Montag, 23. Oktober 2017

Lob der Torheit - Erasmus von Rotterdam

Erasmus von Rotterdam war ein Zeitgenosse Luthers. Das Buch "Laus stultitiae" - "Lob der Torheit" gilt als sein bekanntestes Werk. Ich habe es gelesen.



Nach den ersten 30 Seiten fragte ich mich, ob das Weiterlesen im "Lob der Torheit" nicht eine erhebliche Zeitverschwendung sei. Immerhin hat das ursprünglich auf Latein verfasste Werk einen Umfang von 159 Seiten - zumindest in der Ausgabe des Anaconda Verlages. Das Schriftbild in Sepia auf Ökopapier ist nicht gerade Augen-freundlich.

30 Seiten Mythologie

Nach den ersten 30 Seiten hätte ich Erasmus von Rotterdam auch wegen seiner Ausführungen zum Weib als "Mario Barth der Reformationszeit" betitelt und das Buch beiseite gelegt. Ich wunderte mich über den sprachbegabten Mann aus dem Zentrum Innere Führung, der dieses Buch wohl im Original-Text gelesen und mir empfohlen hatte.

Obwohl Erasmus von Rotterdam Theologe war, quollen die ersten 30 Seiten über mit griechischer Mythologie. Gott oder Jesus wurden nicht erwähnt, obwohl Bibel und Apokryphen auch Bücher wie Prediger, Sprüche, Weisheit oder Sirach beinhalten.

Lob der Torheit - Erasmus von Rotterdam
Lob der Torheit - Erasmus von Rotterdam
Weiterlesen

Manch ein Buch entwickelt sich beim nochmaligen oder beharrlichen Lesen. Deshalb nahm ich das Buch mit zum Hausarzt. Wenn schon Zeitverschwendung, dann richtig. Im Wartezimmer las ich die nächsten 50 Seiten.

Das war sehr gut! Der Schreiber aus Rotterdam schwenkte nämlich plötzlich auf allgemeine Situationen und bekannte Personengruppen um. Das war auch etwas für Ungebildete - wie mich. Zumindest habe ich keinen Schein. Den muss ich bei Bedarf mit Aura ausgleichen. Mein Vater hätte die griechische Mythologie auswendig und im Urtext rezitieren können. Aber Altgriechisch ist so gar nicht meine Sprache.

Genuss

Die für die Torheit investierte Zeit im Wartezimmer war ein Genuss: Sprache, Satzbau und zielsichere Satire. Meine Reaktionen reichten vom stillen Schmunzeln, über breites Grinsen und entluden sich mehrfach im entzückten Auflachen. Die Mitpatienten lasen Yellow Press und Auto-BILD, während ich mich über die immer pointierter werdende Lektüre des Erasmus freute. Dann musste ich leider ins Behandlungszimmer.

Rundumschlag

Erasmus schont kaum eine gesellschaftliche Gruppe. Jeder bekommt sein Fett weg. Besonders intensiv beschäftigt er sich mit Wissenschaftlern, Kaufleuten, Fürsten, Rechtsgelehrten, Mönchen und seinen theologischen Kollegen.

Genüsslich seziert er die Zustände in der Lutherischen Kirche - pardon, ich meinte die Kirche zur Zeit Luthers, also um 1500. Diesen Zuständen verdanken wir unser 500. Reformations-Jubiläum. Erasmus selbst hatte sich jedoch von der Reformation distanziert und starb 1536 in Basel eines natürlichen Todes. Die Unabhängigkeit als Wissenschaftler war für ihn wichtiger, als Teil der Bewegung Luthers zu werden. Luther habe darauf sächsisch-rustikal reagiert.

Die spitzfindige Geißel, die Erasmus durch die letzten Seiten des Buches schwingt ist auch heute noch aktuell. "Ecclesia semper reformanda" heißt ja, dass sich die Gemeinde einem ständigen Erneuerungsprozess zu stellen hat. Das vor 500 Jahren verfasste "Lob der Torheit" zeigt, dass auch die zeitgenössische christliche Szene mit den parodierten Schemata harmoniert. Adrian Pless hätte es kaum besser ausdrücken können.

Narren-Freiheit in Lob verpackt

Da der Autor aus Sicht der Torheit schreibt, verzeiht man ihm die sämtlichen Frontalangriffe. Mit ungeschminkter Wahrheit prasseln sie auf den Leser ein - in Lob verpackt.

Rhetorisch geht Erasmus wie Paulus vor. Er beginnt allgemein und harmlos, holt den Leser in seiner Welt ab, filtert die Zielgruppen auf den ersten 30 Seiten aus und steigert die Ausführungen so exzellent, dass man das Buch erst beiseite legt, wenn es durchgelesen ist.

Im Abspann des Buches fühlt sich die schreibende Torheit so frei, dass sie aus meiner laienhaften Sicht etwas zu weit geht mit der Handhabung der Bibelverse, die im Lateinischen das Wort stultitia und im Deutschen das Wort Torheit beinhalten.

Generell wird so manch einem zart besaiteten Pastoralgehör der Gegenwart die grobe Sprache Luthers und seiner theologischen Zeitgenossen wie Erasmus als despektierlich (verachtend) erscheinen. Auch ich hatte einige Mühe, die durchaus trefflichen Formulierungen aus meinen Gedanken zu bekommen.