Sonntag, 29. Oktober 2017

ICF Tempelhof und die konstante Selbstoptimierung

Vor einem halben Jahr hatten wir ICF Berlin in der aktuellen Location in Tempelhof besucht. Seitdem hat sich einiges getan. Damals glänzten die Räume noch im Beton-Charme. In gleicher Weise die Willkommenskultur. Deshalb war mir ein erneuter Besuch wichtig.



Die Umstellung auf Winterzeit schenkte uns heute Morgen eine Stunde. So konnte ich mir in aller Ruhe noch das Galileo-Video zum Besuch bei einer Freichristlichen Gemeinde anschauen. ICF spielt darin eine zentrale Rolle. Gutes journalistisches Handwerk schließt eine Recherche zur Bestätigung einer Meinung aus. So war auch der Film eher neutral und informativ gehalten. Der Zuschauer konnte seine eigene Meinung bilden. Ebenso nüchtern wollte auch ich diesen zweiten Besuch in der Ringbahnstraße angehen.

Schön, dass Du da bist!

Kurz vor elf traf ich ein. Die ganze Straße war zugeparkt. Große Bäume am Straßenrand bewegten sich im Wind und avisierten einen Versicherungsfall. Deshalb fuhr ich auf den Hof und stellte das Auto etwas unkonventionell auf die letzte mögliche Freifläche. Den Weg zum Treppenhaus kannte ich noch. Stimmen und Lachen hallten mir entgegen. Mit einem großen Schild freute sich ICF darüber, "dass Du da bist". Eine Frau mit ICF-Badge trat durch die Tür und begrüßte mich sehr freundlich.

Im Vorraum, der nun weiß gestrichen ist, standen jede Menge Leute und tauschten sich angeregt aus. Ich kaufte einen Kaffee. Dieser wird neuerdings in echten Tassen gereicht. Sehr freundliche und schnelle Bedienung. Da die Zeit etwas knapp war - wie ich dachte - betrat ich den abgedunkelten Saal. Der ICF-Mitarbeiter an der Tür lächelte und grüßte.

Damit hatte sich der lange geplante Evaluationsbesuch gelohnt! Alle Punkte, die uns im April so massiv gestört hatten, waren bemerkenswert gut nachjustiert worden.

Rechts, links und Nebel

Das Mittelfeld vor der Bühne war schon voll besetzt. So steuerte ich den rechten Block an. Wobei ich mich seit dem letzten Gottesdienst mit dem Bundestag frage, wo in einer Kirche rechts und links ist. Beim Auto und in der S-Bahn ist das einfach. Rechts und links wird nach der Fahrtrichtung bestimmt. In einer kontemporären Gemeinde ist das wahrscheinlich auch so.

Von der Bühne her dampfte der Party-Nebel und sorgte für eine abwechslungsreiche Lichtwirkung. Über die drei Leinwände flimmerten kurze Videos und ein Countdown. Bei ICF geht es fünf nach elf los. Medial alles sehr professionell und ansprechend. Interessant wäre, in welchem Turnus die coolen Videos wiederholt und neu erstellt werden. Der Nebel machte meinen Hals trocken. Ich leerte die Kaffeetasse.

Lobpreis auf Englisch

Die große Handtasche auf dem Nachbarstuhl hatte ich gar nicht bewusst wahrgenommen. Plötzlich setze sich eine Frau zu mir und stellte sich kurz vor. "Dann lass uns einen schönen Gottesdienst haben", sagte sie nach dem Smalltalk und das Lobpreisteam startete mit dem ersten Lied. Fast Alles wurde auf englisch gesungen. Eine Übersetzung gab es unter den Texten an der Leinwand. Ich kannte nicht eines der Lieder, konnte aber relativ schnell mitsingen.

Predigtreihe über Johannes 15

Neben mir setzte sich ein Matthias - Sammelbegriff in meinem Alterssegment - und stieß meine Kaffeetasse um. Egal, die war ja schon leer. ICF-Pastor Stefan Hänsch schloss heute eine Predigtreihe ab: "Die Kraft des Gleichen". Heute sollte es um nachhaltigen Erfolg gehen. Dass ICF keine Trendwende zum Wohlstands- und Wohlfühl-Evangelium macht, war eine der ersten Aussagen der Predigt.

Durch das Referat zog sich die mathematische Formel 5x+1. In dieser Formel ist die Eins konstant. Und jeder Christ dürfte wissen, dass diese konstante Eins gleichbedeutend mit Jesus ist. Der nachhaltige Erfolg stelle sich also ein, wenn man sich auf die einzige Konstante, nämlich Jesus, konzentriert und ihn als Basis und Quelle sieht.

Gestützt war die Predigtreihe auf Johannes 15. Dort geht es um den wahren Weinstock, die Reben, die Frucht und den Weingärtner. Die Gemeinde war herausgefordert, mehrere Wochen lang, genau diesen Text täglich zu lesen und darüber nachzudenken.

Stefan Hänsch sprach aber nicht von der Herausforderung, sondern von der Challenge. Die Bedeutung dieses Wortes kannte wohl jeder im Saal. Überhaupt verwendete er viele Anglizismen und war dialektisch nicht ein einziges Mal als gebürtiger Sachse zu erkennen. Deshalb war ich beeindruckt, als er diese Herkunft in die Predigt einfließen ließ.

Postludium

Nach der Predigt gab es eine weitere bewegende Zeit mit Sologesängen unter anderem von Thirzah. Ich überlegte, welcher Bibelstelle dieser Name zuzuordnen sei und verortete sie zunächst bei Mose. Das war fast richtig. 4. Mose 27, 1 berichtet uns, dass Thirzah eine der fünf Töchter Zelophehads war, ihre Schwester Milka hieß und es keine männlichen Erben in dieser Familie gab. Das löste damals einen rechtlichen Sonderfall aus.

Von der Bühne aus wurde noch einmal kurz die Bedeutung der Beziehung zu Jesus erklärt und ein gemeinsames Gebet zur Auffrischung dieser Beziehung gesprochen. Dann folgte eine Art Segen und die offizielle Verabschiedung. Das war für fast alle ICF-Besucher ein Signal zum schnellen Verlassen des Saales.

Namensvetter und andere Bekannte

Mein Nachbar und Namensvetter fragte mich, wie lange ich schon bei ICF sei. Ich sagte ihm, dass ich nur Gast sei und gleich zu Saddleback fahre, um dort meine Familie abzuholen. Der unaufhörlich in den Saal strömende Party-Qualm ließ meine Stimme versagen. Matthias schien bereits daran gewöhnt zu sein. Jedenfalls stellten wir fest, dass wir so einige gemeinsame Bekannte hatten und dass auch ein Ex-Mitglied meiner Ex-Gemeinde aktiv bei ICF eingestiegen sei. Das freute mich.

Wir unterhielten uns eine ganze Weile. Anschließend grabbelte ich die Tasse unter dem Stuhl hervor und ging in den lichten Vorraum. Dort tobte das Leben. Der Pastor diskutierte an einem Stehtisch. Ich drängte mich durch die Besucher. Mitglieder gibt es bei ICF übrigens nicht. Wer kommt, ist da und wer nicht mehr kommt, muss nicht extra austreten.

Am Tresen stellte ich die Tasse in eine Geschirr-Kiste und verließ den Ort des Geschehens. Mit einer Zwei-Punkt-Wendung setzte ich den Wagen frei und rollte über die nassen Straßen in Richtung City.

Dienstag, 24. Oktober 2017

19. Bundestag startet mit Gottesdienst in die Arbeit

Der erste Arbeitstag des 19. Bundestages begann heute mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Französischen Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt. Spitzenpolitiker, Abgeordnete und ich waren dabei.



Die Rush Hour hatte ich bei der Zeit-Planung unterbewertet. So stand ich nun im Stau und fragte mich, ob die Frau im Nachbarauto nicht besser mit der Bahn gefahren wäre. Und überhaupt - wo sollten all diese Autos in der City parken? Die Zeit verstrich. Ich hatte einen wichtigen Termin: Gottesdienst am Dienstagmorgen. Beginn 8:30 Uhr am Gendarmenmarkt.

Gottesdienst - Dienstag 8:30 Uhr

Das war wohl einer der frühesten Gottesdienste, den ich seit Jahren besucht hatte. Am Gendarmenmarkt waren mehrere Bereiche gesperrt, so dass genügend Parkplätze für die Gottesdienstbesucher zur Verfügung standen. Zumindest interpretierte ich das so und stellte den Wagen ab. Am Eingang zur Kirche traf ich den neuen Bundestags-Präsidenten, den ich zuvor mehrfach als Finanzminister erlebt hatte. Er nutzte den Fahrstuhl und ich die Treppe.

