Sonntag, 31. Dezember 2017

Jahresrückblick: Kinnlade wird mit zwei N geschrieben

Der Jahresrückblick zu Silvester hat bereits Tradition in unserer Familie. Dabei kann das vergangene Jahr auch unterschiedlich bewertet werden. Als Werkzeuge dienen Scheren, buntes Papier, Kleber und Stifte.



Buntes Papier, Fotos, Scheren, Kleber und Stifte werden aus den unterschiedlichen Ecken der Wohnung zusammengetragen. Der Tisch im Wohnzimmer wird vom Weihnachtsgesteck befreit und bietet somit Platz für die Collage. Auch die Präsentation der Collage hat Tradition. Sie wird an die Eingangstür geklebt. Nach einem Jahr wird sie ersetzt und kommt ins Jahresrückblick-Archiv.

2015 und 2016 mussten wir mit schwarzem Edding mehrere Querlinien über Bilder ziehen: zwei Opas, eine Gemeinde und ein Kaninchen. In diesem Jahr blieben uns die schwarzen Linien gerade noch so erspart.

11 Punkte für 2017

11 Punkte hatte ich für 2017 auf einem kleinen Zettel notiert. Das Jahr war interessant und aufregend für mich verlaufen. Stolz präsentierte ich den Zettel am Vormittag von Heilig Abend meiner Familie. "Kinnlade wird mit zwei N geschrieben", kommentierte meine Frau ziemlich ungerührt die 11 Punkte. Sie hatte das Jahr eher als dahinplätschernd empfunden.

Das konnte gut sein: 7 Punkte betrafen tatsächlich nur mich und 4 Punkte unsere ganze Familie. Wobei ein Dahinplätschern nach turbulenten Zeiten auch mal ganz angenehm sein konnte. Ich überlegte und fand tatsächlich kaum Highlights, die meine Frau in diesem Jahr besonders geprägt, vorangebracht oder beeindruckt hätten.

Schwer-Punkte

Mein erster Punkt war die professionelle Aufarbeitung des schwarzen Strichs Gemeinde aus 2015. Nicht ganz billig aber wirkungsvoll - inklusive Loslassen und Vergebung. Ein weiterer Punkt war die wertvolle Journalisten-Ausbildung in Hammelburg. Dort waren wir auf das unbewaffnete Überleben in Krisengebieten trainiert worden.

Es folgten die Erfahrungen im Europapark, die regelmäßigen Besuche bei Saddleback, neue Freunde und Bekannte sowie die Taufe meiner Tochter.

Gesundheit und Ver-Sorgung

Besonders dankbar war ich jedoch für meine Lungenembolie. Sie hatte mich an Orte geführt, die ich sonst nicht betreten hätte. Ich durfte erleben, dass mein Leben endlich ist und dass letztlich nur die Beziehung zu Jesus zählt. Die Zeit in der Klinik und der Reha in Teltow hat mich sehr bereichert. Den würdigen Abschluss der Reha bildete eine Reise mit dem Bundespräsidenten zum Vatikan.

Und dann noch das Thema Geld: Kinladenversorgung hatte ich auf dem Zettel zu stehen. Allerdings nur mit einem N. "Kinnlade wird mit zwei N geschrieben", bemerkte meine Frau dazu und übersah dabei die inhaltlichen Details. Diese standen ebenfalls auf dem Zettel. Das Fremdkapital war deutlich abgebaut worden. Eine Marken-Uhr war mit Gewinn verkauft worden und das Finanzamt hatte sein Füllhorn über uns ausgeschüttet. Ganz abgesehen von Kunden, die plötzlich ohne jede Akquise aufgetaucht waren.

Warum Kinnlade? 2017 war mir mehrfach die Kinnlade heruntergeklappt, als ich mal wieder die Versorgung durch Gott erlebte - über alle naturwissenschaftlich erklärbaren Zusammenhänge hinweg. Versorgung hat wohl etwas mit Ver-Sorgen zu tun, dem Entsorgen von Sorgen.

Lehrgeld

Apropos Entsorgen: Einen schwarzen Strich musste ich für 2017 doch noch ziehen. Eine meiner Firmen wurde zum 31. Dezember aus dem Handelsregister gelöscht. Damit endete das unrentabelste Kapitel meiner Berufsgeschichte. Mit der Löschung wurde eine stattliche Venture-Kapital-Summe ausgebucht. Aber egal - Lehrgeld ist eine kostbare Zukunftsinvestition.

Mittwoch, 27. Dezember 2017

Renate Bergmann und das Krippenspiel

Renate Bergmann ist eine 82-jährige Omi, die das Internet nutzt und dieses aktiv in ihren Alltag einbindet. Alle zwei bis drei Wochen besucht sie den Gottesdienst und will nun auch ein Krippenspiel organisieren, an dem alle Generationen beteiligt sind.



Achtung! Gebürtige Sachsen oder Schwaben sollten das Buch nicht lesen. Erfahrungsgemäß fühlen sie sich durch den Humor des Berliners überfordert. Wir fanden das Buch jedenfalls sehr lustig und mussten mehrfach innehalten, um Luft zu holen und die Tränen abzuwischen.

Renate Bergmann liebt ihren Kiez: Spandau. Spandauer sind zwar der Meinung, dass sie nicht zu Berlin gehören. Das sieht der Stadtplan jedoch anders. Der Stadtteil Spandau befindet so weit im Westen, dass er schon fast wieder im Osten liegt: Brandenburg. Soweit die Insider-Informationen zum Kiez der Rentnerin.

Renate Bergmann - Wir brauchen viel mehr Schafe
Renate Bergmann - Wir brauchen viel mehr Schafe
Renate Bergmann hat mehrere Bekannte in ihrem Alter und erlebt mit diesen sehr alltägliche Dinge. Am liebsten geht sie zu Beerdigungen, da es dort immer kostenloses Essen gibt und die Tupper-Dosen für die Kühltruhe nachgefüllt werden können.

"Wir brauchen viel mehr Schafe" ist nicht das erste Buch, das wir von Renate Bergmann lasen. Es gibt bereits sechs Bände von der Online-Omi. Ich war zunächst skeptisch, ob die humoristische Linie wirkungsvoll fortgesetzt werde. Doch schon zu Beginn gab es so köstliche Pointen, dass ich die ersten 50 Seiten in einem Zuge durchlas.

Als meine Frau dann von ihrem Offline-Oma-Besuch eintraf, las ich ihr das noch einmal vor und gelangte in einem Rutsch bis Seite 102. Zwischendurch mussten wir mehrfach zum Taschentuch greifen, die Tränen abwischen und die normale Atmung zurückgewinnen. Selbst mein Sohn musste an verschiedenen Stellen lachen. In seinem Alter gilt das normalerweise als uncool. Er verfolgte die Vorlesung von seinem Zimmer aus.

Ach so, in diesem Band geht es um eine gewisse Frau Schlode, die das Adventsprogramm organisieren soll. Sehr zum Unbehagen von Renate Bergmann, die singende Kinder so gar nicht mag. Also nichts gegen Kinder, aber singen, musizieren oder tanzen sollten sie auf keinen Fall. Frau Schlode ist Kindergärtnerin und leitet sämtliche Chöre im Kiez.

Das Buch schildert auf seinen 169 Seiten, wie Renate Bergmann bei der Lösung des Problems vorgeht. Zwischendurch erfährt der Leser einige Episoden aus dem langen Leben der Seniorin und erhält Tipps für Weihnachtsgeschenke: Topflappen beispielsweise.

Immer wieder taucht auch Pfarrer Kampfert auf, der je nach Situation als einfühlsamer Charmeur, Herr Pfarrer oder als Pfaffe dargestellt wird. Die Vermengung von evangelischen und katholischen Eigenheiten offenbart, dass Renate Bergmann wohl doch zu selten im kirchlichen Umfeld unterwegs ist. Für die Story ist das unerheblich.

Viel Spaß beim Lesen!

Sonntag, 24. Dezember 2017

Stallweihnacht in Bad Reichenhall

Die Stallweihnacht in Bad Reichenhall hat Tradition und zieht Gäste aus dem gesamten Bundesgebiet an. Ein Pressekollege war vor Ort und animierte mich zu diesem Artikel.



An der Mütze von General Pfeffer scheiden sich die Geschmäcker. General Pfeffer leitet das Einsatzführungskommando und ist damit für die Auslandseinsätze zuständig. Seine Mütze ist hellgrau, leicht zerknautscht und mit einem Blümchen versehen: Edelweiß. Er trägt die Mütze mit Stolz. Zeichnet sie ihn doch als Angehörigen der Gebirgsjäger aus.

Gebirgsjäger Stallweihnacht Bad Reichenhall
Edelweiß - Zeichen der Gebirgsjäger
Tragtiere und Gebirgsjäger

Gebirgsjäger haben nichts mit Wildschweinen, Wölfen, Bären oder Rehen zu tun.

Gebirgsjäger jagen durch unwegsames Bergland und gelten als eine der agilsten Truppen der Bundeswehr. Dort, wo Hubschrauber und Fahrzeuge versagen, klettern die Gebirgsjäger durch das Gelände. Logistische Hilfe bekommen sie durch Tragtiere. Diese tragen die Jäger oder deren Lasten. Fast so wie damals, als sich Maria und Joseph auf den Weg nach Bethlehem machten.

Schon Esra räumte den Tragtieren eine besondere Bedeutung ein. Er zählte diese zusammen mit den Priestern und Leviten auf: 736 Pferde, 245 Maultiere, 435 Kamele und 6.720 Esel (Esra 2, 66-67).

Die Tragtier-Kompanie der Gebirgsjäger ist in Bad Reichenhall stationiert. Bad Reichenhall liegt so tief im Südosten Bayerns, dass es nicht mehr weit bis zur Adria ist.

Tradition seit 1962

Fern von der Heimat wollten es sich die jungen Soldaten 1962 etwas gemütlich machen. Sie beschenkten die Tiere mit Äpfeln und improvisierten eine kleine Weihnachtsfeier mit Liedern und Lukas-Evangelium. In den folgenden Jahren kamen auch Verwandte dazu, so dass die Location bald gewechselt werden musste. Den Verwandten folgten Gäste aus Deutschland und der ganzen Welt. Mitte Dezember fand in Bad Reichenhall die 56. Stallweihnacht statt. Es gab eine Aufführung für Kinder und drei Aufführungen für Erwachsene.

Der Bischof

Erstmalig war auch der Evangelische Militärbischof Dr. Sigurd Rink dabei. Er zeigte sich sehr beeindruckt und sprach die Empfehlung aus, diese Tradition an sämtlichen Standorten im In- und Ausland zu etablieren: Weihnachtslieder und Weihnachtsgeschichten nach Matthäus und Lukas.

Die Gebirgsjäger sind dabei noch nah bei ihren Verwandten. Anders sieht es bei den Soldaten in Mali, Afghanistan und den weiteren 13 Einsatzgebieten aus. Sigurd Rink besucht regelmäßig diese Standorte und kümmert sich um die seelsorgerliche Betreuung.

Stallweihnacht 2017 Bad Reichenhall - Foto Militärseelsorge Roger Töpelmann
Stallweihnacht 2017 in Bad Reichenhall - Foto Militärseelsorge / Töpelmann
Tragtierwesen 230

Die Stallweihnacht wurde in diesem Jahr von 18 Darstellern der 23. Gebirgsjäger-Brigade und des Einsatz- und Ausbildungszentrums für Tragtierwesen 230 gestaltet. Es traten zudem Maultiere, Schafe, Gämsen, Hirtengruppen, regionale Musiker und der Volksliederchor Inzell auf. Jedes Jahr gibt es einen Wettbewerb um den Zuschlag für die musikalische Mitarbeit.

An die Musiker werden bestimmte Anforderungen gestellt. Sie müssen nämlich auch Alphörner, Hackbretter, Saitenbläser, Tuba, Bassflügelhörner, Kontrabässe, Zithern oder Klarinetten bedienen können.

Vielen Dank übrigens an Dr. Roger Töpelmann aus dem Pressestab des Militärbischofs. Er war vor Ort und hatte mir den finalen Anstoß zu diesem Artikel gegeben.

Montag, 18. Dezember 2017

Bahnhofsmission am Zoo: Schwester Inge und andere wichtige Leute

Die Bahnhofsmission der Stadtmission ist eine prominente Einrichtung, die das soziale Engagement von Christen, Wirtschaft und Politik widerspiegelt. Heute war ich dabei, als Bundespräsident Steinmeier die Bahnhofsmission am Zoo besuchte.



