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Montag, 30. Mai 2022

Ja, sowas passiert. Aber nicht bei uns!

Heute wurden in der Bundespressekonferenz die Zahlen zum sexuellen Kindesmissbrauch vorgestellt. Die Mechanismen sind vergleichbar mit denen, die bei geistlichem Missbrauch festzustellen sind.

BKA-Chef Holger Münch und die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, stellten sich heute den Fragen der Hauptstadtpresse. Anlass war die Veröffentlichung der Fallzahlen beim Kindesmissbrauch im Jahr 2021. Die Gesetzeslage ist gut geeignet, Täter angemessen zur Verantwortung zu ziehen.

Dadurch, dass viele der Taten seitens der Missbraucher mit Bildmaterial dokumentiert werden, können die Handschellen schnell zuschnappen. Dafür sorgt seit einigen Jahren die ausgesprochen gute Zusammenarbeit mit der amerikanischen Stelle NCMEC (National Center for Missing & Exploited Children - Nationales Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder). Durch eine kontinuierliche Verbesserung der Software konnte die Identifizierung allein von 2020 bis 2021 von 21,7 auf fast 30 Millionen gesteigert werden. Die KI (Künstliche Intelligenz) arbeitet inzwischen mit einer Trefferquote von 98% und selbst die eine Woche Speicherzeit für IP-Protokolle reicht aus, die Täter bis ins heimische Wohnzimmer nachzuverfolgen. Es wird also eng für Ersteller und Nutzer des brisanten Bildmaterials. Selbst ein Ausweichen ins Darknet ist längst kein Garant mehr für ein Agieren ohne Konsequenzen.

Wenn kein Bildmaterial als Beweis vorliegt

Da längst nicht alle Straftaten dieses Bereiches mit Bildmaterial belegbar sind, appellieren Holger Münch und Kerstin Claus an die Öffentlichkeit, Verdachtsfälle anzuzeigen und Kinder frühzeitig für die Gefahren des Missbrauchs zu sensibilisieren. Kerstin Claus bestätigte, dass das Phänomen bekannt sei, dass die Mama eher dem missbräuchlichen Onkel glaube als dem betroffenen Kind. Betroffene Kinder haben dann nicht nur den eigentlichen Missbrauch zu verarbeiten, sondern auch noch den eklatanten Vertrauensbruch durch die Mutter. Deshalb werde man demnächst eine umfangreiche Aufklärungskampagne starten, die genau diesen Punkt aufgreift.

Doppeltes Trauma durch Missbrauch und Vertrauensbruch

Das Prinzip des Versagens der nächsten Vertrauenspersonen ist auch bei Fällen des geistlichen Machtmissbrauchs festzustellen. So erschleichen sich vermeintliche Seelsorger von Betroffenen sensible Informationen, die sie anschließend öffentlich gegen den Betroffenen verwenden und diesen damit zu erpressen suchen. Andere "Seelsorger" nutzen das Argument des "Du wolltest es doch auch.", um den Druck für den Täter zu lindern und den Betroffenen in eine Mittäterschaft zu zerren, oder eine komplette Täter-Opfer-Umkehr zu bewirken. Im Rahmen des Korpsgeistes verbünden sich Pastorenkollegen aktiv mit dem Täter, denn "Der Onkel" - pardon - "Der liebe Kollege macht sowas nicht."

Hellfeld und Dunkelfeld des geistlichen Missbrauchs

Der Druck auf verschiedene Gemeinden ist dennoch so hoch, dass seit 2014 Clearingstellen eingerichtet werden, die für Außenstehende den Anschein erwecken, man gehe das Problem tatsächlich an. Letztlich agieren diese Clearingstellen aber systemimmanent und stehlen den wenigen redenden Betroffenen aus dem "Hellfeld" nur Zeit und Energie. So ist auch bei geistlichem Missbrauch von einem hohen "Dunkelfeld" auszugehen, das optimistisch geschätzt beim Faktor 100 liegen dürfte. Immerhin ist es bei geistlichem Missbrauch gängige Praxis, dass Personen, die ein Problem ansprechen, selbst zu einem Problem gemacht werden, während das eigentliche Problem nicht gelöst wird. Den Verantwortlichen der betreffenden Gemeinden und Verbände scheint das egal zu sein. Die Unabhängige Beauftragte brachte diese Einstellung in der Pressekonferenz sehr gut auf den Punkt: "Ja, sowas passiert. Aber nicht bei uns!"

Katholische Kirche setzt Akzente

Auch wenn das evangelikale Lager gerne von sich ablenkt, indem es mit Fingern auf die Katholische Kirche zeigt, ist diese doch schon viel weiter. So hat die Katholische Kirche beispielsweise im Bistum Osnabrück eine Anlaufstelle für Betroffene von sexueller und spiritueller Gewalt geschaffen. Das katholische Werk Don Bosco hat vorbildhaft gezeigt, wie am besten mit Missbrauch umzugehen ist: 1) Betroffene ernst nehmen, 2) unabhängig untersuchen, 3) Konsequenzen für die Täter. Das Ergebnis ist ein nachhaltiger Vertrauensgewinn bei Eltern und Unterstützern dieses Kinder- und Jugendwerkes. Im evangelikalen Bereich scheitert es in der Regel schon am ersten Punkt.

Freitag, 27. November 2020

Geistlicher Missbrauch - Katholiken als Vorreiter bei der Klärung eines Tabu-Themas

Mitte November fand in Leipzig eine mehrtägige Konferenz zu geistlichem Missbrauch statt. Sie war von der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen organisiert worden und von hochkarätiger und breiter Expertise begleitet. Wegen Corona konnte die Veranstaltung virtuell besucht werden.


Mitgliederschwund, Imageschaden und spektakuläre Racheakte haben die katholische Kirche veranlasst, aktiv gegen Missbrauch in den eigenen Reihen vorzugehen. Dabei geht es bei weitem nicht nur um sexuellen Missbrauch, sondern den viel weiter gefassten Missbrauch von Macht und Vertrauen sowie das bewusste Überschreiten von Grenzen - im Namen Gottes. Das Basiswerk der Christen - die Bibel - beschäftigt sich schon auf den ersten Seiten mit Tendenzen des religiösen Missbrauchs. So lautet das zweite der berühmten zehn Gebote: "Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht missbrauchen." (2.Mose 20,7) "Denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht", geht der Text weiter.

Nach 1.990 Jahren Kirchengeschichte sind geistlich Verantwortliche lange schon im Handlungsschema der biblischen Pharisäer angekommen. Die Pharisäer waren zunächst auch nur eine Laienbewegung von Menschen, die mit ihrem Lebensstil Gott gefallen wollten. Nachdem dann eine Königin der Region auf sie aufmerksam geworden war und sich von ihnen hatte begeistern lassen, war der Schritt zu Finanzen und politischer Macht geebnet. Die ursprünglichen Werte wurden durch Machtbestreben und Missbrauch ersetzt. In Matthäus 23 wird die Wirkungsweise detailliert beschrieben. Matthäus 23 zeigt auch, dass Jesus kein weltfremder Schwächling war, sondern klar die Probleme seiner Zeit auf den Punkt gebracht hatte - egal, wer gerade vor ihm stand.

Das Christentum hat eine ähnliche Entwicklung durchgemacht. Deshalb gab es immer wieder Abspaltungen und Neugründungen. Wohl jede dieser Abspaltungen hatte Ambitionen, es endlich richtig zu machen und nicht in die alten Fallen von Macht und dessen Missbrauch zu tappen. Dass das dauerhaft gelingt, scheint eine Illusion zu sein. Deshalb ist es umso wichtiger, Mechanismen zu entwickeln, toxischen Leitungsanwandlungen vorzubeugen, oder diese wirkungsvoll aus der jeweiligen Struktur zu entfernen.

Lernen von Don Bosco

Ausgerechnet die katholische Kirche, der gerne ein ausgeprägter Hang zu Tradition und Macht unterstellt wird, ist nun Vorreiter bei der Klärung des Themas Missbrauch. Der Stein kam beim Kinder- und Jugendwerk der "Salesianer Don Boscos" ins Rollen. Im Frühjahr 2010 setzte sich das Werk aktiv mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs auseinander und konnte die Angelegenheit durch relativ simple Handlungsprinzipen klären:

1) Betroffene wurden angehört und ernst genommen.
2) Die Vorgänge wurden durch eine unabhängige Instanz geprüft.
3) Es wurde konsequent gegen die Täter vorgegangen.

Das Werk "Don Bosco" konnte durch diese Maßnahmen nachhaltig seinen Ruf verbessern und das Vertrauen zurückgewinnen. Da immer wieder Berichte zu Missbrauch durch die Presse gingen und auch immer mehr Bücher darüber geschrieben wurden, hat die katholische Kirche in einigen Bistümern Arbeitsgruppen eingerichtet - wie beispielsweise in Osnabrück. Seelsorger tasten sich an das Thema heran und stellen neben sexuellem Missbrauch auch jede Menge weiteren Machtmissbrauch fest. Bei der Klärung kommt das oben beschriebene 3-Punkte-Programm von "Don Bosco" zum Einsatz.

Konferenz der Katholischen Akademie "Gefährliche Seelenführer?"

Unter dem Titel "Gefährliche Seelenführer? Geistiger und geistlicher Missbrauch" fand Mitte November eine virtuelle Konferenz der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen statt. An zwei Tagen trafen sich hochkarätige Sprecher und Experten, um den religiösen Missbrauch aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten: Erfahrungsberichte, systemische Betrachtungen, Psychoanalyse, internationale Erfahrungen, Handlungsempfehlungen, Buchautoren, theologische Aspekte, Kirchenrecht und Strafrecht standen auf dem Programm. Die Moderation war sehr professionell und per Zoom zugeschaltete Teilnehmer konnten Fragen an die Vortragenden stellen. Der Vernetzungsgrad von Betroffenen und Experten wäre sicher höher gewesen, wenn die Konferenz - wie geplant - als Präsenztreffen in Leipzig stattgefunden hätte. Durch Corona musste die Veranstaltung ins Internet verlagert werden. Allerdings konnte dadurch eine beachtliche Zahl weiterer Interessenten teilnehmen.

Mit dem Aufkommen aggressiv agierender Sekten in Frankreich, wurde dort im Jahr 2001 das Strafgesetz um einen entsprechenden Tatbestand ergänzt. Artikel 223-15-2 stellt es unter Strafe, wenn sexueller, finanzieller oder autoritärer Missbrauch oder der Missbrauch von Schwäche oder geschwächter Personen stattfindet. Diese geschwächten Personen können auch Personen sein, die in gutem Glauben bei einem Seelsorger ihr Herz ausschütten und anschließend feststellen müssen, dass dieser das Wissen zur Manipulation, Erpressung oder Vorteilsgewinnung ausnutzt. In Deutschland ist das Strafrecht noch nicht so weit. Das Thema ist hier relativ unterbelichtet. Obwohl es im Kirchenrecht schon gewisse Regelungen gibt, mit denen ein konsequentes Vorgehen gegen "Wölfe im Schafspelz" möglich ist.

Evangelische Kirche

In der evangelischen Kirche scheint das Thema noch nicht angekommen zu sein. Hier zeigt man gerne mit dem Finger auf den sexuellen Missbrauch bei den Katholiken. Dabei gibt es auch aus der evangelischen Kirche Berichte von Missbrauch. Dieser ist aber eher im psychisch-geistlichen Bereich zu verorten und geht in Richtung Mobbing, Nötigung oder Betrug.

Freikirchen und die Rolle der Evangelischen Allianz

Einen ausgeprägten Mangel an Selbstreflexion zeigen evangelikale Freikirchen. Diese sammeln sich unter dem Dach der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA). Auch wenn die Allianz nach eigenen Angaben weit über eine Million Christen in Deutschland vertritt, hat sie ihr Nischendasein behauptet und bringt sich nur einmal pro Jahr mit der Allianz-Gebetswoche ins Gespräch. Hochproblematische Gruppen quer durch das Bundesgebiet nutzen die einfach zu erwerbende Mitgliedschaft in der Allianz als Etikett zur Verschleierung autoritativer Gemeindekonzepte. Diese Gemeinden entziehen sich jeglicher externer Kontrolle und sind gegenüber der Allianz weder rechenschaftspflichtig noch sanktionierbar. Viele dieser Gruppen sind so neu, modern und anziehend, dass ein Imageverlust durch Missbrauch zurzeit noch keine Rolle spielt. Falls es in diesen Konstrukten übergeordnete Instanzen gibt, fühlen sich diese in der Regel nicht zuständig. Ignoranz und Vernachlässigung der Berufsaufsicht stellen dabei noch die harmlose Variante dar. Oft genug wird der religiöse Missbrauch direkt vor den Augen und in aktiver Mitwirkung der höheren Leitungsebenen praktiziert.

