Donnerstag, 27. Dezember 2018

Kawohl rettet die Familienfeier

Ein kleines Kästchen mit Frage-Karten kann Flauten und peinliche Richtungen der familiären Kommunikation korrigieren helfen. An den Weihnachtstagen haben wir das getestet.



Im November stand der 70. Geburtstag meiner Schwiegermutter auf dem Programm. Sie hatte uns dazu in ein Restaurant in Charlottenburg eingeladen. Brunch von 13 bis 16 Uhr. Drei lange Stunden, in denen ich mich politisch korrekt verhalten musste. In der ersten Stunde gelang mir das sehr gut. Abgesehen vom antizyklischen Vorgehen am Buffet. Es war dort aber wirklich sehr voll. Nach einer Stunde ununterbrochenen Essens war ich so satt, dass ich auf dem bequemen Sitz nach unten rutschte und wohl etwas zu laut gähnte. Beides passiert mir wohl auch in Gottesdiensten, wenn der Redner nicht zum Punkt kommt.

Kritik und Lösung

Dieser Vorfall hatte Konsequenzen. In der nächsten Familienkonferenz stand mein unpassendes Verhalten auf der Agenda. Drei ernste Augenpaare waren auf mich gerichtet. Ich wurde gefragt, ob ich das bei beruflichen Anlässen auch so mache. Keine Kritik ohne Lösungsvorschlag: Meine Frau meinte, es gäbe ein Kartenspiel mit Fragen. Damit könne man das Gespräch ankurbeln und lerne die Anwesenden besser kennen. Die Karten seien bereits bestellt.

Als wir weitere Details wissen wollten, wurde meine Frau plötzlich sehr wortkarg. Was hatte sie zu verbergen? Wir bohrten weiter und dann gab sie kleinlaut zu: Die Karten seien von Kawohl. Breites Grinsen entfaltete sich auf unseren Gesichtern und gleichzeitig Skepsis. Kawohl ist doch der Verlag, dessen Bildsprache diametral mit dem abgedruckten Text harmoniert. Ein rein fiktives Beispiel wäre das Foto einer alpinen Schneelandschaft kombiniert mit dem Spruch "Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer". Wenn wir in Gemeinderäumen große Plakate sehen, bei denen Bild und Text lediglich in einem farblichen Verhältnis zueinander stehen, ist ohne weitere Prüfung klar: Es handelt sich um ein echtes Kawohl.

Kunststoff-Box mit Frage-Karten

Wir waren gespannt. Bald traf das Päckchen ein und ich durfte die Karten auspacken. "Erzähl mir von Dir" enthält 62 Frage-Karten, die in einer stabilen Kunststoff-Schachtel aufbewahrt werden. 62 Fragen, die das Gespräch innerhalb der Familie ankurbeln können. Kein Kawohl ohne Bild. So wurde für dieses Spiel ein Familien-Foto eingekauft, das an zentraler Stelle ein auffälliges Dekolleté der vermeintlichen Mutter darstellte. Vater, Kinder und Großeltern waren nicht ganz so sommerlich bekleidet. Abgesehen vom Deckblatt, wird das Dekolleté auf den anderen Karten durch den Fragetext kaschiert.

Spielregeln gibt es nicht. Irgendwer zieht eine Karte und beantwortet sie selbst oder gibt sie an seinen Nachbarn weiter oder alle antworten auf die Frage. Die Erfahrung der letzten Tage zeigt, dass eine Frage ausreicht, um ein längeres Gespräch in Gang zu setzen. Gelegentlich muss moderierend eingegriffen werden. Im Großen und Ganzen überbrückt es aber die üblichen Pausen. Steht die Box griffbereit auf dem Tisch, kann jederzeit eine neue Frage in die Runde geworfen werden.

Familie im Gespräch

Schwager, Schwägerin, Omas, Kinder, meine Frau und ich mussten uns mit Fragen wie "Wer beeinflusst deine Zukunft?", "Wessen Zukunft beeinflusst du?", "An welchen Geruch aus der Kindheit erinnerst du dich?", "Mit wem würdest du dich gerne mal zwei Stunden unterhalten? Warum?", "Was war deine beste Entscheidung des letzten Jahres?" oder "Welche Eigenschaften deiner Eltern entdeckst du an dir?" auseinandersetzen. Keine Antwort ist auch eine Antwort.