"Hat sie der Bazillus auch schon erwischt?", wollte Schwester Inge wissen. Die pensionierte Schwester mit dem schlichten grauen Gewand und dem weißen Häubchen blickte mich mit ihren gütigen Augen an. Sie meinte den Bazillus ansteckenden Glaubens an Jesus. Als ich das bestätigte und hinzufügte, dass das wohl der einzige Bazillus sei, der keinen Heilungsprozess benötige, freute sie sich noch viel mehr.

Schwester Inge hatte ich bereits vor einem Jahr erlebt, als Joachim Gauck die Bahnhofsmission besucht hatte. Fünf Tage später fand der Anschlag auf den Breitscheidplatz statt. Letzterer jährt sich morgen - eine tragische Terminverknüpfung. Ich fragte Schwester Inge, ob der damalige Bundespräsident sein Versprechen eingelöst habe. Er wollte zum Abwaschen kommen. Ja, das habe er wenige Wochen nach Ende seiner Amtszeit in die Tat umgesetzt.

Bundespräsident Steinmeier Bahnhofsmission Stadtmission
Frank-Walter Steinmeier im Gespräch bei der Bahnhofsmission der Stadtmission
Als wir auf Christen in der Bundespolitik zu sprechen kamen, erfuhr ich vom Engagement Steinmeiers für die Bahnhofsmission. Er habe eine Fahrt mit dem Kälte-Bus absolviert, habe Essen ausgeteilt, sei maßgeblich an der Finanzierung der Hygienestation beteiligt und habe seine Doktorarbeit sogar über das Thema "Bürger ohne Obdach" geschrieben. Wieder leuchteten die Augen von Schwester Inge.

Einige der Punkte wiederholte der Bundespräsident in seiner Begrüßungsrede. Zudem sei er das vierte Mal innerhalb der letzten zwei Jahre bei der Stadtmission. An diesem Ort zeige sich, was "in der Gesellschaft noch zu erledigen ist". Er dankte "denen, die sich kümmern". Die Gäste erfuhren ferner, dass die Deutsche Bahn um die 500 Mitarbeiter für "Servicetage" in der Bahnhofsmission freistellt. Die Obdachlosen am Bahnhof Zoo kommen aus 80 Nationen. Das ist mehr als in den bekannten multi-ethnischen Gemeinden der Stadt.

Bundespräsident Steinmeier Bahnhofsmission Stadtmission
Elke Büdenbender im Gespräch bei der Bahnhofsmission der Stadtmission
"RBB", schallten Kinderstimmen durch den Raum, als eine weitere Kamera hereingetragen wurde. Eine Gruppe von Schülern hatte sich mit Obdachlosigkeit beschäftigt und ein Theaterstück dazu gestaltet: "Das andere Einmaleins". Sie führten den Akt "8x8 - gestohlen in der Nacht" auf. Wir wurden zudem Zeugen des neuen Kino-Spots der Stadtmission. Nur das ZDF hatte ihn vorab sehen dürfen. Darin redet ein Obdachloser mit vorbeihetzenden Passanten, fühlt sich in diese hinein und stellt dann fest: "Nur wie sich ein Zuhause anfühlt, weiß ich nicht mehr so genau."

Dann wechselten wir den Raum. Kameraleute drängten sich hinter die Absperrung im Speisesaal. Zwei Stühle am zentralen Tisch waren frei. Weihnachtsgebäck, Kaffeetassen mit Löffel und rote Servietten. Am präsidialen Geschirr-Spülbecken hatte ich ein wenig Bewegungsfreiheit - direkt hinter der ARD und deren Plüschmikrofon.

Einer der Mitarbeiter mit den markanten blauen Jacken bot der Presse seelsorgerliche Gespräche an. Es sei noch nicht zu spät für eine Bekehrung. Mission wird hier also wörtlich genommen.

Bundespräsident Steinmeier Bahnhofsmission Stadtmission
Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit Mitarbeitern der Bahnhofsmission
Dann kamen auch der Bundespräsident und seine Gattin. Er bat sie, an einen anderen Tisch zu gehen und setzte sich selbst auf einen der beiden freien Plätze vor mir. "Wo übernachten Sie?", fragte er den hageren Mann gegenüber. Zerzaustes Haar, langer Bart. Die First Lady, Elke Büdenbender, unterhielt sich angeregt am Nachbartisch. Durch die Aufteilung des Präsidentenpaares konnte jeder Tisch bedient werden. Beide wechselten die Plätze und unterhielten sich mit den Mitarbeitern und Stammgästen der Bahnhofsmission.

Über der Szenerie fiel der Blick immer wieder auf das Kreuz an der Wand. Jesus - in unsichtbarer Anwesenheit - hat sich bestimmt gefreut.

Sonntag, 17. Dezember 2017

Life Berlin in Moabit

Life Berlin versteht sich als Gemeinde für den Kiez: Berlin-Moabit. Life Berlin ist noch ganz frisch im Bezirk. Heute besuchten wir den "Pop Up Weihnachtsgottesdienst" in der Zunftwirtschaft.



Die Kekse hatten eine stilechte Prägung: Life Berlin. Ergänzend dazu trugen die etwa 12 Mitglieder des Kern-Teams gelbe Buttons mit ihren Namen. Alle hießen "Hello" oder so. Kaum hatten wir die Außentür der Zunftwirtschaft in der Markthalle Moabit passiert, waren wir von freundlichen Hellos umringt. Wir stellten uns kurz vor, hängten unsere Jacken weg und wurden dann zu den einprägsamen Keksen geleitet.

Kekse, Mittdreißiger und Kleinkinder

In der Tat mussten wir uns den Schriftzug Life Berlin einprägen, da die Kekse sehr schnell ihrem eigentlichen Zweck zugeführt wurden und dann eben nicht mehr sichtbar waren. Meine Frau kostete einen anderen Keks, der wie Brownie schmeckte. Sehr lecker.

An den Tischen tummelten sich jede Menge Moabiter, also die aus Berlin, nicht die Erben von Lot aus der Bibel. Es war die übliche Altersstruktur, die in Berlin wohl zum Standard gehört: Erwachsene um die dreißig und Kleinkinder. Kaum Jugendliche oder Senioren. Aber das kann wachsen. Immerhin feierte die Gemeinde heute erst ihr zweites Pop-Up-Treffen.

Leiterschulung und Team-Aufbau

Lotte Telzer und ihr Team gehen die Sache professionell und ohne Hektik an. Zwei Pop Ups, dann eine intensive Leiterschulung, Team-Aufbau und dann immer kürzere Intervalle der Meetings. Für das zweite Mal war der Gottesdienst schon sehr gut besucht. Etwa die Hälfte der Gäste kannte Lotte noch nicht. Der Kiez hat wohl das neue Angebot wahrgenommen.

Nach einer halben Stunde mit Smalltalk, Keksen und Kaffee ging der offizielle Teil los. Dazu verlegten wir unseren Standort in einen anderen Raum, der bereits für die übliche Frontal-Unterhaltung vorbereitet war. Es müssen um die 50 Personen Platz genommen haben. Wir setzten uns ans Fenster. Gegenüber leuchtete ein Gründerzeithaus - helles Pink. Sehr mutig, aber Geschmacksache.

Predigt aus dem Publikum

Der Gottesdienst selbst war alles andere als frontal. Lotte stand mitten aus dem Publikum auf und begann ihr Thema. Unterstützt wurde sie von ihrem Mann und einer größeren Gruppe von Sängern und Musikern. Im Verlauf des Nachmittags sangen wir viele Weihnachtslieder. Geschenke wurden verteilt und die Kinder durften in ihr eigenes Programm gehen.

Der Input rankte sich um den Namen Immanuel - Gott mit uns - und zielte auf die Pointe, dass Jesus auch in Moabit präsent ist. Neben Jesus rückte auch der Kiez immer wieder in den Fokus. Das Gründungsprojekt Life Berlin wurde vor 14 Monaten gestartet und richtet sich an Moabiter, die wohl keine Schwelle einer etablierten Kirche überschreiten würden. Bei der Zunftwirtschaft in der Markthalle gibt es gar keine Schwelle.

Social Network

Die Kommunikation von Life Berlin erfolgt über Facebook. Facebook weiß auch zu berichten, dass drei bekannte Pastoren der Stadt zur Gründungsmannschaft gehören. Das erscheint mir sehr clever, da sich die Moabiter damit Know-how und weitreichende Vernetzung in die Szene hinein sichern.

Wir können gespannt sein, wie sich dieses ambitionierte Projekt weiter entwickelt und wünschen Gottes Segen für die nächsten Schritte!

Donnerstag, 14. Dezember 2017

Hörtest

Einige physische Gebrechen haben keine physische Ursache. Das wusste ich schon länger. Jetzt habe ich das erfolgreich in einem Selbsttest nachweisen können.



Kürzlich hörte ich eine Predigt, in der ein Pastor berichtete, dass ihn seine Frau zum Hörtest geschickt hatte. Das Ergebnis war ein hervorragendes Gehör, das nur auf einer Frequenz schwächelte: der Stimme seiner Frau.

Mein Sohn und ich wurden bereits mehrfach ermahnt, die Wortspiele am Frühstückstisch zu unterlassen. Ob Radio-Ansagen oder mehr weniger ernste Gespräche, gerne wechselten wir einzelne Buchstaben aus und veränderten damit auf humoristische Weise den Sinn des Gehörten. Humor empfanden allerdings nur mein Sohn und ich, so dass uns diese Art des Umgangs mit der Sprache untersagt wurde.

Mein Sohn hielt sich schnell daran. In meinem Alter dauert die Umstellung etwas länger. Frau und Tochter konnten sogar meinen Sohn überreden, in der Familienkonferenz für einen Besuch beim Hörgeräte-Service zu stimmen. Willig fügte ich mich der Mehrheit.

Kurz darauf bekam meine Frau eine Einladung zum Hörtest. Sie und ihre Mutter tragen Hörgeräte und sind damit sehr zufrieden. Es wäre doch schön, wenn auch der Ehemann wieder gut hören könnte. So nahm ich die Karte und spazierte zum Hörgeräte-Laden. Es war leer. Im Akustik-Labor saß noch eine Testperson. Zur Überbrückung der Wartezeit wurde mir ein Fragebogen gereicht: Ja, Nein, Ja, Nein und noch ein Freitext, was ich denn mit dem Hörtest erreichen wolle.

Der Freitext muss wohl die Adventswoche der Hörgeräte-Experten gerettet haben. Die Dame im Test-Labor lachte laut auf und tippte die Angaben in ihren Computer. Dann ging es los: Piep rechts, Piep links und immer schnell das Knöpfchen drücken. Dann musste ich mir noch einige absurde einsilbige Wörter anhören und wiederholen. Fertig! Was hatte nur bei meinem Vorgänger so lange gedauert?

Ein Klick und das Ergebnis wurde ausgedruckt: 100% Gehör und alles im Normbereich. Ich dachte an die Predigt. Stolz nahm ich den Ausdruck entgegen und spazierte nach Hause. Viral wurde das Ergebnis per WhatsApp verbreitet und das Blatt für den Hausarzt kopiert.

Der Beweis war erbracht: Gehör in Ordnung und eine sagenhafte Leistungsfähigkeit bei der selektiven Wahrnehmung. Letztere ist sehr praktisch bei der Ausblendung von Radiogedudel, flachen Unterhaltungen oder Ansagen, die keine Aktion meinerseits erfordern.

Selektive Wahrnehmung ist weiter verbreitet, als man landläufig annimmt. So wird diese vorwiegend auf das Reden Gottes angewendet oder gar auf das Lesen der Bibel. Besonders effektiv ist es dabei, gar nicht erst die Bibel zu lesen oder im Gebet immer nur selbst zu reden, statt auf Gott zu hören. OK, das war jetzt Ironie, aber auch diese versteht ja nicht jeder.

Montag, 11. Dezember 2017

Lunch bei Gemeinsam für Berlin

Vernetzung wird in der christlichen Szene unterbewertet. Immer wieder entdecken wir Parallelwelten oder Gemeinden, die regional gar nicht vernetzt sind. Heute besuchte ich das auf Vernetzung ausgelegte Lunch beim Gemeinsam für Berlin e.V.



In den letzten acht Jahren hatte ich verschiedene Wirtschafts-Clubs getestet und nur wenige Gruppen gefunden, bei denen Zeitaufwand, Kosten und Nutzen in einem sinnvollen Verhältnis stehen.