Als Folge der NDR-Doku "Mission unter falscher Flagge" wurde bei der Deutschen Evangelischen Allianz eine Ombudsstelle eingerichtet. Hilfesuchende berichten, dass diese Ombudsstelle hauptsächlich den Tätern in die Hände spiele. Betroffene werden zunächst mit der Beschaffung von Beweismaterial beschäftigt und mit der Aussicht auf eine Klärung ruhig gestellt. Durch eine homöopathische Finanzdecke und fehlende Möglichkeiten der Sanktion verlaufen die Fälle normalerweise im Sande oder werden wegen unzureichender Expertise komplett gegen die Wand gefahren. Sehr zum Schaden der Betroffenen, die durch das Scheitern des Klärungsversuchs noch tiefer in ihr Trauma abrutschen und zuweilen sogar Selbstmord begehen.

Sichtbar und vernetzt

Mit der virtuellen Konferenz der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen wurde ein wichtiger Anfang gemacht. Der Vernetzungsgrad von Betroffenen, Seelsorgern und anderen Experten steigt. Für toxische Leiter und Missbraucher wird es immer enger. Vor allem wird das Thema durch solche Konferenzen auch weiter in die öffentliche Wahrnehmung und vor den Gesetzgeber getragen.

Mittwoch, 31. Juli 2019

Kontrollzwang Vertuschung Gespräche - Was tun bei geistlichem Machtmissbrauch?

"Kontrollzwang Vertuschung Gespräche" ist der Titel der dritten Auflage des Buches "Mitmachen Gehen Zerstören" über geistlichen Missbrauch. Es enthält jetzt noch mehr Seiten und weitere Beispiele aus der Missbrauchsszene.



Die ersten beiden Auflagen von "Mitmachen Gehen Zerstören" hatten für einigen Wirbel gesorgt. Irgendwann war das Buch auch bei den beschriebenen Akteuren und deren Kollegen aufgetaucht. Pastoren waren bis dahin durch aktives Desinteresse aufgefallen und nun erschüttert. Erschüttert jedoch nicht über das Geschehene, sondern darüber, dass sie viel zu leicht die realen Personen erkennen konnten. Ich solle eine Stellungnahme dazu abgeben, wie die Täter besser zu anonymisieren seien. Webaffine Teenager, Christen aus anderen Missbrauchssystemen und szenekundige Pressekollegen bestätigten mir jedoch, dass die Personen, Organisationen und Orte ausreichend anonymisiert worden waren und man nicht wisse, um wen es sich handelt.

Korpsgeist und Harmoniebedürfnis

So wurden neben dem neuen Abschnitt "Harmoniebedürfnis" auch noch einige Seiten zum "Korpsgeist" ergänzt. Korpsgeist ist wohl das größte Dilemma bei der Behandlung geistlichen Missbrauchs: Kleriker belasten sich nicht gegenseitig, egal was der Kollege angestellt hat. Wegen ihrer horizontalen Bezugsebene können sie oft gar nicht einschätzen, wie der ordinierte Bruder in der Vertikalebene agiert. Hinzu kommt die Wahrheitshoheit, die Pastoren von Amts wegen gepachtet haben.

Parallel dazu wurden mir jede Menge Beispiele aus anderen Missbrauchssystemen zugesandt. Diese sind in die dritte Auflage eingeflossen. Gegen einige der Schilderungen war unsere Situation eher wie ein Kindergeburtstag. Es taten sich Abgründe auf, die namhafte Gemeinden und Verbände betrafen.

Mitmachen Gehen Zerstören

Aus den diversen Büchern zu geistlichem Missbrauch hatten wir herausgelesen, dass es drei Methoden gibt, mit dem Thema umzugehen: Mitmachen als die schlechteste Variante, Gehen als die gesündeste und empfohlene Variante sowie Zerstören als die schwerste Variante. Letztere Variante ist im Abgleich mit 1. Johannes 3, 8 durchaus biblisch. Deshalb fand ich den Titel "Mitmachen Gehen Zerstören" sehr passend. Immerhin benannte er die Problemlösung.

Das Problem ist allerdings, dass viele Betroffene das Problem gar nicht benennen können. Deshalb wurde nun der Titel in die Symptome umbenannt: "Kontrollzwang Vertuschung Gespräche". Das sind Symptome, die in unserem Umfeld aufgetreten waren und auch regelmäßig aus anderen Missbrauchssystemen berichtet werden.

Kontrollzwang Vertuschung Gespräche - Was tun bei geistlichem Machtmissbrauch? Buch von Autor Matthias Baumann
"Kontrollzwang Vertuschung Gespräche - Was tun bei geistlichem Machtmissbrauch?" Das Coverfoto zeigt jetzt zwei Besen und einen angehobenen Teppich als Symbol für die konzertierte Vertuschung geistlichen Missbrauchs durch die Täter und deren kollegiales Umfeld. Das Bild war im Frühjahr bei einem Pressetermin auf dem Ehrenhof des Bundeskanzleramtes entstanden.
Kontrollzwang Vertuschung Gespräche

Der Facettenreichtum des Kontrollzwangs geht vom Kontaktverbot über Mitgliederakten bis zum gläsernen Menschen im Seelsorgegespräch. Die Gespräche laufen in allen Systemen nach dem gleichen Schema ab: Informationsgewinnung, Schuldumkehr, Erpressung, Neutralisierung. Und dann ist da noch der wichtige Aspekt der Vertuschung. Hier sind nicht nur die unmittelbar beteiligten Personen aktiv, sondern auch deren berufliches Umfeld. Bei der Vertuschung geht es um einen ganzheitlichen Ansatz: Es soll weder innen noch außen jemand etwas über die Missstände mitbekommen oder gar darüber sprechen.

Trug das Cover der ersten beiden Auflagen noch ein Foto mit einem Besen neben dem roten Teppich, sind es nun zwei Besen vor einem angehobenen roten Teppich. Täter im Talar genießen nach allgemeiner Erfahrung die absolute Narrenfreiheit. Sie können Kinder sexuell belästigen, ihre Gemeinde manipulieren, Christen dämonische Belastungen andichten, Ehen zerstören oder Sklavendienste für die Pastorenfamilie einfordern.

Lernen von Don Bosco

Don Bosco scheint bisher eines der wenigen kirchlichen Konstrukte zu sein, wo Missbrauch konsequent behandelt wurde. Das Geheimnis von deren Erfolg und Glaubwürdigkeit liegt nach meiner Einschätzung in den drei folgenden Aspekten:

  • Betroffene anhören und ernst nehmen
  • Vorgänge unabhängig prüfen
  • Konsequentes Vorgehen gegen die Täter

Gespräch

Nach einem Seminar von Team.F hatte ich mich noch einmal mit dem Täterumfeld getroffen. Man hatte eine Entschuldigung dafür parat, dass sich der im Buch erwähnte Jürgen Schymanski (Name geändert) zunächst als Mediator ausgegeben und dann - mit den sensiblen Informationen im Gepäck -  auf Anwalt umgeschaltet hatte. Es wurden dann einige Maßnahmen gegen geistlichen Missbrauch vorgestellt, deren praktische Wirksamkeit noch zu beweisen wäre.

Zwei Drittel des Gespräches befassten sich mit dem Buch. Dessen Inhalt war in die Kategorien "Arrogante Fehleinschätzungen", "Verleumdungen" und "Missverständnisse" eingeteilt worden. Sicher keine Ebene für einen konstruktiven Diskurs. Im Buch steht, dass solche Gespräche reine Zeitverschwendung sind. Das sehe ich immer noch so. Allerdings hatte ich ein Eigeninteresse an diesem Gespräch. So konnten nämlich auch Gegenargumente in die dritte Auflage einfließen.

Die zarten Ansätze von Aufarbeitungsüberlegungen motivierten mich zu einem Entgegenkommen, indem ich eine noch viel stärkere Anonymisierung vorgenommen habe. Auch die Ergänzung von weiteren Beispielen Dritter war wichtig, weil die Hauptakteure der Meinung waren, das Buch sei ihnen gewidmet.

Zielgruppe: Betroffene

Das Buch ist - wie schon in der Einleitung zur ersten Auflage erwähnt - für Betroffene geschrieben. Die knapp 170 Seiten lassen sich in etwa vier Stunden durchlesen.

Das Buch hilft Betroffenen, ihre Situation einzuschätzen, zu benennen, aus problematischen Systemen auszusteigen und in einen Heilungsprozess zu gelangen. Das Feedback der Zielgruppe zeigt, dass das funktionieren kann.

Montag, 8. Oktober 2018

Mitmachen Gehen Zerstören - Umgang mit geistlichem Machtmissbrauch

Vertuschung, Kontrollzwang, Masken, Intrigen und irritierende Gespräche könnten ein Indikator für geistlichen Missbrauch sein. Oft scheitert es schon an der Benennung, so dass Betroffene völlig isoliert damit fertig werden müssen. Betroffen sind meist fitte und aktive Christen, die in Konflikt mit ihrem unsicheren oder inkompetenten Leiter geraten.



Die Sommerpause war diesmal besonders lang. Kaum Pressetermine, wenige Kundenanfragen, keine Fernreise. So wurde die Sommerzeit dazu genutzt, unser Gartenhaus von normal in Schwedisch umzufärben. Also nicht Blau und Gelb, sondern robustes Falunrot mit weißen Kontrastlinien. Damit waren wir zwei Wochen beschäftigt. Aus Langeweile las ich mir das Weißbuch der Bundesregierung von 2016 durch und hatte trotzdem immer noch viel Zeit.

Schreib' doch endlich mal das Buch!

"Schreib' doch endlich mal das Buch über geistlichen Missbrauch!", kam die Anregung aus der Familie. Hm, aber wo anfangen? Ich setzte mich hin und begann bei der Skizzierung der Ereignisse, die nun schon drei Jahre zurücklagen. Nach einer Woche war das Manuskript auf 120 Seiten angewachsen. Erlebnisse und Prinzipien wurden miteinander kombiniert, so dass der Text einen Mix aus gut lesbarer Story und Wissen darstellte.

Mitmachen Gehen Zerstören - Umgang mit geistlichem Machtmissbrauch - Matthias Baumann
Mitmachen Gehen Zerstören - Umgang mit geistlichem Machtmissbrauch - Autor: Matthias Baumann - Was haben wohl ein Teppich und ein Besen mit geistlichem Machtmissbrauch zu tun?
Um einen möglichst hohen Mehrwert für eine breite Leserschaft zu bieten, sandte ich das Manuskript an etwa zehn Personen. Darunter waren Weggefährten, Betroffene aus anderen Missbrauchssystemen und völlig unbeteiligte Berater, auf deren Meinung ich einen großen Wert lege. Den angefragten Pastoren war das Thema wohl zu heiß. Deshalb konnte keine pastorale Meinung in das Buch einfließen.

Resonanz auf das Manuskript

Die Resonanz war ermutigend und erschütternd zugleich. Ungeahnt schnell hatten meine Lektoren das Manuskript durchgelesen und gaben mir teilweise sehr ausführliche Rückmeldungen. Dadurch konnten weitere Sichtweisen und Beispiele in das Buch aufgenommen werden. Die wenigen mit Ironie gewürzten Passagen wurden entfernt und eine große Schnittmenge der allgemeinen Lesbarkeit und Verständlichkeit eingearbeitet. Vielen Dank!

Erschütternd war, dass auch die als unbedarft angesehenen Leser massiv an alte Situationen erinnert wurden. Jeder der Leser war getriggert. Triggern heißt, dass als vergessen geglaubte Dinge plötzlich wieder hochkommen und erneut verarbeitet werden müssen. Wenn kein Heilungsprozess stattgefunden hat, kann die Wunde erneut aufreißen. Allein das Manuskript hatte Denkprozesse angestoßen, die für eine abschließende Heilung nützlich sein können.