Jedenfalls kommen Dinge zur Sprache, über die man bisher noch nie mit der Familie geredet hat. Vielleicht hat man sich darüber selbst noch nie Gedanken gemacht. Das Spiel regt Denkprozesse an, die noch weit über das Treffen hinaus gehen und Anknüpfungspunkte für weitere Unterhaltungen bieten. Die Karten eignen sich auch für Zusammenkünfte mit Freunden und Kollegen. Die Anwesenden müssen keine Christen sein, da die Fragen persönlich, aber nicht unbedingt geistlich, gehalten sind.

Nach unserem Selbsttest an den drei Weihnachtstagen können wir den Kauf der kleinen Box sehr empfehlen.

Mittwoch, 26. Dezember 2018

Suche Frieden und jage ihm nach! Psalm 34, 15 b

Das Los der Herrnhuter Brüdergemeine für das Jahr 2019 fiel auf die Psalmen. In Psalm 34, 15 steht die Jahreslosung, die allgemein mit "Suche Frieden und jage ihm nach!" wiedergegeben wird.



Mitte Dezember lagen die ersten Grußkarten im Briefkasten. Zwei Absender, über deren Karten ich mich besonders freute. Die erste Karte war mit einen Fraktur-W und dem lateinischen Ausspruch "semper talis" (immer gleich) versehen. Die zweite Karte trug ein Kreuz mit dem Schriftzug "Domini sumus" (des HERRN sind wir). Latein war aber nicht alles, was mich erfreute: Auf der zweiten Karte war auch die Jahreslosung für 2019 abgedruckt.

Das Los für 2019

In Herrnhut gibt es große Behälter mit Bibelsprüchen, aus denen die Losungen gezogen werden. Das Los für das Jahr 2019 war auf Psalm 34, 15 gefallen: "Suche Frieden und jage ihm nach!".

Lose werfen ist eine durchaus biblische Angelegenheit. So hatten die Priestergewänder gemäß der Mosebücher spezielle Taschen zur Aufbewahrung von Losen. Lose wurden zur Ermittlung des ersten Königs von Israel geworfen. Der zweite König, David, warf Lose, um Gottes Antworten zu ermitteln. Die Soldaten unter dem Kreuz warfen das Los um die Kleidung von Jesus und die Apostel warfen das Los zur Nachberufung eines neuen zwölften Mannes. Seit knapp 300 Jahren wird nun auch in Herrnhut das Los geworfen und Bibelzitate für Jahr, Monat, Woche und Tag ermittelt.

Psalm 34, 15

"Suche Frieden und jage ihm nach!" ist eine der möglichen Übersetzungsvarianten von Psalm 34, 15. Zunächst ist zu beachten, dass das nur der zweite Teil eines viel längeren Verses ist. Der Vers beginnt mit "Weiche ab vom Bösen und tue Gutes!". Hier gibt es kaum Spielraum bei der Übersetzung. Egal, ob man den Text direkt aus dem Hebräischen, aus der Septuaginta (griechisch) oder der Vulgata (lateinisch) übersetzt. Allein das erste Wort sur kann widerstehen oder zurückkehren oder abkehren oder abweichen vom Bösen oder vom Übel (me-rah) bedeuten.

Interessanter ist die Übersetzung des zweiten Teils "Suche Frieden und jage ihm nach!". Das erste Wort baqesch wird normalerweise für Bitten, Erbitten, Ersuchen verwendet. Wenn beispielsweise der Tourist mit offenem Mund vor der Klagemauer in Jerusalem steht und plötzlich einen Stoß in die Seite bekommt gepaart mit dem Ausspruch "Vaqascha", dann heißt das "Bitte!" Er soll bitte Platz machen, damit auch noch andere Leute durchkommen. Baqesch kann aber auch mit "Suche!" übersetzt werden.

Erbitte Frieden!

Hieronymus folgt dem nur bedingt bei der Übersetzung aus dem Griechischen und Hebräischen. Aus der Septuaginta übersetzt er mit inquire (Erforsche!), was wir von der Inquisition kennen, dem Erforschen dessen, was jemand alles so falsch gemacht haben könnte. "Erforsche den Frieden!" würde das im Deutschen heißen. Seine Übersetzung aus dem Hebräischen nutzt das Wort quaere (Suche! Frage! Untersuche!). Was nun? Sollen wir den Frieden untersuchen? Sollen wir ihn suchen? Oder sollen wir ihn erbitten? Und welches Wort steht im Urtext überhaupt für Frieden? Richtig: Schalom! "Baqesch Schalom we-radfehu!", ist dort zu lesen.