Auf der rechten Seite hinter der Linken-Politikerin Petra Pau waren noch jede Menge Sitzplätze frei. Zwischen ihr und Kerstin Griese (SPD) konnte ich gut hindurchschauen auf die Sitzreihe der Kanzlerin. Neben Frau Merkel saßen Frank-Walter Steinmeier, Norbert Lammert, Wolfgang Schäuble, Landwirtschaftsminister Schmidt, Thomas de Maizière und zwei Kirchenvertreter. Dahinter verfolgten unter anderem Hermann Gröhe und Ursula von der Leyen den Gottesdienst.

Volle Kirche

Als Eingangslied besangen über 300 Anwesende "die güldne Sonne" von Paul Gerhardt. Eine gewisse Ambivalenz zur tatsächlichen Wetterlage. Es folgte die liturgische Einleitung und ein Wechselgebet aus Psalm 27. Interessant fand ich die musikalische Gestaltung unter der Leitung von Kilian Nauhaus. In Personalunion bediente er die Orgel und dirigierte den kleinen Chor auf der Empore. Das Ensemble nutzte die sagenhafte Akustik im Kuppelsaal.


Gottesdienst zur konstituierenden Sitzung des 19. Bundestages
Ökumenischer Gottesdienst anlässlich der konstituierenden Sitzung des 19. Bundestages
Der Sämann und der Abgeordnete nach Markus 4, 1-9

Der Predigttext stand in Markus 4, 1-9. Es geht darin um den Sämann, der das Saatgut verstreut und damit vier verschiedene Böden trifft. War die Liturgie bisher von evangelischen Akteuren gestaltet worden, trat nun der katholische Karl Jüsten auf und hielt die Predigt. Zuerst holte er die neuen, bleibenden und gehenden Abgeordneten in ihrer Situation ab. Dann ging er auf den Text ein und schlug immer wieder eine Brücke zum Arbeitsalltag des Politikers. Ein spannender Spagat, der ihm sehr gut gelang.

Man könne es einfach nicht allen Recht machen. Die Botschaft treffe, wie auch bei Predigern, auf unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Ansichten. Bei manchen fruchte es und bei anderen eben nicht. Das sei ein ganz normales Prinzip. So wertete er den Bibeltext als einen besonderen Trost für Politiker in ihren täglichen Auseinandersetzungen mit den Wählern und Abgeordneten der anderen Fraktionen.

Vereint in Jesus

Dass Gottesdienste partei-politische Grenzen überwinden können, zeigte die anschließende Fürbitte. Petra Pau von den Linken, Volker Beck von den Grünen, Kerstin Griese von der SPD und Christian Hirte von der CDU traten nacheinander ans Mikrofon und lasen ihre Gebetsanliegen vor. Besonders gut waren die Worte von Petra Pau haften geblieben. Sie betete für einen respektvollen Umgang und eine konstruktive Streitkultur innerhalb des Bundestages. Die Gemeinde quittierte die Fürbitten jeweils mit einem "Erbarme Dich".

Beim Vaterunser hatte ich die Augen geschlossen und genoss den vollen Klang im Kuppelsaal. Die Akustik verriet, dass wohl mehr Männer als Frauen anwesend waren. Nach "Komm Herr, segne uns" folgte der Friedensgruß mit Händeschütteln, der Segen vom Altar aus und "Verleih uns Frieden gnädiglich" von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Abgang in ökumenischer Eintracht

Untermalt von Orgelmusik verließen die Gottesdienstbesucher die Französische Friedrichstadtkirche. Auch wenn keine Hektik zu spüren war, so doch eine gewisse Enge. Vor mir schob sich der Heilige Stuhl zum Ausgang. Das heißt, dessen Apostolischer Nuntius, der Doyen des Diplomatischen Korps. Neben ihm war die griechische Orthodoxie in die Menge integriert. Beide verstanden sich gut und unterhielten sich in gebrochenem Deutsch.

Draußen reichten uns der evangelische Theologe Martin Dutzmann und sein katholischer Kollege Karl Jüsten die Hand. Es nieselte. Während sich die Vertreter des Vatikans und der Orthodoxie zu einer Anschlussveranstaltung verabredeten, lief ich über den Gendarmenmarkt zu meinem Parkplatz. Der Arbeitstag konnte beginnen.

Montag, 23. Oktober 2017

Lob der Torheit - Erasmus von Rotterdam

Erasmus von Rotterdam war ein Zeitgenosse Luthers. Das Buch "Laus stultitiae" - "Lob der Torheit" gilt als sein bekanntestes Werk. Ich habe es gelesen.



Nach den ersten 30 Seiten fragte ich mich, ob das Weiterlesen im "Lob der Torheit" nicht eine erhebliche Zeitverschwendung sei. Immerhin hat das ursprünglich auf Latein verfasste Werk einen Umfang von 159 Seiten - zumindest in der Ausgabe des Anaconda Verlages. Das Schriftbild in Sepia auf Ökopapier ist nicht gerade Augen-freundlich.

30 Seiten Mythologie

Nach den ersten 30 Seiten hätte ich Erasmus von Rotterdam auch wegen seiner Ausführungen zum Weib als "Mario Barth der Reformationszeit" betitelt und das Buch beiseite gelegt. Ich wunderte mich über den sprachbegabten Mann aus dem Zentrum Innere Führung, der dieses Buch wohl im Original-Text gelesen und mir empfohlen hatte.

Obwohl Erasmus von Rotterdam Theologe war, quollen die ersten 30 Seiten über mit griechischer Mythologie. Gott oder Jesus wurden nicht erwähnt, obwohl Bibel und Apokryphen auch Bücher wie Prediger, Sprüche, Weisheit oder Sirach beinhalten.

Lob der Torheit - Erasmus von Rotterdam
Lob der Torheit - Erasmus von Rotterdam
Weiterlesen

Manch ein Buch entwickelt sich beim nochmaligen oder beharrlichen Lesen. Deshalb nahm ich das Buch mit zum Hausarzt. Wenn schon Zeitverschwendung, dann richtig. Im Wartezimmer las ich die nächsten 50 Seiten.

Das war sehr gut! Der Schreiber aus Rotterdam schwenkte nämlich plötzlich auf allgemeine Situationen und bekannte Personengruppen um. Das war auch etwas für Ungebildete - wie mich. Zumindest habe ich keinen Schein. Den muss ich bei Bedarf mit Aura ausgleichen. Mein Vater hätte die griechische Mythologie auswendig und im Urtext rezitieren können. Aber Altgriechisch ist so gar nicht meine Sprache.

Genuss

Die für die Torheit investierte Zeit im Wartezimmer war ein Genuss: Sprache, Satzbau und zielsichere Satire. Meine Reaktionen reichten vom stillen Schmunzeln, über breites Grinsen und entluden sich mehrfach im entzückten Auflachen. Die Mitpatienten lasen Yellow Press und Auto-BILD, während ich mich über die immer pointierter werdende Lektüre des Erasmus freute. Dann musste ich leider ins Behandlungszimmer.

Rundumschlag

Erasmus schont kaum eine gesellschaftliche Gruppe. Jeder bekommt sein Fett weg. Besonders intensiv beschäftigt er sich mit Wissenschaftlern, Kaufleuten, Fürsten, Rechtsgelehrten, Mönchen und seinen theologischen Kollegen.

Genüsslich seziert er die Zustände in der Lutherischen Kirche - pardon, ich meinte die Kirche zur Zeit Luthers, also um 1500. Diesen Zuständen verdanken wir unser 500. Reformations-Jubiläum. Erasmus selbst hatte sich jedoch von der Reformation distanziert und starb 1536 in Basel eines natürlichen Todes. Die Unabhängigkeit als Wissenschaftler war für ihn wichtiger, als Teil der Bewegung Luthers zu werden. Luther habe darauf sächsisch-rustikal reagiert.

Die spitzfindige Geißel, die Erasmus durch die letzten Seiten des Buches schwingt ist auch heute noch aktuell. "Ecclesia semper reformanda" heißt ja, dass sich die Gemeinde einem ständigen Erneuerungsprozess zu stellen hat. Das vor 500 Jahren verfasste "Lob der Torheit" zeigt, dass auch die zeitgenössische christliche Szene mit den parodierten Schemata harmoniert. Adrian Pless hätte es kaum besser ausdrücken können.

