eine Parallelstraße dauerte 25 Minuten. Damit waren neben Laufband, Ergometer und Muskelaufbau noch zwei Einheiten Ausdauer-Training dazu gekommen. Eine ungeplante Sporteinlage von knapp sechs Kilometern schnell gelaufener Wegstrecke.

Sonntag, 3. September 2017

Brücke Berlin schließt Lücke in Charlottenburg

Brücke Berlin ist eine moderne Gemeinde und bedient seit einem Jahr eine Versorgungslücke in Charlottenburg. Zu siebent besuchten wir heute den Gottesdienst.



Es waren wohl vier Brücken, die wir auf der Fahrt zu Brücke Berlin in Charlottenburg überquert hatten. Was mit der Bahn etwa 80 Minuten dauerte, ging mit dem Auto auch in 35 Minuten vom Stadtrand aus. Vor der Hausnummer 94 stand bereits ein Mann mit blauem T-Shirt. "Brücke Berlin?", fragte er und streckte seinen Arm in Richtung Eingang aus. Wir schlenderten an einer orangen Fassadenfärbung entlang in den Hinterhof. Dort stand ein Mann mit Anzug. Dieser outete sich später als Fotograf. Er zeigte auf eine schmale Tür mit grauer Treppe.

Treppe ins Dachgeschoss

Als ich die Tür und die Treppe sah, versuchte ich tief durchzuatmen. Meine Familie hatte bereits eine halbe Etage erklommen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich eine Lungenembolie hatte. Ein Mann ignoriert starkes Seitenstechen. Geht ja auch irgendwann wieder weg. Brücke Berlin hat neue Räume im Dachgeschoss mit Oberlicht. Oben angekommen, kroch ich in den Flur und versuchte die vielen Bekannten halbwegs im Stehen zu begrüßen und hechelte erst einmal am Tresen aus. Die Kinder schauten mich besorgt an. Man reichte mir einen Becher mit Wasser.

Lobpreis und Gründer-Mentalität

Sitzen war gut! Wir okkupierten zwei Reihen. Der Saal füllte sich, so dass letztlich um die vierzig Erwachsene und einige Kleinkinder anwesend waren. Ein Schwarzer mit Krawatte trat ans Keyboard und wurde von einer voluminösen schwarzen Frau mit Gesang begleitet. Die Frau hätte mit ihrer Performance einen kompletten Gospelchor ersetzen können. Wir gingen mit. Knie wippten. Oberkörper bewegten sich im Rhythmus.

Zur Einleitung des Gottesdienstes war Torsten Hebel eingeladen worden. Torsten Hebel ist Moderator, Comedian und Gründer. Brücke Berlin schaut sich zurzeit die verschiedenen Gründertypen der Bibel an, so dass Gründer Hebel sehr gut passte. Mit viel Humor brachte er uns das Thema nahe und erzählte auch von seinen tiefen Krisen und Herausforderungen beim Gründen. Seinen Leitgedanken zum Gründen könnte man wie folgt zusammenfassen:

Hier ist ein Problem. Keiner löst es. Ich habe eine Idee. Also mache ich!

Zwischendurch wurden immer wieder Lieder von der kernigen Sängerin vorgetragen. Das verleitete mich zu der Annahme, dass Torsten Hebel auch die Predigt gehalten hatte. Die Predigt kam aber anschließend. Es ging um die Gründertypen Aquila und Priscila. Dass Priscila im Neuen Testament immer zuerst genannt wird, fand ich auf Nachforschung nicht bestätigt. Die Aufzählung wechselt immer ab. Egal, es muss sich jedenfalls um ein Dream-Team gehandelt haben, das zudem ehelich verbandelt war. Sie werden immer zusammen genannt und an ihren Wirkungsstätten hatten sie wohl immer richtig was bewegt. Ein vergleichbares Ehepaar saß übrigens heute mit uns im Gottesdienst.