Das Wort Frieden ist aber nur ein Teilaspekt von Schalom. Unser Frieden könnte sich auf eine friedliche See, die Zeit zwischen zwei Kriegen oder den inneren Frieden beziehen. Laut Langenscheidt kann Schalom folgendes bedeuten: Frieden, Ruhe, Wohlbefinden, Gutes, Wohlergehen, Entschädigung, Reparation oder Wiedergutmachung. Am besten gefallen mir im gelben Wörterbuch der Schalom-Emeth, der echte Frieden, und der Isch-Schlomo, der Mensch des Vertrauens.

Verfolge ihn!

Würde ich mit Altgriechisch nicht auf Kriegsfuß stehen, würde ich diese Sprache hier auch noch einfließen lassen. Aber man kann nicht alles haben. Außerdem geht es ja nicht um den Kriegsfuß, sondern um Frieden, den Schalom. Ich persönlich tendiere zu "Erbitte Frieden!". We-radfehu kann ins Deutsche übertragen werden mit "und erstrebe ihn", "und eifere ihm nach", "und sei ehrgeizig" oder "und verfolge ihn".

Letzteres ist besonders pikant, da das hebräische Wort mit dem Konsonantenstamm "rdf" tatsächlich auch für unser Substantiv Verfolgung verwendet wird. Verfolgen oder nachjagen trifft den Sinn wohl am besten. Hieronymus nutzt das Wort "persequere". Dieses Wort begegnet uns zweimal in Apostelgeschichte 9. Dort wird Saulus von Jesus gefragt, warum dieser ihn denn verfolge: "Saul Saul, quid me persequeris?" und "Ego sum Iesus, quem tu persequeris!" (Ich bin Jesus, den du verfolgst!). Streicht man das "per" am Anfang weg, ergibt sich ein deutlich positiverer Sinn, nämlich die bekannte Sequenz, die Folge. Wenn Jesus seinen potenziellen Schülern zuruft "Sequere me!", dann übersetzt Luther das mit "Folge mir nach!"

Hinterherlaufen oder entgegengehen?

Wir sollen also Frieden erbitten und diesem dann konsequent nachfolgen. Seit einigen Jahren hängt mir ein Spruch aus der Finanzdienstleistung im Gedächtnis: "Man soll dem Geld nicht hinterherlaufen. Man muss ihm entgegengehen." Warum dem Frieden nachjagen, wenn man ihm auch entgegengehen könnte? Vers 15 aus Psalm 34 schließt beides ein. Das Erbitten oder Suchen geht dem Frieden entgegen und das Nachjagen macht den Frieden nachhaltig. Bitten, empfangen und erhalten stecken in diesem kleinen Vers, der im Hebräischen nur aus drei Wörtern mit insgesamt 13 Buchstaben besteht - sehr kompakt.

"Erbitte Frieden und folge ihm konsequent nach!" Den Rest müssen sich nun Heerscharen von Pfarrern und Pastoren ausdenken, die in der ersten Januarwoche eine Predigt über diesen Text abzuliefern haben. Ich hingegen lehne mich entspannt zurück und freue mich über die Weihnachtskarten: "Semper talis" ist der Leitspruch des Wachbataillons und "Domini sumus" das Motto der Militärseelsorge.

Sonntag, 16. Dezember 2018

Band of Brothers and Sisters in Spandau

"Band of Brothers and Sisters" ist eine neue übergemeindliche Initiative in Berlin. Gestern besuchte ich die Dezember18-Konferenz der "Band of Brother and Sisters" in Spandau.



Wer "Band of Brothers and Sisters" hört, könnte sogleich an einen Gospelchor denken. Tatsächlich hat diese Band etwas mit Gospel (Gute Nachricht, Evangelium) zu tun. Allerdings ist die Band im Sinne von Team zu verstehen, als ein "Team von Brüdern und Schwestern".

Am Freitag startete in Spandau die Dezember18-Konferenz der "Brothers and Sisters". Es begann mit einem Abend des Kennenlernens, mit Lobpreis und Gebet. Es war auch eine Abordnung aus Süddeutschland angereist. Das relativ locker organisierte Treffen wurde von Dirk Koeppe einberufen. Dirk Koeppe ist Pastor in der LKG Westend.