Drei Optionen

Der Titel des Buches setzt sich aus den drei Optionen zusammen, die einem Betroffenen bei geistlichem Machtmissbrauch zur Verfügung stehen: Mitmachen oder Gehen oder Zerstören. Dabei ist Mitmachen die schlechteste Lösung, Gehen die gesündeste Lösung und Zerstören die schwerste Lösung. Auf den über 150 Seiten geht es um den schleichenden Beginn, die heiße Konfliktphase, das Danach, die konkreten Schritte zur Heilung und letztlich die Möglichkeiten des Zerstörens solcher Missbrauchssysteme.

Das Coverbild der ersten beiden Auflagen war kurz vor dem Besuch des Vorsitzenden des Ministerrates von Bosnien und Herzegowina am 13. August 2018 im Kanzleramt entstanden. Besen und Teppich symbolisieren eines der wichtigsten Prinzipien des geistlichen Missbrauchs: unter den Teppich kehren.

Wichtiger Hinweis (23. Januar 2019):

Wegen des regen Feedbacks zur ersten Auflage wurde das Buch noch einmal gründlich überarbeitet. Es ist auch ein längerer Abschnitt zum Thema "Korpsgeist" ergänzt worden. Korpsgeist ist das größte Dilemma bei der Aufklärung und Aufarbeitung von geistlichem Missbrauch.

Das Buch liest sich jetzt noch flüssiger und schneller. Wer ab dem 5. Januar 2019 über Amazon bestellt hat, sollte schon die zweite Auflage erhalten haben. Auch das eBook wurde auf die zweite Auflage umgestellt.

3. Auflage unter neuem Titel (8. Juli 2019)

Ein Treffen mit dem Täterumfeld im Mai 2019 zeigte Ansätze von Aufarbeitungswillen und dass das Buch wie eine Granate am Ziel eingeschlagen war. Deshalb wurde das Buch noch einmal komplett überarbeitet und stärker anonymisiert. Letzteres war das Hauptanliegen des Täterumfeldes. Laut Pressekollegen und externer Betroffener sei das zwar nicht notwendig gewesen, aber die zarten Versuche der Etablierung von Mechanismen gegen geistlichen Machtmissbrauch wollte ich durchaus würdigen.

Bei dieser Gelegenheit wurde der Titel geändert in: "Kontrollzwang Vertuschung Gespräche - Was tun bei geistlichem Machtmissbrauch?". Da viele Betroffene erst einmal das Problem benennen müssen, macht sich ein Titel mit den Symptomen geistlichen Machtmissbrauchs wesentlich besser, als ein Titel, der die Lösungsvarianten "Mitmachen Gehen Zerstören" vorgibt.

Das Buch enthält jetzt noch mehr Seiten und weitere Beispiele aus der Missbrauchsszene. Es ist als Taschenbuch und als eBook erhältlich.

Donnerstag, 15. März 2018

Deutsche Christen und Bekennende Kirche im Großraum Marzahn

Die Denkweisen und das Wirken der Deutschen Christen hat heute kaum noch jemand auf dem Radar. Bekannt ist vielleicht noch, dass die Bekennende Kirche einen Gegenakzent gesetzt hatte. Gestern Abend informierten wir uns über die damaligen Konstellationen in den Ortsteilen Biesdorf, Mahlsdorf und Kaulsdorf.



Nationalsozialismus ist eng mit Zahlensymbolik verbandelt. So steht 88 für HH, die Abkürzung von Heil Hitler. Die 18 steht für AH wie Adolf Hitler und die 43 für DC wie Deutsche Christen. Das war wohl auch ein Grund dafür, dass die Kirche43 in Marzahn ihre 43 nur im Branding tragen durfte. Der Verein musste sich alternativ Junge Kirche Marzahn e.V. nennen, obwohl ein Marketing-Experte aus Bielefeld die 43 lediglich aus der alten Postleitzahl extrahiert hatte. Ortsgemeinde eben.

Wie schon vor ein paar Tagen in Dahlem festgestellt, ist die Geschichte der Kirche zwischen 1933 und 1945 sehr spannend. Die Art und Weise der Machtübernahme mit vollendeten Tatsachen, kurzfristigen Terminen und Denunzierungen passt in das hier schon mehrfach thematisierte Schema des Machtmissbrauchs. Prinzipiell läuft so etwas immer gleich ab. Im national-sozialistischen Berlin hatte es allerdings größere Ausmaße, wurde offen praktiziert und war lebensgefährlich.

Deutsche Christen

Die Deutschen Christen traten schon 1932 offen zu Tage. Die Mitglieder der DC einte ein klares Bekenntnis zum Führer mit der Umschrift 18. 1933 besetzten die DC sämtliche Gemeinde-Kirchenräte und offiziellen Kirchenämter. Zunächst bestand die Hoffnung, dass Hitler die gottlosen Strömungen der 1920er Jahre auf ein christliches Fundament zurückhole. Das entpuppte sich einige Jahre später jedoch als Irrtum. Die 43er reklamierten immer wieder Einheit in der deutschen Christenheit. Einheit unter der 18.

Bekennende Kirche

Die Bekennende Kirche setzte mutig einen Gegenakzent und konnte erst einmal relativ frei agieren. Ihre Mitgliedskarte war knallrot. Es wurde auch ein Pfarrernotbund gegründet, der Pfarrer unterstützen sollte, die wegen ihrer Abstammung nicht mehr offiziell für ihren Beruf zugelassen waren. Durch die fingierten Gemeindewahlen hatten die DC sämtliche Posten der kirchlichen Upline besetzt und regierten ihre Ansichten bis in die Ortsgemeinden durch.

Fließende Übergänge

Bei der gestrigen Veranstaltung im Bezirksmuseum fielen jede Menge Namen: Bischöfe, Pfarrer, Einwohner des Großraums Marzahn. Einige waren straffe Anhänger von 18 und 43. Andere bezeichneten sich als neutral, waren aber Anhänger von 18. Weitere Christen schlossen sich der Bekennenden Kirche an und stellten Jesus über die 18. Einige wechselten die Seiten. Andere wurden wegen belangloser Äußerungen ins Konzentrationslager geschickt.

Es war eine turbulente Zeit, die jedoch die viel beschworene Einheit innerhalb der DC ins Bröckeln brachte. Wenn Jesus aus dem Fokus gerät, kann das im Raum der Kirche nicht auf Dauer funktionieren. Doppelmitglieder von SA und DC überwarfen sich mit heidnischen SA-Leuten, gerieten in die Strukturen der Macht und wurden letztlich fallen gelassen.

Heinrich Grüber aus Kaulsdorf

Eigentlich sollte es um den Pfarrer Heinrich Grüber aus Kaulsdorf gehen. Dieser stellte aber bei der Fülle der Informationen nur eine Randfigur dar. Heinrich Grüber hatte auch die Rote Karte der Bekennenden Kirche und war aktiv an der Rettung konvertierter Juden beteiligt. Er selbst musste einige Jahre in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Dachau verbringen. Schutzhaft nannte sich das.

Heinrich Grüber überlebte diese Zeit und wirkte nach dem Krieg als Bürgermeister von Kaulsdorf. Er versteckte viele Frauen und Mädchen vor den Massen-Vergewaltigungen durch russische Soldaten. Vom Regen in die Traufe. Beim Eichmann-Prozess sagte er 1961 als einziger Nicht-Jude aus. In einem guten Alter von 84 Jahren starb er in Berlin.

Montag, 19. Februar 2018

Missbrauch ist kein Kavaliersdelikt

Sexueller und geistlicher Missbrauch unterscheiden sich höchstens durch Aspekte wie Körper und Alter. Täterprofile, Orte, Langzeitfolgen und Heilungsansätze sind vergleichbar.



Im gestrigen Gottesdienst wurde das Tabu-Thema "sexueller Missbrauch" angegangen. Dazu hatte Rick Warren seine Frau Kay und die Bestseller-Autorin Beth Moore eingeladen. Beide Frauen waren in der Kindheit davon betroffen und betreuen nun Menschen, die in ähnlichen Situationen stecken. Eine praktische Umsetzung von 2. Korinther 1, 3-4.

Vertrauenspersonen

Das Perfide an diesen Missbräuchen ist, dass sie oft in einer Umgebung geschehen, die per se als sicher gilt: zu Hause, bei der Verwandtschaft, bei familiären Freunden oder in Einrichtungen mit Vertrauensstatus.

Um Hilfe gebetene Vertrauenspersonen reagieren oft mit Schweigen, Bagatellisierung oder Vertuschung. Dadurch wird das Opfer isoliert und bisherige Vertrauenspersonen zu passiven Mittätern. Daraus erwächst ein Geflecht des Misstrauens.

Vertrauen zu Gott

Nicht selten schlägt das auf die Vertrauensbeziehung zu Gott durch. Jesus formuliert deshalb in Matthäus 18, 6 oder Markus 9, 42 oder Lukas 17, 1-2 (zusammengefasst): Solche Situationen werden zwar passieren, aber wehe den Personen, die bewirken, dass einer dieser Kleinen das Vertrauen verliert. Es wäre besser für den Täter, mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen zu werden.

Heilung nach Missbrauch?

Kay Warren und Beth Moore zeigten im Interview auf, dass Heilung möglich ist. Dazu gehörten unter anderem die Konsultation professioneller Seelsorger und eine Abgrenzung zu ehemaligen Vertrauenspersonen. Das Wort Nein sei ein wichtiger Schlüssel zur Heilung.

Hier das ins Deutsche übersetzte Video zur Interview-Predigt:

Freitag, 20. Oktober 2017

Toxic Leadership - Was tun?

In den ersten beiden Artikeln zu Toxic Leadership ging es um eine allgemeine Definition und die Persönlichkeits-Merkmale. Nachfolgend werden Empfehlungen zum Umgang mit dem Problem für betroffene Mitarbeiter und übergeordnete Leiter gegeben.



Bei den Recherchen zu Exit-Strategien beim Auftreten toxischer Leiter stellte ich fest, dass das Problem auch bei der Englisch sprechenden Gemeinde Einzug gehalten hat. In Deutschland scheint das Thema noch nicht angekommen zu sein. Die Lösungsansätze der christlichen Autoren waren jedoch nicht so gut auf den Punkt gebracht wie die Abhandlungen aus dem Geschäftsleben.

Wo stehe ich?

Es ist zunächst die eigene Position im toxischen Kontext zu ermitteln. Bin ich Leiter und stehe in der Verantwortung, zum Wohle der Mitarbeiter und der Organisation unpopuläre Entscheidungen zu treffen? Bin ich eher neutraler Beobachter oder gar ein Mentor? Oder bin ich Betroffener unterhalb eines toxischen Leiters?

Situation benennen

Egal in welcher Beziehung ich mich zu ihm befinde, der erste Schritt ist die Benennung des Problems. Dazu hilft die Auswertung einer Checkliste.

Als wir damals mit geistlichem Missbrauch konfrontiert wurden, half uns eine Checkliste aus Swen Schönheits Buch "Menschen mit Format" bei der Benennung. Diese Erkenntnis stieß keinesfalls auf Gegenliebe bei der sofort konsultierten Regionalinstanz. Damals wussten wir noch nicht, wie perfide solch ein System funktioniert und wie man mit diesem am elegantesten umgeht.

Was kann der übergeordnete Manager tun?

Bin ich als übergeordneter Manager nicht selbst ein toxischer Leiter, wird mir die positive Entwicklung der Organisation wichtig sein. Dazu gehört auch ein konstruktives Arbeitsklima. Entdecke ich einen vergiftenden Leiter in meiner Downline, sind folgende Handlungsweisen empfehlenswert:

  • Die Folgen toxischer Führung nehme ich ernst.
  • Mit dem Toxiker rede ich in einer milden Weise, mache ihm aber klar, dass er erkannt ist.
  • Innerhalb der Organisation spreche ich meine Besorgnis über die Situation offen an.
  • Immer Notizen machen! Diese werden für spätere Dokumentationen wichtig sein.
  • Ich ermittle die vertrauenswürdigen Leiter und halte mich zu ihnen.
  • Ich achte genau auf jeden meiner Schritte und vermeide destruktive Gedanken.
  • Ich unterstütze produktive Mitarbeiter.
  • Ich verschaffe mir Abstand zur Situation und betrachte das Gebilde als Ganzes.
  • Ich etabliere Zeiträume (min. 1 Jahr) zum Kennenlernen der Persönlichkeit neuer Leiter.
  • Mir ist bewusst, dass Toxiker in ihrer labilen Persönlichkeit auch zur Selbstzerstörung neigen.