1 Jahr Brücke Berlin

Nach Kollekte, Ansagen, Segen und einigen Liedern wurde das Buffet freigegeben. Brücke Berlin feierte heute sein einjähriges Bestehen und den Umzug in die Location im Dachgeschoss. Wirklich schöne Räume mit Blick auf den Himmel über Charlottenburg. Ich hatte keinen Hunger und hielt mich an einem Becher Kaffee fest. Wir wurden mehrfach angesprochen und hatten längere gute Unterhaltungen. Die Willkommenskultur war ausgesprochen gut.

Hier kannst du deinen Chef mitbringen.

Erklärtes Ziel der Brücke Berlin ist es, eine Gemeinde zu sein, in die auch der Chef mitgebracht werden kann, ohne dass man danach die Firma wechseln muss. Verständliche Predigt, moderne Elemente wie Lobpreis und Kabarett können wir nach dem Besuch bestätigen. Während sich die "coolen" Gemeinden in Mitte, Prenzlberg und Friedrichshain auf die Füße treten, ist Charlottenburg noch unerschlossenes Land. Brücke Berlin ist ein erster Schritt zur Bedienung dieser Lücke westlich der City.

Brücke Berlin läuft unter dem Dach des Bundes der Baptisten. Auch dort ist der Bedarf an Gemeinden für die unterschiedlichen Zielgruppen der Stadt angekommen und wird nun konsequent bedient. Würde Gemeindegründung meiner aktuellen Berufung entsprechen, hätte ich dort sicher den richtigen Partner gefunden.

Rückweg über drei Brücken

Vorsichtig stieg ich die Treppe herunter. "Merkst du, wie langsam du läufst", schaute mich meine Frau an. Die Familie drängte mich nach nur drei Brücken zum Stopp am Krankenhaus Friedrichshain: Notaufnahme, 10 Minuten warten und dreieinhalb Stunden CT, Infusionen, Spritzen, Röntgen, Ultraschall und letztlich die Diagnose: Lungenembolie. "Ich muss Sie hier behalten", sagte die Ärztin und schob mich mit Tropf, Kabeln, Beatmung und Monitoren in die Beobachtungsstation.

Sonntag, 6. August 2017

Stadtkirche Offenburg

Offenburg liegt ganz in der Nähe von Straßburg, also an der Grenze zum Elsass. Da wir zu wenig Französisch verstehen, fuhren wir kurzentschlossen über den Rhein und besuchten einen evangelischen Gottesdienst in der Stadtkirche Offenburg.



Eine knappe halbe Stunde brauchten wir von Straßburg bis ins Zentrum von Offenburg. Das Navi kannte den Weg. Direkt vor der Tür der Stadtkirche wurde ein Parkplatz frei. Zwei Kinder, zwei Omas, meine Frau und ich verließen das gemietete Mehrzweckfahrzeug. Die Sonne schien.

Gastfreundschaft

Während wir noch die hohe Außenfassade und die Inschriften studierten, kam ein sportlicher Best Ager und begrüßte uns freundlich. Zusammen mit ihm betraten wir die Kirche und bekamen sofort zwei Gesangsbücher in die Hand gedrückt. Ein weiterer Mitarbeiter gesellte sich dazu und fragte, ob jemand von uns bei der Fürbitte mitmachen wolle. Ich bemerkte kurz, dass wir nur zu Besuch seien. Das sei egal, wir könnten es uns noch überlegen.

Suchmaschinen-Optimierung

Wegen der Hörgeräte meiner Schwiegermutter wurde eine der vorderen Reihen angesteuert. Der Saal füllte sich mit etwa 60 Erwachsenen. Der Best Ager hatte sich einen Talar übergeworfen: Pfarrer Kühlewein-Roloff. Bei der Suche nach einem Gottesdienst in der Nähe unseres Urlaubsortes hatte meine Frau anhand der guten Internet-Bewertungen und der Facebook-Präsenz die Entscheidung zum Besuch der Stadtkirche Offenburg getroffen. Auch der Name Kühlewein-Roloff fiel mehrfach und wurde von unseren Gastgebern als empfehlenswert bestätigt.