Termine und der Weg nach Spandau

Wegen vorweihnachtlicher Terminüberschneidungen und des langen Weges nach Spandau hatte ich den gestrigen Vormittag für die Konferenz eingeplant. Ich hatte keine konkrete Vorstellung, was mich erwarten werde. Mehrere Vorträge zu interessanten Leitungsthemen standen auf dem Programm. Nachdem ich den Wagen auf dem Gelände abgestellt hatte, begegnete ich sogleich einer Frau aus Süddeutschland. Sehr freundlich. Begrüßung mit Vornamen.

Freundlich und mit Vornamen ging es auch im Saal weiter. Nur Dirk Koeppe war mir bekannt, obwohl ich ihn auch nur einmal kurz bei einer Allianz-Veranstaltung getroffen hatte. Egal, so viele neue Gesichter und dazu die Namen. Wie merkt man sich das nur? Joachim, Günther, Peter. Dann schneite Detlef Czech herein. Noch ein Bekannter. Es wurde immer voller und kurz vor Beginn erschien Swen Schönheit.

Wir waren schätzungsweise 25 Männer und Frauen aus sämtlichen Generationen mit einem Durchschnittsalter von 50. Die administrative Zusammensetzung war sehr heterogen. Geistliche Leiter wie Swen Schönheit, Pastoren wie Dirk Koeppe, Otto Normalchristen und Freelancer wie Detlef Czech saßen in Harmonie nebeneinander. Uns alle verband ein Gedanke: Lasst uns das Reich Gottes - den Einflussbereich von Jesus - in Berlin und Brandenburg ausweiten!

Impulsvorträge mit Inhalt

Dirk Koeppe berichtete sehr offen von seinem pastoralen Werdegang, den Höhen und Tiefen von Gemeindeentwicklung und seinem Wunsch, noch effizienter die Menschen in der Stadt mit Jesus bekannt zu machen. Dem schloss sich Swen Schönheit an. Er zeigte jede Menge Folien zur Illustration seiner Ausführungen. Ich war fasziniert über seine Sprachgewandtheit und die Ehrlichkeit, mit der er seine jeweilige Situation reflektierte. So ließ er sich nicht von einer gut gefüllten und quantitativ wachsenden Gemeinde blenden, sondern suchte Tiefe und förderte gezielt Leiter, die diese Tiefe weitertransportieren konnten. Inzwischen engagiert er sich bei der GGE, der Geistlichen Gemeindeerneuerung in der evangelischen Kirche.

GGE passte sehr gut zu dieser Konferenz. Prophetische Eindrücke, kräftiger Lobpreis und intensives Gebet bildeten den Rahmen für die Vorträge und Fragerunden. Die Referenten standen für einen Dialog mit dem Publikum zur Verfügung und hatten dabei alle Zeit, die sie brauchten.

Es folgte Detlef Czech. Sein Arbeitsgerät war das Flipchart. Er untermalte seine Ausführungen per Edding. Als erklärter Out-of-the-Box-Denker nahm er uns in seine Erfolge und Konflikte hinein, schilderte seinen Werdegang als Gemeindegründer und geistlichen Freelancer, der sein Ohr am Geist Gottes hat und dann auch mal sehr unkonventionelle Wege beschreitet. Wir stellten in der begleitenden Diskussion fest, dass es gar nicht so einfach ist, normgebundenes Denken abzulegen. Detlef Czech stellte auch heraus, dass Gebete am Bedürfnis und nicht am Wunsch orientiert sein sollten.

Schwerwiegende Impulse

In nur wenigen Stunden hatte ich einige schwerwiegende Impulse aufgenommen: Die Theologen waren sich einig, dass im Judentum - also sämtlichen Texten der Bibel - gefragt wird, statt zu vermuten und anzuklagen. Als Softwareentwickler berechne ich einfach selbst viele Situationen voraus und stelle generell zu wenige Fragen. Das ist ein Defizit, das ich schon seit einiger Zeit an meine journalistischen Coaches herantrage.

Selbsterkenntnis und Selbstoptimierung seien die initialen Voraussetzungen für den weiteren Erfolg im Reich Gottes. Daraus kann das Gebet um Gleichgesinnte folgen und daraus das Treffen mit diesen. Wir waren uns einig, dass das Reich Gottes nicht über Gemeindeprogramme gebaut wird, sondern über persönliche, ehrliche Beziehungen, die ein konkretes Wachstum in der Beziehung zu Jesus fördern. Swen Schönheit ging sogar so weit, dass eine auf Aktionismus gebaute Gemeinde auf Sand gebaut sei. Aktion kann immer nur die Folge von Vision und Mission sein, aber nie der Beginn, auch wenn die Aktion erst einmal erfolgreich scheint.