Narren-Freiheit in Lob verpackt

Da der Autor aus Sicht der Torheit schreibt, verzeiht man ihm die sämtlichen Frontalangriffe. Mit ungeschminkter Wahrheit prasseln sie auf den Leser ein - in Lob verpackt.

Rhetorisch geht Erasmus wie Paulus vor. Er beginnt allgemein und harmlos, holt den Leser in seiner Welt ab, filtert die Zielgruppen auf den ersten 30 Seiten aus und steigert die Ausführungen so exzellent, dass man das Buch erst beiseite legt, wenn es durchgelesen ist.

Im Abspann des Buches fühlt sich die schreibende Torheit so frei, dass sie aus meiner laienhaften Sicht etwas zu weit geht mit der Handhabung der Bibelverse, die im Lateinischen das Wort stultitia und im Deutschen das Wort Torheit beinhalten.

Generell wird so manch einem zart besaiteten Pastoralgehör der Gegenwart die grobe Sprache Luthers und seiner theologischen Zeitgenossen wie Erasmus als despektierlich (verachtend) erscheinen. Auch ich hatte einige Mühe, die durchaus trefflichen Formulierungen aus meinen Gedanken zu bekommen.

Sonntag, 22. Oktober 2017

Marienkirche am Alexanderplatz

Wenn Fotos der Kreuz-Reflexion auf dem Fernsehturm aufgenommen werden, dient die Marienkirche oft als willkommener Vordergrund - wegen der Bildtiefe. Heute besuchten wir einen Gottesdienst in der Marienkirche.



Der erste Todestag meines Schwiegervaters veranlasste uns heute zum Besuch der Marienkirche am Alexanderplatz. Anonymes Kirchenflair und Gottesdienste am heimischen Fernseher waren für ihn das gewünschte Maß christlicher Gemeinschaft gewesen. Seine Frau schaffte es heute jedenfalls, dass wir zu sechst vor Ort erschienen.

Ein großes Plus der Marienkirche ist es, dass sonntags um den Alex herum kostenlos geparkt werden kann. Die Sonne schien und ich bemerkte, dass ich mir die Kirche bisher noch nie so genau angeschaut hatte. Die Architektur ist schon etwas seltsam und wirkt - wie Berlin - heterogen.

Willkommen und Begleitheft

Wir passierten die Enge Pforte an der Westseite, vorbei an einem Bettler und einem Schild, auf dem vor betrügerischen Bettlern gewarnt wurde. Dann drückte uns ein freundlicher Herr ein Heftchen in die Hand.

Die Begleitung meiner Schwiegermutter hat den Vorteil, dass wir endlich mal wieder ganz vorne sitzen dürfen. Die Familie fühlt sich normalerweise unsicher wegen des Aufstehens und Hinsetzens. Das kann man aus den hinteren Reihen besser nachahmen. Vorne wird man selbst zum Trendsetter.

Hier war das aber kein Problem. Im 20-seitigen Begleitheft aus Ökopapier stand alles sehr genau beschrieben. Jeden liturgische Gesang mit Noten und Text, Aufstehen, Hinsetzen, jedes Mitmach-Gebet, das Glaubensbekenntnis und den Predigttext konnten wir chronologisch verfolgen. Ich war beeindruckt.

Evangelische Kirchengemeinde St. Petri - St. Marien

Anhand der Kerzen vor dem Altarbereich, der Marienstatuen, der weißen Kleider der Akteure und des mehrfach erwähnten "St. Petri - St. Marien" war ich mir wegen der konfessionellen Einordnung der Kirche unsicher. Auf Seite 20 fand ich dann endlich den auflösenden Hinweis: "Evangelische Kirchengemeinde St. Petri - St. Marien".

Die Marienkirche hatte ich als dunkles Gemäuer in Erinnerung. Das lag wohl daran, dass ich sie bisher immer nur abends besucht hatte. Heute Morgen wurde das helle Innere von Licht durchflutet. Das betraf insbesondere den Altarbereich auf der Ostseite. Ich bewunderte die bis ins Detail modellierten Skulpturen und fragte mich, wie die Künstler damals nur so gut die Bewegung von Kleidung und Haaren ohne Windkanal nachbauen konnten.

Markus, Lukas und die Engel

Im Saal saßen wohl etwas über 80 Personen. Die Aktionen fanden zunächst vor dem Altar statt. Dort war auch ein grünes Rednerpult aufgestellt. Von diesem aus wurde der Predigttext rezitiert: Markus 1, 32-39. Das ist eine Passage, die mit Lukas 4 und 5 harmoniert und einen interessanten Umdenkungsprozess bei Petrus ausgelöst hatte.

Als wir im Begleitheft die Heftklammern erblickten, also Seite 10, begann die Predigt. Leider nicht vom grünen Pult aus. Die Vikarin stieg eine schmale Treppe empor, verschwand kurz und dann erblickten wir sie wieder - umrahmt von einer unzählbaren Schar kleiner Engel, die über und unter ihr in und um ein Wolkengebilde herum schwebten. Es waren so viele, dass ihre Bewegungsfreiheit teilweise etwas eingeschränkt erschien. Einer der Engel hangelte sich an der Öffnung mit der Vikarin herab.

Exemplarischer Tagesablauf von Jesus

Plötzlich bemerkte ich, dass die erste Reihe doch keine so gute Idee war. Wir mussten jetzt etwa 45° schräg nach oben in die Engelswolke schauen. Es war ein Gebot der Höflichkeit, die Rednerin anzusehen. Sie schilderte einen Tagesablauf, wie ich ihn kenne: Kaffee, Ruhe, Kaffee, Frühstück, Kaffee, Lesen - dann begann auch bei ihr der Alltag und endete mit Erschöpfung am Abend. Das war die passende Brücke für den Arbeitstag von Jesus, der sich dann alleine auf einen Berg zurückgezogen und gebetet hatte.

Die Predigt war recht kurz. Um der ungesunden Körperhaltung keinen Dauerzustand zu verleihen, widmete ich mich wieder der Inneneinrichtung und der immer intensiver werdenden Licht-Durchflutung. Bei den folgenden Ansagen erfuhren wir, dass die Vikarin heute geübt habe. Am nächsten Sonntag solle ihre Predigt bewertet werden.

Knack!

Der Gottesdienst ging noch über weitere sechs Seiten des Heftchens und enthielt auch das Abendmahl: Oblaten und Weißwein. Bei den Einsetzungsworten brach Pfarrer Gregor Hohberg eine große Oblate. Der Bruch schallte durch das Schiff - immer wieder ein besonderer Moment. Es folgten Abschlusslieder und der Segen. Dann wurde die Gemeinde bei Orgelmusik in den Sonntag entlassen.

Kaffee, Kekse und Thailänder

Meine Frau traf beim Rausgehen noch ihre Religionslehrerin aus Steglitz. Die christliche Welt kann ab und zu recht klein sein. Mehrere Besucher gingen auf die Vikarin zu und bedankten sich für die Predigt. Sie freute sich. Ein Mitarbeiter trug große Teller mit Keksen in den Eingangsbereich. Dort waren Tische mit Kaffee aufgebaut. Das Angebot wurde rege genutzt. Allerdings nicht von uns.

Wir wollten anlässlich des Todestages meines Schwiegervaters zu einem Thailänder in Prenzlberg fahren. Bei Ingwer-Tee mit Zitronengras unterhielten wir uns über den Gottesdienst. Fast alle konnten Passagen der Predigt wiedergeben. Allein die Akustik sei in der ersten Reihe nicht so optimal gewesen.

Samstag, 21. Oktober 2017

1. Samuel - ein Leiterhandbuch

In der fortlaufenden Bibellese bin ich mal wieder am 1. Samuel vorbei gekommen. Diesmal fielen mir im Vorbeilesen fast auf jeder Seite wertvolle Leitungsprinzipien auf.



Wie schon im Artikel über Toxic Leadership geschrieben, habe ich zurzeit keinen bewussten Fokus auf das Thema Leitung. Dennoch rasteten beim 1. Samuel - fast beiläufig - wichtige Hinweise auf Leitungsmethoden und Persönlichkeit von Führungskräften ein. Aber der Reihe nach:

Eli und seine Söhne

Das erste Samuel-Buch beginnt mit einem Leiter, einem Hohepriester, der von Geburt an zu diesem Amt bestimmt war. Er saß am Eingang des Zeltes, das als Tempel fungierte. Dort richtete und unter-richtete er das Volk. Er war der zentrale Ansprechpartner, da es "in jenen Tagen keinen König in Israel gab und jeder machte, was er für richtig hielt" (siehe Richter 17,6 und 21,24).