Toxische Leiter haben ein Persönlichkeitsproblem oder sitzen auf einem Posten, der nicht zu ihrem Profil passt. Deshalb wird sich nur selten ein Sinneswandel einstellen. Der Manager muss dann handeln und den toxischen Leiter aus der Struktur entfernen: Umsetzung auf eine geeignetere Stelle oder Entlassung.

Sollten übrigens mehrere Manager für einen toxischen Leiter zuständig sein, ist Einheit sehr wichtig. Fehlt diese Einheit, wird es erfahrungsgemäß zu einer Zerrüttung innerhalb des Managements führen. Dadurch wirkt der Toxiker nicht nur zerstörend in sein anvertrautes Team hinein, sondern auch in die übergeordneten Strukturen.

Was kann der Mentor tun?

Mentoren haben den Vorteil, dass sie emotional abgekoppelt auf den toxischen Leiter eingehen können. Sie haben eine besondere Chance auf Gehör, wobei die tiefer sitzenden Selbstwert-Defizite eher ein Fall für die therapeutische Seelsorge oder die psychosomatische Abteilung einer Klinik sind.

Auch übergeordnete Leiter können als Mentoren fungieren und erfüllen somit eine nicht ganz einfache Doppelfunktion. Hier die Vorgehensweise:

  • Konfrontiere den Toxiker mit seiner Vergangenheit und spiegle ihn.
  • Sieh zu, dass sich im Team niemand erniedrigt oder klein gemacht fühlt.
  • Verhindere eine schlechte Behandlung von Mitarbeitern, die weniger stark sind.
  • Lenke den Fokus auf eine Win-Win-Win-Atmosphäre (andere, ich selbst, die Organisation).
  • Lass kein Denken aufkommen, dass jemand besser oder schlechter als andere ist.
  • Stärke das Teamdenken, in dem jeder mit seinen Fähigkeiten einen wichtigen Teil beiträgt.
  • Freue dich über das Erreichte und fördere die Zufriedenheit mit den Ergebnissen.

Tritt der Mentor gleichzeitig als Anwalt des Toxikers auf, disqualifiziert er sich selbst und wird Teil des Problems. Die Aufgabe des Mentors besteht darin, eine positive Entwicklung des neuralgischen Leiters zu erwirken und ihn in letzter Konsequenz davon zu überzeugen, dass er in einem anderen Wirkungsrahmen besser aufgehoben wäre.

Was kann der Mitarbeiter tun?

Der betroffene Mitarbeiter ist wohl am meisten gefährdet, von der Opfer-Persönlichkeit (victima) des toxischen Leiters zum Opfer-Typen gemacht zu werden. Bei Szenarien des geistlichen Missbrauchs ist Gehen oft die einzige Möglichkeit und nach einer gewissen Übergangsfrist dringend angeraten.

Für die Zwischenphase des Arrangierens hier einige Hinweise:

  • Entwickle Gleichgültigkeit und emotionale Ablösung.
  • Halte Ausschau nach kleinen Siegen, die dich motivieren und in Bewegung bleiben lassen.
  • Limitiere den Umgang und die Begegnungen mit der toxischen Person.
  • Rede mit Vertrauten über das Problem. Nenne es beim Namen.
  • Bleib in der direkten Begegnung standhaft und fordere die Verantwortung des Toxikers ein.

Der emotionale Abstand zu solch einer Situation ist übrigens durch Vergebung zu erreichen. Bei der Vergebung vergebe ich das Thema an Jesus, der sich dann darum kümmert.

Was kann der toxische Leiter tun?

Es gibt wohl nur sehr wenige Fälle, in denen sich ein toxischer Leiter positiv verändert hatte. Das liegt hauptsächlich an der mangelnden Einsicht und dem Lügengebilde, dass er jahrelang in und um sich aufgebaut hat.

Eine befreiende Lösung wäre, das Lügengebilde mit einem großen Rums zusammen fallen zu lassen und dann einen Neuanfang zu wagen. Dazu sind Toxiker in der Regel zu ängstlich und sterben dann lieber in ihrer Scheinwelt.

So kann sich an der Persönlichkeit nur etwas ändern, wenn eine Entscheidung getroffen wird. Nämlich die Entscheidung, sich positiv verändern (lassen) zu wollen. Dabei kann das Lesen der Bibel und ein vertrauensvoller Umgang mit anderen Menschen helfen.


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Als wichtige Quelle diente eine Abhandlung von Marco Tavanti, DePaul University aus Juni 2011.

Donnerstag, 19. Oktober 2017

Toxic Leadership - 10 Merkmale

Die Recherchen zur toxischen Leitung haben doch einen größeren Fundus zu Tage befördert als zunächst angenommen. Im folgenden Artikel geht es um typische Merkmale der Akteure.



Längst werden toxische - also vergiftende - Leiter nicht mehr nur in der U.S. Army ausgemacht, sondern auch in Unternehmen und Organisationen. Das Ergebnis ist immer das Gleiche: Mitarbeiter und Aufgabengebiete sind nach der Wirkungszeit des Toxikers in einem schlimmeren Zustand als vorher.

Die Liste der Eigenschaften toxischer Leiter liest sich wie eine Checkliste zum geistlichen Missbrauch. Damit schließt sich der Kreis von säkularer Leitung zur Leitung in betroffenen Gemeinden. Nachfolgend 10 Eigenschaften, die als kennzeichnend für toxische Leiter gelten:

1. Arroganz und Narzissmus

Toxische Leiter stellen sich gerne selbst dar. Sie gehen davon aus, dass sie generell Recht haben und ihre Zuhörer die Worte als "Evangelium" aufsaugen.

Sie beanspruchen die Deutungshoheit und reagieren sehr scharf auf Kritik - auch auf konstruktive. Besonders hart werden Optimierungsvorschläge geahndet, die von Untergebenen kommen.

2. Autokratie

Toxische Leiter lassen in der Regel nur die eigene Meinung gelten und sehen sich als Leitfigur der Gruppe. Die Gruppe habe der vorgegebenen Richtung zu folgen und diese keinesfalls zu hinterfragen. Mitarbeiter haben in seinen Augen lediglich den Zweck, ihm zuzuarbeiten und seine Position als Oberhaupt zu bestätigen.

3. Reizbarkeit

Toxische Leiter sind in ihrer unsicheren Selbstwertstruktur schnell reizbar. Sie wollen überall mit einbezogen werden, beziehen aber selbst ungerne jemanden in ihre Angelegenheiten ein. Sie haben Angst vor Fragen und gehen diesen so gut es geht aus dem Wege. Ideen sowie Trial & Error werden auf ein Minimum reduziert. Kreative Gruppenmitglieder verlassen das Team oder gehen jämmerlich ein.

4. Unangemessenheit

Toxische Leiter benehmen sich oft wie Kinder, sind launisch und unflexibel. Bemühungen um Weiterentwicklung und positive Veränderung werden konsequent behindert.

5. Mangel an Vertrauen

Toxische Leiter bauen ein Gebilde aus Lügen und Manipulation um sich auf und verlieren somit das Vertrauen zu sich selbst und erst recht zu anderen. Im gemeindlichen Umfeld haben wir erlebt, dass ein Pastor qua Amt Vertrauen eingefordert hatte, das ihm aufgrund von Erfahrungen und seiner Persönlichkeit nicht automatisch zugestanden werden konnte.

6. Inkompetenz

Toxische Leiter sind davon überzeugt, die kompetentesten Personen zu sein. Allerdings karikiert sie die Praxis dadurch, dass es ihnen an Entscheidungsfähigkeit mangelt, Priorisierungen ohne Sinn festgelegt werden und sie selbst für einfache Aufgaben ungeeignet sind. Kaschiert wird das durch die Kritik an Dritten, was gelegentlich auf offene Ohren stößt und erst einmal vom Toxiker ablenkt.

Es kann durchaus vorkommen, dass das übergeordnete Management die Inkompetenz bewusst ignoriert und lieber das Team opfert. Das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass die Upline aus demselben Holz geschnitzt ist. Vielleicht benötigt der Vorgesetzte ja einen untergeordneten Toxiker, um selbst in ein besseres Licht zu kommen oder als dessen Mentor zu punkten.

7. Hierarchien

Kein Wunder, dass toxic leadership zunächst im militärischen Umfeld beleuchtet wurde. Ist doch das Militär die bekannteste Organisation mit harten hierarchischen Strukturen.

Aber auch auf das kirchliche Umfeld lässt sich das übertragen. Da gibt es den Senior-Pastor, den Vorstands-Vorsitzenden, den Super-Intendenten, den Präses, den Bundes-Ältesten, den Papst, den Dekan und viele andere schöne Titel, die eine Position in der Hierarchie ausdrücken.

Ohne Hierarchie würde der toxische Leiter zugrunde gehen. Er braucht die Hierarchie und idealerweise noch die passende Kleidung für sein Selbstwertgefühl. Untergebenen wird die Last des Überbaus sehr deutlich klar gemacht. Dient es doch dem Selbstschutz der problematischen Leitungsfigur.

8. Unrealistische Erwartungen

Toxische Leiter gängeln ihr Team mit unrealistischen Erwartungen. Wie es aus der Literatur zu geistlichem Missbrauch bekannt ist, werden diese Regeln und Erwartungen modifiziert, sobald deren Erfüllung realistisch wird. Dadurch erzeugt der toxische Leiter ein nachhaltig schlechtes Gewissen bei den anvertrauten Untergebenen.

9. Symbole persönlicher Autorität

Das harmoniert mit dem erstgenannten Punkt Arroganz und Narzissmus. Der Toxiker verschafft sich besondere Rechte wie einen speziellen Parkplatz, ein erhabenes Büro, freien Zugang zu allen Ressourcen, beeindruckende Titel und Etiketten, exklusive Amtskleidung. Die Liste könnte fortgeführt werden.

10. Diskriminierung

In Korrelation zur Inkompetenz in Punkt 6 passt auch die Diskriminierung von Personengruppen. Wir haben erlebt, dass Gemeindemitglieder mit der Begründung entlassen wurden, sie seien nicht kompatibel zur DNA des Gemeindeverbandes. Dabei hatten sie nur Fragen zu den hier genannten Punkten gestellt. Verbleibenden Mitgliedern wurde zudem der Kontakt untersagt, da man sich ja nicht mit Menschen abgeben solle, die "sich Bruder nennen, sind aber ..." siehe 1. Korinther 5, 11.

Weitere Erscheinungsformen

Ergänzend dazu gibt es noch den Manipulator und den Wettbewerber.

Der Manipulator ist schwer zu erkennen. Oft braucht es mehrere Jahre, um die Täuschungen des Manipulators als Taktik zur Erfüllung dessen egoistischer Ziele zu erkennen. Bei Dale Carnegy heißt es: "Wenn Egoisten Sie ausnützen wollen, streichen Sie sie von Ihrer Liste ...".

Der Wettbewerber ist als Siegertyp ein prädestinierter Herzpatient. Er will immer gewinnen, egal was es kostet. In diese Zielvorgabe zieht er seine Untergebenen mit hinein und macht auch diese zu potenziellen Herzpatienten.

Und ich?

Es ist immer hilfreich, sich selbst im Spiegel der oben genannten Punkte anzusehen. Das schlägt ja auch schon Jakobus in Kapitel 1, 23-24 vor. Beim morgendlichen Ausdauer-Training hatte ich über meine eigenen Fallen in diesem Bereich nachgesonnen. Allein das Reflektieren darüber ist ein Zeichen dafür, dass es bei mir nicht so stark ausgeprägt sein kann.

