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Sonntag, 24. Februar 2019

Greater Grace in Schöneberg

Greater Grace ist eine kleine und relativ neue Gemeinde im Stadtbezirk Schöneberg. Heute besuchten wir den Gottesdienst, der sonntags um halb elf  beginnt.



Das ganze Ausmaß der 30er-Zone für angebliche Luftreinhaltung war mir noch gar nicht bekannt. Als wir das erste Schild in der Nähe des Alexanderplatzes passierten, informierte mich mein Sohn, dass das jetzt auch in der Potsdamer Straße in Schöneberg gelte. Und tatsächlich wurden wir kilometerweit mit dieser Einschränkung gegängelt. Immer wieder blockierten uns Fahrzeuge, die sich an diese fragwürdige Regelung hielten und tatsächlich 30 km/h fuhren.

Wir stellten den Wagen vor einer 30er-Nummer der Ebersstraße in Schöneberg ab. Nach wenigen Metern hatten wir die 37 erreicht. Eine moderne Glastür in einem schätzungsweise 130 Jahre alten Mietshaus trug die Aufschrift "Greater Grace" - "Größere Gnade". Die Tür öffnete nach innen und gab den Blick auf einen hellen Vorraum frei. Links standen Kaffeetassen und rechts einige Tische. Man empfing uns sehr freundlich und bald hatte sich eine Traube von Gemeindemitgliedern um uns geschart.

Kenosis und Bowling

Einige Kinder liefen aufgeregt an uns vorbei. Heute sollte endlich ein Weihnachtsversprechen eingelöst werden: Der Kindergottesdienst macht einen Ausflug zum Bowling. Pastor Stephan Stein erklärte uns, dass es in seiner Predigt heute um die Kenosis gehen solle. Kenosis bedeute wohl Entleerung und beziehe sich auf das zweite Kapitel des Philipperbriefes, in dem sich Jesus selbst erniedrigt und uns Menschen gleich wird.

Da ich mit Altgriechisch nichts am Hut habe, war mir das Wort Kenosis nicht bekannt. Leider war die Mobilfunkverbindung im Gemeindesaal so schwach, dass ich mir auch keine griechische Bibelversion aufs Handy laden konnte. Das Wort ekenosen taucht im Vers 7 auf und wird im Deutschen gerne mit entkleiden oder entäußern übersetzt. Entleeren ist da schon ein stärkerer Begriff. Die Lateiner verwenden das Wort exinanire, was eindeutig mit ausleeren zu übersetzen ist.

Gute Mischung

Durch die Bowlingaktion, der sich ganz viele erwachsene Helfer anschlossen, passte das Thema auch perfekt zur Anzahl der Gottesdienstbesucher. Wir waren etwas über 20 Personen im Saal. Normalerweise sitzen hier gut 40 Zuhörer, während im Nachbarraum zehn Kinder ein eigenes Programm erleben. In dieser kleinen Gemeinde sind fast alle Generationen vertreten. Sie ist auch ethnisch gut durchmischt.

Zunächst wurde gesungen, Kollekte eingesammelt und die üblichen Ansagen gemacht. Unter der Woche finden relativ wenige Veranstaltungen statt, so dass noch genug Zeit für außergemeindlichen Beziehungsaufbau bleibt. Die Predigt blieb zwar beim Thema, hätte aber zeitlich gestrafft werden können. Die Prediger wechseln sich bei Greater Grace regelmäßig ab.

Torte, Kaffee und Gyros-Pita

Am Ende wurde noch eine Torte hereingetragen, weil eine der afrikanischen Sängerinnen heute Geburtstag hatte. Das Licht wurde ausgeschaltet, damit die Kerzen auf der Torte besser zur Geltung kommen. Es kam richtig Stimmung auf. Danach gingen wir in den Vorraum und unterhielten uns bei Kaffee und Torte mit einigen Mitgliedern der Gemeinde. An der Wand hing eine große Weltkarte mit vielen roten Punkten: den Standorten von Greater Grace auf sämtlichen Kontinenten. Das Hauptzentrum befindet sich in Baltimore, Maryland, USA. Von dort aus kamen vor über 20 Jahren zwei Frauen nach Schöneberg und bauten hier eine neue Gemeinde auf. Das offizielle Gründungsjahr war 1998.