Der Mann hieß Eli und seine Söhne machten auch, was sie für richtig hielten. Das war weder aus Sicht des Volkes richtig noch aus Sicht Gottes. Eli wurde von Gott her ermahnt, auf seine Söhne einzuwirken, da sie das Priesteramt in Verruf brachten und damit die gewünschte Vorbildfunktion untergruben. Eli wurde klar für das Fehlverhalten seiner Söhne in die Verantwortung gezogen. Mit einem kurzen "Du, Du, so geht das aber nicht!" kam er seiner Verpflichtung nach und ging dann zum Tagesgeschäft über.

Daraufhin griff Gott selbst ein: Eli wurde in den Kapiteln 2 und 3 mehrfach gewarnt. Abschließend lesen wir in Kapitel 4 von einer Kettenreaktion, die Gott selbst initiiert hatte, um die Zustände zu beenden.

Parallel-Handlung Samuel

Parallel-Schauplatz zu Eli ist die Geschichte von Samuel. Samuel war das Geschenk Gottes an eine unfruchtbare Frau: Hanna. Deshalb schenkte sie den Samuel an Gott zurück, nachdem er abgestillt war. Samuel wird der Diener Elis und hält sich permanent im heiligen Zelt auf. Dort lernt er die Stimme Gottes kennen und bestätigte aus höchster Quelle, was schon ein anderer "Mann Gottes" bezüglich der Söhne von Eli angekündigt hatte.

Aber auch Samuel hatte Söhne, die auffällig wurden. Sie nahmen Bestechungsgelder an. Deshalb kam das Volk in 1. Samuel 8, 3-4 zu ihm, beschwerte sich und bat um die Einsetzung eines Königs. Wobei Könige damals ja auch von ihren Söhnen abgelöst wurden.

König Saul

Saul war zunächst sehr schüchtern, obwohl er optisch keinen Grund dazu gehabt hätte. Samuel war von diesem stattlichen jungen Mann begeistert und salbte ihn zum König. Auch das Volk war von der Aura des ersten Königs geblendet und folgte ihm gerne in die ersten Kämpfe.

Saul muss mit Selbstwert-Defiziten gekämpft haben, so dass er sich als Führungskraft nicht konsequent durchsetzen wollte. Er ließ seinen Soldaten freie Hand und nahm dafür die Trennung von Gott in Kauf. Letztlich redete er im Dialog mit Samuel mehrfach von "dein Gott". Sauls Beziehung zu Gott war wohl erloschen und die Übergabe des Königtums an jemand anderen beschlossen.

Der kleine David

Schon beim nächsten Salbungsauftrag wurde klar, dass auch Samuel sich stark von Äußerlichkeiten beeindrucken ließ. So klärte ihn Gott bei Begutachtung des ältesten Sohnes Isais auf: "Ich habe ihn verworfen". Darauf folgt der berühmte Satz: "Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an". Die anderen Brüder waren zwar nicht verworfen, jedoch auch nicht erwählt. David musste erst vom Feld geholt werden, da niemand damit gerechnet hatte, dass der große Samuel ausgerechnet zum kleinen David geschickt worden war.

Spannend ist auch die Herangehensweise Davids an die Situation mit Goliath in Kapitel 17. Während seine Brüder Angst hatten und den kleinen David am liebsten nach Hause geschickt hätten, ließ sich David nicht von der Optik des Palästinensers blenden. Er sah dessen überhebliches Herz an und erkannte, dass Gott ihn verworfen hatte.

König Saul wollte David für den Kampf ausrüsten und verpasste ihm seine Rüstung. Das war nichts für ihn. Damit hätte er den Kampf nie gewonnen. Er nutzte seine eigenen Erfahrungen und persönlichen Kennziffern und war damit erfolgreich. Das 17. Kapitel ist ein Genuss, wenn man es sich Vers für Vers auf der Zunge zergehen lässt. Daraus ist übrigens auch der 151. Psalm entstanden, der nur in der Vulgata zu finden ist.

Saul und David

Bereits im nächsten Kapitel kippt die Situation. Die wachsende Beliebtheit und der Erfolg von David wurden Saul zuwider. Wie oben festgestellt, hatte Saul ja ein Problem mit seinem Selbstwert. Deshalb konnte er in seiner Umgebung niemanden ertragen, der etwas besser konnte. Zudem fehlte ihm der Mut, einen Prozess der Selbstoptimierung zu beginnen. Dann hätte es sicher eine gute Lösung gegeben.

Im weiteren Verlauf fällt noch ein elementarer Unterschied auf: David war ein Beziehungstyp und übernahm zum Beispiel Verantwortung für seine Familie (Kapitel 22, 1-3). Saul hingegen waren Menschen egal. Im selben Kapitel löschte er 85 Männer einer Priester-Familie und deren ganze Stadt aus (Verse 18-19). Dabei war er so gründlich, wie er es in Kapitel 15 gegen die Amalekiter hätte sein sollen.

Auch bei den Begegnungen mit dem schlafenden Saul zeigte David, dass er erstens seine Leute im Griff hat und zweitens dem Zeitplan Gottes nicht vorgreifen wollte. Generell stellt er vielen seiner Entscheidungen die Befragung Gottes voran (zum Beispiel Kapitel 23 Verse 4 und 10-12). Bemerkenswert sind auch Davids Aussagen über das Antasten des Gesalbten - gemeint war in diesem Zusammenhang Saul.

Jonathan

Abschließend lohnt sich noch eine Betrachtung von Sauls Sohn Jonathan. Er reihte sich in das Vater-Sohn-Verhältnis von Eli und Samuel ein - nur umgekehrt. Jonathan hatte die Pläne Gottes verstanden und drückte das in Kapitel 23 Vers 17 gegenüber David so aus: "Du regierst über Israel und ich bin dir der Zweite, aber auch mein Vater Saul weiß das." Saul wusste und hielt krampfhaft fest. Jonathan sprach nicht wie sein Vater von deinem Gott, sondern immer vom Herrn oder von Gott. Jonathan hatte mit David eine gemeinsame Basis der Gottes-Beziehung und konnte somit die Kompetenz-Verteilung gemäß Gottes Willen akzeptieren.

Selber lesen!

Das erste Samuel-Buch gibt jede Menge Anregungen zum Weiterdenken. Die oben skizzierten Situationen und Handlungsmuster können sicher in der Tiefe erforscht und analysiert werden. Interessant wäre auch die Frage nach dem "Was wäre wenn?", um mögliche Auswege aus den verfahren scheinenden Situationen zu finden.

Viel Spaß bei der Lektüre!

Freitag, 20. Oktober 2017

Toxic Leadership - Was tun?

In den ersten beiden Artikeln zu Toxic Leadership ging es um eine allgemeine Definition und die Persönlichkeits-Merkmale. Nachfolgend werden Empfehlungen zum Umgang mit dem Problem für betroffene Mitarbeiter und übergeordnete Leiter gegeben.



Bei den Recherchen zu Exit-Strategien beim Auftreten toxischer Leiter stellte ich fest, dass das Problem auch bei der Englisch sprechenden Gemeinde Einzug gehalten hat. In Deutschland scheint das Thema noch nicht angekommen zu sein. Die Lösungsansätze der christlichen Autoren waren jedoch nicht so gut auf den Punkt gebracht wie die Abhandlungen aus dem Geschäftsleben.

Wo stehe ich?

Es ist zunächst die eigene Position im toxischen Kontext zu ermitteln. Bin ich Leiter und stehe in der Verantwortung, zum Wohle der Mitarbeiter und der Organisation unpopuläre Entscheidungen zu treffen? Bin ich eher neutraler Beobachter oder gar ein Mentor? Oder bin ich Betroffener unterhalb eines toxischen Leiters?

Situation benennen

Egal in welcher Beziehung ich mich zu ihm befinde, der erste Schritt ist die Benennung des Problems. Dazu hilft die Auswertung einer Checkliste.

