An einem der ersten Tage in der Reha-Klinik bekam ich das Buch "Ungläubiges Staunen - Über das Christentum" von Navid Kermani geschenkt. Also Navid Kermani ist der Autor und geschenkt hatten es mir die ersten Besucher. Das Buch war noch verschweißt und wurde auf der Rückseite vollmundig als "großes Geschenk für Christen und Nicht-Christen" (Martin Krumbholz, Bayerischer Rundfunk) angepriesen.
Navid Kermani - Ungläubiges Staunen |
Bilder wirken lassen
Der Autor beschreibt die Szenen auf den mehrere hundert Jahre alten Bildern als scharfer Beobachter und entdeckt Details, die beim schnellen Vorbeihuschen durch den Touristen gar nicht bemerkt werden. Teilweise sitzt er mehrere Stunden in einem finsteren Raum, beleuchtet die Bilder mit seinem Handy oder gleicht die Aussagen im Katalog mit der Wirkung des Originals ab. Er geht vor und zurück und fixiert einzelne Bereiche der Oberfläche.
Besonders beeindruckt zeigt er sich von den Werken des Italieners Caravaggio (1573-1610), der mit ausdrucksstarken Personen und unkonventionellen Momentaufnahmen glänzte. Das verschaffte ihm dann wohl auch einigen Stress mit der sakralen Obrigkeit. Caravaggio wurde nur 37 Jahre alt.
So ist die Lektüre dieses Buches in weiten Teilen ein Genuss, so man sich denn für den tieferen Sinn von Kunst interessiert. Nur das Schriftbild sorgt für eine regelmäßige Ermüdung.
Unglaube, Freundschaft, Reiselust
Navid Kermani bezeichnet sich mehrfach als Moslem und betont, dass er im christlichen Sinne ungläubig sei. Das tiefe Verständnis für die Zusammenhänge der Botschaft vom Kreuz lassen jedoch erhebliche Zweifel an seiner Ungläubigkeit aufkommen.
Oft zitiert er Dialoge mit "dem katholischen Freund", beschäftigt sich mit Maria und Personen wie Hieronymus und Franz von Assisi. Zudem besucht er auch orthodoxe Kirchen und Klöster. Nebenbei saugt er die Atmosphäre in den Kirchen und Museen auf und beschreibt diese sehr plastisch.
Er ist viel unterwegs in Rom, in Syrien, im Kosovo und in Köln. Die Beschreibung der Kunstwerke unterlegt er mit Vergleichen zu islamischen Traditionen und Sichtweisen sowie fundiertem historischen Wissen. Die Bibel scheint er gut zu kennen, da er treffsicher daraus zitiert.
Bildbetrachtung im Schnelldurchlauf
Zum würdigen Abschluss der Reha ergab sich die Gelegenheit, den Bundespräsidenten nach Rom zu begleiten. Das Buch hatte ich im Gepäck und wollte vor Ort einige der Bilder auf mich wirken lassen. Dazu kam es allerdings nicht.
Wir sahen zwar die Vatikanischen Museen inklusive der Gruppe des Laokoon, der Stanzen des Raffael und der Sixtinischen Kapelle, aber alles im Schnelldurchlauf. Nach 73 Minuten fuhren wir weiter zur Basilica San Clemente. Das Buch von Navid Kermani hatte ich in Rom nicht ein einziges Mal geöffnet.