Zwei Gesangsbücher und drei Lesezeichen

Drei Bänder waren am dicken Gesangsbuch angebracht. Diese wurden mit den ersten drei Zahlen an den Wandtafeln harmonisiert. Nach jedem Lied oder Psalm wanderten die Bänder weiter im Buch, so dass wir gut vorbereitet durch die Liturgie kamen. Das letzte Lied wurde aus dem dünnen Jugend-Liederbuch gesungen. Geschätzter Altersdurchschnitt: 55 Plus. Allerdings passte das nicht so recht zur frischen und sehr gepflegten Optik der Kirche. Ein Großteil der Mitglieder muss wohl auf Reisen gewesen sein.

Rück-Formung durch Herz-OP

Der agile Pfarrer setzte die Zuhörer kurz in Kenntnis, dass er heute vom Predigttext aus dem Losungsbuch abweichen werde und sprach dann über die Jahreslosung. Zur Mitte des Jahres könne man das ruhig einmal machen. Die Jahreslosung aus Hesekiel 36 Vers 26 besagt, dass Gott uns ein neues Herz und einen neuen Geist schenkt. Zunächst zerlegte der Referent das inflationär genutzte Wort Reformation und machte daraus eine Rück-Formung. Über diese Rück-Formung des Menschen in einen Zustand, wie ihn sich Gott vorgestellt hatte, baute er das Sprungbrett zur Herz-Transplantation. Mir war bisher gar nicht bekannt, dass Menschen mit einem physisch neuen Herzen plötzlich anders ticken können.

Café und Alleinstellungsmerkmale

Nach dem Gottesdienst begaben wir uns in das Café. Dieses ist auf der Westseite an das Kirchenschiff angebaut. Dort unterhielten sich die Omas mit einigen Senioren. Das Café sei sehr beliebt bei Mitgliedern und Gästen. Die Stadtkirche Offenburg hat zudem ein beneidenswertes Alleinstellungsmerkmal: Potenzial an Kindermitarbeitern aber zu wenige Kinder. Der Normalfall ist ja umgekehrt.

Bemerkenswert ist auch die Eingangstür zur Kirche. Dort ist das Glaubensbekenntnis in Form einer Topic Cloud eingeprägt. Freundlich, hell und integrativ sind Attribute, die mir nach dem Besuch der Stadtkirche Offenburg im Gedächtnis haften. Wer in der Nähe ist, sollte dort einmal vorbeischauen.

Sonntag, 16. Juli 2017

Zwei Degen und eine Zeitreise: Kirche Marzahn/Nord

Die Evangelische Kirchengemeinde Marzahn/Nord nutzt das letzte Kirchengebäude, das vor dem Ende der DDR eingeweiht wurde. Sehr spontan hatten wir uns für den Besuch des dortigen Gottesdienstes entschieden.



Meine Schwiegermutter hatte sich um 9:36 Uhr per WhatsApp zum Mitkommen angemeldet. Der Rest der Familie hatte andere Pläne. Zwei Freunde aus Marzahn kamen mit dem Fahrrad. Man musste sich bücken, wenn man den Seiteneingang zur Kirche nutzen wollte. Dieser war mit einem weißen Schlauch versehen, an dessen Anfang das heutige Datum stand. Eine Zeitreise ins Innere der Kirche.

Zugang durch den Tunnel

Da ich mich in der Kirche Marzahn/Nord nicht so gut auskannte, spähte ich in die verschiedenen Seitenräume des Ganges. Schließlich landete ich im Gemeindesaal. Die Wände waren mit Tüchern verhangen. Der Altarbereich wirkte königlich und antik mit silbernen und goldenen Tüchern sowie dunklen ehrwürdigen Vorhängen.

Meine Schwiegermutter hatte ich direkt vor der Tür abgesetzt und war dann noch mit der Parkplatzsuche beschäftigt gewesen. Offensichtlich hatte sie sich im Gang verlaufen und kam erst deutlich nach mir in den Saal. Um 10:30 Uhr begann der Gottesdienst mit einem alten Kirchenlied. Pastorin Dang gab eine kurze Einleitung und kündigte den bevorstehenden Einsatz von zwei Degen an: Monika und Rolf Dieter Degen.