Als wir damals mit geistlichem Missbrauch konfrontiert wurden, half uns eine Checkliste aus Swen Schönheits Buch "Menschen mit Format" bei der Benennung. Diese Erkenntnis stieß keinesfalls auf Gegenliebe bei der sofort konsultierten Regionalinstanz. Damals wussten wir noch nicht, wie perfide solch ein System funktioniert und wie man mit diesem am elegantesten umgeht.

Was kann der übergeordnete Manager tun?

Bin ich als übergeordneter Manager nicht selbst ein toxischer Leiter, wird mir die positive Entwicklung der Organisation wichtig sein. Dazu gehört auch ein konstruktives Arbeitsklima. Entdecke ich einen vergiftenden Leiter in meiner Downline, sind folgende Handlungsweisen empfehlenswert:

  • Die Folgen toxischer Führung nehme ich ernst.
  • Mit dem Toxiker rede ich in einer milden Weise, mache ihm aber klar, dass er erkannt ist.
  • Innerhalb der Organisation spreche ich meine Besorgnis über die Situation offen an.
  • Immer Notizen machen! Diese werden für spätere Dokumentationen wichtig sein.
  • Ich ermittle die vertrauenswürdigen Leiter und halte mich zu ihnen.
  • Ich achte genau auf jeden meiner Schritte und vermeide destruktive Gedanken.
  • Ich unterstütze produktive Mitarbeiter.
  • Ich verschaffe mir Abstand zur Situation und betrachte das Gebilde als Ganzes.
  • Ich etabliere Zeiträume (min. 1 Jahr) zum Kennenlernen der Persönlichkeit neuer Leiter.
  • Mir ist bewusst, dass Toxiker in ihrer labilen Persönlichkeit auch zur Selbstzerstörung neigen.

Toxische Leiter haben ein Persönlichkeitsproblem oder sitzen auf einem Posten, der nicht zu ihrem Profil passt. Deshalb wird sich nur selten ein Sinneswandel einstellen. Der Manager muss dann handeln und den toxischen Leiter aus der Struktur entfernen: Umsetzung auf eine geeignetere Stelle oder Entlassung.

Sollten übrigens mehrere Manager für einen toxischen Leiter zuständig sein, ist Einheit sehr wichtig. Fehlt diese Einheit, wird es erfahrungsgemäß zu einer Zerrüttung innerhalb des Managements führen. Dadurch wirkt der Toxiker nicht nur zerstörend in sein anvertrautes Team hinein, sondern auch in die übergeordneten Strukturen.

Was kann der Mentor tun?

Mentoren haben den Vorteil, dass sie emotional abgekoppelt auf den toxischen Leiter eingehen können. Sie haben eine besondere Chance auf Gehör, wobei die tiefer sitzenden Selbstwert-Defizite eher ein Fall für die therapeutische Seelsorge oder die psychosomatische Abteilung einer Klinik sind.

Auch übergeordnete Leiter können als Mentoren fungieren und erfüllen somit eine nicht ganz einfache Doppelfunktion. Hier die Vorgehensweise:

  • Konfrontiere den Toxiker mit seiner Vergangenheit und spiegle ihn.
  • Sieh zu, dass sich im Team niemand erniedrigt oder klein gemacht fühlt.
  • Verhindere eine schlechte Behandlung von Mitarbeitern, die weniger stark sind.
  • Lenke den Fokus auf eine Win-Win-Win-Atmosphäre (andere, ich selbst, die Organisation).
  • Lass kein Denken aufkommen, dass jemand besser oder schlechter als andere ist.
  • Stärke das Teamdenken, in dem jeder mit seinen Fähigkeiten einen wichtigen Teil beiträgt.
  • Freue dich über das Erreichte und fördere die Zufriedenheit mit den Ergebnissen.

Tritt der Mentor gleichzeitig als Anwalt des Toxikers auf, disqualifiziert er sich selbst und wird Teil des Problems. Die Aufgabe des Mentors besteht darin, eine positive Entwicklung des neuralgischen Leiters zu erwirken und ihn in letzter Konsequenz davon zu überzeugen, dass er in einem anderen Wirkungsrahmen besser aufgehoben wäre.

Was kann der Mitarbeiter tun?

Der betroffene Mitarbeiter ist wohl am meisten gefährdet, von der Opfer-Persönlichkeit (victima) des toxischen Leiters zum Opfer-Typen gemacht zu werden. Bei Szenarien des geistlichen Missbrauchs ist Gehen oft die einzige Möglichkeit und nach einer gewissen Übergangsfrist dringend angeraten.

Für die Zwischenphase des Arrangierens hier einige Hinweise:

  • Entwickle Gleichgültigkeit und emotionale Ablösung.
  • Halte Ausschau nach kleinen Siegen, die dich motivieren und in Bewegung bleiben lassen.
  • Limitiere den Umgang und die Begegnungen mit der toxischen Person.
  • Rede mit Vertrauten über das Problem. Nenne es beim Namen.
  • Bleib in der direkten Begegnung standhaft und fordere die Verantwortung des Toxikers ein.

Der emotionale Abstand zu solch einer Situation ist übrigens durch Vergebung zu erreichen. Bei der Vergebung vergebe ich das Thema an Jesus, der sich dann darum kümmert.

Was kann der toxische Leiter tun?

Es gibt wohl nur sehr wenige Fälle, in denen sich ein toxischer Leiter positiv verändert hatte. Das liegt hauptsächlich an der mangelnden Einsicht und dem Lügengebilde, dass er jahrelang in und um sich aufgebaut hat.

Eine befreiende Lösung wäre, das Lügengebilde mit einem großen Rums zusammen fallen zu lassen und dann einen Neuanfang zu wagen. Dazu sind Toxiker in der Regel zu ängstlich und sterben dann lieber in ihrer Scheinwelt.

So kann sich an der Persönlichkeit nur etwas ändern, wenn eine Entscheidung getroffen wird. Nämlich die Entscheidung, sich positiv verändern (lassen) zu wollen. Dabei kann das Lesen der Bibel und ein vertrauensvoller Umgang mit anderen Menschen helfen.


Weitere Artikel aus dieser Serie:
Toxic Leadership - Was ist das?
Toxic Leadership - 10 Merkmale


Als wichtige Quelle diente eine Abhandlung von Marco Tavanti, DePaul University aus Juni 2011.

Donnerstag, 19. Oktober 2017

Toxic Leadership - 10 Merkmale

Die Recherchen zur toxischen Leitung haben doch einen größeren Fundus zu Tage befördert als zunächst angenommen. Im folgenden Artikel geht es um typische Merkmale der Akteure.



Längst werden toxische - also vergiftende - Leiter nicht mehr nur in der U.S. Army ausgemacht, sondern auch in Unternehmen und Organisationen. Das Ergebnis ist immer das Gleiche: Mitarbeiter und Aufgabengebiete sind nach der Wirkungszeit des Toxikers in einem schlimmeren Zustand als vorher.

Die Liste der Eigenschaften toxischer Leiter liest sich wie eine Checkliste zum geistlichen Missbrauch. Damit schließt sich der Kreis von säkularer Leitung zur Leitung in betroffenen Gemeinden. Nachfolgend 10 Eigenschaften, die als kennzeichnend für toxische Leiter gelten:

1. Arroganz und Narzissmus

Toxische Leiter stellen sich gerne selbst dar. Sie gehen davon aus, dass sie generell Recht haben und ihre Zuhörer die Worte als "Evangelium" aufsaugen.

Sie beanspruchen die Deutungshoheit und reagieren sehr scharf auf Kritik - auch auf konstruktive. Besonders hart werden Optimierungsvorschläge geahndet, die von Untergebenen kommen.

2. Autokratie

Toxische Leiter lassen in der Regel nur die eigene Meinung gelten und sehen sich als Leitfigur der Gruppe. Die Gruppe habe der vorgegebenen Richtung zu folgen und diese keinesfalls zu hinterfragen. Mitarbeiter haben in seinen Augen lediglich den Zweck, ihm zuzuarbeiten und seine Position als Oberhaupt zu bestätigen.

3. Reizbarkeit

Toxische Leiter sind in ihrer unsicheren Selbstwertstruktur schnell reizbar. Sie wollen überall mit einbezogen werden, beziehen aber selbst ungerne jemanden in ihre Angelegenheiten ein. Sie haben Angst vor Fragen und gehen diesen so gut es geht aus dem Wege. Ideen sowie Trial & Error werden auf ein Minimum reduziert. Kreative Gruppenmitglieder verlassen das Team oder gehen jämmerlich ein.