Toxische Eigenschaften entfalte ich in der Regel nur, wenn es um das Bereinigen von Faktoren geht, die das Überleben oder die Weiterentwicklung einer Organisation stören. Das trifft dann gelegentlich auch toxische Leiter, die ja zumeist entbehrlich sind und lediglich vermeidbare Kosten produzieren.

Eine Frage der Dosierung:

Am Rande des Workshops zum Traditionserlass wurde mir berichtet, dass der weise dosierte Einsatz von toxischen Leitern durchaus heilend wirken kann. Das kennt man ja auch aus der Medizin. Gemäß ADP 6-22 dürfen diese Leiter allerdings immer nur punktuell und temporär eingesetzt werden. Ist das Ziel erreicht, sollten sie rechtzeitig in andere Wirkungsbereiche vermittelt werden.

Auch der Voll-Toxiker kann eine heilende Wirkung erzielen. Nämlich als Fallbeispiel für seine Umwelt, so eine Betrachtung mit dem nötigen Abstand möglich ist.


Weitere Artikel aus dieser Serie:
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Toxic Leadership - Was tun?


Zwei wichtige Quellen für diesen Artikel waren folgende Webseiten:
www.leadershipforces.com
www.yscouts.com

Mittwoch, 18. Oktober 2017

Toxic Leadership - Was ist das?

Das Thema Leitung steht zurzeit gar nicht auf meiner Agenda. Dennoch komme ich regelmäßig damit in Berührung. Am letzten Donnerstag hörte ich erstmals den Begriff "toxic leadership".



Ein Freund aus dem Süden Berlins umgibt sich gerne mit Führungskräften. Per WhatsApp teilt er mir deren Herausforderungen mit, so dass wir konzertiert beten können. Er redet auch davon, welche Führungskräfte er anleite, unterstütze, welche er unter sich und über sich habe und dass er selbst eine Führungskraft sei. Seine Tochter besucht eine Leadership-Kleingruppe, die sich zu nachtschlafender Zeit in einem City-Starbucks trifft. Schon die Uhrzeit des Meetings lässt bei mir jegliche Lust auf Leitungsfigur vergehen.

Mit der Führungsstelle ist es wohl so wie mit der Partnersuche. Wer mit Krampf leiten möchte, muss sich erst einmal durch- und hochkämpfen. Wer das Thema entspannt angeht, dem werden die Leitungspositionen hinterhergetragen, vorausgesetzt es handelt sich um eine als Leiter begabte Führungskraft: Führung durch Persönlichkeit.

Toxic Leadership - vergiftende Leitung

Am Rande des dritten Workshops zum Traditionserlass wurde ich letzten Donnerstag schon wieder in ein Gespräch über Leitung verwickelt. Ein Oberst erzählte mir, dass er gerade einen längeren Aufsatz über "toxic leadership" schreibe. Den Begriff kannte ich noch gar nicht. Seine Augen leuchteten, als er die Details zu den Verhaltensmustern dieser Personen erläuterte. Es folgten konkrete Beispiele.

"Das kann man ja auf sämtliche Lebensbereiche wie Unternehmen und Vereine übertragen", bemerkte ich und hatte sofort die bunte Palette des geistlichen Missbrauchs vor Augen. Toxic Leadership sei ein Begriff, der in der U.S. Army aufgekommen sei. "Vergiftende Leitung", warf ich die Übersetzung ein. Man habe festgestellt, dass es Leitungspersonen gebe, die in ihrer Wirkungszeit mehr Schaden als Nutzen anrichten und im Kontext der Army durchaus für den Tod von Soldaten verantwortlich zeichnen. Er wolle mir den Aufsatz zukommen lassen, sobald er fertig sei.

Aber ich kenne mehrere!

"Wie geht man denn mit toxischen Leitern um? Wie wird man die wieder los?", wollte ich wissen. "Damit beschäftigt sich der nächste Aufsatz", lächelte er mich an und wir widmeten uns einem Buch, das er gerade auf Latein gelesen hatte: "Laus stultitiae" - "Lob der Torheit" - Erasmus von Rotterdam.

Auf der Heimfahrt schwirrten die toxischen Leiter durch meine Gedanken. Deshalb fragte ich anschließend einige kompetente Bekannte, ob sie den Begriff schon einmal gehört hätten. Alle verneinten. Sie baten mich um weitere Recherchen und die Übermittlung der Ergebnisse. Einer von ihnen schrieb: "Nein, habe ich noch nicht gehört. Aber ich kenne mehrere!"

20% und eine Spur der Verwüstung

Die Recherchen bestätigten die Infos des Offiziers. Die US-Armee sei mit etwa 20% toxischer Leiter durchzogen. Das ist ein hoher Prozentsatz.

Bezüglich der Selbstmorde während des Irak-Krieges wurden die bislang üblichen Untersuchungen modifiziert. War bisher immer der psychologische oder familiäre Mikrokosmos des Suizid-Opfers ausgewertet worden, richtete sich der neue Fokus auf das militärische Umfeld und die Vorgesetzten. Dabei trat zu Tage, dass problematische Leiter - zumeist mit Selbstwert-Defiziten - durch Schikanen und Intrigen eine destruktive Arbeitssituation geschaffen hatten. In letzter Konsequenz wurde damit der eigene Kampfauftrag beeinträchtigt und eben auch diverse Leben in den eigenen Reihen zerstört.

Je mehr das Thema an die Öffentlichkeit kam, umso mehr Betroffene meldeten sich mit ihren Erfahrungsberichten. Der toxische Vorgesetzte war wohl das fehlende Puzzle-Teil in der Bewertungskette zerstörerischer Situationen. Toxische Leiter betreiben ganz klar Sabotage.

Definition toxischer Leiter aus ADP 6-22

Die U.S. Army sieht toxische Leiter deshalb als ein ernst zu nehmendes Problem an. Die Army Doctrine Publication No. 6-22 definiert auf Seite 11 diese spezielle Art der Leiter. Hier eine freie Übersetzung:

 
"Gelegentlich kommt es in einer Organisation zu einer negativen Führung. Negative Leiter verlassen im Allgemeinen Menschen und Organisationen in einem schlechteren Zustand als bei Beginn der Leiter-Mitarbeiter-Beziehung. Eine Form der negativen Führung ist die toxische Führung.

Toxische Führung ist eine Kombination aus egozentrischen Einstellungen, Motivationen und Verhaltensweisen, die negative Auswirkungen auf Untergebene, die Organisation und die Mission haben. Diese Führer tragen keine Sorge um andere und das Klima der Organisation, was kurz- und langfristige negative Auswirkungen hat.

Toxische Führer arbeiten mit einem aufgeblasenen Sinn für Selbstwert und aus akutem Eigeninteresse. Toxische Leiter verwenden konsequent disfunktionales Verhalten, um andere zu täuschen. Sie schüchtern ein, üben Zwang aus oder verwenden ein ungerechtes Strafmaß, um ihren Willen durchzusetzen.

...
Der längere Einsatz negativer Führungskräfte zur Beeinflussung von Mitarbeitern untergräbt den Willen, die Initiative und das Potenzial der Geleiteten. Zudem zerstört es die Einheit des Teams."

Das kommt mir bekannt vor.

Toxische Personen sind in sämtlichen Lebensbereichen mit Leiter-Mitarbeiter-Strukturen anzutreffen. Auch in Gemeinden.

Die einschlägige Literatur zu geistlichem Missbrauch kennt den physischen Suizid genauso wie den geistlichen Tod. In Berlin begegnen uns immer wieder Betroffene mit einer tiefen Verbitterung über toxische Gemeinde-Strukturen. Während meiner gerade beendeten Reha erzählte mir ein Mann, dass er ausgetreten sei und Abstand genommen habe. "Abstand nur von der Kirche oder auch von Gott?", wollte ich wissen. "Von beidem", war die Antwort.

Wir kennen eine Gemeinde, die gleich von zwei toxischen Leitern geführt wird. Einer davon stolpert über den Fallstrick Perfektion und der andere über den Fallstrick Eitelkeit. Einer davon ist Theoretiker und einer Praktiker. Beide heften sich Lorbeeren an, die sie selbst nicht erarbeitet haben. Damit passen sie sich eins zu eins in die Schablone ein, die der Oberst am Stehtisch in Potsdam skizziert hatte.

Uns wundert, dass sich niemand wundert.

70 Personen sollen inzwischen die Gemeinde verlassen haben. Das ist etwa die doppelte Zahl der Gottesdienst-Besucher. Dennoch wundert sich bisher wohl niemand oder hinterfragt gar die Zustände.

Der untergebene Leiter in diesem Gespann bekam den Titel "Kapitän", wobei der Begriff sachlich falsch ist. Mir klingt noch ein Satz von Konteradmiral Stawitzki im Ohr: "Wir machen heute das, was Seeleute immer machen: Positionsbestimmung". Die Positionsbestimmung toxischer Leiter kann sich nur um die eigene Person drehen, nicht jedoch um die realistische Position der zu erfüllenden Mission. So ist der Kapitän in diesem Zusammenhang wohl eher als jemand zu verstehen, der als Letzter das Schiff verlässt - nachdem er allen anderen noch auf hoher See über Bord geholfen hatte.

Die tun was dagegen.

Wegen der gravierenden Folgen toxischer Leitung hat die amerikanische Armee Exempel statuiert und eine vierstellige Zahl auffällig gewordener Offiziere entlassen. Auch wurde ein anonymes System zur Bewertung von Vorgesetzten eingeführt, das beim Aufspüren solcher Tendenzen hilft.

In der christlichen Szene hört man selten von vergleichbaren Verfahrensweisen. So bin ich inzwischen der Überzeugung, dass ein gemeindliches Umfeld den optimalen Schutzraum für toxische Leitungspraktiken bietet.

Die Erfahrung zeigt, dass die Kollegialität unter Pastoren bemerkenswert hoch ist. Aus Bruderliebe werden toxische Verhaltensweisen unter den Teppich gekehrt, bis dieser so viele Ausbuchtungen hat, dass er nicht mehr begehbar ist. Die Bibel berichtet davon, dass sich Gott selbst zu gegebener Zeit dieses Themas annehmen wird - siehe zum Beispiel 1. Samuel 3 und 4.


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Samstag, 15. Juli 2017

Colonia Dignidad beschäftigt auch den Bundestag

Seit über zwei Jahren analysieren wir die Mechanismen des geistlichen Missbrauchs. Dabei läuft uns immer wieder die Colonia Dignidad über den Weg. Inzwischen ist sie auch im Bundestag angekommen.



Bei der Recherche zur "Ehe für Alle" war ich ungeplant auf die 243. Sitzung des Bundestages am 29. Juni 2017 gestoßen. Ab 22:58 Uhr wurde über die zwei Anträge 18/11805 und 18/12943 abgestimmt. Dem gingen einige Reden voraus, die trotz der üblichen Differenzen zwischen Rot, Grün und Schwarz in sachlicher Harmonie vorgetragen wurden. Von den 623 Abgeordneten, die am nächsten Morgen über die Zukunft der Ehe abstimmten, waren nur etwa 3% im Saal.

Lagebild vor Ort

Eine Gruppe aus Parlamentariern der unterschiedlichen Fraktionen war zuvor nach Chile gereist. Ein Lagebild direkt am Ort des Geschehens zu ermitteln, ist oft sehr nützlich für Entscheider. Die Colonia Dignidad liegt knapp 380 Kilometer südlich der Hauptstadt. Laut Google-Maps ist sie in vier Auto-Stunden von Santiago de Chile aus zu erreichen.

Schon im vergangenen Jahr war der Aufarbeitungsprozess um die Sekte ins Rollen gekommen. Der gleichnamige Film hatte im April 2016 auch den damaligen Außenminister Steinmeier bewegt. In seiner Rede zum Film räumte er öffentlich das Versagen der deutschen Diplomatie ein. Außerdem verkürzte er die Sperrfrist der relevanten Akten auf 20 Jahre, so dass diese nun eingesehen werden können.

Antrag 18/12943

In der Einleitung zum Antrag 18/12943 ist unter anderem folgende Aussage zu lesen:
Dabei nutzte die Sekte für ihre Verbrechen die abgeschiedene Lage der CD, die Kooperation mit der chilenischen Militärdiktatur und die unkritische Beobachtung der an der Oberfläche vorbildlich erscheinenden deutschen Gemeinschaft.
Die Colonia Dignidad war weit weg vom Blickkontakt einer übergeordneten Instanz. Die Mitglieder hatten sich vorab von ihren baptistischen Strukturen gelöst. Dadurch war die Supervision und das Eingreifen durch den Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden massiv einschränkt.