Einer der interessanteren Wirtschaftsclubs wirbt zurzeit um meine Mitgliedschaft. Um eine weise Entscheidung zu treffen, musste ich mich erst einmal beraten. Am Vormittag führte ich deshalb zwei längere Telefonate mit dem Effekt, dass sich die gesamte Tagesplanung verschob. So klingelte ich erst zehn nach eins an der Tür von GfBerlin.

Pünktlich 13 bis 14 Uhr

Ein Blick in den Raum offenbarte mir, dass ich der fünfte Teilnehmer war. Das akademische Viertel, das in Gemeinden der City-Region üblich ist, gab es hier nicht. Pünktlicher Beginn und pünktliches Ende, fast wie beim Politischen Frühstück im Haus der Commerzbank am Pariser Platz. Pünktlich heißt: 13 bis 14 Uhr. Das Lunch findet etwa zweimal pro Monat statt und ist offen für jeden, der sich in der christlichen Szene vernetzen möchte. Die Kosten werden per Spende gedeckt.

Divergente Teilnehmer

Heute saßen eine NGO-Vertreterin, ein Gemeindegründer, ein Pastor, Andrea Meyerhoff von GfBerlin und der Church Checker zusammen. Leckeres Essen mit Nachtisch und Salat plus Kaffee wurden verzehrt und dabei jede Menge Infos und weiterführende Kontakte vermittelt. Visitenkarten wechselten ihre Besitzer. Da ich vermute, dass diese Art Zusammentreffen unter Chatham House Rules ablaufen, kann ich hier keine weiteren Details veröffentlichen.

Der Exit

Am Ende - also kurz nach zwei - gab uns Andrea noch jede Menge Flyer mit und warb für das Gebets-Event EINS, das am 20. Januar 2018 in Schöneberg stattfinden soll.

Anfahrt und Abfahrt konnten nur bedingt mit der Länge des Meetings in Einklang gebracht werden. Dennoch waren die Begegnungen so wertvoll, dass sich der Weg gelohnt hatte.

Die pünktliche Entlassung hatte sogar den Effekt, dass viele Themen nur angerissen werden konnten und eine abschließende Erörterung die Beibehaltung der neuen Kontakte erforderlich machte. Sehr cleveres Format!

Montag, 4. Dezember 2017

Limelight Collection - Creativity @Heilsarmee

Die Limelight Collection ist ein interessantes Format der Annäherung an Bibeltexte. Ein Berufskünstler leitet die kleine Gruppe bei der Entfaltung ihrer Kreativität an. Heute Abend habe ich Limelight in Prenzlberg besucht.



Nach dem Gottesdienst zeigte mir ein bekannter Schauspieler sein Smartphone. "Kennst du das?", wollte er wissen. Ich sah eine Einladung zu Limelight für Montagabend. Die Adresse war identisch mit der von Gemeinsam für Berlin. Hm, Montag? Der Männerabend bei Eben Ezer war mir zu weit: Lankwitz. Prenzlauer Berg hingegen wäre in 20 Minuten zu erreichen - mal unabhängig von der Parkplatzsuche betrachtet. Wegen eines Paralleltermins könne der Schauspieler selbst wohl nicht mitkommen.

So machte ich mich heute alleine auf den Weg. Den Parkplatz fand ich wenige Meter vom Haus entfernt. Pünktlich halb acht betrat ich die Räume der Heilsarmee. Diese befinden sich im Kellergewölbe der Kastanienallee 71 - freundlich, gemütlich und weihnachtlich geschmückt.

Mittzwanziger, Tee und Englisch

Mit meinem Erscheinen erhöhte sich die Teilnehmerzahl auf vier. Tee wurde angeboten. Es gab auch kleine Schokokekse. Sprache der Wahl war Englisch. Das Limelight Collective verstand jedoch auch Deutsch, so dass wir uns bilingual verständigen konnten.

Innerhalb des akademischen Viertels trafen weitere Leute ein, so dass wir letztlich mit neun Personen starteten. Den homogenen Altersdurchschnitt von Mitte zwanzig überschritt ich um einige Jahre - um nicht gleich das Wort Verdoppelung zu verwenden. Ich schaltete um auf den Ich-fühle-mich-jung-Modus. Zunächst setzten wir uns um eine große Decke und sangen Weihnachtslieder mit Tejas, einem Softwareguru aus dem Mittleren Osten. Tejas leitet übrigens die Jugendgruppe bei Saddleback, so dass sich hier völlig unerwartete Netzwerk-Verbindungen schlossen.

Matthäus 2

Dann bekamen wir eine kleine Einführung in Matthäus 2, 1-12. Alles auf englisch, aber egal. Wenigstens hatte ich am Sonntag den Akku nachgeladen, so dass meine Bibel-App wieder genutzt werden konnte. Außer Vulgata und Hebraica habe ich wohl nichts weiter auf dem Smartphone. Irgendwann ist der Speicher ja ausgereizt.

Nach einem entspannten Austausch über den Text verteilten wir uns im Raum. Buntstifte, Fasermaler, Kugelschreiber und Papier lagen bereit. Der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt. So wurde gemalt, getextet, sinniert, gebetet, gesessen, getanzt, gesungen oder Gitarre gespielt.

Papier und blauer Buntstift

Ich nahm ein Blatt Papier und malte mit einem blauen Buntstift, was mich bei diesem Text bewegte. Ein großer Stern im Zentrum, ein Weg, der sich langsam durch die dunkle Umgebung schlängelte und dann mitten in den Stern hineinmündete. Darunter das verschlafene Jerusalem, eine zugeklappte Bibel und ein Königs-Apfel mit Kreuz-Ornamenten, oder wie auch immer diese Kugel heißt, die die Könige auf alten Gemälden in der Hand halten. Letzteres symbolisierte das schockierte Jerusalem, den erschrockenen König Herodes und die desinteressierten Schriftkenner. Vers 10 bewegt mich schon seit gut 30 Jahren, als wir diesen Text erstmalig genüsslich mit Kollegen in einer Nachtschicht auf uns wirken gelassen hatten.

Kunstbetrachtung

Nach ausreichend viel Zeit kamen wir wieder an der flauschigen Decke zusammen. Es gab Brot und Butter - pardon bread & butter - eventuell in Anlehnung an das gleichnamige Festival of Style and Culture. In einer kreativen Reihenfolge stellten wir die Ergebnisse vor. Es wurden Bilder herumgereicht und jeder konnte sich einen Augenblick lang hineinversetzen. Wir kamen über Farben, Formen und den tieferen Sinn ins Gespräch und entdeckten Dinge, die selbst der jeweilige Künstler noch nicht bemerkt hatte.

Texte und Tanz

Kurze Texte wurden gelesen und eine Frau aus Ghana tanzte dazu. Sie erklärte uns jede ihrer Bewegungen, so dass ich erstmalig ein Verständnis für Ballett-Choreografie vermittelt bekam. Die Bewegungsabläufe waren so genial, dass ich wohl mit heruntergeklappter Kinnlade auf der Decke gesessen haben muss.

Drei Stunden City-Kreativität

Auf diese Weise hatte ich gar nicht bemerkt, dass schon drei Stunden vergangen waren. Der Abend wurde mit einem Gebet abgeschlossen und alle halfen noch beim Aufräumen. Wie ich erfuhr, kamen die Kreativen aus verschiedenen Gemeinden der weiteren City-Region: Wedding, Moabit, Mitte, Prenzlberg. Englisch war eine gute Option für die allgemeine Verständigung gewesen. Halb zwölf war ich wieder zu Hause.

Limelight findet jeden Montag statt und bietet einen guten Rahmen zur freien Entfaltung der Kreativität. Die geschaffene Kunst wird ernst genommen und das eigene Denken auf eine spannende Entdeckungsreise geschickt. Die Werke werden für spätere Inspirationen archiviert - als Original oder als Foto.

Sonntag, 3. Dezember 2017

Gemeinde Berlin in Moabit

Wer bei Google die Suchbegriffe "gemeinde" und "berlin" eingibt, bekommt als erstes Ergebnis Gemeinde-Berlin.de präsentiert. Nachhaltig setzt sich diese Domain gegen Webseiten des Mülheimer Verbandes und anderer Gemeinden in Berlin durch. Heute besuchten wir diese gut positionierte Gemeinde in Moabit.



Der Weg nach Moabit war gut bekannt. Vorbei an der Bundespressekonferenz, vorbei am Kanzleramt, vorbei am Innenministerium, vorbei am Hauptbahnhof, vorbei am Büro der Internetmission Berlin und dann noch zweimal rechts: Zwinglistraße.

"Katholisch können sie nicht sein", bemerkte mein Sohn mit Hinweis auf den Straßennamen. Das Häuser-Karree war dicht bebaut und präsentierte sich mit einer interessanten Innenhof-Landschaft, zu der auch das zweistöckige Haus der Gemeinde in Berlin gehörte. Nummer 32a machten wir anhand eines kleinen Schaukastens aus. Daneben eine breite Gitterpforte - verschlossen. Eine Viertelstunde vor Gottesdienstbeginn war eventuell zu früh. Wir begaben uns auf den Nachbarhof und suchten nach einem alternativen Zugang. Nichts!

Versammlung um den Tisch des Herrn

Wer bei eisiger Kälte nach Moabit fährt, gibt nicht so schnell auf. So gingen wir wieder zum Gittertor. Im gelben Gemeindehaus regte sich etwas. Ein junger Mann hatte uns erspäht und gewährte uns den Einlass auf den Hof und ins Haus. Helle schlichte Räume, sehr funktional eingerichtet. Im Hauptsaal waren jeweils zwei Stuhlreihen um einen Tisch gruppiert, den "Tisch des Herrn".

Wenig später trafen weitere Besucher ein und begrüßten uns freundlich. Überhaupt eine sehr integrative Atmosphäre bei der "Gemeinde in Berlin". Fast alle strahlten einen tiefen inneren Frieden aus. Das ist selten in dieser geballten Form anzutreffen.

Bibel dabei und wiedergeboren

"Hier hätten wir wohl unsere Bibeln mitbringen sollen", flüsterte mein Sohn herüber. Wegen des späteren Abendmahls wurden wir gefragt, ob wir wiedergeborene Christen seien. Das konnten wir positiv beantworten.

Die Versammlung begann mit einer spontanen Lesung aus Psalm 122. Die versammelten 20 Personen stimmten in den Text ein und bestätigten einzelne Passagen durch betonte Wiederholungen und mehrfaches Amen. Wenn Worte hängen blieben, wurden diese noch einmal ausgesprochen. Die Augen glänzten und es war zu merken, dass die Bibelverse regelrecht in den Menschen lebten. Sie inhalierten den Text und atmeten diesen mit Leidenschaft aus.

Zwei Frauen hatten uns Bibeln gereicht, so dass wir uns aktiv beteiligen konnten. Meine Bibel-App war nicht mehr nutzbar, da sich der Akku verabschiedet hatte.

Wenn ihr zusammenkommt, trägt jeder etwas bei.

Das Bibel-Wissen war faszinierend. Wir fühlten uns wie in 1. Korinther 14 Vers 26: "Wenn ihr zusammenkommt, trägt jeder etwas bei: einer einen Psalm, ein anderer eine Lehre, der dritte eine Offenbarung; einer redet in Zungen und ein anderer übersetzt es. Alles geschehe so, dass es aufbaut."

Psalmen, Lieder, Psalmen, Jeremia, Hebräerbrief, Epheser - je nach Assoziation von Kontext oder einzelnen Worten wurde quer durch die Bibel gesprungen. Dennoch ergab sich ein sinnvoller Faden. Ich war erstaunt, wie gut und harmonisch das funktionierte. So völlig ohne Alleinunterhalter auf der Kanzel. Zwei Stunden lang.

Abendmahl

Zur Halbzeit wurde das Abendmahl gereicht. Alle zitierten die entsprechenden Bibelstellen. Knack - brach das Brot auf dem Teller. Es gab Wein und Traubensaft. Dazu Lieder und Psalmen. Danach ging das Bibelgespräch weiter.

Am Ende gab es Ansagen und Segnungen. Anschließend wurden wir persönlich nach Karlsruhe eingeladen und verließen nach einem kurzen Smalltalk die Gemeinde. Schließlich hatten wir uns um 12 mit dem Rest der Familie verabredet.

Schublade

Auf der Fahrt zur Kalkscheune unterhielten wir uns über das Erlebte. Im Liederbuch hatten wir keine Namen von Autoren oder Komponisten gesehen. Es waren nur Noten, Texte und Bibelstellen abgedruckt. Als Bibelübersetzungen waren Luther und eine andere Version verwendet worden. Es klang nach Elberfelder, wohl weil die Urtexte von Nestle-Aland ins Deutsche übertragen worden waren. Ganze Passagen konnte die Gemeinde gemeinsam aus dem Gedächtnis rezitieren. So etwas hatte ich bisher nur in Brüdergemeinden erlebt. So richtig passte die Brüder-Schublade aber nicht, weil die Gemeinde zu charismatisch war.