4. Unangemessenheit

Toxische Leiter benehmen sich oft wie Kinder, sind launisch und unflexibel. Bemühungen um Weiterentwicklung und positive Veränderung werden konsequent behindert.

5. Mangel an Vertrauen

Toxische Leiter bauen ein Gebilde aus Lügen und Manipulation um sich auf und verlieren somit das Vertrauen zu sich selbst und erst recht zu anderen. Im gemeindlichen Umfeld haben wir erlebt, dass ein Pastor qua Amt Vertrauen eingefordert hatte, das ihm aufgrund von Erfahrungen und seiner Persönlichkeit nicht automatisch zugestanden werden konnte.

6. Inkompetenz

Toxische Leiter sind davon überzeugt, die kompetentesten Personen zu sein. Allerdings karikiert sie die Praxis dadurch, dass es ihnen an Entscheidungsfähigkeit mangelt, Priorisierungen ohne Sinn festgelegt werden und sie selbst für einfache Aufgaben ungeeignet sind. Kaschiert wird das durch die Kritik an Dritten, was gelegentlich auf offene Ohren stößt und erst einmal vom Toxiker ablenkt.

Es kann durchaus vorkommen, dass das übergeordnete Management die Inkompetenz bewusst ignoriert und lieber das Team opfert. Das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass die Upline aus demselben Holz geschnitzt ist. Vielleicht benötigt der Vorgesetzte ja einen untergeordneten Toxiker, um selbst in ein besseres Licht zu kommen oder als dessen Mentor zu punkten.

7. Hierarchien

Kein Wunder, dass toxic leadership zunächst im militärischen Umfeld beleuchtet wurde. Ist doch das Militär die bekannteste Organisation mit harten hierarchischen Strukturen.

Aber auch auf das kirchliche Umfeld lässt sich das übertragen. Da gibt es den Senior-Pastor, den Vorstands-Vorsitzenden, den Super-Intendenten, den Präses, den Bundes-Ältesten, den Papst, den Dekan und viele andere schöne Titel, die eine Position in der Hierarchie ausdrücken.

Ohne Hierarchie würde der toxische Leiter zugrunde gehen. Er braucht die Hierarchie und idealerweise noch die passende Kleidung für sein Selbstwertgefühl. Untergebenen wird die Last des Überbaus sehr deutlich klar gemacht. Dient es doch dem Selbstschutz der problematischen Leitungsfigur.

8. Unrealistische Erwartungen

Toxische Leiter gängeln ihr Team mit unrealistischen Erwartungen. Wie es aus der Literatur zu geistlichem Missbrauch bekannt ist, werden diese Regeln und Erwartungen modifiziert, sobald deren Erfüllung realistisch wird. Dadurch erzeugt der toxische Leiter ein nachhaltig schlechtes Gewissen bei den anvertrauten Untergebenen.

9. Symbole persönlicher Autorität

Das harmoniert mit dem erstgenannten Punkt Arroganz und Narzissmus. Der Toxiker verschafft sich besondere Rechte wie einen speziellen Parkplatz, ein erhabenes Büro, freien Zugang zu allen Ressourcen, beeindruckende Titel und Etiketten, exklusive Amtskleidung. Die Liste könnte fortgeführt werden.

10. Diskriminierung

In Korrelation zur Inkompetenz in Punkt 6 passt auch die Diskriminierung von Personengruppen. Wir haben erlebt, dass Gemeindemitglieder mit der Begründung entlassen wurden, sie seien nicht kompatibel zur DNA des Gemeindeverbandes. Dabei hatten sie nur Fragen zu den hier genannten Punkten gestellt. Verbleibenden Mitgliedern wurde zudem der Kontakt untersagt, da man sich ja nicht mit Menschen abgeben solle, die "sich Bruder nennen, sind aber ..." siehe 1. Korinther 5, 11.

Weitere Erscheinungsformen

Ergänzend dazu gibt es noch den Manipulator und den Wettbewerber.

Der Manipulator ist schwer zu erkennen. Oft braucht es mehrere Jahre, um die Täuschungen des Manipulators als Taktik zur Erfüllung dessen egoistischer Ziele zu erkennen. Bei Dale Carnegy heißt es: "Wenn Egoisten Sie ausnützen wollen, streichen Sie sie von Ihrer Liste ...".

Der Wettbewerber ist als Siegertyp ein prädestinierter Herzpatient. Er will immer gewinnen, egal was es kostet. In diese Zielvorgabe zieht er seine Untergebenen mit hinein und macht auch diese zu potenziellen Herzpatienten.

Und ich?

Es ist immer hilfreich, sich selbst im Spiegel der oben genannten Punkte anzusehen. Das schlägt ja auch schon Jakobus in Kapitel 1, 23-24 vor. Beim morgendlichen Ausdauer-Training hatte ich über meine eigenen Fallen in diesem Bereich nachgesonnen. Allein das Reflektieren darüber ist ein Zeichen dafür, dass es bei mir nicht so stark ausgeprägt sein kann.

Toxische Eigenschaften entfalte ich in der Regel nur, wenn es um das Bereinigen von Faktoren geht, die das Überleben oder die Weiterentwicklung einer Organisation stören. Das trifft dann gelegentlich auch toxische Leiter, die ja zumeist entbehrlich sind und lediglich vermeidbare Kosten produzieren.

Eine Frage der Dosierung:

Am Rande des Workshops zum Traditionserlass wurde mir berichtet, dass der weise dosierte Einsatz von toxischen Leitern durchaus heilend wirken kann. Das kennt man ja auch aus der Medizin. Gemäß ADP 6-22 dürfen diese Leiter allerdings immer nur punktuell und temporär eingesetzt werden. Ist das Ziel erreicht, sollten sie rechtzeitig in andere Wirkungsbereiche vermittelt werden.

Auch der Voll-Toxiker kann eine heilende Wirkung erzielen. Nämlich als Fallbeispiel für seine Umwelt, so eine Betrachtung mit dem nötigen Abstand möglich ist.


Weitere Artikel aus dieser Serie:
Toxic Leadership - Was ist das?
Toxic Leadership - Was tun?


Zwei wichtige Quellen für diesen Artikel waren folgende Webseiten:
www.leadershipforces.com
www.yscouts.com

Mittwoch, 18. Oktober 2017

Toxic Leadership - Was ist das?

Das Thema Leitung steht zurzeit gar nicht auf meiner Agenda. Dennoch komme ich regelmäßig damit in Berührung. Am letzten Donnerstag hörte ich erstmals den Begriff "toxic leadership".



Ein Freund aus dem Süden Berlins umgibt sich gerne mit Führungskräften. Per WhatsApp teilt er mir deren Herausforderungen mit, so dass wir konzertiert beten können. Er redet auch davon, welche Führungskräfte er anleite, unterstütze, welche er unter sich und über sich habe und dass er selbst eine Führungskraft sei. Seine Tochter besucht eine Leadership-Kleingruppe, die sich zu nachtschlafender Zeit in einem City-Starbucks trifft. Schon die Uhrzeit des Meetings lässt bei mir jegliche Lust auf Leitungsfigur vergehen.

Mit der Führungsstelle ist es wohl so wie mit der Partnersuche. Wer mit Krampf leiten möchte, muss sich erst einmal durch- und hochkämpfen. Wer das Thema entspannt angeht, dem werden die Leitungspositionen hinterhergetragen, vorausgesetzt es handelt sich um eine als Leiter begabte Führungskraft: Führung durch Persönlichkeit.

Toxic Leadership - vergiftende Leitung

Am Rande des dritten Workshops zum Traditionserlass wurde ich letzten Donnerstag schon wieder in ein Gespräch über Leitung verwickelt. Ein Oberst erzählte mir, dass er gerade einen längeren Aufsatz über "toxic leadership" schreibe. Den Begriff kannte ich noch gar nicht. Seine Augen leuchteten, als er die Details zu den Verhaltensmustern dieser Personen erläuterte. Es folgten konkrete Beispiele.

"Das kann man ja auf sämtliche Lebensbereiche wie Unternehmen und Vereine übertragen", bemerkte ich und hatte sofort die bunte Palette des geistlichen Missbrauchs vor Augen. Toxic Leadership sei ein Begriff, der in der U.S. Army aufgekommen sei. "Vergiftende Leitung", warf ich die Übersetzung ein. Man habe festgestellt, dass es Leitungspersonen gebe, die in ihrer Wirkungszeit mehr Schaden als Nutzen anrichten und im Kontext der Army durchaus für den Tod von Soldaten verantwortlich zeichnen. Er wolle mir den Aufsatz zukommen lassen, sobald er fertig sei.