Statt ein gesundes Korrektiv geistlicher Vorbilder zu nutzen, wurden Kooperationen mit offensichtlich destruktiven Partnern eingegangen. Ab diesem Moment hätten die Alarmglocken zumindest bei den Gut-Gläubigen angehen sollen. Ins System von Paul Schäfer passte das jedenfalls: Wolf im Schafspelz.

Apropos Schafspelz: Nach Außen wirkte die Sekte sauber und gepflegt. Die Colonia Dignidad konnte sich sogar altruistisch und sozial engagiert darstellen.

Es kann jeden treffen.

Colonia Dignidad ist ein gravierendes Beispiel.

Geistlicher Missbrauch kann aber nahezu jeden in jeder christlichen Gemeinschaft ereilen. Ob Baptisten, Mülheimer Verband, Brüderbewegung oder SELK, keine Gruppierung ist davor sicher. Die Mechanismen sind gleich und funktionieren sehr effektiv.

Vor den Augen der übergeordneten Instanz

Es kann sogar unmittelbar vor den Augen der übergeordneten Instanzen ablaufen, ohne dass es weiter untersucht wird. Es bedarf lediglich eines anerkannten Mittelsmannes, der seine Sicht der Dinge darlegt. Das Thema ist dann schnell durch. Dass eine Gemeinde hier und eine Gemeinde dort kaputt geht, fällt dann gar nicht auf. Und wenn es auffällt, findet sich eine geeignete Begründung, die nur selten überprüft wird.

Im Antrag 18/12943 lesen wir dazu:
Auch aufgrund der fehlenden Entschlossenheit und des Wegschauens deutscher Diplomaten in den 1960er, 70er und 80er Jahren bedurfte es des Mutes der diesem Martyrium entkommenen Opfer sowie des Einsatzes deutscher und chilenischer Menschenrechtsanwälte und -verteidiger, damit die Wahrheit ans Licht kommen und Paul Schäfer 2005 festgenommen werden konnte.

Durch oberflächliche oder gar keine Recherche machen sich bis heute Leiter und Verbandsfunktionäre schuldig.

Meine Schuld

Als Vereinsvorstand und Teil der Gemeindeleitung empfand ich es damals sehr bequem, die Begründungen der ordinierten Vertrauensperson anzunehmen, wenn sich mal wieder ein Gemeindemitglied verabschiedet hatte. War die Rechtfertigung mundgerecht und schlüssig aufbereitet, konnte schnell zur Tagesordnung übergegangen werden. Ja, ich ließ mich sogar dazu benutzen, die gelieferte Begründung an die Gemeinde zu übermitteln.

Durch Hinterfragung bestimmter Vorgänge kollidierte ich dann selbst mit dem System. Das erweiterte mein Blickfeld. Im Zuge des Ausstiegs kontaktierte ich sämtliche ehemalige Mitglieder und klärte das Geschehene im persönlichen Gespräch. Vierzig weniger Eins Abgänge wurden innerhalb von vier Jahren gezählt. "Das ist ja eine komplette Gemeinde", bemerkte ein ehemaliger Teamleiter dazu.

Lehrplan

Das Auswärtige Amt jedenfalls hat ihre Lehren aus der fehlenden Entschlossenheit und dem Wegschauen gezogen und nimmt das Fallbeispiel Colonia Dignidad sogar in das Studienprogramm zukünftiger Diplomaten auf.

Ein Vorbild für Elstal & Co.?

Mittwoch, 28. Juni 2017

Timbuktu - entschleunigte Realitäten ab FSK12

Wenn wir mal wieder zum Gottesdienst nach Lankwitz unterwegs sind, setzen wir gerne das Wort Timbuktu als Metapher für den Anfahrtsweg ein. Gibt es Timbuktu wirklich?



Dass es Bielefeld nicht gibt, hat sich in Berlin schon herumgesprochen. Eine mittlere Entfernung ins Nirgendwo, Mecklenburg Vorpommern beispielsweise, wird gerne als Fahrt nach Buxtehude bezeichnet. Wenn die Länge des Weges und die tatsächliche Ankunft am Zielort unkalkulierbar erscheinen, kommt Timbuktu ins Spiel.

Es gibt mehrere Dinge, die Zeitgenossen aus unserem Umfeld nicht wissen:

  • Timbuktu gibt es wirklich.
  • Timbuktu liegt am Niger.
  • Timbuktu liegt in Mali.
  • Timbuktu hat großen Stress mit islamistischem Terror.
  • Timbuktu wurde in den letzten Jahren stark zerstört.
  • Timbuktu war und ist Austragungsort eines großen jährlichen Musikfestivals.
  • Timbuktu ist nur mit hohen finanziellen und logistischen Anstrengungen zu erreichen.

Der letzte Punkt schließt dann wieder den Kreis zum Gebetsabend der FBG in Lichterfelde Ost.

Timbuktu - der Film

Seit 2014 gibt es sogar einen Film mit dem Titel Timbuktu. Die Länge des Films ist mit etwa 92 Minuten angegeben und fühlt sich deutlich länger an. Der Film ist sehr entschleunigt, überaus entschleunigt. Aber gerade in dieser Entschleunigung wird das Ausmaß der Herausforderungen der dort lebenden Menschen deutlich. Die Sinnlosigkeit und Brutalität der herrschenden Milizen zergeht langsam auf der Zunge und entfaltet dadurch eine ganz besondere Wirkung. Eine Wirkung, die ein Action-Streifen nie vermitteln könnte.

Doppelmoral, sinnfreie Regeln und Kontrollzwang

Die dargestellten Verhaltensmuster tangieren auch uns Mitteleuropäer. Wer christliche Gemeinden erlebt hat, die geistlichen Missbrauch praktizieren, wird typische Elemente wie Doppelmoral, sinnfreie Regeln und Kontrollzwang wiederentdecken. Hier im Mantel islamischer Gotteskrieger. Zweifel sind nicht erlaubt, Regeln sind nicht zu hinterfragen und Strafen sind unangemessen hoch.

Im Verlauf des Films füllt sich das Gefängnis von Timbuktu kontinuierlich. Das reale Fußballspiel wird durch Pantomime ohne Ball ersetzt und dann blendet die Kamera zu einer Steinigung wegen vermeintlichen Ehebruchs über. Und das alles sehr entschleunigt und so real ohne wirkliche Helden oder reißerische Befreiungsaktionen. Die Bilder wirken. Der allgegenwärtige feine Sand wird schon fast zum würzenden Salz bei der Aufnahme des Gesehenen.

Sand überall

In einem Logistik-Journal der Bundeswehr las ich, dass gerade der Sand eine hohe Herausforderung für Menschen und Material in Mali darstellt. Bei Regen pappt der Staub so fest zusammen, dass er in den Radkästen der Fahrzeuge zur scharfen Sichel wird, die die Reifen zerschneidet und andere Schäden anrichtet. Regnet es nicht, ist der Sand überall. "Und wenn ich sage überall, dann meine ich auch überall", erzählte mir in der letzten Woche ein Unteroffizier, der eigene Mali-Erfahrungen gesammelt hatte.

Der Film Timbuktu hatte in den Jahren 2014 und 2015 mehrere Preise abgeräumt. Zu Recht, wie ich meine.

Montag, 9. Januar 2017

Heilung erfahren nach geistlichem Missbrauch

Geistlicher Missbrauch bezeichnet den Missbrauch der Vertrauensstellung in einer Leitungsposition und hat ähnlich nachhaltige Verletzungen zur Folge wie sonstige Formen des Missbrauchs. Dabei redet die Bibel oft und konkret über dieses Thema.



Die Mechanismen des geistlichen Missbrauchs werden hinreichend im Neuen Testament beschrieben, aber selten in Predigten thematisiert. Deshalb sind Gemeinden und deren Mitglieder recht unbedarft beim Umgang mit problematischen Leitern und lächeln milde vergebend, wenn sie von diesen missbraucht werden. Bileam aus dem vierten Buch Mose (4. Mose 22-25 und Off 2,14) würde heute geistlichen Missbrauch empfehlen, um Gemeinden und motivierte Mitarbeiter nachhaltig zu schädigen.

Bibel warnt oft vor geistlichem Missbrauch

Dabei lesen wir schon in Johannes ab dem sechsten Kapitel, in Markus ab dem dritten Kapitel oder in Matthäus ab dem zwanzigsten Kapitel von den absurden Fragen und Wortverdrehungen gegenüber Jesus. Auch in der Apostelgeschichte geht es munter weiter und zieht sich vom fünften Kapitel bis zum Ende. In Apg 20,29 kündigt Paulus den Ältesten aus Ephesus bereits an, dass "Wölfe" kommen werden, die die "Herde" nicht schonen.

In den letzten zwei Jahren hatten wir uns intensiv mit diesem Thema beschäftigt und waren erstaunt, wie ernst und oft das Neue Testament darüber redet. Die Zugriffszahlen auf das Stichwort "geistlicher Missbrauch" in diesem Blog verraten uns, dass ein reges Interesse daran besteht.

Nachdem ich bei einem Bier für acht Dollar auf dem Dach des Hilton in New York mit einer Frau über geistlichen Missbrauch in Theorie und Praxis geredet hatte, freute sie sich, dass es endlich mal einen Gesprächspartner gab, der ihre Situation nachvollziehen konnte.

Geistlicher Missbrauch für Dummys

Der missbrauchende Leiter ist in der Regel eine unsichere Persönlichkeit, die oft gar nicht zum Leiten berufen oder befähigt ist und diesen Umstand durch eine besondere Art der Markierung seines Herrschaftsbereiches überspielen muss.

Damals wie heute kann sich solch eine Person sehr einfach etablieren: es reicht eine theologische Ausbildung und administrative Strukturen, die eine Kündigung des Amtsinhabers verhindern. Dann kann es losgehen.

Zuerst wird durch Verwässerung und begriffliche Umwidmung der biblischen Grundlagen die Beurteilungsfähigkeit und Mündigkeit der "Herde" reduziert. Pseudopietistische oder parabiblische Akzente werden gesetzt. Ein Minimum an Themen wird strapaziert und die Gemeinde wird mit rotierendem Aktionismus beschäftigt.

Wettbewerber werden in vertraulichen Einzelgesprächen zum Gehen motiviert oder mit unwahren Behauptungen öffentlich diffamiert. Wenn das nicht fruchtet, werden theologische Unterschiede oder geistliche Unreife konstruiert. Als letzte Möglichkeit steht noch die Okkultismusmasche analog Markus 3, 28-30 zur Verfügung.

Zerstörung von Familien

Da geistlicher Missbrauch von Personen ausgeht, die von Amts wegen Wahrheit und Vorbildwirkung gepachtet haben, können sie sehr lange ihren Handlungen nachgehen, ohne dass jemand an deren Kompetenz zweifelt.

Der Ausstieg einzelner Ehepartner kann dann sogar zu einem Bruch innerhalb der Familie führen. Es kommt dann vor, dass Tochter und Gattin freundlich zu Gemeindeaktivitäten eingeladen werden, während der Mann bereits ausgelistet ist. Wer die Mechanismen des geistlichen Missbrauchs nicht kennt oder die problematischen Leitungsperson bisher nicht hinterfragt hatte, wird sich bei solchen Situationen nichts weiter denken, zumal die offizielle Begründung oft schlüssig klingt.

Wir haben Menschen getroffen, die viele Jahre für ihren Heilungsprozess benötigt hatten oder sich völlig von der Gemeinde Jesu abgewandt haben. Deshalb ist es ermutigend, wenn wir von Betroffenen hören, dass sie sich auf unseren Rat hin sofort in anderen Gemeinden nach neuer Nahrung und christlicher Gemeinschaft umsehen.

Die hybriden Angriffsszenarien des geistlichen Missbrauchs werfen vorwiegend motivierte Mitarbeiter oder begabte Leiter aus der Bahn. Mitarbeiter mit Berufung haben normalerweise kein Interesse daran, dem Glauben den Rücken zu kehren und suchen erst einmal nach Hilfe.