Die bemerkenswerte Indizierung von gemeinde-berlin.de bei Google schien in Moabit niemanden zu interessieren. Die Webseite hat den optischen Stand von 2007. Die Informationen sind spärlich und die Wortwahl für langjährige Christen verständlich. Ein erklärtes Alleinstellungsmerkmal der Gemeinde in Berlin ist folgendes: Nur eine Gemeinde pro Ort. Deshalb auch keine Vernetzung innerhalb der durchaus lebendigen christlichen Szene der Stadt.

Vernetzung charismatischer Brüder

Vernetzung gibt es dennoch: bundesweit und weltweit, wie uns die Link-Seite der Gemeinde in Karlsruhe verriet. Dort wurde dann auch eine Brücke geschlagen zu den Prinzipien von Watchman Nee. Watchman Nee lebte von 1903 bis 1972 in China. Geprägt wurde er durch die Plymouth Brethren - also tatsächlich eine Brüdergemeinde.

Während sich die Brüderbewegung in Deutschland mit der Ausübung der im ersten Korintherbrief beschriebenen Geistesgaben schwer tut, wurden diese in China offensichtlich gerne angenommen und schwappten dann sehr zaghaft nach Europa zurück. Eine interessante Kombination, der man hier normalerweise nur als Entweder/Oder von evangelikal versus charismatisch, gesetzlich versus liberal oder bibelwissend versus erlebnisorientiert begegnet.

Freitag, 1. Dezember 2017

Christ erscheint vor dem 1. Advent

Die Ereignisse des heutigen Tages bieten eine Steilvorlage für Predigten zum ersten Advent. Während vier Sonntage lang symbolisch auf die Ankunft (Adventus) von Jesus gewartet wird, ist heute in Berlin der Christ erschienen.



Eine bunte Schar einfacher Menschen blickte auf den großen Stern - Herrnhut. Dieser wird in wenigen Tagen das Innere des Präsidialamtes erhellen. Die rauen Männer und wenigen Frauen waren in ihrer Arbeitskleidung gekommen und warteten auf das Signal. Als ihre Hirtin kam, folgten sie ihr über das holperige Pflaster des Gartens in ein festlich erleuchtetes Haus.

"Lasset uns hinaufgehen", heißt es in Lukas 2 Vers 15. So stieg die bunte Schar erst eine Treppe, dann noch eine Treppe und schließlich auf ein hölzernes Podest hinauf. Dort positionierten sie die Kameras.

Christ, weise Männer und Geschenke

Kurz nach elf erschien der Christ - sein Vorname: Josef. Ort: kein Stall mit Krippe, sondern ein Schloss - das Schloss Bellevue am Großen Stern.

Statt Caspar, Melchior und Balthasar waren Männer eines vergleichbaren Ranges zugegen: Frank-Walter Steinmeier, Thomas de Maizière und Andreas Voßkuhle. Wie die Weisen aus dem Orient hatten auch sie eine Schatulle mit wertvollem Inhalt dabei: Das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Abweichend von den Berichten aus Matthäus 2 wurde diese Schatulle nicht dem Josef Christ überreicht, sondern seinem Vorgänger Wilhelm Schluckebier. Schluckebier und Christ stehen der Christ-Demokratie sehr nahe.

12 Jahre

12 Stämme Israel, 12 Apostel, 12 Jahre Amtszeit eines Verfassungsrichters. Obwohl seine 12 Jahre noch nicht vollendet waren, wurde Wilhelm Schluckebier vorzeitig entlassen. Er bekam heute sogar eine Entlassungs-Urkunde. Entlassung ist ein Wort, bei dem wohl jeder Arbeitnehmer zusammenzuckt. Wilhelm Schluckebier trug es mit Fassung und Freude. Die etwa 30 Gäste applaudierten sogar. Vor wenigen Tagen hatte er seinen 68. Geburtstag gefeiert und war damit dem Dämpfungsfaktor Alter erlegen. Das ist ein durchaus biblisches Prinzip für die Karriere eines Leviten - pardon Verfassungsrichters.

Wilhelm Schluckebier war im Strafrecht zu Hause und musste sich mit einigen neuen Themen wie Kopftüchern, Flüchtlingen und der elektronischen Fußfessel beschäftigen. Er galt als besonnen und fachkompetent. Auf mich machte er einen sehr bescheidenen, freundlichen und insgesamt sympathischen Eindruck.

Christ, Big Data und Familie

Sein Nachfolger, Josef Christ, kennt sich mit Big Data, Wirtschaft und Vermögen aus. Er kommt aus dem südlichsten Süden Süddeutschlands. Mit dem neuen Arbeitsort Karlsruhe kommt er seiner Familie sehr entgegen. Diese hatte dem schwäbischen Umzugs-Hype nach Berlin erfolgreich widerstanden. Der Bundespräsident ging darauf sogar in seiner Rede ein.

Auch Josef Christ darf nur eine biblische Zahl von 7 Jahren im Amt bleiben, da er bereits 61 ist. Das sieht man ihm nicht an. Dennoch eine weise Regelung, die auch auf Gemeinden und parakirchliche Organisationen adaptiert werden könnte.

Nach einer halben Stunde verschwanden Christ und Gäste im großen Saal. Die Männer und Frauen auf dem hölzernen Podest packten ihre Habe zusammen und verließen freudig den Ort. Hatten sie doch heute viel erlebt und den Schwur von Josef Christ gehört, der mit den Worten endete: "So wahr mir Gott helfe."

Video: Wechsel beim Bundesverfassungsgericht

Mittwoch, 22. November 2017

40 Tage Gebet @Saddleback

Kurzzeit-Aktionen wie 7 Tage Fasten, 6 Wochen Ehekurs oder 40 Tage Gebet eignen sich hervorragend zum Appetit machen. Gut, wenn die positiven Erfahrungen dieser Zeit die Beziehung zu Jesus nachhaltig prägen.



Rick Warren, der Hauptpastor von Saddleback in Kalifornien, ist bekannt für seine ausgereifte Didaktik. Begriffe werden in einzelne Buchstaben zerlegt und den Buchstaben Sinn stiftende Bedeutungen verliehen. Es wird mit Zahlen und Aufzählungen jongliert. Bei Seminaren gibt es dicke Begleithefte mit selbst zu ergänzenden Lückentexten. Zur sonntäglichen Predigt werden Zettel mit den Bibeltexten und Platz für eigene Notizen gereicht. Nahezu jede Zusammenkunft - ob Hauskreis, Mitgliederseminar oder Gottesdienst - wird mit einem Video unterlegt. Letzteres schon etwas zu viel für meinen Geschmack, auch wenn die Nutzung von Videos durchaus Vorteile hat.

40 Tage Gebet - weltweit und in Kleingruppen

Konzertierte Aktionen wie 40 Tage Gebet schweißen eine Gemeinde zusammen, fördern den Austausch über gemachte Erfahrungen und verbinden Personen, die sich vielleicht bisher nicht kannten.

Wir entschieden uns zur Einrichtung eines Kurzzeit-Hauskreises, an dem sogar unsere Kinder teilnehmen. Die bunten Begleithefte, die es übrigens auch auf Deutsch gibt, laden zum Mitmachen ein und bieten genug Platz für Notizen. Jeden Tag gibt es einen kurzen Bibeltext und drei Fragen dazu. Ich habe die Bearbeitung auf den Morgen gelegt, so dass der Tag gleich mit Gedanken über Gott beginnt. Einmal in der Woche treffen wir uns mit den Hauskreis-Teilnehmern und tauschen uns aus. Dazu gibt es - na, ratet mal - ein Video und Tee und Weihnachtsgebäck.

Vaterunser

Die Predigten am Sonntag flankieren das Thema, so dass wir uns in eine weltweite Aktion eingebunden fühlen. Am letzten Sonntag sprach Rick Warren über das Vaterunser (Matthäus 6, 9-13). Erstaunlich, was sich aus diesem Text immer wieder herausholen lässt. Der geborene Didaktiker aus Amerika teilte das Vaterunser auf den Tag auf. Das ist eine moderne Form des Gedächtnis-Trainings. Gegenstände, Zeit-Marken, Orte, Personen werden zu Erinnerungspunkten für andere Themen, so dass beispielsweise ein regelmäßiger Gebets-Impuls ausgelöst wird.

Der von Rick Warren skizzierte Tagesablauf mit Vaterunser sah wie folgt aus:

  1. Aufwachen - Dank an Gott
  2. Frühstück - Namen Gottes und deren persönliche Bedeutung
  3. Vormittag - Was sind Gottes Prioritäten in meinem Leben?
  4. Mittag - Was ist mein heutiger Bedarf?
  5. Nachmittag - Wen habe ich verletzt? Wem habe ich zu vergeben?
  6. Abend - Gebet um weise Entscheidungen
  7. Vor dem Einschlafen - Nimm eine ermutigende Wahrheit aus der Bibel in dich auf!

Bisher war mir auch noch gar nicht so bewusst aufgefallen, dass Jesus "so sollt ihr beten" statt "das sollt ihr beten" sagt. Damit gibt er einen Leitfaden statt eines auswendig zu lernenden Textes weiter.

Inzwischen haben wir die Halbzeit überschritten und konnten einige gute Erfahrungen machen. Diese schreiben wir in die Begleithefte und reden beim nächsten Treffen darüber. Ich bin gespannt auf die finalen zwei Wochen und was sich im globalen Maßstab durch diese Gebetszeit tut.

Sonntag, 19. November 2017

Volkstrauertag - Ewigkeitssonntag - 1. Advent

Der heutige 19. November fällt mit dem Volkstrauertag zusammen. Ein bedeutungsvoller Tag für unsere Familie, der Geschichte und Gegenwart verbindet.



Der Volkstrauertag wurde 1919 als Gedenktag vorgeschlagen und erstmalig am 1. März 1925 begangen. Bis 1951 fand der Volkstrauertag im Februar oder März statt - Reminiscere, dem fünften Sonntag vor Ostern. 1952 wurde er auf den zweiten Sonntag vor dem ersten Advent gelegt. Gedacht wird insbesondere an die Menschen, die durch Krieg und Gewalteinwirkung ums Leben gekommen sind.

Im Dritten Reich wurde der Tag auf den 16. März festgelegt. Am 16. März 1935 war die Wehrpflicht reaktiviert worden und damit ein passender Anlass, von der christlichen Zeitrechnung abzuweichen.

Volkstrauertag 2017 Neue Wache Kranzniederlegung
Volkstrauertag 2017 - Neue Wache - Kranzniederlegung
Volkstrauertag - Ewigkeitssonntag - 1. Advent

Der Volkstrauertag ist nicht zu verwechseln mit dem Totensonntag. Der Totensonntag - auch Ewigkeitssonntag genannt - ist ein evangelischer Gedenktag an die Verstorbenen - egal, in welcher Form sie abgelebt waren. Der Ewigkeitssonntag findet am letzten Sonntag des Kirchenjahres, also am Sonntag vor dem ersten Advent, statt. So ergibt sich die zeitliche Abfolge: Volkstrauertag, Ewigkeitssonntag, 1.Advent.

19. November

Die Eltern meiner Frau waren beide an einem 19. November geboren. 2016 feierte meine Schwiegermutter das erste Mal in Schwarz und ohne ihren Mann. Er war wenige Tage zuvor gestorben. Auch in diesem Jahr war es sehr knapp: Fast wären meine Schwiegermutter und ich nicht dabei gewesen.

Zum Volkstrauertag oder dem Ewigkeitssonntag habe ich keine besondere Beziehung. Warum auch? Von den Taten und Persönlichkeiten der Verstorbenen können wir einige Dinge lernen. Wir können uns an gemeinsame Erlebnisse erinnern und dann wieder unserem Alltag zuwenden. Ein Teil von ihnen lebt ja als DNA in uns weiter.

19. November 2017

Im Gottesdienst trafen wir einen Pastor, den wir noch aus früheren Zeiten kannten. Trauer über Vergangenes? Nein, stilles Verständnis. Nach dem Gottesdienst eilte ich zur Neuen Wache. Bei klirrender Kälte und schneidendem Wind trugen Minister und Präsidenten Kränze in einen LED-beleuchteten Raum. Wo einst die "Ewige Flamme" loderte, sitzt nun eine Mutter mit ihrem toten Sohn. Keine Pieta mit der kreuzförmig angeordneten Maria, die Jesus festhält, sondern eine Mutter des 20. Jahrhunderts, die ebenfalls um ihren Sohn trauert.

