Donnerstag, 14. Dezember 2017

Hörtest

Einige physische Gebrechen haben keine physische Ursache. Das wusste ich schon länger. Jetzt habe ich das erfolgreich in einem Selbsttest nachweisen können.



Kürzlich hörte ich eine Predigt, in der ein Pastor berichtete, dass ihn seine Frau zum Hörtest geschickt hatte. Das Ergebnis war ein hervorragendes Gehör, das nur auf einer Frequenz schwächelte: der Stimme seiner Frau.

Mein Sohn und ich wurden bereits mehrfach ermahnt, die Wortspiele am Frühstückstisch zu unterlassen. Ob Radio-Ansagen oder mehr weniger ernste Gespräche, gerne wechselten wir einzelne Buchstaben aus und veränderten damit auf humoristische Weise den Sinn des Gehörten. Humor empfanden allerdings nur mein Sohn und ich, so dass uns diese Art des Umgangs mit der Sprache untersagt wurde.

Mein Sohn hielt sich schnell daran. In meinem Alter dauert die Umstellung etwas länger. Frau und Tochter konnten sogar meinen Sohn überreden, in der Familienkonferenz für einen Besuch beim Hörgeräte-Service zu stimmen. Willig fügte ich mich der Mehrheit.

Kurz darauf bekam meine Frau eine Einladung zum Hörtest. Sie und ihre Mutter tragen Hörgeräte und sind damit sehr zufrieden. Es wäre doch schön, wenn auch der Ehemann wieder gut hören könnte. So nahm ich die Karte und spazierte zum Hörgeräte-Laden. Es war leer. Im Akustik-Labor saß noch eine Testperson. Zur Überbrückung der Wartezeit wurde mir ein Fragebogen gereicht: Ja, Nein, Ja, Nein und noch ein Freitext, was ich denn mit dem Hörtest erreichen wolle.

Der Freitext muss wohl die Adventswoche der Hörgeräte-Experten gerettet haben. Die Dame im Test-Labor lachte laut auf und tippte die Angaben in ihren Computer. Dann ging es los: Piep rechts, Piep links und immer schnell das Knöpfchen drücken. Dann musste ich mir noch einige absurde einsilbige Wörter anhören und wiederholen. Fertig! Was hatte nur bei meinem Vorgänger so lange gedauert?

Ein Klick und das Ergebnis wurde ausgedruckt: 100% Gehör und alles im Normbereich. Ich dachte an die Predigt. Stolz nahm ich den Ausdruck entgegen und spazierte nach Hause. Viral wurde das Ergebnis per WhatsApp verbreitet und das Blatt für den Hausarzt kopiert.

Der Beweis war erbracht: Gehör in Ordnung und eine sagenhafte Leistungsfähigkeit bei der selektiven Wahrnehmung. Letztere ist sehr praktisch bei der Ausblendung von Radiogedudel, flachen Unterhaltungen oder Ansagen, die keine Aktion meinerseits erfordern.

Selektive Wahrnehmung ist weiter verbreitet, als man landläufig annimmt. So wird diese vorwiegend auf das Reden Gottes angewendet oder gar auf das Lesen der Bibel. Besonders effektiv ist es dabei, gar nicht erst die Bibel zu lesen oder im Gebet immer nur selbst zu reden, statt auf Gott zu hören. OK, das war jetzt Ironie, aber auch diese versteht ja nicht jeder.