Zwei Degen, 150 Psalmen und das Leben eines Königs

Monika platzierte sich unauffällig an der Technik während ihr Gatte uns auf eine Zeitreise mitnahm. Wir wurden etwa 3.000 Jahre zurück katapultiert. Der Hirtenjunge David saß am Tisch und schrieb Psalm 23. Er wolle sich erinnern und nichts vergessen von den großen Taten Gottes in seinem Leben. Rolf Dieter Degen rezitierte Ausschnitte aus vielen Psalmen und verband diese mit der Chronologie des Lebens von David. Scharfsinnig interpretierte er die Zusammenhänge der Geschehnisse im Leben des zweiten Königs von Israel.

Voll Spannung klebten die Zuhörer an seinen Lippen und den langsamen Bewegungen des Degens. Es waren um die siebzig Besucher erschienen. Das entsprach in etwa auch dem Durchschnittsalter.

Schilder, Bibeltexte, Bausubstanz

Nach einer Stunde, einem weiteren Lied, dem Vaterunser und dem Segen war der Gottesdienst zu Ende. Die Gemeinde wurde auf die Schleusinger Straße hinaus geführt, wo neue Tafeln mit Texten aus der Bibel aufgestellt waren. Auch die Künstlerin war dabei und wurde mit einem Blumenstrauß geehrt. Die Texte verbinden wichtige Aussagen aus dem Neuen und Alten Testament miteinander.

Das Gemeindehaus, der Garten und das Pfarrhaus machen einen sehr gepflegten Eindruck. Finanzielle Engpässe scheint es in Marzahn/Nord nicht zu geben. Im Garten staunten wir über die liebevoll angeordneten Tonfiguren und Tontafeln, die die 10 Gebote und biblische Geschichten darstellten. Ganz neu war die Bühne am Ende des Gartens - der Traum eines jeden Lobpreisleiters, der noch mit dem Fallstrick Selbstdarstellung kämpft.

Vor dieser Bühne gab es Eintopf mit Würstchen sowie Kaffee und Kuchen. Spontane Life-Musik mit Gitarre und Gesang untermalte das Essen und die Gespräche an den Tischen.

Gebückt durch die enge Pforte

Und dann war es endlich so weit: Die Akteure der Zeitreise hatten das Essen, die Gespräche, die Danksagungen und das Geschirr-Wegbringen erledigt und waren bereit zum Einsatz in der Historie.

Wieder liefen wir gebückt durch den Schlauch am Seiteneingang. Diesmal fiel mir auf, dass viele Personen der Geschichte mit Mitte fünfzig aus dem Diesseits geschieden waren. Sollte mir das zu denken geben? Mein Hausarzt hatte eine Reduzierung der Körperfülle empfohlen und dabei auf den Herzinfarkt mit Mitte vierzig verwiesen. Hatten alle diese berühmten Leute einen Herzinfarkt? Nein, einige waren wohl auch an der Pest gestorben.

Dann kamen wir zur ersten Station: Saul. Saul war nicht da. Scheinbar musste er noch Tassen in den Geschirrspüler räumen. Irgendwann erschien er. Er war ja schließlich der König. Freudig berichtete er über seine psychischen Probleme und die Beziehung zu David. Der Schrubber-Stiel in seiner Hand hatte am unteren Ende eine bedrohlich wirkende Spitze.

Paul Gerhard und zwei Unbekannte

Schnell gingen wir weiter - kurz über den Flur - 1.000 Jahre später in Jerusalem. Hier ging es um Petrus, der kurz vor der Verurteilung von Jesus plötzlich nicht mehr wusste, dass er mal mit Jesus durch die Gegend gezogen war. Es schloss sich eine Station mit dem weniger bekannten Johannes Agricola (1494 - 1566) an. Diesem folgte der bekannte Paul Gerhard (1607 - 1676) und der wiederum eher unbekannte Franz Theremin (1780 - 1846). Frau Dang konnte besonders viel über Franz Theremin, dessen Werk und Familie berichten.

Die Zeitreise sollte wohl eher am späten Abend durchgeführt werden. Beim Flackern der Kerzen entfalten die Kulissen bestimmt eine sehr realistische Wirkung.