Von Schöneberg aus fuhren wir wieder durch die 30er-Strecke zurück, machten einen Zwischenstopp und aßen jeweils eine der sehr empfehlenswerten Gyros-Pitas bei Berkis am Winterfeldtplatz. Dann ging es weiter. Eine elektronische Anzeige bedankte sich mit grüner Schrift bei uns. "Papa, warum fährst du so langsam?" - "Ich wollte den Dank sehen."

Sonntag, 28. Januar 2018

Alt-Katholiken in Wilmersdorf

Angeregt durch eine Begegnung bei EINS besuchten wir heute den Gottesdienst der Alt-Katholiken in Wilmersdorf. Die katholische Freikirche ist zentral gelegen und hat am Innsbrucker Platz einen eigenen Autobahnanschluss.



Heute fuhren wir zu viert nach Wilmersdorf. 10:30 Uhr war ein guter Kompromiss zwischen Mittagessen und familiärer Morgen-Hektik. Überpünktliches Erscheinen sicherte uns einen guten Parkplatz. Neben dem Matchbox-Laden Cars & Boxes führte eine kleine Treppe in die Räume der Berliner Alt-Katholiken. Die Tür sah verschlossen aus, war sie aber nicht.

Wir betraten eine helle Stube mit Bildern in freundlichen Pastelltönen. An den Wänden klebten goldene Kreuze. Durch einen Vorhang schauten wir in einen weiteren Raum. Dort stand ein Tisch und darüber hing ein Gemälde von Josef-Hubert Reinkens.

Freikirche auf Katholisch

Reinkens wurde 1873 als erster Bischof der Alt-Katholiken geweiht und noch im selben Jahr von der preußischen Regierung als gleichberechtigt zu römisch-katholischen Bischöfen anerkannt. Damit hatte die katholische Kirche wieder eine Trennung erlebt. 1054 hatte sie sich schon von der orthodoxen Ostkirche verabschieden müssen, 1517 von den Protestanten und diesmal von den Alt-Katholiken. Während alt intuitiv mit konservativ gleichgesetzt wird, bedeutet es bei den Alt-Katholiken eher uralt, also Katholizismus aus einer Zeit, als es noch keine Unfehlbarkeit des Papstes und andere nachgelagerte Dogmen gab.

Mit ihren 145 Jahren sind die Alt-Katholiken eine recht junge Freikirche. Fast so jung wie der Mülheimer Verband, nur eben mit dreimal so vielen Mitgliedern. Während evangelische Freikirchen gerne die alten Liturgien über den Jordan werfen, praktizieren die Alt-Katholiken einen moderaten Übergang vom üblichen Stil der Landeskirche zum familiären Stil der Freikirche. So stand im Saal ein modernes Taufbecken, Kerzen, ein Altar, eine Kanzel und zwei Kruzifixe. Es gab Messdiener, Glöckchen, die Eucharistie - Abendmahl - und Gewänder in den Farben des Kirchenjahres.

Abendmahl, Weihnachten und Familien-Gottesdienst

Das Abendmahl durfte von allen genommen werden, die getauft waren und eine irgendwie geartete Kommunion absolviert hatten. So stellten auch wir uns in den Kreis und machten uns mit den Alt-Katholiken EINS.

Die Tatsache, dass hier immer noch Weihnachten zelebriert wurde, erstaunte uns. Der Vikar erklärte, dass die Weihnachtszeit erst am 2. Februar mit Mariä Lichtmess ende. Kein Wunder also, dass wir neben unzähligen weiteren Liedern auch "O, du Fröhliche" sangen und vor dem Altar Stall und Krippe bewundern konnten.

