Heute wurden in der Bundespressekonferenz die Zahlen zum sexuellen Kindesmissbrauch vorgestellt. Die Mechanismen sind vergleichbar mit denen, die bei geistlichem Missbrauch festzustellen sind.
BKA-Chef Holger Münch und die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, stellten sich heute den Fragen der Hauptstadtpresse. Anlass war die Veröffentlichung der Fallzahlen beim Kindesmissbrauch im Jahr 2021. Die Gesetzeslage ist gut geeignet, Täter angemessen zur Verantwortung zu ziehen.
Dadurch, dass viele der Taten seitens der Missbraucher mit Bildmaterial dokumentiert werden, können die Handschellen schnell zuschnappen. Dafür sorgt seit einigen Jahren die ausgesprochen gute Zusammenarbeit mit der amerikanischen Stelle NCMEC (National Center for Missing & Exploited Children - Nationales Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder). Durch eine kontinuierliche Verbesserung der Software konnte die Identifizierung allein von 2020 bis 2021 von 21,7 auf fast 30 Millionen gesteigert werden. Die KI (Künstliche Intelligenz) arbeitet inzwischen mit einer Trefferquote von 98% und selbst die eine Woche Speicherzeit für IP-Protokolle reicht aus, die Täter bis ins heimische Wohnzimmer nachzuverfolgen. Es wird also eng für Ersteller und Nutzer des brisanten Bildmaterials. Selbst ein Ausweichen ins Darknet ist längst kein Garant mehr für ein Agieren ohne Konsequenzen.
Wenn kein Bildmaterial als Beweis vorliegt
Da längst nicht alle Straftaten dieses Bereiches mit Bildmaterial belegbar sind, appellieren Holger Münch und Kerstin Claus an die Öffentlichkeit, Verdachtsfälle anzuzeigen und Kinder frühzeitig für die Gefahren des Missbrauchs zu sensibilisieren. Kerstin Claus bestätigte, dass das Phänomen bekannt sei, dass die Mama eher dem missbräuchlichen Onkel glaube als dem betroffenen Kind. Betroffene Kinder haben dann nicht nur den eigentlichen Missbrauch zu verarbeiten, sondern auch noch den eklatanten Vertrauensbruch durch die Mutter. Deshalb werde man demnächst eine umfangreiche Aufklärungskampagne starten, die genau diesen Punkt aufgreift.
Doppeltes Trauma durch Missbrauch und Vertrauensbruch
Das Prinzip des Versagens der nächsten Vertrauenspersonen ist auch bei Fällen des geistlichen Machtmissbrauchs festzustellen. So erschleichen sich vermeintliche Seelsorger von Betroffenen sensible Informationen, die sie anschließend öffentlich gegen den Betroffenen verwenden und diesen damit zu erpressen suchen. Andere "Seelsorger" nutzen das Argument des "Du wolltest es doch auch.", um den Druck für den Täter zu lindern und den Betroffenen in eine Mittäterschaft zu zerren, oder eine komplette Täter-Opfer-Umkehr zu bewirken. Im Rahmen des Korpsgeistes verbünden sich Pastorenkollegen aktiv mit dem Täter, denn "Der Onkel" - pardon - "Der liebe Kollege macht sowas nicht."
Hellfeld und Dunkelfeld des geistlichen Missbrauchs
Der Druck auf verschiedene Gemeinden ist dennoch so hoch, dass seit 2014 Clearingstellen eingerichtet werden, die für Außenstehende den Anschein erwecken, man gehe das Problem tatsächlich an. Letztlich agieren diese Clearingstellen aber systemimmanent und stehlen den wenigen redenden Betroffenen aus dem "Hellfeld" nur Zeit und Energie. So ist auch bei geistlichem Missbrauch von einem hohen "Dunkelfeld" auszugehen, das optimistisch geschätzt beim Faktor 100 liegen dürfte. Immerhin ist es bei geistlichem Missbrauch gängige Praxis, dass Personen, die ein Problem ansprechen, selbst zu einem Problem gemacht werden, während das eigentliche Problem nicht gelöst wird. Den Verantwortlichen der betreffenden Gemeinden und Verbände scheint das egal zu sein. Die Unabhängige Beauftragte brachte diese Einstellung in der Pressekonferenz sehr gut auf den Punkt: "Ja, sowas passiert. Aber nicht bei uns!"
Katholische Kirche setzt Akzente
Auch wenn das evangelikale Lager gerne von sich ablenkt, indem es mit Fingern auf die Katholische Kirche zeigt, ist diese doch schon viel weiter. So hat die Katholische Kirche beispielsweise im Bistum Osnabrück eine Anlaufstelle für Betroffene von sexueller und spiritueller Gewalt geschaffen. Das katholische Werk Don Bosco hat vorbildhaft gezeigt, wie am besten mit Missbrauch umzugehen ist: 1) Betroffene ernst nehmen, 2) unabhängig untersuchen, 3) Konsequenzen für die Täter. Das Ergebnis ist ein nachhaltiger Vertrauensgewinn bei Eltern und Unterstützern dieses Kinder- und Jugendwerkes. Im evangelikalen Bereich scheitert es in der Regel schon am ersten Punkt.