Disruption ist ein Wort, das zeitgleich mit Industrie 4.0 und Big Data in Mode gekommen ist. Inzwischen wird es zwar durch Jamaika überlagert, hat aber nichts von seiner Brisanz verloren. Umso erstaunter war ich, dass bereits die alten Römer und Vulgata-Übersetzer Hieronymus (347-420) mit diesem Wort vertraut waren.
Die Bibel ist Big Data. Egal, wie oft ich sie lese, ich entdecke immer wieder Neues. Das liegt wohl daran, dass sie mich in verschiedenen Lebenssituation und fortlaufenden Altersetappen begleitet. Momentan bin ich beim ersten Könige-Buch. Und auch hier ist es das 11. Kapitel, in dem die Situation kippt.
Samuel und die vier Könige-Bücher
Das erste Könige-Buch schließt nahtlos an den 2. Samuel an. Kein Wunder also, dass einige Übersetzungen den Samuel als erstes und zweites Könige-Buch umwidmen und die bekannten Könige einfach als drittes und viertes Buch zählen. Im ersten Kapitel übergibt David die Amtsgeschäfte an Salomo, setzt einige Themen auf dessen Agenda und schläft in Kapitel 2, 10 ein.
Salomo arbeitet die Agenda ab, bekommt die größte Weisheit, die je ein Mensch bekommen konnte. Dazu bekommt er Reichtum und Frieden an sämtlichen Grenzen. Salomo baut den ersten Tempel in Jerusalem.
Fallen des Glücks
Zur Abrundung des Glücks nimmt er sich insgesamt 1.000 Frauen. Letzteres erfahren wir in Kapitel 11. Vers 4 berichtet uns, dass die Frauen es schaffen, das Herz des alt gewordenen Salomo dazu zu bewegen, anderen Göttern nachzulaufen. Detailliert wird beschrieben, welche Götzentempel er wo bauen lässt. Wegen der bisher so guten Beziehungen zu Gott erscheint Gott höchst persönlich und teilt Salomo sein Missfallen mit. Bei Leuten, die keine so enge Beziehung zu Gott haben, werden entweder Boten gesendet oder das Gericht bricht ohne weitere Vorwarnung herein.
Salomo und die Disruption
Gott spricht Klartext mit Salomo: "disrumpens scindam regnum tuum ei dabo illud servo tuo" (Vulgata). Zu Deutsch: "deine Regierung wird disruptiert, abgeschnitten und deinem Mitarbeiter gegeben". Das Wort scindere (spalten, trennen, teilen, abschneiden) taucht mehrfach im Kapitel 11 auf. Das Wort rumpere (auch ruptum) nur in Vers 11. Kann man sich gut merken: 11, 11.
Rumpere oder ruptum bedeutet: zerbrechen, zerreißen, zersprengen, verletzen, vernichten, auflösen oder unterbrechen. Der Ruptor ist der Verletzer - auch im Sinne von Vertragsbruch. Neudeutsch wird immer noch das die Trennung verstärkende Dis davorgesetzt.
Und tatsächlich geht es bereits in Kapitel 11 zur Sache. Israel bekommt Stress an den Grenzen, seitens der zum Tribut verpflichteten Fremdvölker und durch innenpolitischen Druck. Fortan wird Salomo mit asymmetrischen Konflikten und handfesten kriegerischen Auseinandersetzungen beschäftigt. Im Gegensatz zu seinem Vater bewirkt das jedoch keine Hinwendung zu Gott, sondern eine geistliche Erosion. Sein Sohn verliert bereits nach wenigen Tagen Regierungszeit zehn von zwölf Volksgruppen. Als er diese mit Gewalt zurückholen will, hört er auf den Boten Gottes und fügt sich in die Situation.
Disruption der Neuzeit
Vor zwei Jahren besuchte ich eine Konferenz, von der ich inhaltlich kaum etwas erwartete. Den Artikel hatte ich bereits in der Schublade und wollte ihn vor der Veröffentlichung nur noch mit ein paar Erlebnissen vor Ort ausschmücken. Es sollte mal wieder um Disruption und Vier-Punkt-Null gehen. Wie langweilig!
Allerdings sprach diesmal nicht Günther Oettinger über Kühe mit PH-Wert-Chip und Schlaglöcher statt Funklöcher, sondern Christoph Keese von Axel Springer. Er hatte im Silicon Valley nachgespürt, was Disruption bedeutet. Entsprechend spannend war sein Vortrag, der beste übrigens, den ich je zu diesem Thema gehört habe.
Bemerkenswert wäre die allgemeine Arroganz des Establishments, das sich als "Halbtoter auf dem Weg zum Friedhof" lange über die Bemühungen des Disruptors amüsierte. Christoph Keese prognostizierte eine Sterblichkeit durch alle Branchen von 95%. Abschließend bemerkte er: "Disruptoren greifen an, wo Sie es nicht erwarten, mit Dingen, die Sie nicht ernst nehmen."
Disruption im Reich Gottes
Es ist immer wieder interessant, wenn Vertreter etablierter Strukturen von "Ecclesia semper reformanda" reden und sich wohlwollend auf die eigene Schulter klopfen. Die immerwährende Rückformung der Gemeinde betreffe schließlich nur die Anderen. Und dabei disruptieren die hierarchisch Unbeachteten ständig - semper sozusagen - das große Gebilde, indem sie fern bleiben, eigene Aktionen durchführen oder ihren persönlichen Glauben mit anderen Quellen ernähren.
Dass etablierte Kirchen und Gemeinden an Mitgliederschwund leiden, ist eine Wirkung von Disruption. Kontemporäre Gemeinde-, Kleingruppen- und Gottesdienst-Formen ziehen geistlich hungrige Christen und neugierige Interessenten an. Diesen Gemeinden wird gerne Transferwachstum vorgeworfen, da sie wertvolle Mitarbeiter aus Bestandsgemeinden abzögen. Das ist nur bedingt richtig. In den letzten drei Jahren durften wir feststellen, dass sich in diesen modernen Gemeinden regelmäßig Menschen für Jesus entscheiden, also ganz neu dazukommen.
Disruption ist aber auch im globalen Maßstab zu betrachten. Ein Christ, der seinen Glauben 24/7 lebt, wird seine alltägliche Umgebung disruptieren und damit positiv verändern. Selbsttests bestätigen das.