Heute war Familien-Gottesdienst und die Kinder durften den Hauptteil der Predigt übernehmen. Das heißt, sie wurden zum herbeigetragenen Gemälde von Josef-Hubert Reinkens befragt. Dabei lernten wir, dass der Mann auf dem Bild der erste Bischof gewesen sei und Bischöfe immer ein Kreuz auf der Brust tragen. "Außer vielleicht, wenn sie in Jerusalem den Tempelberg besuchen", dachte ich. Ein weiteres Bild zeigte eine Nonne - Computerausdruck. Zusammen mit den Kindern wurde festgestellt, dass Nonnen beten, putzen und kochen. Es wurde Kirchengeschichte vermittelt und die Wichtigkeit von Namen herausgestellt. Die Kinder wurden namentlich aufgerufen und jeweils eine Kerze für sie angezündet.

Eine Gemeinde weit und breit

Insgesamt nahmen etwa 50 Personen am Gottesdienst teil. Davon 20% Kinder. Da es in Berlin nur eine alt-katholische Gemeinde gibt, kamen die Besucher auch aus der weiteren Umgebung. Mit 23 Kilometern Anfahrt bewegten wir uns im Nahbereich. Die Alt-Katholiken in Berlin-Wilmersdorf sind im Radius von 200 Kilometern so ziemlich die einzigen ihrer Denomination. Dennoch haben die Räume ihre Wachstumskapazitäten ausgeschöpft. 20 Personen mehr würden einen Umzug erforderlich machen. Hier übrigens eine interessante Studie zu den Wachstumsschwellen von Gemeinden (bereitgestellt von https://der-leiterblog.de/).

Fast allen Anwesenden konnten wir während eines Friedensgrußes die Hände schütteln. Nach den jüngsten Klinik-Aufenthalten betrachte ich dieses liturgische Element sehr ambivalent. Es wird jedoch in vielen Gemeinden praktiziert. Laut Ansage sollte es heute wieder das traditionelle Familien-Gottesdienst-Mittagessen geben. Den Köchen winkt am Jahresende ein selbst gebasteltes Geschenk.

Da wir außer während des Friedensgrußes in unserer Anonymität belassen wurden, entfernten wir uns relativ zeitnah aus der umgebauten Wohnung im Hochparterre. Auf dem Rückweg entschlossen wir uns zum Test eines Inders am Winterfeldtplatz. Das war eine sehr gute Entscheidung, die zur Nachahmung anregt.

Samstag, 20. Januar 2018

Katholisch + Evangelisch + Orthodox + Koptisch = EINS

EINS war eines der ersten Gebets-Events für Berlin, an dem mehrere Hundert Christen unterschiedlicher - überaus unterschiedlicher - Prägung teilnahmen. Wir besuchten EINS heute in der EFG Schöneberg.



"Was bitte sind Alt-Katholiken?", fragte ich den jungen Mann an unserem Tisch. Die römisch-katholische Kirche hatte wohl nach Luther eine weitere Reformation erlebt, aus der die Alt-Katholiken hervorgegangen waren. Alt ist hier im Sinne von Fundament zu verstehen. Die Alt-Katholiken haben sich auf die allgemeine = katholische Kirche besonnen und lehnen die Unfehlbarkeit des Papstes ab.

Es entwickelte sich ein gutes Gespräch mit Menschen, deren Augen leuchteten, wenn es um EINS ging, nämlich Jesus als gemeinsame Grundlage. Weitere Bekannte gesellten sich dazu. Bald waren vier Gemeinden am Tisch vertreten. Wir trafen insgesamt sehr viele Alt-Bekannte quer durch die christliche Szene Berlins. Durchweg fitte Leute, denen die positive Entwicklung der Stadt wichtig ist.

Von EINS bis Erweckung

Auch die Erweckung um 1900 hatte mit gemeinsamen Gebetstreffen begonnen. Damals hatten sich die Christen gegenseitig um Vergebung gebeten, weil so viele trennende Dogmen und Praktiken den Blick auf EINS versperrt hatten, nämlich auf Jesus. Danach war es wie in der Apostelgeschichte abgegangen. EINS in Schöneberg bot dasselbe Potenzial. Mit dem Unterschied, dass noch Kopten, Orthodoxe und Katholiken dabei waren.

Multi-Kulti

An den Kopten waren wir bereits auf dem Weg zur EFG Schöneberg vorbeigeeilt und hatten noch überlegt, welcher Ethnie sie zuzuordnen seien. "Inder", meinte meine Frau. Ich verortete sie in Afrika. Dass man sich in der Herkunft täuschen kann, zeigten uns später der griechisch-orthodoxe Archimandrit und die südkoreanische Moderatorin. Beide kamen aus Duisburg.