Heilung erfahren nach geistlichem Missbrauch
Heilung erfahren nach geistlichem Missbrauch - Ken Blue
1. Schritt: Missbrauch beim Namen nennen

Die diffusen Erscheinungsformen des geistlichen Missbrauchs sind für die Betroffenen oft nicht klar einzuordnen und entsprechend zu benennen. Das ist jedoch eine wichtige Voraussetzung zum gezielten Angehen des Heilungsprozesses.

So kann es als Gnade gewertet werden, wenn einem die passenden Checklisten über den Weg laufen. Wenn ein Großteil der Punkte mit der Referenzsituation übereinstimmt, kann das Problem klar benannt werden und eine fokussierte Recherche nach Hilfe wird möglich.

Erste Anlaufstelle wäre nach der gängigen Logik die nächst höhere Instanz. Leider stehen sich Kollegen recht nahe und das Problem wird lieber unter den Teppich gekehrt. Dabei spielt das Wohl der Gemeinde eine untergeordnete Rolle. Es war bemerkenswert, dass uns ausgerechnet ein Pastor darauf hinwies, niemals einen Pastor als Mediator in einen Gemeindekonflikt einzubeziehen.

Inwieweit die Clearingstelle der Evangelischen Allianz in der Praxis etwas erreicht, wäre zu prüfen.

Nur echte Freunde werden sich ernsthaft für das Problem interessieren und nach Lösungen suchen. Bei allem Mitteilungsbedarf sollte beachtet werden, dass es oft nur um Sensationslust der Zuhörer geht.

Im schlimmsten Fall ist sogar davon auszugehen, dass niemand etwas vom Geschehenen wissen möchte und der Betroffene erst einmal völlig auf sich selbst gestellt ist. In den Büchern zu geistlichem Missbrauch ist deshalb auch mehrfach vom suizidalen Ausweg zu lesen.

2. Schritt: Heilungsprozess

Nach der Benennung ist die Konsultation von Seelsorgern, das Lesen von Fachbüchern, das Lesen der Bibel, das Gebet, eine Gemeinschaft authentischer Christen und das Finden anderer Heilungswilliger wichtig. Letzteres fördert den Gesundungsfortschritt, ist aber selten gegeben, da die relevanten "Schäfchen" normalerweise segmentiert und einzeln neutralisiert werden.


Ken Blue über Matthäus 23

Neben bereits vorgestellten Büchern ist "Heilung erfahren nach geistlichem Missbrauch" von Ken Blue sehr hilfreich für Christen, die ihr durch den Missbrauch irritiertes Bild von Gemeinde und Leiterschaft biblisch fundiert reparieren lassen möchten.

Ken Blue greift das oben erwähnte Matthäus-Evangelium auf und beschreibt anhand des Kapitels 23 die Facetten des geistlichen Missbrauchs. Zwei Drittel des Buches beschäftigen sich beispielsweise mit dem "Stuhl Moses", den "getünchten Gräbern", den "Heuchlern" (griechisch, Latein und hebräisch decken sich beim Begriff des Schauspielers) und dem Verhalten von Jesus.

Das letzte Drittel des Buches geht auf den konkreten Heilungsprozess und eine "Gemeindezucht" im neutestamentlichen Sinne ein.

Wer das Problem also beim Namen nennen kann und biblisch aufarbeiten möchte, sollte dieses Buch mit seinen 170 Seiten lesen. Kurz vor dem Ende wird wieder eine der Checklisten dargestellt, die sich weitestgehend mit der oben verlinkten Checkliste und der Checkliste aus "Menschen mit Format" (Seiten 199/200) deckt.

Heilung braucht Zeit

Ken Blue vergleicht die Verletzung durch den Missbrauch mit dem Überrollen durch einen Bus. Ähnlich lange solle man sich Zeit für die Heilung nehmen. Auch auf die wohlwollenden Angebote guter Freunde zu neuen Diensten in einem anderen Kontext solle man vorerst verzichten.

Dieser Moment ist jedoch gefährlich. Wir haben Christen erlebt, die erst einmal Siesta machen wollten und sich dadurch so weit von der "Gemeinschaft der Heiligen" entfernt hatten, dass ein Wiedereinstieg auch nach vielen Jahren nicht mehr realistisch war.

Umgang mit dem System

Anhand der zum Thema gelesenen Bücher und der Erfahrung von Betroffenen gibt es im Wesentlichen drei Optionen, mit dem Missbrauchssystem umzugehen:

1) mitmachen
2) zerstören
3) gehen

Die erste Option kommt nur in Frage, wenn die Persönlichkeit des Betroffenen schon völlig demontiert ist oder physische Barrieren den Weg versperren. Ansonsten baut sich ein so starker innerer Gewissenskonflikt auf, dass zu einer der beiden weiteren Optionen übergegangen werden muss.

Die zweite Option hatte bei der Colonia Dignidad sehr gut funktioniert, da die dritte Möglichkeit topografisch verwehrt war und die erste Variante mit physischer Gewalt durchgesetzt wurde. Die Überführung des Hauptverantwortlichen Paul Schäfer erfolgte nach mehrmonatigem Gebet.

Ken Blue empfiehlt die dritte Option, und zwar als familiäre Einheit. Denn es ist davon auszugehen, dass auch der Rest der Familie mit dem System kollidiert.

Von daher wäre für mitteleuropäische Verhältnisse ein Mix aus Gehen (Option 3) und nachgelagertem Beten (Option 2) denkbar. "Aktive Sterbehilfe" sei laut Ken Blue ein Liebesdienst an der pathologischen Gruppe. Immerhin dient das der Schadensbegrenzung.

Samstag, 7. Januar 2017

Avner Less und die respektvolle Distanz

Die Bibel erzählt viele Begebenheiten, die als Referenzen auf unsere Alltagssituationen anwendbar sind. Anhand diesen lässt sich unser Handeln nachjustieren oder die Folgen von Fehlentscheidungen abschätzen.



Biblische Personen wie Abraham, David, Elia, Adam, Paulus, Johannes, Daniel oder Noah zeigen, wie bestimmte Dinge angegangen oder bewertet werden können und was besser vermieden werden sollte. Jesus bietet ein Vorbild, an dem wir uns orientieren können.

Jesus als Vorbild

Dem souveränen und respektvollen Umgang Jesu mit problematischen Zeitgenossen, wie es in Matthäus ab Kapitel 20 beschrieben wird, möchte ich mich gerne annähern. Umso beeindruckender ist es, wenn Menschen wie du und ich darin ebenfalls zum Vorbild werden und trotz direkter Betroffenheit eine gesunde innere Distanz wahren können.

Beim Lesen eines Buches über die Entlarvung von Gesprächspartnern, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, tauchte immer wieder der Name Avner Less auf. Avner Less hatte insgesamt 275 Stunden lang den bekannten Schreibtischtäter Adolf Eichmann verhört.

Abstand und Nähe

Polizisten sind in der Regel nicht direkt betroffen von den straftatbewährten Handlungen ihres Gegenübers. Deshalb können sie einen gewissen Abstand wahren. Avner Less hatte während des Nationalsozialismus seine deutsche Wahlheimat verlassen und war nach Frankreich gegangen. Dort hatte er seine Frau kennen gelernt und war später mit ihr nach Amerika umgezogen. Ein Teil seiner Familie war in Berlin geblieben und wurde kurz vor Kriegsende mit einem der letzten Transporte in die Vernichtungslager gebracht. Der Mann, der maßgeblich für die Organisation dieser Transporte zuständig war, saß ihm seit dem 29.05.1960 für mehrere Monate gegenüber.

Avner Less - Lüge! Alles Lüge!
Avner Less - Lüge! Alles Lüge!
Avner Less war zwei Jahre zuvor von Amerika nach Israel umgezogen und hatte dort bei der Polizei angefangen. Der von Israel gesuchte Adolf Eichmann war in Argentinien untergetaucht und ging dort einer normalen Berufstätigkeit nach. Auf abenteuerliche Weise wurde er dort entführt und nach Israel gebracht. Das Buch "Lüge! Alles Lüge" beschreibt in Tagebuchform die gesetzeskonformen Amtsvorgänge inklusive der ständigen Haftverlängerungen.

Respektvoller Umgang

Polizeihauptmann Less wurde für die Zeit des Verhörs direkt ins Gefängnis versetzt, so dass er nur schriftlich mit seiner Familie kommunizieren konnte. Eichmann war der einzige Häftling vor Ort. Mit Respekt (Lateinisch: respicere - Rücksicht nehmen) näherte er sich Eichmann an, sprach mit ihm wie mit einem Kollegen oder Nachbarn und bot ihm sogar eine Zigaretten an, wenn er selbst rauchen wollte.

Mit dieser Art des Umgangs kamen die Kollegen des Verhörführers gar nicht klar. Auch die israelische Presse beschimpfte Avner Less. Zu viele Israelis hatten Angehörige und Freunde durch den industriellen Genozid verloren, als dass sie noch für einen Prozess nach rechtsstaatlichen Grundlagen offen gewesen wären.

Spannungsfelder

So befand sich Avner Less gleich in mehreren Spannungsfeldern: der Verachtung der Kollegen, dem verständlichen Zorn der israelischen Bevölkerung inklusive der Presse sowie dem inneren Druck, den Hauptverantwortlichen für den Tod eines Teils seiner Familie vor sich sitzen zu haben. Dennoch blieb er sachlich und behandelte den Vorgang so professionell, dass Adolf Eichmann anschließend anhand der Protokolle, die er selbst gegenzeichnete, zum Tode verurteilt werden konnte. Die Vollstreckung erfolgte, als Avner Less gar nicht mehr in Israel wohnte. Er war wieder nach Europa gegangen.

Avner Less beeindruckt!

Schon beim Kauf des Buches war ich gespannt, woraus er denn diese Stärke und Selbstbeherrschung ziehe. Diese Frage wird auf den etwas über 300 Seiten nur zwischen den Zeilen beantwortet.

  1. Bewusste Entscheidung, nicht zu hassen und damit Durchbrechen der Opfer-Täter-Symbiose
  2. starke und innige Beziehung zu seiner Frau
  3. die unspektakuläre Otto-Normal-Persönlichkeit Eichmanns

Gerade letzterer Punkt hatte viele der Beamten irritiert, da sie Eichmann eine Aura des Schreckens angedichtet hatten und bei der persönlichen Begegnung einen ganz normalen Mann, eine absolute Durchschnittspersönlichkeit, antrafen.

Das Buch wechselt zwischen Tagebuchaufzeichnungen, Interviews, Gedichten und Briefen und liest sich wie eine Doku im Ersten.

Mittwoch, 21. Dezember 2016

3. Johannes und der Trend zum Hals

Der zweite und dritte Johannesbrief werden mit ihren insgesamt nur 28 Versen schnell mal überlesen. Es folgt der Judasbrief und dann die atemberaubende Offenbarung. Gestern schauten wir uns den 3. Johannes etwas genauer an.



"So intensiv hatte ich mich noch nie mit dem 3. Johannesbrief beschäftigt", sagte mir anschließend ein Teilnehmer der recht großen Runde des Gebetsabends. Passend zum Jahresende war das der Abschluss einer längeren Expedition durch die drei Briefe des Apostels.

3. Johannesbrief
3. Johannesbrief ist mit 15 Versen das kürzeste Buch des Neuen Testamentes
Gaius, Diotrephes und Demetrio

In den fünfzehn Versen tauchen drei Hauptakteure auf: Gaius, Diotrephes und Demetrio.

Gaius wird als gastfreundlicher Gemeindeleiter vorgestellt, der sich um reisende Missionare kümmert und von diesen dafür gelobt wird. Auch Demetrius wird von Johannes gelobt. Er bekommt sogar eine dreifache Bestätigung (Zeugnis), nämlich von allen, von der Wahrheit und von den Leuten um Johannes. Neben dem deutschen Wort "Liebe", das in anderen Sprachen wie Griechisch oder Latein noch besser auf Wertschätzung, diakonische Liebe, erotische Liebe oder Geschwisterliebe differenziert wird, spielt bei Johannes auch "Wahrheit" eine sehr große Rolle.