In der Pause diskutierten die Anwesenden in kleinen Grüppchen weiter. Peter Ischka bot Bücher und Z-Magazine an. Kekse und Salzstangen wurden geknabbert. Ich machte mich auf den Weg zu meiner Familie. Sie waren ins Umland zu einem Weihnachtsmarkt gefahren. Vorweihnachtliche Terminüberschneidung eben.

Montag, 10. Dezember 2018

Feliz Navidad und der Owie lacht

Weihnachtslieder werden über sprachliche Grenzen hinweg gesungen. Gestern erlebten wir einen internationalen Gottesdienst mit sprachlichen Fallen.



Im Eingangsbereich unserer Gemeinde stehen 50 kleine Fähnchen. Zu jedem der Fähnchen gibt es hier mindestens eine Person. Als beste sprachliche Schnittmenge dient Englisch, obwohl auch Afrikaner, Asiaten und Lateinamerikaner zu den Besuchern zählen. Afrikaner sprechen oft französisch und Südamerikaner spanisch.

Die Übersetzerin hatte es leicht. Die Weihnachtsgeschichte wurde auf Kinderdeutsch vorgelesen und die Übersetzung ins Englische stand an der Leinwand. Ein Großteil der Kinder disruptiert den Trend der Start-up-Szene und will lieber auf Deutsch kommunizieren. Das zwang die Mitarbeiter dazu, dieser Präferenz zu folgen. Hauptsache, die Kinder hören und machen das, was ihnen gesagt wird.

Während die Erwachsenen im großen Saal schon Weihnachtslieder auf Englisch, Spanisch und Deutsch sangen, wurden die lieben Kleinen in die reichlich vorhandenen Kostüme gesteckt. Es gab eine riesige Schafherde, viele Hirten, Ochs und Esel, viele Engel, aber nur zwei Könige, so dass meine Tochter den dritten König stellen musste. Vermutlich war sie Balthasar, da sie Caspar und Melchior vor sich her schob. Ein Geschichtenerzähler saß am Rand vor dem bunt geschmückten Weihnachtsbaum und las auf Deutsch.

Dazwischen immer wieder Weihnachtslieder und Eltern, die mit ihren Smartphones die goldigen Kindlein knipsten und sogleich viral im Internet verbreiteten. Als wieder eine Kinderherde zur Bühne kam, sangen wir "Stille Nacht, heilige Nacht". Ich war so fasziniert von diesem Monumentalfilmaufgebot an Kindern, dass ich fast die Stelle mit dem lachenden Owie verpasst hätte. "Owie lacht", sang ich meiner Frau ins Ohr. Sie lachte diesmal gar nicht. Zu sehr war sie auf die Kinder konzentriert.

Der Abend nahm seinen Lauf und auch "Feliz Navidad" wurde gesungen. Mein Sohn lernt schon seit vielen Jahren Spanisch. Das heißt, er hat Spanisch, lernt es aber nicht. Entsprechend sehen seine Noten aus. Er hasst das Fach. Dennoch machte er gestern eine folgenschwere Entdeckung. "Ano heißt aber etwas ganz anderes", raunte er meiner Frau zu. Es folgte der Owie-Effekt und sie klärte auch mich auf. Breites Grinsen beim iterierten Refrain: "Feliz Navidad Prospero Ano y Felicidad".

Über dem N von Ano fehlte die kleine Welle. Der Start-up würde von einer Tilde sprechen. Diese kleine Welle veränderte den Sinn des Wortes signifikant. Aufgeregt ging meine Frau zum Techniker, der die Folien aufgelegt hatte. Er solle dringend die kleine Welle über das N setzen. Breites Grinsen auch auf seinem Gesicht. Wir fragten den Technik-Leiter, wie lange denn schon von dieser Folie gesungen werde und ob noch keiner unserer vielen Spanischsprecher einen Hinweis dazu gegeben hätte.

Nein, es gab bisher keinen Hinweis und von der Folie werde seit fünf Jahren gesungen. Wir holten einen Spanier hinzu und fragten, ob ihm beim Lied etwas aufgefallen sei. Ob wir etwas anders singen, als es sein müsse. Er grübelte kurz und lächelte plötzlich verschmitzt in sich hinein. Breites Grinsen und dann schallendes Lachen. Seine amerikanische Frau kam hinzu. Sie verstand den Zusammenhang mit der fehlenden Welle erst, nachdem unser Technikchef auf seinen Hintern gezeigt hatte. Amerikaner lachen über solche Themen aber nicht.