Der hohe Anteil an Afrikanern, Asiaten, Syrern, Iranern und anderen Nicht-Muttersprachlern sorgte dafür, dass etwa die Hälfte der Gebetsstationen bei EINS mehrsprachig durchgeführt wurde. Fürbitte, Tanz, Singen und weitere Ausdrucksformen kamen zum Einsatz. Manch ein Teilnehmer betete erstmalig in einem neuen Stil und fühlte sich dadurch bereichert. Überhaupt herrschte den ganzen Nachmittag und Abend eine bemerkenswerte Harmonie.

Ökumene und Buffet

Musikalisch wurden wir von Afrikanern und Kopten begleitet. Die Predigt hielt Tobias Schöll vom Christus-Treff in Treptow. Der Vorsitzende des Ökumenischen Rates Berlin-Brandenburg hielt ein Grußwort. Der ÖRBB wird von Emanuel Sfiatkos von der griechisch-orthodoxen Kirche geleitet. Sehr bunt also das Event und gut aufeinander abgestimmt.

Griechen und Afrikaner waren für das Catering zuständig. Sie hatten zwei lange Buffets aufgebaut und einige Mitarbeiter zum Verteilen der spannenden Nationalgerichte dahinter gestellt. Wie üblich ging ich antizyklisch vor und hatte relativ schnell einen Zwischen-Snack, Besteck und Teller für unsere 5er-Gruppe besorgt. Die Befüllung der Teller musste in Eigenregie erfolgen. Das klappte auch ganz gut - schließlich ist Lebenszeit zu kostbar, um sie mit langem Warten zu verplempern. Während bekannte Pastoren noch in der Schlange standen, brachte ich unsere Teller zur Geschirrablage und versorgte die Wartenden mit einem Zwischen-Snack vom Buffet. Sie hatten aber gute Gespräche in der Reihe - wir am Tisch.

Gebetskonzert

Nach dem Essen sollte es ein Gebetskonzert mit BerlinUniteD geben. Da wir ständig alte Bekannte und neue Leute trafen, kamen wir kaum aus dem Untergeschoss heraus. Der Saal oben war inzwischen restlos mit Jugendlichen besetzt. "Wo gehen die eigentlich alle zur Gemeinde?", wollte meine Frau wissen. Bei unseren Streifzügen durch die Stadt hatten wir fast nur Gemeinden angetroffen, bei denen die Generation zwischen 10 und 20 fehlte.

Wir begaben uns auf die Empore und fanden sogar noch zwei Sitzplätze. Die Band rockte das Haus. Drei unbekannte Lieder. Der Pastor neben uns kannte die auch nicht. Trotzdem eine mitreißende Stimmung. Dann trat wieder Tobias Schöll auf. Am Flipchart entfaltete er eine kraftvolle Predigt zu Adam, Eva, dem System des Todes und der Überwindung dieses Systems durch Jesus mit dem System des Lebens.

Die Predigt war so kraftvoll, dass Jugendliche in Scharen nach vorne kamen und sich ein XP auf die Hand schrieben. Ein Zeichen, dass sie Jesus als Chef über ihr Leben anerkannten und Teil der Überwindung sein wollten. XP (Chi Ro) sind die griechischen Initialen für Christus - Χριστός - Christós.

Abgang

Da wir nun schon fünf Stunden bei EINS waren und auch nicht mehr so ganz mit der Altersstruktur harmonierten, entschlossen wir uns zur Heimreise. Zusammen mit dem Pastor neben uns verließen wir die Empore. Luftballons wurden durch den Saal geworfen. Diese sollten knallen, damit die Zettel mit den entsprechenden Gebetsthemen freigesetzt werden konnten. Jugend eben. Schade, dass unsere Kinder nicht dabei waren.

Wir holten die Winterjacken und wurden Zeugen einer ernst gemeinten Forderung an die EINS-Initiatoren: "Sowas müsste es jeden Monat geben!"