Danach trafen wir uns beim Thailänder und starteten in den Geburts-Tag meiner Schwiegermutter. Die Tage, an denen sie Schwarz trägt, werden immer weniger. Den Gang zum Friedhof hatte sie schon gestern absolviert. Heute standen nur noch Kaffee trinken, Abendessen und Gemeinschaft mit der Familie auf dem Programm.

Donnerstag, 16. November 2017

Disruption nach 1. Könige 11, 11

Disruption ist ein Wort, das zeitgleich mit Industrie 4.0 und Big Data in Mode gekommen ist. Inzwischen wird es zwar durch Jamaika überlagert, hat aber nichts von seiner Brisanz verloren. Umso erstaunter war ich, dass bereits die alten Römer und Vulgata-Übersetzer Hieronymus (347-420) mit diesem Wort vertraut waren.



Die Bibel ist Big Data. Egal, wie oft ich sie lese, ich entdecke immer wieder Neues. Das liegt wohl daran, dass sie mich in verschiedenen Lebenssituation und fortlaufenden Altersetappen begleitet. Momentan bin ich beim ersten Könige-Buch. Und auch hier ist es das 11. Kapitel, in dem die Situation kippt.

Samuel und die vier Könige-Bücher

Das erste Könige-Buch schließt nahtlos an den 2. Samuel an. Kein Wunder also, dass einige Übersetzungen den Samuel als erstes und zweites Könige-Buch umwidmen und die bekannten Könige einfach als drittes und viertes Buch zählen. Im ersten Kapitel übergibt David die Amtsgeschäfte an Salomo, setzt einige Themen auf dessen Agenda und schläft in Kapitel 2, 10 ein.

Salomo arbeitet die Agenda ab, bekommt die größte Weisheit, die je ein Mensch bekommen konnte. Dazu bekommt er Reichtum und Frieden an sämtlichen Grenzen. Salomo baut den ersten Tempel in Jerusalem.

Fallen des Glücks

Zur Abrundung des Glücks nimmt er sich insgesamt 1.000 Frauen. Letzteres erfahren wir in Kapitel 11. Vers 4 berichtet uns, dass die Frauen es schaffen, das Herz des alt gewordenen Salomo dazu zu bewegen, anderen Göttern nachzulaufen. Detailliert wird beschrieben, welche Götzentempel er wo bauen lässt. Wegen der bisher so guten Beziehungen zu Gott erscheint Gott höchst persönlich und teilt Salomo sein Missfallen mit. Bei Leuten, die keine so enge Beziehung zu Gott haben, werden entweder Boten gesendet oder das Gericht bricht ohne weitere Vorwarnung herein.

Salomo und die Disruption

Gott spricht Klartext mit Salomo: "disrumpens scindam regnum tuum ei dabo illud servo tuo" (Vulgata). Zu Deutsch: "deine Regierung wird disruptiert, abgeschnitten und deinem Mitarbeiter gegeben". Das Wort scindere (spalten, trennen, teilen, abschneiden) taucht mehrfach im Kapitel 11 auf. Das Wort rumpere (auch ruptum) nur in Vers 11. Kann man sich gut merken: 11, 11.

Rumpere oder ruptum bedeutet: zerbrechen, zerreißen, zersprengen, verletzen, vernichten, auflösen oder unterbrechen. Der Ruptor ist der Verletzer - auch im Sinne von Vertragsbruch. Neudeutsch wird immer noch das die Trennung verstärkende Dis davorgesetzt.

Und tatsächlich geht es bereits in Kapitel 11 zur Sache. Israel bekommt Stress an den Grenzen, seitens der zum Tribut verpflichteten Fremdvölker und durch innenpolitischen Druck. Fortan wird Salomo mit asymmetrischen Konflikten und handfesten kriegerischen Auseinandersetzungen beschäftigt. Im Gegensatz zu seinem Vater bewirkt das jedoch keine Hinwendung zu Gott, sondern eine geistliche Erosion. Sein Sohn verliert bereits nach wenigen Tagen Regierungszeit zehn von zwölf Volksgruppen. Als er diese mit Gewalt zurückholen will, hört er auf den Boten Gottes und fügt sich in die Situation.

Disruption der Neuzeit

Vor zwei Jahren besuchte ich eine Konferenz, von der ich inhaltlich kaum etwas erwartete. Den Artikel hatte ich bereits in der Schublade und wollte ihn vor der Veröffentlichung nur noch mit ein paar Erlebnissen vor Ort ausschmücken. Es sollte mal wieder um Disruption und Vier-Punkt-Null gehen. Wie langweilig!

Allerdings sprach diesmal nicht Günther Oettinger über Kühe mit PH-Wert-Chip und Schlaglöcher statt Funklöcher, sondern Christoph Keese von Axel Springer. Er hatte im Silicon Valley nachgespürt, was Disruption bedeutet. Entsprechend spannend war sein Vortrag, der beste übrigens, den ich je zu diesem Thema gehört habe.

Bemerkenswert wäre die allgemeine Arroganz des Establishments, das sich als "Halbtoter auf dem Weg zum Friedhof" lange über die Bemühungen des Disruptors amüsierte. Christoph Keese prognostizierte eine Sterblichkeit durch alle Branchen von 95%. Abschließend bemerkte er: "Disruptoren greifen an, wo Sie es nicht erwarten, mit Dingen, die Sie nicht ernst nehmen."

Disruption im Reich Gottes

Es ist immer wieder interessant, wenn Vertreter etablierter Strukturen von "Ecclesia semper reformanda" reden und sich wohlwollend auf die eigene Schulter klopfen. Die immerwährende Rückformung der Gemeinde betreffe schließlich nur die Anderen. Und dabei disruptieren die hierarchisch Unbeachteten ständig - semper sozusagen - das große Gebilde, indem sie fern bleiben, eigene Aktionen durchführen oder ihren persönlichen Glauben mit anderen Quellen ernähren.

Dass etablierte Kirchen und Gemeinden an Mitgliederschwund leiden, ist eine Wirkung von Disruption. Kontemporäre Gemeinde-, Kleingruppen- und Gottesdienst-Formen ziehen geistlich hungrige Christen und neugierige Interessenten an. Diesen Gemeinden wird gerne Transferwachstum vorgeworfen, da sie wertvolle Mitarbeiter aus Bestandsgemeinden abzögen. Das ist nur bedingt richtig. In den letzten drei Jahren durften wir feststellen, dass sich in diesen modernen Gemeinden regelmäßig Menschen für Jesus entscheiden, also ganz neu dazukommen.

Disruption ist aber auch im globalen Maßstab zu betrachten. Ein Christ, der seinen Glauben 24/7 lebt, wird seine alltägliche Umgebung disruptieren und damit positiv verändern. Selbsttests bestätigen das.

Montag, 6. November 2017

2. Samuel - Wenn die Biografie kippt...

Nach dem 1. Samuel ist folglich der 2. Samuel dran. Auch dieses Buch aus dem Alten Testament ist harte Kost. Da ich wusste, was darin passiert, zögerte ich diesmal mit dem Weiterlesen. Der angeborene Drang zum Durchlesen setzte sich aber durch.



"Beni-------i Avschalom, Beni-------i", weinte David seinen Schmerz hinaus (2. Samuel 18,33). Fassungslos standen die Boten vor ihm. Gerade hatten sie ihm die freudige Nachricht überbracht, dass sein Feind getötet worden war. Sein Feind, sein eigener Sohn: Absalom - wie die Vulgata den Namen in unsere Buchstaben fasst.

Mit qol gadol - einer großen Stimme - wiederholte David den Aufschrei in Kapitel 19 Vers 4. Sein Heerführer Joab war das Morden gewohnt und hatte nun auch den Sohn des Königs getötet, entgegen dem ursprünglichen Befehl. Ganze acht Verse brauchte David, um sich zu erheben und im Stadttor Platz zu nehmen. Das Volk war frustriert darüber, dass David offensichtlich seine Feinde liebt und seine Freunde hasst (19,6).

Wie das Unheil seinen Lauf nahm:

Als ich diesen Text vor ein paar Jahren erstmalig auf Hebräisch las, wurde mir die ganze Tragweite der Situation bewusst. Der tiefe Schmerz, der durch David ging. Absalom war nun schon der zweite Sohn, der gewaltsam ums Leben gekommen war. Ein dritter Sohn war sieben Tage nach der Geburt gestorben. Und damit hatte alles begonnen...

Eine Segenslinie zieht sich von 1. Samuel 16 bis ins 10. Kapitel des 2. Samuel-Buches. Kapitel 11 beginnt daher fast idyllisch mit der Jahreszeit, in der die Könige damals zum Krieg auszogen, David auf der Dachterrasse entspannte und eine Nachbarin ein Bad nahm. Kurz darauf war die Nachbarin schwanger und der treue Ehegatte der Nachbarin überbrachte dem oben erwähnten Joab sein eigenes Todesurteil - einen Brief, geschrieben von König David. Der Plan ging auf, der Ehemann starb und Nathan kam.

Weiterleben mit Auflagen

Nathan war der Prophet, der öfter mit David sprach und ihm auch unangenehme Dinge sagen konnte. In Abwägung der innigen Beziehung, die der König bisher zu Gott gehabt hatte, durfte David zumindest weiterleben (12,13).

Noch in Kapitel 12 starb das Kind und David atmete auf. Hatte er doch damit das erste Gericht Gottes überstanden. In Kapitel 13 nahm das Verhängnis seinen weiteren Lauf: Davids Sohn Amnon vergewaltigte die Schwester Absaloms - sie hatten unterschiedliche Mütter. David hörte zwar davon und war sehr traurig - unternahm aber nichts.

Absalom konnte sich bemerkenswert gut beherrschen. Zwei Jahre lang ließ er sich nichts anmerken und erschlug dann bei einer Party seinen Halbbruder Amnon. Damit war Absalom der neue Erstgeborene und musste fliehen. Drei Jahre lang lebte er im Exil. Dann holte ihn Joab zurück nach Jerusalem. Es dauerte weitere zwei Jahre bis Absalom endlich seinen Vater sehen durfte. Der Wortwahl nach muss die Begrüßung ähnlich emotional verlaufen sein, wie die des verlorenen Sohnes.

Absalom baute seinen Einfluss aus und fühlte sich irgendwann so stark, dass er gegen seinen Vater putschte. Er nahm sich die Nebenfrauen Davids und erfüllte damit einen Teil der Prophetie Nathans. Es kam zum Kampf zwischen Absaloms Heer und Davids Leuten unter Joab. Das Ende kennen wir bereits: "Mein So-------ohn Absalom, mein So-------ohn".

Ganze 11 Kapitel wird der Bibelleser zum Mitleiden angeregt. Erst in 2. Samuel 22 wird diese Linie der Konsequenzen durchbrochen.

Negativ-Beispiele

Beim gedanklichen Scan der Bibel fielen mir erschreckend viele Personen ein, bei denen die Biografie ins Negative gekippt war: Adam, Eva, Saul, Gideon, Hiskia, Salomo, Hannanias, Zafira, Judas, Bileam, Gehasi.

Ihre Fallstricke waren Habsucht, Eigenwille, Erfolg, Toleranz, Angst und Eitelkeit.

Im Leben von Herodes, Ahab, dem Gelähmten vom Teich Bethesda oder Kain gab es zwar göttliche Begegnungen, aber keine Änderung. Sie blieben bis zum teilweise unappetitlichen Tod in ihrer gottesfernen Biografie verhaftet.

Positiv geändert

Wer hatte sich im Alten Testament eigentlich positiv gewandelt? Jesaja? Naomi? Manasse? Nebukadnezar? Ja, Nebukadnezar ist ein gutes Beispiel aus dem Daniel-Buch.

Von Daniel wird so berichtet, als sei er immer schon ein Freund Gottes gewesen. Gleiches ist bei Henoch, Noah, Abraham, Melchisedek und Hiob der Fall.

Im Neuen Testament fallen mir ad hoc mehr Biografien ein, die sich radikal zum Positiven gewandelt hatten - mal abgesehen von der Metapher des verlorenen Sohnes. Da gibt es den Hauptmann Cornelius, den Zöllner Zachäus, den Zöllner Matthäus, Maria von Magdala, den Gefängnisleiter von Philippi, Paulus, die Korinther, die Epheser und Petrus - um nur einige zu nennen.