Wahrheit

Der wohl bekannteste Satz dazu steht in Joh 18,38, wo Pilatus die Frage stellt: "Was ist Wahrheit?", obwohl die "Wahrheit" (Joh 14,6) direkt vor ihm steht.

In den Versen neun und zehn geht es um Diotrephes, der "der erste sein möchte". Bei Nestle-Aland lesen wir sogar, dass er es liebt, sich wie der erste zu benehmen (amat primatum gerere). Das erinnert ein wenig an das gelegentlich formulierte Selbstbild des "primus inter pares" (Erster unter Gleichen), was dann in der Praxis eher als "primus supra pares" gelebt wird. Und wenn "supra" (über) nicht klappt, dann eben "iuxta" (neben). Solch ein Primus schafft gerne vollendete Tatsachen an der Gemeinde und deren Leitung vorbei, die das dann aber bitte im Nachhinein zu unterstützen haben.

Mit Wahrheit hat das nichts zu tun. Diotrephes kann folglich auch keine "Brüder" ertragen, die seinen unwahren Behauptungen nicht folgen. Sie werden aus der Gemeinschaft herausgeworfen. Ein Wort, das wir auch von der Eject-Taste des DVD-Players kennen.

Der Hals

Vor einigen Tagen unterhielten wir uns mit einer theologischen Schlüsselperson über die Passgenauigkeit von Persönlichkeitsstrukturen zu gemeindlichen Aufgabenprofilen. Er berichtete, dass wohl insbesondere jüngere Pastoren den Dienst des Alleinunterhalters wiederentdeckt hätten. Die Zuhörer waren erstaunt, zumal es weder mit den Prinzipien von 1. Kor 12 noch mit säkularen Trends der Teambildung harmoniert.

Abgesehen vom drohenden Burnout des Alleinunterhalters stagniert auch das Wachstum der Gemeindemitglieder in qualitativer und quantitativer Hinsicht. Unwahrheit und Heuchelei werden gefördert. Wer möchte schon gerne wie eine DVD ausgeworfen werden? Der Primus mit dem Anspruch, den ganzen Leib Christi in seiner Person zu verkörpern, macht sich letztlich selbst zum Hals, obwohl dieser in den Metaphern zum gesunden Leib Christi gar nicht erwähnt wird. Der Hals verbindet den Kopf (Jesus) mit dem Körper (Gemeinde) und kontrolliert die Kommunikationswege. Auch eine im südlichen und östlichen Mittelmeerraum agierende Islamistengruppe hat den Hals als geeignetes Körperteil zur Unterbrechung lebenswichtiger Steuerungs- und Nachschubwege entdeckt.

Freundschaft

Gut, wenn Johannes dann in den letzten zwei Versen schreibt, dass er sich gerne persönlich mit Gaius unterhalten möchte und dass er ihm Frieden wünscht. Zweimal redet er im letzten Vers sogar von Freunden, was Gaius in seiner aktuellen Situation die Gewissheit vermittelt, dass er nicht alleine steht.

Freitag, 9. Dezember 2016

Wölfe im Schafspelz

Schuldgefühle, biblisches Halbwissen und subtile Beziehungsgeflechte begünstigen die Strukturen des geistlichen Missbrauchs. In der Folge werden insbesondere begabte Mitarbeiter und Leiter nachhaltig für das Reich Gottes deaktiviert.



Der Autor Edin Lovas schöpft in seinem Buch "Wölfe im Schafspelz - Machtmenschen in der Gemeinde" aus eigenen Erfahrungen in der charismatischen Szene Norwegens. Es wird jedoch schnell klar, dass sich das Thema durch sämtliche Denominationen ziehen kann. Deshalb ist dieses kleine Buch mit seinen weniger als hundert Seiten eine hervorragende Ergänzung zu anderen Werken wie "Heilung erfahren" von Ken Blue oder "Geistlicher Missbrauch" von Inge Tempelmann.

Wölfe im Schafspelz - Machtmenschen in der Gemeinde - Edin Lovas
Wölfe im Schafspelz - Machtmenschen in der Gemeinde - Edin Lovas
Während "Heilung erfahren" anhand von Matthäus 23 missbräuchliche Konstrukte entlarvt und Auswege sowie Heilungsempfehlungen aufzeigt, nimmt sich das Buch von Inge Tempelmann wissenschaftlich fundiert der Thematik "Geistlicher Missbrauch" an. "Wölfe im Schafspelz" betrachtet mit einem strategischen Blick weitere Aktionsfelder wie beispielsweise das Verhalten der unbeteiligten Masse.

Gruppendynamik

Der mitlaufende Konsument wird von dem Problem in der Regel nichts mitbekommen. Das liegt daran, dass er für den Missbraucher ungefährlich ist. Zudem werden unangenehme Dinge weitestgehend unter den Teppich gekehrt. Kritische Gespräche finden unter vier Augen statt, persönliche Briefe werden öffentlich verlesen und Hinterfragungen als Angriff auf die Leitungsperson dargestellt. Die sensationshungrige Masse schwankt in jede gewünschte Richtung mit und unterstützt damit das Missbrauchssystem.

So manch ein Aussteiger berichtet von seltsamen Situationen bei der Begegnung mit ehemaligen Bekannten aus dem Umfeld des Systems. Langjährige Geschäftsbeziehungen oder vermeintliche Freundschaften liegen plötzlich auf Eis, obwohl die Personen gar nicht direkt involviert waren. Individuell zuordenbare Formulierungen der Beteiligten tauchen an Ecken auf, an denen man diese gar nicht erwartet.

Kompetenz oder Wahrheitshoheit

Dabei sind missbrauchende Leiter zutiefst unsicher und oftmals weder als Leiter begabt noch berufen. Deshalb stört jede tatsächlich befähigte Person die Harmonie und muss reglementiert oder entfernt werden, auch auf Kosten der Grundprinzipien einer gesunden Entwicklung des Reiches Gottes. Da unbequeme Personen im Stillen zum Gehen bewegt werden, lassen sich im Nachhinein auch sehr gut theologische Unterschiede oder andere Begründungen konstruieren. Die per Amt gepachtete Wahrheitshoheit wird ungeprüft akzeptiert.

Harmoniebedürfnis tritt vor Wahrheit, Reden vor Beten, Sicherheit vor Glaubenswagnis und schweigende Defizitakzeptanz vor überfällige Optimierung. Hinzu kommt der gegenseitige Schutz durch Verantwortliche der übergeordneten Hierarchieebene.

Zielgruppe

Das kleine Buch mit dem plüschigen Titelbild hat es in sich. Edin Lovas untermauert seine Aussagen mit vielen Bibelstellen und seziert treffsicher die strategischen Denk- und Handlungsmuster geistlicher Missbraucher. Er gibt Handlungsempfehlungen für die weitestgehend sinnfreien Vier-Augen-Gespräche und ernüchtert mit der Feststellung, dass sich Missbraucher normalerweise nicht ändern.

Das Buch eignet sich insbesondere für Menschen, die im Ausstiegsprozess stehen und bestimmte Vorgänge in der Gemeinde nicht logisch einordnen können. Der Heilungsprozess nach dem Ausstieg sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Deshalb empfiehlt sich die zusätzliche Lektüre eines der beiden oben erwähnten Bücher (Ken Blue und/oder Inge Tempelmann) sowie der aktive Kontakt zu vertrauenswürdigen und authentischen Christen.

Hier eine Checkliste zur Erkennung von geistlichem Missbrauch, die sich weitestgehend mit den Checklisten in den erwähnten Büchern deckt.

Samstag, 9. Juli 2016

Church Hopper versus Homebase

"Ich glaube an ... Gemeinschaft der Heiligen", heißt es im Apostolischen Glaubensbekenntnis. Braucht ein Christ eine feste Gemeinde als Homebase oder lebt nicht auch ein Church Hopper die Gemeinschaft der Heiligen?



"Wir gehören zur weltweiten Gemeinde Jesu", ist unsere Antwort auf die regelmäßige Frage nach unserer Gemeindezugehörigkeit. "Ach, die ist doch da in der Soundso-Straße in Mitte", antwortete kürzlich eine Pastorengattin und nickte wissend. Wir erklärten ihr, dass das anders gemeint sei. Nämlich dass wir in der bunten christlichen Szene der Stadt unterwegs sind und zurzeit keine feste Ortsgemeinde besuchen.

Church Hopper


Den Begriff "Church Hopper" hörten wir in diesem Zusammenhang erstmalig wieder, als wir einen als Church Hopper bekannten Christen aus dem Osten Berlins in einem der besuchten Gottesdienste trafen. Aber was kennzeichnet einen Church Hopper?

Church Hopper sind kein verlässlicher Bestandteil einer Gemeinde. Sie kommen in der Regel, wenn es etwas zu essen gibt, beteiligen sich nur in homöopathischen Größenordnungen an der Kollekte, schauen sich nach eventuellen Lebenspartnern oder Gelegenheitsbeziehungen um. Sie sind auch schnell wieder weg, sobald es Meinungsverschiedenheiten gibt, Fehlverhalten angesprochen wird oder nichts mehr abzugreifen ist. Eine Maskierung ist leicht möglich und eine Optimierung der Persönlichkeit nahezu ausgeschlossen. Auf dieses Szenario bezieht sich wohl auch die Aussage von Hebräer 10, 25.

Mitesser oder Suchender?


Neben den parasitären Ausprägungen des klassischen Church Hoppers kann es jedoch auch Menschen geben, die nach intensiver Gemeindearbeit eine neue Gemeinde suchen. Gerade in Berlin laufen viele hochpotente Christen herum, die beispielsweise aus Szenarien geistlichen Machtmissbrauchs kommen und so verletzt sind, dass ihnen die Integration in ein festes Gemeindegefüge Panik bereitet.

Diese Christen unterscheiden sich dadurch vom gemeinen Church Hopper, dass sie ein ernstes Interesse an Gemeinschaft und geistlicher Entwicklung haben, sich temporär aktiv einbringen, aber zu viel Integration aus Angst vor neuen Verletzungen nicht zulassen. Leider sind Angebote zur Seelsorge in diesem Bereich sehr rar, so dass Heilungszeiten von zwei bis zehn Jahren absolut gängig sind.

Wie gut, wenn sich dann Christen finden, die die Betroffenen freundlich aufnehmen und ihnen vermitteln, dass sie gerne gesehen sind. Ein Aussteiger aus der Colonia Dignidad, der inzwischen Teil der Leitung einer Baptistengemeinde ist, hatte dazu auf seine Visitenkarte gedruckt: "Wahre Freunde erkennt man leichter, wenn das Leben schwerer wird".

Dass eine neue Gemeinde gesucht wird, kann aber auch daran liegen, dass in der bisherigen Gemeinde die geistliche Nahrung ausgeblieben ist, die passende Altersgruppe fehlt, ein Sabbatical notwendig ist oder ein Umzug erfolgt war.

Homebase - verbindliche Gemeinschaft mit Entwicklungspotenzial


Eine regelmäßige "Gemeinschaft der Heiligen" mit gleicher personeller Besetzung ist sehr wichtig. Nur so kann verschrobenen Ansichten und Fehlentwicklungen entgegen gewirkt werden. Das menschliche Korrektiv in Verbindung mit wertvollen geistlichen Impulsen aus Predigt und kontinuierlicher Bibellese kann zur Optimierung der christlichen Persönlichkeit beitragen.

Verbindliche Gemeinschaft erzeugt ein Zugehörigkeitsgefühl, schafft Sicherheit und ein gesundes Geben und Nehmen. Wenn diese Gemeinschaft eine Ortsgemeinde ist, entstehen auch umfangreiche Quervernetzungen, die im Alltag zum Tragen kommen.

Dennoch haben wir in den vergangenen zwölf Monaten erlebt, dass ein Blick über den Tellerrand eine erhebliche Horizonterweiterung bedeutet, die Beziehung innerhalb der Familie stärkt, neue Freiheiten schafft und die mehrschichtigen Bewertungsindikatoren schärft.

Das von Vineyard und weiteren Gemeinden der Stadt praktizierte Kleingruppen-Monatsgottesdienst-Konzept kommt dem Anspruch der Horizonterweiterung in Kombination mit dem verbindlichen Kontakt zu konstanten Bezugspersonen sehr entgegen.