Mit Feliz Navidad gibt es nun das zweite Weihnachtslied, das uns zukünftig zur Zeit und zur Unzeit zum Schmunzeln bringen wird.

Samstag, 8. Dezember 2018

First Christmas mit der Stadtmission im Ringcenter

Die Berliner Stadtmission hat den 2. Samstag im Advent genutzt, die originale Weihnachtsgeschichte mit Text, Spiel und Gesang aufzuführen. Die Kulisse stellte das zentrale Weihnachtshaus im Ringcenter am S-Bahnhof Frankfurter Allee.



Buff - "Du kannst das jetzt reklamieren gehen", sagte ich und hielt meiner Frau die kleine Tüte von Conrad Electronic unter die Nase. "Hat nicht geklappt?" - "Ich schmeiße jetzt die Mikrowelle in den Müll." Was war passiert?

Meine Frau hatte die Idee, heute Nachmittag zum Rixdorfer Weihnachtsmarkt zu fahren. Rixdorf ist eine sehr fromme Gegend mit Herrnhuter Brüdergemeine und Böhmischen Dörfern. Auch wenn ich Weihnachtsmärkte nicht mag, wollte ich meine Gattin heute mal begleiten. Einfach, um mit ihr zusammen zu sein. Untypisch war auch, dass ich ihre Entscheidung für die öffentlichen Verkehrsmittel akzeptierte.

Abstecher zu Conrad

In Neukölln stiegen wir in die U-Bahn um. Auf den Displays war zu lesen, dass der Rixdorfer Weihnachtsmarkt wegen Unwetterwarnung heute nicht stattfinde. Das glaubten wir nicht. Bei Google-Maps stand, dass der Weihnachtsmarkt geöffnet sei. So fuhren wir zunächst unter Rixdorf hindurch und zum Herrmannplatz. Dort kauften wir bei Conrad Electronic eine Sicherung für unsere Mikrowelle. Die Mikrowelle stand schon seit Monaten halb zerlegt im Flur und es war nirgends eine passende Sicherung dafür zu bekommen. Auch nicht bei Amazon. Conrad hatte noch genau eine Sicherung, die zwar nur 15 statt 16 Ampere verkraften konnte, aber egal. Das seltene Stück kostete 15 Euro. Dafür war eine kleine Conrad-Tüte dabei.

Im Nieselregen schlenderten wir noch etwas durch Neukölln. Straßenverkehr und sonstiges Ambiente erinnerten an Istanbul. Auch die Gerüche. Bei Karstadt entdeckten wir ein neues Geschäftsmodell: Tür auf- und einen Becher hinhalten. Meine Frau warf Münzen in den Becher von zwei russischen U-Bahnmusikern. Können muss honoriert werden.

Rixdorf und die Böhmischen Dörfer

Wieder sahen wir die Laufschrift, dass der Rixdorfer Weihnachtsmarkt ausfalle. Wir glaubten das immer noch nicht. So ging es wohl vielen Berlinern, die mit uns am U-Bahnhof Karl-Marx-Straße ausstiegen. Spätestens hier war ich froh, dass wir nicht mit Auto unterwegs waren. Es regnete. Autos und Fußgänger soweit das Auge reichte. Dann bogen wir in die lauschigen Gassen von Rixdorf ein. Eine ganz andere Welt unmittelbar neben Istanbul. Man fühlte sich plötzlich wie im weihnachtlichen Erzgebirge. Überall die Herrnhuter Weihnachtssterne von winzig bis riesig in unterschiedlichen Farben.

Als wir uns dem historischen Kern von Rixdorf näherten, stellten wir fest, dass die U-Bahn Recht gehabt hatte. Es waren nur sehr wenige Buden geöffnet und an der Bühne stand schon das THW für den Sturmeinsatz bereit. Wir schlenderten im Regen über den Platz und dann langsam Richtung S-Bahnhof. Das Timing passte perfekt zu einer Alternativ-Veranstaltung, die ich noch in der Hinterhand hatte: Berliner Stadtmission im Ringcenter.