Wie kann ein Kippen der Biografie verhindert werden?

Schauen wir uns dazu noch einmal David ab 2. Samuel 12 an:

Zunächst hörte er sich aufmerksam an, was Nathan zu sagen hatte. Er beurteilte die Situation nach göttlichen Maßstäben. Diese waren tief in ihm verwurzelt. Final kommentierte er die Situation mit: "Ich habe gegen den Herrn gesündigt". David war also nicht beratungsresistent. Er hörte und bekannte.

David trug die Konsequenzen seines Handelns - mit Gottes Hilfe. Er übernahm die Verantwortung für sein Fehlverhalten und versuchte es nicht zu übertünchen oder anderen in die Schuhe zu scheiben. Letzteres hatten ja Adam und Eva gemacht und mussten in der Folge den Garten Eden verlassen.

David wusste, dass das Leben weitergeht. Deshalb stand er auf, suchte die Nähe Gottes und lebte weiter. Dieses Prinzip wird bereits in Kapitel 12,19-20 deutlich: David hatte sich nach der Vollendung der ungewollten Schwangerschaft auf den Erdboden geworfen - iacuit super terram - und gefastet. Nach sieben Tagen starb das Baby und die Diener wussten nicht, wie sie es David beibringen sollten, bis er selbst nachfragte. Dann lesen wir: "Als sie ihm antworteten, dass er tot ist, stand David vom Erdboden auf".

Davids Sohn Salomo, der Bruder des verstorbenen Babys, schrieb dazu in Sprüche 24, 16: "Denn der Gerechte fällt siebenmal und steht wieder auf; aber die Gottlosen stürzen nieder im Unglück."

Samstag, 4. November 2017

Abend für Paare in der LKG Eben Ezer

Eine Ehe zwischen Mann und Frau gilt heute als antiquiert und homophob. Umso wichtiger ist es, dieser Minderheit Hilfe zur Selbsthilfe an die Hand zu geben. Gestern besuchten wir einen Paar-Abend in Lichterfelde.



SMS, Facebook und WhatsApp sollen Anzahl und Umfang von Missverständnissen deutlich erhöht haben. So kam der Hinweis auf den Paar-Abend bei Eben Ezer per WhatsApp. Meine Rückfrage nach Dresscode und Kosten wurde mit einem kurzen "nothing" beantwortet. Bezog sich das auf den Dresscode oder auf die Kosten? Ich fragte zurück.

Da ich am Nachmittag noch beim Berlin Tattoo war, trafen wir erst kurz nach sieben in der Celsiusstraße ein. Ich war müde und hungrig. Vor der Tür stand ein Feuerkorb - ohne Grillfleisch. Ein kurzer Blick in den Eingangsbereich verriet uns: Paar-Abende bei Eben Ezer sind beliebt - sehr beliebt.

Feuerschale, Eis und Vorraum

Als die WhatsApp kam, hatte ich sofort ein romantisches Candle Light Dinner mit maximal fünf Paaren im Sinn. Nun standen wir einer Situation ähnlich der Rush Hour am Times Square gegenüber. Deshalb wechselten wir einige Worte mit dem Veranstalter-Ehepaar, die uns auf einen Eisblock neben dem Feuerkorb hinwiesen. "Schaut mal genau hin", bat uns Birgit. Tatsächlich, da waren Playmobil-Figuren im Eisblock. Mir fiel der saisonal produzierte Playmobil-Luther ein. Auf Nachfrage wurde bestätigt, dass es sich hierbei nur um ein Hetero-Paar handele. Ich war beruhigt.

Im Vorraum trafen wir erstaunlich viele Bekannte. Sie hatten alle ihre Partner dabei. Aber wo war das Essen? Auf dem Weg zum offiziellen Teil griff ich mir noch drei Salzstangen und begegnete damit dem penetranten Hungergefühl. Im Gemeindesaal lagen Eis-Bonbons auf den Plätzen. Sehr gut! Das Bonbon-Papier legten wir neben einen Zettel mit zwei Thermometern.

Impulsvorträge und Gespräche mit dem Partner

Die nächsten zwei Stunden waren gefüllt mit kurzen Impulsvorträgen vom Altarbereich aus. Diese wurden durch praktische Übungen in Form von Gesprächen mit dem eigenen Partner aufgelockert. Jeder sollte auf den Thermometer-Zetteln die aktuell gefühlte Temperatur der Beziehung eintragen. Wir lagen fast gleich mit unserer Einschätzung.

Das Thema lautete übrigens: "Zurück zur ersten Liebe". An einer Stelle des Abends sollten wir aufschreiben, welche Bedürfnisse wir bei unseren Partnern wahrnehmen. Mir fielen auf die Schnelle drei Punkte ein. Zusätzlich notierte ich meine eigenen Bedürfnisse und schob den Zettel meiner Frau zu: "müde, 21:00, Hunger".

Der Spannungsbogen wurde dadurch aufrecht erhalten, dass es im vorletzten Teil um Zärtlichkeiten in Theorie und Praxis gehen sollte. Der Praxisteil wurde theoretisch behandelt. Im Finale gab es einen Vortrag über die verändernde Kraft des heiligen Geistes.

"Ich will jetzt einen Döner essen", schrieb ich auf den Zettel und zeigte ihn meiner Frau. Sie verwies auf die angekündigte Suppe. Vielleicht gab es die ja schon um sieben und wir hatten die verpasst. Nein, das könne nicht sein. Schließlich sei keines der Hemden bekleckert. "Siehst du, alles Dunkelblau", zeigte sie auf den Pullover eines Mannes, der über die Bühne zum WC eilte.

Suppe und Networking

Viertel nach neun war alles gesagt und das Networking konnte beginnen. Meine Vorstellungen von "Suppe" wurden nun durch die Praxis korrigiert. Im Café-Bereich der Gemeinde waren sechs Töpfe mit verschiedenen Suppen aufgereiht. Alle sahen sehr lecker aus. Dazu Schmand und geröstetes Brot sowie Käse in sämtlichen Formen und Farben.

Nachdem ich nur noch müde - aber nicht mehr hungrig - war, verbrachten wir noch mindestens eine Stunde in den gemütlichen Räumen von Eben Ezer. Als wir gingen, war die Playmobil-Frau schon fast aufgetaut. Der Mann hingegen war immer noch fest im Eisblock verhaftet.

Mittwoch, 1. November 2017

Church Checker sagt Danke: 100.000 Leser

Vor 500 Jahren und einem Tag hatte Martin Luther seine 95 Thesen veröffentlicht. Passend dazu hat Church-Checker.de heute die Leserzahl von 100.000 überschritten. Ein Grund, allen Ideengebern, Darstellern, Co-Autoren und Lesern Danke zu sagen.



Der Blog war 2010 ins Leben gerufen worden. Damals hatte ich eine Mitarbeiterin gebeten, den Bezirk Marzahn multimedial mit christlichen Inhalten zu bearbeiten. Es war schon lange mein Hobby, Gemeinden und Werken bei Google eine bessere Position zu verschaffen. Diesmal ging es um die Suchergebnisse für das Keyword: marzahn. Dabei entstanden Beiträge mit einer Gesamt-Performance von etwa 1.000 Lesern. Es folgte eine längere Pause.

2015

Vor etwa zwei Jahren hatte ich den Blog reanimiert und mit Berichten über unsere diversen Gottesdienstbesuche in Berlin und Umgebung befüllt. Schon die ersten Texte erfreuten sich einer guten Resonanz, so dass ich fortan fast jede unserer Bewegungen in der Szene mit einem Blog-Beitrag kommentierte.

4.000 Leser

Um ein möglichst realistisches Bild zu bekommen, hatte ich den Statistik-Filter ist so eingestellt, dass Eigenaufrufe und Suchmaschinen nicht mitgezählt werden. Im aktuellen Durchschnitt hat sich die monatliche Leserzahl auf 4.000 eingepegelt.

Transparenz und Feedback

Die Artikel sende ich zeitnah an die Leiter der Gemeinden oder die Event-Verantwortlichen. In der Regel wird es als hilfreiches Feedback aufgenommen und gerne für eigene Publikationen genutzt.

Wichtig ist mir auch der Austausch mit Kennern der Szene und anderen Personen, die die besuchten Gemeinden oder Formate ebenfalls erlebt hatten. So kann es durchaus zu Evaluations-Besuchen kommen. Im Allgemeinen werden die Schilderungen jedoch als plausibel und zutreffend bestätigt.

Nun aber zum Dank!

Der erste und größte Dank gilt Jesus, der mir gezeigt hat, dass die Nutzung der Infrastruktur des Internets durchaus Teil einer Berufung sein kann. Das Internet ist längst als Werkzeug zum Bau des Reiches Gottes etabliert und ich darf damit arbeiten.

Der nächste Dank gilt meiner Familie, die mich zu fast allen hier beschriebenen Gottesdiensten und Veranstaltungen begleitet hatte. Manchmal kam nur meine Frau, mein Sohn oder meine Tochter mit, aber immer diskutierten wir über das Erlebte, so dass ein guter Mix an Eindrücken in die Artikel einfließen konnte. In unserer Familie herrscht Meinungs-Pluralität, so dass die eigene Meinung immer auf dem Prüfstand steht.

Ein genereller Dank gilt all den besuchten Gemeinden und Veranstaltern für die Gastfreundschaft, gute geistliche Impulse, Gespräche, neue Kontakte und gewachsene Freundschaften.

Einige Namen

Namentlich möchte ich hier den CVJM-Kaulsdorf herausstellen, der uns Ende 2015 sehr herzlich aufgenommen hatte, so dass wir dort bis heute am wöchentlichen Gebetsabend teilnehmen. Ich danke ferner der FBG, der Internetmission Berlin, Gemeinsam für Berlin, dem Gesprächsforum Leben + Glauben, der Evangelische Allianz und Saddleback, die mich in der Berufung bestärkt und die Luft zum Durchatmen in der Szene gegeben hatten. Ein herzliches Dankeschön auch an die Baptisten-Gemeinden der Stadt für ihre bemerkenswert gute Willkommenskultur.

Dank gilt auch unseren Freunden aus Marzahn, die leider nicht namentlich erwähnt werden möchten. Sie begleiten uns gerne und geben ihren kritischen Input zu den Artikeln. Befruchtend sind auch ihre Checklisten mit den bisher nicht besuchten Gemeinden. Wenn wir mit ihnen unterwegs sind, staunen wir immer über ihre gute Vernetzung quer durch die Denominationen Berlins.

Ich danke Saddleback-Pastor Dave Schnitter für sein weites Herz bei der Förderung des Reiches Gottes auch über den Tellerrand der eigenen Gemeinde hinaus.

Herzlichen Dank auch an Pfarrer Axel Nehlsen, der mir bei theologischen Fragen zur Seite steht und gerne ein prüfendes Auge auf Artikel über Bibel, Kirchengeschichte und globale Zusammenhänge wirft.

Einige Berichte wurden nur durch Pressestatus und die Akkreditierung bei der Bundesregierung möglich. Deshalb an dieser Stelle ein besonderer Dank an die Mitarbeiter des Presse- und Informationsamtes und die Kollegen in den Presseabteilungen des Präsidialamtes, des Kanzleramtes und weiterer Behörden.

Ferner danke ich dem Mülheimer Verband mit seinen Pastoren Torsten Klotzsche und Hans-Peter Pache. Beide hatten uns zum Betreten des weiten Landes (Psalm 31, 9) motiviert und einen großen Vorrat an Praxis-Beispielen geliefert.

Auch der Dank an Pfarrer Swen Schönheit darf nicht fehlen. Ohne sein Buch "Menschen mit Format" hätte ich wohl nie so intensiv zu geistlichem Missbrauch und Leitungsprinzipien recherchiert.

Leser

Der Blog lebt von den Lesern. Deshalb an dieser Stelle ein herzliches Dankschön an die Leser.

Es ist immer wieder eine Freude, Leute zu treffen, die ich bisher nicht kannte, die aber ganze Passagen aus dem Church Checker zitieren können und mir dann von ihren eigenen Erfahrungen berichten. Darüber haben sich schon interessante Querverbindungen ergeben, die die Grenzen der Parallelwelten im christlichen Berlin abbauen.

Sinn und Zweck und Frucht

Der Church Checker erfüllt damit nicht nur einen Informationszweck für Menschen, die auf der Suche nach der zu ihnen passenden Gemeinschaft sind. Er fördert auch die Offline-Vernetzung der Christen in der Stadt. Zudem setzt er Optimierungspotenzial in Gemeinden frei, wie gerade bei ICF Tempelhof erlebt.