Aber ich kenne mehrere!

"Wie geht man denn mit toxischen Leitern um? Wie wird man die wieder los?", wollte ich wissen. "Damit beschäftigt sich der nächste Aufsatz", lächelte er mich an und wir widmeten uns einem Buch, das er gerade auf Latein gelesen hatte: "Laus stultitiae" - "Lob der Torheit" - Erasmus von Rotterdam.

Auf der Heimfahrt schwirrten die toxischen Leiter durch meine Gedanken. Deshalb fragte ich anschließend einige kompetente Bekannte, ob sie den Begriff schon einmal gehört hätten. Alle verneinten. Sie baten mich um weitere Recherchen und die Übermittlung der Ergebnisse. Einer von ihnen schrieb: "Nein, habe ich noch nicht gehört. Aber ich kenne mehrere!"

20% und eine Spur der Verwüstung

Die Recherchen bestätigten die Infos des Offiziers. Die US-Armee sei mit etwa 20% toxischer Leiter durchzogen. Das ist ein hoher Prozentsatz.

Bezüglich der Selbstmorde während des Irak-Krieges wurden die bislang üblichen Untersuchungen modifiziert. War bisher immer der psychologische oder familiäre Mikrokosmos des Suizid-Opfers ausgewertet worden, richtete sich der neue Fokus auf das militärische Umfeld und die Vorgesetzten. Dabei trat zu Tage, dass problematische Leiter - zumeist mit Selbstwert-Defiziten - durch Schikanen und Intrigen eine destruktive Arbeitssituation geschaffen hatten. In letzter Konsequenz wurde damit der eigene Kampfauftrag beeinträchtigt und eben auch diverse Leben in den eigenen Reihen zerstört.

Je mehr das Thema an die Öffentlichkeit kam, umso mehr Betroffene meldeten sich mit ihren Erfahrungsberichten. Der toxische Vorgesetzte war wohl das fehlende Puzzle-Teil in der Bewertungskette zerstörerischer Situationen. Toxische Leiter betreiben ganz klar Sabotage.

Definition toxischer Leiter aus ADP 6-22

Die U.S. Army sieht toxische Leiter deshalb als ein ernst zu nehmendes Problem an. Die Army Doctrine Publication No. 6-22 definiert auf Seite 11 diese spezielle Art der Leiter. Hier eine freie Übersetzung:

 
"Gelegentlich kommt es in einer Organisation zu einer negativen Führung. Negative Leiter verlassen im Allgemeinen Menschen und Organisationen in einem schlechteren Zustand als bei Beginn der Leiter-Mitarbeiter-Beziehung. Eine Form der negativen Führung ist die toxische Führung.

Toxische Führung ist eine Kombination aus egozentrischen Einstellungen, Motivationen und Verhaltensweisen, die negative Auswirkungen auf Untergebene, die Organisation und die Mission haben. Diese Führer tragen keine Sorge um andere und das Klima der Organisation, was kurz- und langfristige negative Auswirkungen hat.

Toxische Führer arbeiten mit einem aufgeblasenen Sinn für Selbstwert und aus akutem Eigeninteresse. Toxische Leiter verwenden konsequent disfunktionales Verhalten, um andere zu täuschen. Sie schüchtern ein, üben Zwang aus oder verwenden ein ungerechtes Strafmaß, um ihren Willen durchzusetzen.

...
Der längere Einsatz negativer Führungskräfte zur Beeinflussung von Mitarbeitern untergräbt den Willen, die Initiative und das Potenzial der Geleiteten. Zudem zerstört es die Einheit des Teams."

Das kommt mir bekannt vor.

Toxische Personen sind in sämtlichen Lebensbereichen mit Leiter-Mitarbeiter-Strukturen anzutreffen. Auch in Gemeinden.

Die einschlägige Literatur zu geistlichem Missbrauch kennt den physischen Suizid genauso wie den geistlichen Tod. In Berlin begegnen uns immer wieder Betroffene mit einer tiefen Verbitterung über toxische Gemeinde-Strukturen. Während meiner gerade beendeten Reha erzählte mir ein Mann, dass er ausgetreten sei und Abstand genommen habe. "Abstand nur von der Kirche oder auch von Gott?", wollte ich wissen. "Von beidem", war die Antwort.

Wir kennen eine Gemeinde, die gleich von zwei toxischen Leitern geführt wird. Einer davon stolpert über den Fallstrick Perfektion und der andere über den Fallstrick Eitelkeit. Einer davon ist Theoretiker und einer Praktiker. Beide heften sich Lorbeeren an, die sie selbst nicht erarbeitet haben. Damit passen sie sich eins zu eins in die Schablone ein, die der Oberst am Stehtisch in Potsdam skizziert hatte.

Uns wundert, dass sich niemand wundert.

70 Personen sollen inzwischen die Gemeinde verlassen haben. Das ist etwa die doppelte Zahl der Gottesdienst-Besucher. Dennoch wundert sich bisher wohl niemand oder hinterfragt gar die Zustände.

Der untergebene Leiter in diesem Gespann bekam den Titel "Kapitän", wobei der Begriff sachlich falsch ist. Mir klingt noch ein Satz von Konteradmiral Stawitzki im Ohr: "Wir machen heute das, was Seeleute immer machen: Positionsbestimmung". Die Positionsbestimmung toxischer Leiter kann sich nur um die eigene Person drehen, nicht jedoch um die realistische Position der zu erfüllenden Mission. So ist der Kapitän in diesem Zusammenhang wohl eher als jemand zu verstehen, der als Letzter das Schiff verlässt - nachdem er allen anderen noch auf hoher See über Bord geholfen hatte.

Die tun was dagegen.

Wegen der gravierenden Folgen toxischer Leitung hat die amerikanische Armee Exempel statuiert und eine vierstellige Zahl auffällig gewordener Offiziere entlassen. Auch wurde ein anonymes System zur Bewertung von Vorgesetzten eingeführt, das beim Aufspüren solcher Tendenzen hilft.

In der christlichen Szene hört man selten von vergleichbaren Verfahrensweisen. So bin ich inzwischen der Überzeugung, dass ein gemeindliches Umfeld den optimalen Schutzraum für toxische Leitungspraktiken bietet.

Die Erfahrung zeigt, dass die Kollegialität unter Pastoren bemerkenswert hoch ist. Aus Bruderliebe werden toxische Verhaltensweisen unter den Teppich gekehrt, bis dieser so viele Ausbuchtungen hat, dass er nicht mehr begehbar ist. Die Bibel berichtet davon, dass sich Gott selbst zu gegebener Zeit dieses Themas annehmen wird - siehe zum Beispiel 1. Samuel 3 und 4.


Weitere Artikel aus dieser Serie:
Toxic Leadership - 10 Merkmale
Toxic Leadership - Was tun?

Sonntag, 15. Oktober 2017

20 Jahre CVJM Kaulsdorf

Der CVJM in Kaulsdorf ist eine feste Größe im Bezirk. Auch wir pflegen seit zwei Jahren einen regen Kontakt zu den wertvollen Mitarbeitern. Heute feierte der CVJM Kaulsdorf seinen 20. Geburtstag.



Exakt 49 Jahre nach der Gründung des heutigen Staates Israel wurde am 14. Mai 1997 der CVJM Kaulsdorf gegründet.

Die Geschichte des CVJM ist eine Geschichte der Wunder. Der Kaufpreis des Gästehauses, die Finanzierung der Projekte, die Harmonie der Leitung und die positive Wirkung auf das Umfeld des Großbezirkes Marzahn-Hellersdorf sind mit wissenschaftlichen Argumenten nicht zu erklären.

Trotz der aktuellen Umbaumaßnahmen ist das Übernachtungspotenzial ausgelastet und die Gäste kommen gerne wieder. Die Wandelbar mit ihren Kinder- und Jugendaktivitäten platzt aus allen Nähten. Die Mitarbeiter sind jedoch hoch motiviert. Die richtigen Leute am richtigen Platz.

Flankiert wird die praktische Arbeit des CVJM Kaulsdorf durch eine wöchentliche Gebetsgruppe. Neben Wundern im privaten und beruflichen Umfeld konnten hier auch Wunder bezüglich des CVJM erbeten und erlebt werden.