Berliner Stadtmission im Ringcenter

Das Ringcenter liegt direkt am S-Bahnhof Frankfurter Allee. Man fällt regelrecht von der S-Bahn in dessen Nebeneingang. Aus der Tiefe waren weihnachtliche Klänge zu hören. Wir folgten der Musik. An zentraler Stelle war ein Knusperhäuschen aufgebaut - das Weihnachtshaus. Die Musiker von der Stadtmission übten noch einmal ihre Stücke. Direkt vor der Bühne saßen Kinder mit Bommelmützen und Müttern. Die Mütter hatten kaum Platz, da wenige Meter weiter ein Smoothie-Stand seine fruchtigen Getränke anbot. Die Stadtmissionare wirkten sehr beschäftigt und der Platz war eng. Deshalb fuhren wir wieder eine Etage höher und schauten von der deutlich besseren Position zu. Das sah der mitgebrachte Kameramann wohl auch so und folgte uns.

Das Programm ging etwa eine halbe Stunde und war auf die Location abgestimmt. Es gab einen raschen Wechsel von Text, Theater und Musik. Dabei schlüpften einige der Akteure in verschiedene Rollen: Gesang, Engel, schwangere Elisabeth, Cajon, Joseph, Hirte, Bass-Ukulele und Maria. Die Übergänge funktionierten so perfekt, dass diese Personalunion kaum auffiel.

Mehrfach wurde ein Rückblick auf das Geschehene gegeben. Schließlich war ein ständiges Kommen und Gehen zu verzeichnen. Einkaufscenter eben. Nur das Publikum direkt vor der Bühne war recht konstant. Eine Frau mit Kopftuch filmte die gesamte Weihnachtsgeschichte mit ihrem Smartphone. Ein Vater machte mehrere Fluchtversuche, wurde aber von seinem kleinen Sohn zum Dableiben gezwungen. Neben uns tanzten Kunden zu "Gloria in excelsis Deo". Das Programm hatte die Stadtmission mit "First Christmas" angekündigt. Damit sollte auf den Ursprung des Weihnachtsfestes und auf Jesus aufmerksam gemacht werden. Das war nach unserer Einschätzung gelungen.

Die Stadtmissionare boten nach dem Programm noch Gespräche an, zogen sich jedoch bald in das Weihnachtshäuschen zurück. Schade, wir wollten noch kurz "Hallo" gesagt haben. So irrten wir durch das Ringcenter und fanden tatsächlich den Ausgang zur S-Bahn. Wenn Jesus schon das Timing bestimmt, dann richtig: Auf den Stufen zum Bahnsteig trafen wir noch eine gute Freundin und konnten uns gleich zum morgigen Adventsgottesdienst verabreden.

Als wir zu Hause waren, holte ich die zerlegte Mikrowelle hervor und setzte die neue Sicherung ein. Die Uhr leuchtete. Ich drehte den Knopf auf 30 Sekunden und drückte auf "Micro": Buff.

Samstag, 1. Dezember 2018

Vulgata Tusculum auf Deutsch

Wer die Vulgata lesen möchte, muss jetzt kein Latein mehr lernen. Mit der Vulgata Tusculum gibt es nun eine wissenschaftliche Übersetzung ins Deutsche. Diese wurde gestern in der Katholischen Akademie vorgestellt.



Die Einfahrt ins Parkhaus der Katholischen Akademie war eng. Die dunklen Streifen an der Wand signalisierten, dass hier schon so manch ein Fahrzeug zerschellt war. Den Wagen stellte ich vor dem Schild "Bischofskonferenz" ab und ging zum Fahrstuhl. Wer einen Vorgeschmack auf die Ewigkeit haben möchte, sollte den Fahrstuhl zum Erdgeschoss nutzen.

Im Erdgeschoss erfuhr ich, dass die Vulgata in der dritten Etage vorgestellt werde. Diesmal nutzte ich die Wendeltreppe und gelangte in einen mit vielen Stuhlreihen gefüllten Raum. Das Publikum erinnerte optisch und demografisch an Veranstaltungen der CDU/CSU-Fraktion. Über mir gab es eine Glaskuppel. Dort konnte kontrolliert werden, ob die Haare noch liegen. Das war mir jedoch egal, da meine Frau die Haare vor einem Monat geschnitten hatte. Versehentlich war der Haarschneider auf neun Millimeter eingestellt worden, so dass bis heute keine für die Glaskuppel relevante Frisur nachgewachsen ist.