Schön, dass das Reich Gottes mithilfe des Internets so gut gebaut und gefördert werden kann.

Dienstag, 31. Oktober 2017

Luther beantwortet Frage: Christ als Soldat?

Christ und Waffe ist in der Szene sehr umstritten. Es gibt Pro und Contra sowie die einschlägigen Bibelstellen mit der anderen Wange oder dem Sinn der obrigkeitlichen Gewalten. Auch Martin Luther musste sich vor fast 500 Jahren dazu positionieren.



Zum heutigen Reformationstag flatterte eine Pressemitteilung des evangelischen Militärbischofs ins Haus. Darin wurde wieder einmal auf die Kriegsleute-Schrift von Martin Luther verwiesen. Er hatte sie 1526 geschrieben. Diesmal wollte ich mir selbst ein Bild machen und las den Text des kleinen Büchleins.

Am Rande eines kurfürstlichen Events wurde Luther von einem Ritter befragt, wie denn das Kriegshandwerk mit dem christlichen Gewissen zu vereinbaren sei. Die kämpfenden Kollegen hätten entweder massive Gewissensbisse oder seien gänzlich vom Glauben abgefallen. Luther nahm sich des Themas an und verfasste die Schrift "Ob Kriegsleute in seligem Stande sein können".

Amt versus Person

Nach einer kurzen Einleitung nimmt der Reformator eine Unterscheidung vor, die den Leser durch das gesamte Buch begleitet:
"Ein Amt oder eine Tat kann an sich sehr wohl gut und richtig sein, aber doch böse und falsch, wenn die Person oder der Täter nicht gut oder richtig ist oder nichts richtig macht."

So könne sich selbst ein von Gott gewollter Auftrag ins Negative verkehren, wenn die ausführende Person aus egoistischen Motiven wie Ehrsucht und Geldgier handelt. Der Autor bringt so pikante Beispiele wie den Kuss des Judas. Der Kuss an sich sei etwas Gutes, im Kontext des Judas-Kusses sei dieser aber in einer zutiefst negativen Bestimmung angewendet.

Gerechter und ungerechter Krieg

Der Reformator schreibt über die unterschiedlichen Formen bewaffneter Konflikte. Für die Fallbeispiele dient ihm vorrangig das 1. Samuel-Buch. Es taucht auch der Begriff des gerechten Krieges auf. Habsucht und Tyrannei seien Wurzeln des ungerechten Krieges. Die Landesverteidigung beurteilt er dagegen als einen gerechten Krieg.

Bürgerkrieg

Detailliert geht er auf die hierarchische Richtung von Kriegen ein. Den Bauernkrieg lehnt er entschieden ab, obwohl damit gewisse Tyrannen gerichtet wurden. Er ergreift für keine der beiden Seiten wirklich Partei. Stattdessen verweist er beharrlich auf die obrigkeitlichen Gewalten aus Römer 13, 1 und darauf, dass Gott selbst die problematische Führungsebene richten werde. Das Vollstrecken des Gerichtes an gottlosen Führen bezeichnet er mehrfach als "crimen laese maiestatis divinae" - einen Raub der göttlichen Majestät. Dadurch schließe sich der Kreislauf des Unrechts.

Mit zwei Beispielen macht Luther deutlich, dass die Absetzung des einen Herrschers nicht automatisch einen besseren Nachfolger bringt. Es kann sogar schlimmer werden, was sich bis heute zeigt. Luther kommentiert das in seiner rustikalen Art:
"Der tolle Pöbel aber fragt nicht viel, wie es besser werde, sondern nur danach, dass es anders werde. Wenn es dann schlimmer wird, will er wieder etwas anderes haben."

An einigen Stellen könnte der Leser dennoch meinen, Luther schreibe ein Buch für die Fürsten. Dem tritt er entschieden entgegen und formuliert sehr deutlich, dass sich die Gottlosigkeit durch alle Gesellschaftsschichten ziehe und jeder in seiner individuellen Position von Gott zur Rechenschaft gezogen wird.

Weil Luther sämtliche Standes-Ebenen tangiert, lassen sich die Ausführungen nicht nur auf damalige Ritter und Soldaten adaptieren, sondern auch auf heutige Unternehmer, Regionalpolitiker, Witwen, Empfänger von Arbeitslosengeld II und weitere Bevölkerungsgruppen.

Wer beginnt, verliert.

Im zweiten Teil des Buches stellt Luther eine interessante These auf, die er mit diversen Bibelstellen und Beispielen seiner Zeit untermauert: Wer einen Krieg beginnt, verliert diesen auch. Deshalb spricht sich Luther sehr klar für Notwehr und Landesverteidigung aus. Angriffskriege lehnt er ab. Es sei denn, der Angriff ist für die Verteidigung notwendig.

Luther stellt sogar volkswirtschaftliche Überlegungen an. So sei der Bauer für die Nahrung, der Soldat für den Schutz des Landes und der Fürst für den Dienst am Volk zuständig. Unnütze Leute solle man nicht dulden, sondern aus dem Lande jagen. Deshalb sieht Luther die Landsknechte sehr kritisch, da sie in der Regel nur Lust auf Krieg hatten. In der Zeit zwischen ihren Freelancer-Aufträgen seien sie jedoch keiner nützlichen Tätigkeit nachgegangen.

Beziehung zu Gott

Die Beziehung des einzelnen Menschen zu Gott zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Es beginne damit, dass Gott mehr gehorcht werden solle, als einem Tyrannen - und das mit allen Konsequenzen. Luther zitiert dazu aus der Apostelgeschichte. Zudem solle der Soldat den Feind nicht verachten, sondern als Menschen sehen, der auch mit seinen Sünden zu tun habe.

Luther wünscht sich zum Abschluss viel mehr Soldaten mit einer Christus-Beziehung in den Armeen. Das könnte das Klima in der Truppe verändern und: "Sie fräßen wohl die Welt ohne einen Schwertstreich".

Nachhaltige Wirkung

Die Leitlinien des kleinen Buches tauchen auch heute noch in den Ethik-Diskussionen der Bundeswehr auf. Bei verschiedenen Anlässen war ich erstaunt, wie tief biblische Grundlagen im Denken, Reden und Handeln der Offiziere verwurzelt sind. Überhaupt gibt es bei der Bundeswehr Gottesdienste und Andachten, die am Otto Normalchristen völlig vorbeilaufen. In den sicherheits-politischen Publikationen sind regelmäßig Artikel mit christlichen Themen zu finden.

Allein der Evangelische Militärbischof Dr. Sigurd Rink aus Berlin hatte bisher 80 Standorte und Auslandseinsätze besucht. Angesichts von Gefechtssituationen oder familiären Herausforderungen dienen die Seelsorger als wichtige Ansprechpartner der Soldaten. So überschneiden sich auch 500 Jahre nach Luther noch die obrigkeitlichen mit geistlichen Bereiche. Sigurd Rink bemerkt dazu, dass es den Kirchenvertretern nicht um die Ausübung politischer Macht gehe, sondern um einen kritischen Einfluss auf die Politik.

Sonntag, 29. Oktober 2017

ICF Tempelhof und die konstante Selbstoptimierung

Vor einem halben Jahr hatten wir ICF Berlin in der aktuellen Location in Tempelhof besucht. Seitdem hat sich einiges getan. Damals glänzten die Räume noch im Beton-Charme. In gleicher Weise die Willkommenskultur. Deshalb war mir ein erneuter Besuch wichtig.



Die Umstellung auf Winterzeit schenkte uns heute Morgen eine Stunde. So konnte ich mir in aller Ruhe noch das Galileo-Video zum Besuch bei einer Freichristlichen Gemeinde anschauen. ICF spielt darin eine zentrale Rolle. Gutes journalistisches Handwerk schließt eine Recherche zur Bestätigung einer Meinung aus. So war auch der Film eher neutral und informativ gehalten. Der Zuschauer konnte seine eigene Meinung bilden. Ebenso nüchtern wollte auch ich diesen zweiten Besuch in der Ringbahnstraße angehen.

Schön, dass Du da bist!

Kurz vor elf traf ich ein. Die ganze Straße war zugeparkt. Große Bäume am Straßenrand bewegten sich im Wind und avisierten einen Versicherungsfall. Deshalb fuhr ich auf den Hof und stellte das Auto etwas unkonventionell auf die letzte mögliche Freifläche. Den Weg zum Treppenhaus kannte ich noch. Stimmen und Lachen hallten mir entgegen. Mit einem großen Schild freute sich ICF darüber, "dass Du da bist". Eine Frau mit ICF-Badge trat durch die Tür und begrüßte mich sehr freundlich.

Im Vorraum, der nun weiß gestrichen ist, standen jede Menge Leute und tauschten sich angeregt aus. Ich kaufte einen Kaffee. Dieser wird neuerdings in echten Tassen gereicht. Sehr freundliche und schnelle Bedienung. Da die Zeit etwas knapp war - wie ich dachte - betrat ich den abgedunkelten Saal. Der ICF-Mitarbeiter an der Tür lächelte und grüßte.

Damit hatte sich der lange geplante Evaluationsbesuch gelohnt! Alle Punkte, die uns im April so massiv gestört hatten, waren bemerkenswert gut nachjustiert worden.

Rechts, links und Nebel

Das Mittelfeld vor der Bühne war schon voll besetzt. So steuerte ich den rechten Block an. Wobei ich mich seit dem letzten Gottesdienst mit dem Bundestag frage, wo in einer Kirche rechts und links ist. Beim Auto und in der S-Bahn ist das einfach. Rechts und links wird nach der Fahrtrichtung bestimmt. In einer kontemporären Gemeinde ist das wahrscheinlich auch so.

Von der Bühne her dampfte der Party-Nebel und sorgte für eine abwechslungsreiche Lichtwirkung. Über die drei Leinwände flimmerten kurze Videos und ein Countdown. Bei ICF geht es fünf nach elf los. Medial alles sehr professionell und ansprechend. Interessant wäre, in welchem Turnus die coolen Videos wiederholt und neu erstellt werden. Der Nebel machte meinen Hals trocken. Ich leerte die Kaffeetasse.

Lobpreis auf Englisch

Die große Handtasche auf dem Nachbarstuhl hatte ich gar nicht bewusst wahrgenommen. Plötzlich setze sich eine Frau zu mir und stellte sich kurz vor. "Dann lass uns einen schönen Gottesdienst haben", sagte sie nach dem Smalltalk und das Lobpreisteam startete mit dem ersten Lied. Fast Alles wurde auf englisch gesungen. Eine Übersetzung gab es unter den Texten an der Leinwand. Ich kannte nicht eines der Lieder, konnte aber relativ schnell mitsingen.

Predigtreihe über Johannes 15

Neben mir setzte sich ein Matthias - Sammelbegriff in meinem Alterssegment - und stieß meine Kaffeetasse um. Egal, die war ja schon leer. ICF-Pastor Stefan Hänsch schloss heute eine Predigtreihe ab: "Die Kraft des Gleichen". Heute sollte es um nachhaltigen Erfolg gehen. Dass ICF keine Trendwende zum Wohlstands- und Wohlfühl-Evangelium macht, war eine der ersten Aussagen der Predigt.

Durch das Referat zog sich die mathematische Formel 5x+1. In dieser Formel ist die Eins konstant. Und jeder Christ dürfte wissen, dass diese konstante Eins gleichbedeutend mit Jesus ist. Der nachhaltige Erfolg stelle sich also ein, wenn man sich auf die einzige Konstante, nämlich Jesus, konzentriert und ihn als Basis und Quelle sieht.

Gestützt war die Predigtreihe auf Johannes 15. Dort geht es um den wahren Weinstock, die Reben, die Frucht und den Weingärtner. Die Gemeinde war herausgefordert, mehrere Wochen lang, genau diesen Text täglich zu lesen und darüber nachzudenken.

Stefan Hänsch sprach aber nicht von der Herausforderung, sondern von der Challenge. Die Bedeutung dieses Wortes kannte wohl jeder im Saal. Überhaupt verwendete er viele Anglizismen und war dialektisch nicht ein einziges Mal als gebürtiger Sachse zu erkennen. Deshalb war ich beeindruckt, als er diese Herkunft in die Predigt einfließen ließ.

Postludium

Nach der Predigt gab es eine weitere bewegende Zeit mit Sologesängen unter anderem von Thirzah. Ich überlegte, welcher Bibelstelle dieser Name zuzuordnen sei und verortete sie zunächst bei Mose. Das war fast richtig. 4. Mose 27, 1 berichtet uns, dass Thirzah eine der fünf Töchter Zelophehads war, ihre Schwester Milka hieß und es keine männlichen Erben in dieser Familie gab. Das löste damals einen rechtlichen Sonderfall aus.

