Wer die Vulgata lesen möchte, muss jetzt kein Latein mehr lernen. Mit der Vulgata Tusculum gibt es nun eine wissenschaftliche Übersetzung ins Deutsche. Diese wurde gestern in der Katholischen Akademie vorgestellt.
Die Einfahrt ins Parkhaus der Katholischen Akademie war eng. Die dunklen Streifen an der Wand signalisierten, dass hier schon so manch ein Fahrzeug zerschellt war. Den Wagen stellte ich vor dem Schild "Bischofskonferenz" ab und ging zum Fahrstuhl. Wer einen Vorgeschmack auf die Ewigkeit haben möchte, sollte den Fahrstuhl zum Erdgeschoss nutzen.
Im Erdgeschoss erfuhr ich, dass die Vulgata in der dritten Etage vorgestellt werde. Diesmal nutzte ich die Wendeltreppe und gelangte in einen mit vielen Stuhlreihen gefüllten Raum. Das Publikum erinnerte optisch und demografisch an Veranstaltungen der CDU/CSU-Fraktion. Über mir gab es eine Glaskuppel. Dort konnte kontrolliert werden, ob die Haare noch liegen. Das war mir jedoch egal, da meine Frau die Haare vor einem Monat geschnitten hatte. Versehentlich war der Haarschneider auf neun Millimeter eingestellt worden, so dass bis heute keine für die Glaskuppel relevante Frisur nachgewachsen ist.
In der ersten Reihe - also direkt vor mir - nahmen mehrere Professoren Platz. Nacheinander durften sie ans Pult treten und über ihr Werk reden. Die Vulgata in Deutsch war in nur sieben Jahren entstanden und hatte einige Übersetzer und sonstige Dienstleister verschlissen. Die drei Herausgeber - allesamt Professoren der Theologie - hatten sehr genau hingeschaut, welche Qualität geliefert wird. So sollten die Übersetzer jegliche regionale und sprachliche Eigenheiten ablegen, sie sollten keine Pastoraltöne, kein Lutherdeutsch und auch keinen Cicero einfließen lassen.
Den Cicero-Spagat hatte Hieronymus sehr gut hinbekommen. Während er um 400 seine Vorreden zu den biblischen Büchern im Stil von Cicero und natürlich auf Latein verfasste, konnte er bei der Übersetzung des hebräischen Urtextes auf die lateinische Alltagssprache umschalten. Wie Luther schaute auch Hieronymus "dem Volk aufs Maul". Aus protestantischem Prinzip durfte Luther den Hieronymus zwar nicht mögen, schätzte doch aber sein sprachliches Handwerk sehr.
Wer sich für Bibelübersetzungen und die damit verbundene Arbeit und den Kampf um die optimale Übertragung in eine andere Sprache interessiert, hätte gestern einen Hochgenuss erlebt. Die Professoren warfen Folien an die Wand mit Versen auf Hebräisch, Griechisch, Latein und Deutsch und schilderten die Herausforderungen bei der Übertragung von Redewendungen und Dingen, die in anderen Kulturen vielleicht gar nicht existieren. Das beginne schon in den ersten Versen der Bibel. Besonders schwierig sei die Übertragung des Hebräischen ins Griechische gewesen, da die Griechen mit "von ganzen Herzen" nichts anfangen konnten. Was hat das Herz mit der Gefühlswelt zu tun? Deshalb wurde dann auf das Geistige übersetzt, so dass auch der gemeine Grieche etwas mit dem Vers aus 5. Mose 6, 5 anfangen konnte.
Noch dramatischer gestalteten sich aber Übersetzungen für Eskimos. Die kennen kein Lamm und Brot gibt es im Polarkreis auch nicht. So wurde das Lamm in Robbenbaby übersetzt und auch für das Brot wurde ein schwaches Pendent gefunden. Allerdings waren damit wichtige Symbole zerstört: Brot und Wein oder Lamm Gottes. Die Professoren erläuterten die Entscheidungswege zur Festlegung des für die jeweilige Sprache passenden Äquivalentes. Generell war ein sehr ehrfürchtiger Umgang mit den Urtexten und Quellen festzustellen.
Bei der Übersetzung muss also zunächst entschieden werden, ob es ein formales oder ein dynamisch-funktionales Ergebnis geben soll. Die Elberfelder oder die Martin Buber gelten als formale und eher trockene Übersetzungen, die möglichst nah am Urtext rangieren. Die Hoffnung für Alle oder gar die Volxbibel sind eindeutig dynamisch-funktionale Bibeln, die für eine bestimmte Zielgruppe in deren Sprache übersetzt wurden. Die Professoren ließen sich nicht nehmen, zu erwähnen, dass "Die Bibel für kluge Kinder und ihre Eltern" gerne als Bibeleinstieg für Erwachsene genutzt wird. Durch die Hintertür des Kinderzimmers sozusagen.
Überhaupt waren insbesondere die Ausführungen von Prof. Dr. Widu-Wolfgang Ehlers mit spitzfindigem Humor gewürzt. Der Professor verzog keine Miene, während das Publikum fast bei jedem Satz in herzhaftes Lachen ausbrach.
Nach etwa zwei Stunden hatten wir einiges zum Thema Übersetzung gelernt und erfahren, dass die Vulgata Tusculum in Deutsch fünf Bände umfasst. Mit insgesamt 6.300 Seiten ist sie deutlich dicker als die Biblia Sacra Vulgata mit ihren 1976 Seiten. Das liegt wohl daran, dass der lateinische Text über oder neben der deutschen Übersetzung steht. Da ein Band knapp 80 Euro kostet, ist die Bibel wohl eher etwas für Experten oder Sammler. Alle fünf Bände kosten demnach 400 Euro. Das ist selbst mir zu teuer, so dass ich lieber bei meiner Vulgata in der Originalfassung von Hieronymus bleibe.
Es gab zwar noch einen Sektempfang des Verlages, aber ich wollte sicher sein, dass ich zur späten Stunde noch mein Auto aus der Tiefgarage bekomme. Nach dem Einwurf von drei Euro konnte ich sogar offiziell durch die geöffnete Schranke hinaus in die regnerische Nacht fahren.