In der ersten Reihe - also direkt vor mir - nahmen mehrere Professoren Platz. Nacheinander durften sie ans Pult treten und über ihr Werk reden. Die Vulgata in Deutsch war in nur sieben Jahren entstanden und hatte einige Übersetzer und sonstige Dienstleister verschlissen. Die drei Herausgeber - allesamt Professoren der Theologie - hatten sehr genau hingeschaut, welche Qualität geliefert wird. So sollten die Übersetzer jegliche regionale und sprachliche Eigenheiten ablegen, sie sollten keine Pastoraltöne, kein Lutherdeutsch und auch keinen Cicero einfließen lassen.

Den Cicero-Spagat hatte Hieronymus sehr gut hinbekommen. Während er um 400 seine Vorreden zu den biblischen Büchern im Stil von Cicero und natürlich auf Latein verfasste, konnte er bei der Übersetzung des hebräischen Urtextes auf die lateinische Alltagssprache umschalten. Wie Luther schaute auch Hieronymus "dem Volk aufs Maul". Aus protestantischem Prinzip durfte Luther den Hieronymus zwar nicht mögen, schätzte doch aber sein sprachliches Handwerk sehr.

Wer sich für Bibelübersetzungen und die damit verbundene Arbeit und den Kampf um die optimale Übertragung in eine andere Sprache interessiert, hätte gestern einen Hochgenuss erlebt. Die Professoren warfen Folien an die Wand mit Versen auf Hebräisch, Griechisch, Latein und Deutsch und schilderten die Herausforderungen bei der Übertragung von Redewendungen und Dingen, die in anderen Kulturen vielleicht gar nicht existieren. Das beginne schon in den ersten Versen der Bibel. Besonders schwierig sei die Übertragung des Hebräischen ins Griechische gewesen, da die Griechen mit "von ganzen Herzen" nichts anfangen konnten. Was hat das Herz mit der Gefühlswelt zu tun? Deshalb wurde dann auf das Geistige übersetzt, so dass auch der gemeine Grieche etwas mit dem Vers aus 5. Mose 6, 5 anfangen konnte.

Noch dramatischer gestalteten sich aber Übersetzungen für Eskimos. Die kennen kein Lamm und Brot gibt es im Polarkreis auch nicht. So wurde das Lamm in Robbenbaby übersetzt und auch für das Brot wurde ein schwaches Pendent gefunden. Allerdings waren damit wichtige Symbole zerstört: Brot und Wein oder Lamm Gottes. Die Professoren erläuterten die Entscheidungswege zur Festlegung des für die jeweilige Sprache passenden Äquivalentes. Generell war ein sehr ehrfürchtiger Umgang mit den Urtexten und Quellen festzustellen.

Bei der Übersetzung muss also zunächst entschieden werden, ob es ein formales oder ein dynamisch-funktionales Ergebnis geben soll. Die Elberfelder oder die Martin Buber gelten als formale und eher trockene Übersetzungen, die möglichst nah am Urtext rangieren. Die Hoffnung für Alle oder gar die Volxbibel sind eindeutig dynamisch-funktionale Bibeln, die für eine bestimmte Zielgruppe in deren Sprache übersetzt wurden. Die Professoren ließen sich nicht nehmen, zu erwähnen, dass "Die Bibel für kluge Kinder und ihre Eltern" gerne als Bibeleinstieg für Erwachsene genutzt wird. Durch die Hintertür des Kinderzimmers sozusagen.

Überhaupt waren insbesondere die Ausführungen von Prof. Dr. Widu-Wolfgang Ehlers mit spitzfindigem Humor gewürzt. Der Professor verzog keine Miene, während das Publikum fast bei jedem Satz in herzhaftes Lachen ausbrach.

Nach etwa zwei Stunden hatten wir einiges zum Thema Übersetzung gelernt und erfahren, dass die Vulgata Tusculum in Deutsch fünf Bände umfasst. Mit insgesamt 6.300 Seiten ist sie deutlich dicker als die Biblia Sacra Vulgata mit ihren 1976 Seiten. Das liegt wohl daran, dass der lateinische Text über oder neben der deutschen Übersetzung steht. Da ein Band knapp 80 Euro kostet, ist die Bibel wohl eher etwas für Experten oder Sammler. Alle fünf Bände kosten demnach 400 Euro. Das ist selbst mir zu teuer, so dass ich lieber bei meiner Vulgata in der Originalfassung von Hieronymus bleibe.

Es gab zwar noch einen Sektempfang des Verlages, aber ich wollte sicher sein, dass ich zur späten Stunde noch mein Auto aus der Tiefgarage bekomme. Nach dem Einwurf von drei Euro konnte ich sogar offiziell durch die geöffnete Schranke hinaus in die regnerische Nacht fahren.