Von der Bühne aus wurde noch einmal kurz die Bedeutung der Beziehung zu Jesus erklärt und ein gemeinsames Gebet zur Auffrischung dieser Beziehung gesprochen. Dann folgte eine Art Segen und die offizielle Verabschiedung. Das war für fast alle ICF-Besucher ein Signal zum schnellen Verlassen des Saales.

Namensvetter und andere Bekannte

Mein Nachbar und Namensvetter fragte mich, wie lange ich schon bei ICF sei. Ich sagte ihm, dass ich nur Gast sei und gleich zu Saddleback fahre, um dort meine Familie abzuholen. Der unaufhörlich in den Saal strömende Party-Qualm ließ meine Stimme versagen. Matthias schien bereits daran gewöhnt zu sein. Jedenfalls stellten wir fest, dass wir so einige gemeinsame Bekannte hatten und dass auch ein Ex-Mitglied meiner Ex-Gemeinde aktiv bei ICF eingestiegen sei. Das freute mich.

Wir unterhielten uns eine ganze Weile. Anschließend grabbelte ich die Tasse unter dem Stuhl hervor und ging in den lichten Vorraum. Dort tobte das Leben. Der Pastor diskutierte an einem Stehtisch. Ich drängte mich durch die Besucher. Mitglieder gibt es bei ICF übrigens nicht. Wer kommt, ist da und wer nicht mehr kommt, muss nicht extra austreten.

Am Tresen stellte ich die Tasse in eine Geschirr-Kiste und verließ den Ort des Geschehens. Mit einer Zwei-Punkt-Wendung setzte ich den Wagen frei und rollte über die nassen Straßen in Richtung City.

Dienstag, 24. Oktober 2017

19. Bundestag startet mit Gottesdienst in die Arbeit

Der erste Arbeitstag des 19. Bundestages begann heute mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Französischen Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt. Spitzenpolitiker, Abgeordnete und ich waren dabei.



Die Rush Hour hatte ich bei der Zeit-Planung unterbewertet. So stand ich nun im Stau und fragte mich, ob die Frau im Nachbarauto nicht besser mit der Bahn gefahren wäre. Und überhaupt - wo sollten all diese Autos in der City parken? Die Zeit verstrich. Ich hatte einen wichtigen Termin: Gottesdienst am Dienstagmorgen. Beginn 8:30 Uhr am Gendarmenmarkt.

Gottesdienst - Dienstag 8:30 Uhr

Das war wohl einer der frühesten Gottesdienste, den ich seit Jahren besucht hatte. Am Gendarmenmarkt waren mehrere Bereiche gesperrt, so dass genügend Parkplätze für die Gottesdienstbesucher zur Verfügung standen. Zumindest interpretierte ich das so und stellte den Wagen ab. Am Eingang zur Kirche traf ich den neuen Bundestags-Präsidenten, den ich zuvor mehrfach als Finanzminister erlebt hatte. Er nutzte den Fahrstuhl und ich die Treppe.

Auf der rechten Seite hinter der Linken-Politikerin Petra Pau waren noch jede Menge Sitzplätze frei. Zwischen ihr und Kerstin Griese (SPD) konnte ich gut hindurchschauen auf die Sitzreihe der Kanzlerin. Neben Frau Merkel saßen Frank-Walter Steinmeier, Norbert Lammert, Wolfgang Schäuble, Landwirtschaftsminister Schmidt, Thomas de Maizière und zwei Kirchenvertreter. Dahinter verfolgten unter anderem Hermann Gröhe und Ursula von der Leyen den Gottesdienst.

Volle Kirche

Als Eingangslied besangen über 300 Anwesende "die güldne Sonne" von Paul Gerhardt. Eine gewisse Ambivalenz zur tatsächlichen Wetterlage. Es folgte die liturgische Einleitung und ein Wechselgebet aus Psalm 27. Interessant fand ich die musikalische Gestaltung unter der Leitung von Kilian Nauhaus. In Personalunion bediente er die Orgel und dirigierte den kleinen Chor auf der Empore. Das Ensemble nutzte die sagenhafte Akustik im Kuppelsaal.


Gottesdienst zur konstituierenden Sitzung des 19. Bundestages
Ökumenischer Gottesdienst anlässlich der konstituierenden Sitzung des 19. Bundestages
Der Sämann und der Abgeordnete nach Markus 4, 1-9

Der Predigttext stand in Markus 4, 1-9. Es geht darin um den Sämann, der das Saatgut verstreut und damit vier verschiedene Böden trifft. War die Liturgie bisher von evangelischen Akteuren gestaltet worden, trat nun der katholische Karl Jüsten auf und hielt die Predigt. Zuerst holte er die neuen, bleibenden und gehenden Abgeordneten in ihrer Situation ab. Dann ging er auf den Text ein und schlug immer wieder eine Brücke zum Arbeitsalltag des Politikers. Ein spannender Spagat, der ihm sehr gut gelang.

Man könne es einfach nicht allen Recht machen. Die Botschaft treffe, wie auch bei Predigern, auf unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Ansichten. Bei manchen fruchte es und bei anderen eben nicht. Das sei ein ganz normales Prinzip. So wertete er den Bibeltext als einen besonderen Trost für Politiker in ihren täglichen Auseinandersetzungen mit den Wählern und Abgeordneten der anderen Fraktionen.

Vereint in Jesus

Dass Gottesdienste partei-politische Grenzen überwinden können, zeigte die anschließende Fürbitte. Petra Pau von den Linken, Volker Beck von den Grünen, Kerstin Griese von der SPD und Christian Hirte von der CDU traten nacheinander ans Mikrofon und lasen ihre Gebetsanliegen vor. Besonders gut waren die Worte von Petra Pau haften geblieben. Sie betete für einen respektvollen Umgang und eine konstruktive Streitkultur innerhalb des Bundestages. Die Gemeinde quittierte die Fürbitten jeweils mit einem "Erbarme Dich".

Beim Vaterunser hatte ich die Augen geschlossen und genoss den vollen Klang im Kuppelsaal. Die Akustik verriet, dass wohl mehr Männer als Frauen anwesend waren. Nach "Komm Herr, segne uns" folgte der Friedensgruß mit Händeschütteln, der Segen vom Altar aus und "Verleih uns Frieden gnädiglich" von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Abgang in ökumenischer Eintracht

Untermalt von Orgelmusik verließen die Gottesdienstbesucher die Französische Friedrichstadtkirche. Auch wenn keine Hektik zu spüren war, so doch eine gewisse Enge. Vor mir schob sich der Heilige Stuhl zum Ausgang. Das heißt, dessen Apostolischer Nuntius, der Doyen des Diplomatischen Korps. Neben ihm war die griechische Orthodoxie in die Menge integriert. Beide verstanden sich gut und unterhielten sich in gebrochenem Deutsch.

Draußen reichten uns der evangelische Theologe Martin Dutzmann und sein katholischer Kollege Karl Jüsten die Hand. Es nieselte. Während sich die Vertreter des Vatikans und der Orthodoxie zu einer Anschlussveranstaltung verabredeten, lief ich über den Gendarmenmarkt zu meinem Parkplatz. Der Arbeitstag konnte beginnen.

Montag, 23. Oktober 2017

Lob der Torheit - Erasmus von Rotterdam

Erasmus von Rotterdam war ein Zeitgenosse Luthers. Das Buch "Laus stultitiae" - "Lob der Torheit" gilt als sein bekanntestes Werk. Ich habe es gelesen.



Nach den ersten 30 Seiten fragte ich mich, ob das Weiterlesen im "Lob der Torheit" nicht eine erhebliche Zeitverschwendung sei. Immerhin hat das ursprünglich auf Latein verfasste Werk einen Umfang von 159 Seiten - zumindest in der Ausgabe des Anaconda Verlages. Das Schriftbild in Sepia auf Ökopapier ist nicht gerade Augen-freundlich.

30 Seiten Mythologie

Nach den ersten 30 Seiten hätte ich Erasmus von Rotterdam auch wegen seiner Ausführungen zum Weib als "Mario Barth der Reformationszeit" betitelt und das Buch beiseite gelegt. Ich wunderte mich über den sprachbegabten Mann aus dem Zentrum Innere Führung, der dieses Buch wohl im Original-Text gelesen und mir empfohlen hatte.

Obwohl Erasmus von Rotterdam Theologe war, quollen die ersten 30 Seiten über mit griechischer Mythologie. Gott oder Jesus wurden nicht erwähnt, obwohl Bibel und Apokryphen auch Bücher wie Prediger, Sprüche, Weisheit oder Sirach beinhalten.

Lob der Torheit - Erasmus von Rotterdam
Lob der Torheit - Erasmus von Rotterdam
Weiterlesen

Manch ein Buch entwickelt sich beim nochmaligen oder beharrlichen Lesen. Deshalb nahm ich das Buch mit zum Hausarzt. Wenn schon Zeitverschwendung, dann richtig. Im Wartezimmer las ich die nächsten 50 Seiten.

Das war sehr gut! Der Schreiber aus Rotterdam schwenkte nämlich plötzlich auf allgemeine Situationen und bekannte Personengruppen um. Das war auch etwas für Ungebildete - wie mich. Zumindest habe ich keinen Schein. Den muss ich bei Bedarf mit Aura ausgleichen. Mein Vater hätte die griechische Mythologie auswendig und im Urtext rezitieren können. Aber Altgriechisch ist so gar nicht meine Sprache.

Genuss

Die für die Torheit investierte Zeit im Wartezimmer war ein Genuss: Sprache, Satzbau und zielsichere Satire. Meine Reaktionen reichten vom stillen Schmunzeln, über breites Grinsen und entluden sich mehrfach im entzückten Auflachen. Die Mitpatienten lasen Yellow Press und Auto-BILD, während ich mich über die immer pointierter werdende Lektüre des Erasmus freute. Dann musste ich leider ins Behandlungszimmer.

Rundumschlag

Erasmus schont kaum eine gesellschaftliche Gruppe. Jeder bekommt sein Fett weg. Besonders intensiv beschäftigt er sich mit Wissenschaftlern, Kaufleuten, Fürsten, Rechtsgelehrten, Mönchen und seinen theologischen Kollegen.

Genüsslich seziert er die Zustände in der Lutherischen Kirche - pardon, ich meinte die Kirche zur Zeit Luthers, also um 1500. Diesen Zuständen verdanken wir unser 500. Reformations-Jubiläum. Erasmus selbst hatte sich jedoch von der Reformation distanziert und starb 1536 in Basel eines natürlichen Todes. Die Unabhängigkeit als Wissenschaftler war für ihn wichtiger, als Teil der Bewegung Luthers zu werden. Luther habe darauf sächsisch-rustikal reagiert.

Die spitzfindige Geißel, die Erasmus durch die letzten Seiten des Buches schwingt ist auch heute noch aktuell. "Ecclesia semper reformanda" heißt ja, dass sich die Gemeinde einem ständigen Erneuerungsprozess zu stellen hat. Das vor 500 Jahren verfasste "Lob der Torheit" zeigt, dass auch die zeitgenössische christliche Szene mit den parodierten Schemata harmoniert. Adrian Pless hätte es kaum besser ausdrücken können.

Narren-Freiheit in Lob verpackt

Da der Autor aus Sicht der Torheit schreibt, verzeiht man ihm die sämtlichen Frontalangriffe. Mit ungeschminkter Wahrheit prasseln sie auf den Leser ein - in Lob verpackt.

Rhetorisch geht Erasmus wie Paulus vor. Er beginnt allgemein und harmlos, holt den Leser in seiner Welt ab, filtert die Zielgruppen auf den ersten 30 Seiten aus und steigert die Ausführungen so exzellent, dass man das Buch erst beiseite legt, wenn es durchgelesen ist.

Im Abspann des Buches fühlt sich die schreibende Torheit so frei, dass sie aus meiner laienhaften Sicht etwas zu weit geht mit der Handhabung der Bibelverse, die im Lateinischen das Wort stultitia und im Deutschen das Wort Torheit beinhalten.

Generell wird so manch einem zart besaiteten Pastoralgehör der Gegenwart die grobe Sprache Luthers und seiner theologischen Zeitgenossen wie Erasmus als despektierlich (verachtend) erscheinen. Auch ich hatte einige Mühe, die durchaus trefflichen Formulierungen aus meinen Gedanken zu bekommen.