Am heutigen 20. Geburtstag waren so viele Freunde und Mitglieder des CVJM Kaulsdorf gekommen, dass sogar noch Stehplätze genutzt werden mussten. Es gab Berichte aus der Historie, musikalische Untermalung, einen Gottesdienst, Grußworte und eine Hausbegehung inklusive der neuen Räume im Dachgeschoss.

Die Mitglieder und Mitarbeiter des CVJM Kaulsdorf sind in verschiedenen Gemeinden der Stadt beheimatet. Eine entsprechend freie Atmosphäre herrscht im Haus und auf den regelmäßigen Freizeiten. Auch zur Presse, der regionalen Wirtschaft und den politischen Akteuren in Bezirk und Bundesregierung bestehen sehr gute Beziehungen.

Freitag, 13. Oktober 2017

Ungläubiges Staunen von Navid Kermani

Das Sinnieren über Gemälde ist in Zeiten von YouTube und Instagram nicht mehr so populär. Navid Kermani hat sich mit verschiedenen christlichen Kunstwerken beschäftigt.


An einem der ersten Tage in der Reha-Klinik bekam ich das Buch "Ungläubiges Staunen - Über das Christentum" von Navid Kermani geschenkt. Also Navid Kermani ist der Autor und geschenkt hatten es mir die ersten Besucher. Das Buch war noch verschweißt und wurde auf der Rückseite vollmundig als "großes Geschenk für Christen und Nicht-Christen" (Martin Krumbholz, Bayerischer Rundfunk) angepriesen.

Navid Kermani Ungläubiges Staunen
Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
Die Folie landete im Papierkorb - keine Mülltrennung. Sofort begann ich zu lesen. Dabei stellte ich fest, dass der Titel des Buches verfehlt ist. Das ist kein "Ungläubiges Staunen".

Bilder wirken lassen

Der Autor beschreibt die Szenen auf den mehrere hundert Jahre alten Bildern als scharfer Beobachter und entdeckt Details, die beim schnellen Vorbeihuschen durch den Touristen gar nicht bemerkt werden. Teilweise sitzt er mehrere Stunden in einem finsteren Raum, beleuchtet die Bilder mit seinem Handy oder gleicht die Aussagen im Katalog mit der Wirkung des Originals ab. Er geht vor und zurück und fixiert einzelne Bereiche der Oberfläche.

Besonders beeindruckt zeigt er sich von den Werken des Italieners Caravaggio (1573-1610), der mit ausdrucksstarken Personen und unkonventionellen Momentaufnahmen glänzte. Das verschaffte ihm dann wohl auch einigen Stress mit der sakralen Obrigkeit. Caravaggio wurde nur 37 Jahre alt.

So ist die Lektüre dieses Buches in weiten Teilen ein Genuss, so man sich denn für den tieferen Sinn von Kunst interessiert. Nur das Schriftbild sorgt für eine regelmäßige Ermüdung.

Unglaube, Freundschaft, Reiselust

Navid Kermani bezeichnet sich mehrfach als Moslem und betont, dass er im christlichen Sinne ungläubig sei. Das tiefe Verständnis für die Zusammenhänge der Botschaft vom Kreuz lassen jedoch erhebliche Zweifel an seiner Ungläubigkeit aufkommen.

Oft zitiert er Dialoge mit "dem katholischen Freund", beschäftigt sich mit Maria und Personen wie Hieronymus und Franz von Assisi. Zudem besucht er auch orthodoxe Kirchen und Klöster. Nebenbei saugt er die Atmosphäre in den Kirchen und Museen auf und beschreibt diese sehr plastisch.

Er ist viel unterwegs in Rom, in Syrien, im Kosovo und in Köln. Die Beschreibung der Kunstwerke unterlegt er mit Vergleichen zu islamischen Traditionen und Sichtweisen sowie fundiertem historischen Wissen. Die Bibel scheint er gut zu kennen, da er treffsicher daraus zitiert.

Bildbetrachtung im Schnelldurchlauf

Zum würdigen Abschluss der Reha ergab sich die Gelegenheit, den Bundespräsidenten nach Rom zu begleiten. Das Buch hatte ich im Gepäck und wollte vor Ort einige der Bilder auf mich wirken lassen. Dazu kam es allerdings nicht.

Wir sahen zwar die Vatikanischen Museen inklusive der Gruppe des Laokoon, der Stanzen des Raffael und der Sixtinischen Kapelle, aber alles im Schnelldurchlauf. Nach 73 Minuten fuhren wir weiter zur Basilica San Clemente. Das Buch von Navid Kermani hatte ich in Rom nicht ein einziges Mal geöffnet.

Montag, 9. Oktober 2017

Sant'Egidio - Mose war auch in Rom

Sant'Egidio ist in 73 Ländern der Welt aktiv und hat sich die "Weitergabe des Evangeliums und den Dienst an den Armen" auf die Fahnen geschrieben. Im Kloster Sant'Egidio in Rom traf ich Mose.



Die Fahrzeug-Kolonne des Bundespräsidenten rollte auf die gepflasterte Piazza di Santa Maria. Die wenigen Meter zum Kloster Sant'Egidio legten auch Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender zu Fuß zurück. Schwerbewaffnete, aber dekorative Polizisten in Uniform und Zivil säumten das Umfeld. Grün gekleidete Soldaten mit schussbereiten Sturmgewehren lauerten auf ungewöhnliche Bewegungen.

Garten und Buffet

Die Presse und Teile der Delegation wurden zu einem anderen Eingang geleitet und sollten dem Präsidentenpaar innerhalb des Hauses wieder begegnen. Nach dem Durchschreiten einiger verwinkelter Gänge fanden wir uns in einem romantischen Garten wieder, umbaut mit dem Kloster. Ich machte einige Fotos für meine Frau. Das einzige für mich zuordenbare Grün waren riesige Bananen-Pflanzen. Dazwischen Metallstühle mit Kissen, Stehtische, zwei runde Tafeln für den Präsidenten und seine Gesprächspartner sowie ein Buffet. Um dieses wuselte schwarz gekleidetes Personal herum, darunter ein beachtlicher Teil Mitarbeiter mit Down-Syndrom.

Sant'Egidio

Sant'Egidio wurde 1968 als parakirchliche Gemeinschaft gegründet und ist von der römisch-katholischen Kirche anerkannt. In Rom ist das wichtig und auch nicht für jeden erreichbar. Die Gemeinschaft ist in über 70 Ländern aktiv und setzt sich hauptsächlich für die Weitergabe des Evangeliums ein. Dabei liegt ein wichtiger Fokus auf dem Dienst an den Armen.

Das Kloster hatten die Karmeliter 1930 im historischen Stadtbild Roms integriert. 1971 übernahm Sant'Egidio den Gebäudekomplex.

Mediation und Sicherheitsbedarf

Die schwer bewaffneten Soldaten seien von der Regierung dort platziert worden, weil sich Sant'Egidio mit seinen Friedensverhandlungen weltweit engagiert. Das erzeugt nicht immer Gegenliebe. Der spektakulärste Verhandlungserfolg war die Beendigung des Bürgerkrieges in Mosambik. Dieser hatte 16 Jahre gedauert und fand am 4. Oktober 1992, also vor 25 Jahren, seinen Abschluss. Die Gemeinschaft ist regelmäßig in Konflikt-Mediationen in Asien, Lateinamerika und Afrika involviert. Sie kümmert sich ebenfalls um Themen wie AIDS-Bekämpfung, humanitäre Hilfe und Bildung. Deshalb erfährt sie finanzielle Hilfe seitens des Auswärtigen Amtes.

Reden und reden lassen

Der Gründer und der Präsident von Sant'Egidio quittierten den Besuch des prominenten Ehepaares aus Deutschland mit breitem Lächeln. In einem randvoll mit Zuhörern befüllten Raum hielt Herr Steinmeier die zweite offizielle Rede seiner Rom-Reise. Die erste hatte er am Vortag in der evangelischen Christuskirche in der Via Sicilia gehalten.

Mose und Elia

Es war schon früher Nachmittag und das zeitliche Delta zum Frühstück war entsprechend strapaziert. Umso erfreuter waren wir über die allgemeine Einladung zum Mittagessen. Antizyklisch bewegte ich mich in eine der kunstvoll bemalten Kapellen und nutzte das dortige Buffet. Mitarbeiter - teilweise mit Down-Syndrom - waren uns beim Auftun der italienischen Küche behilflich. Ich entschied nach Diätplan, was trotzdem sehr lecker war.

Ein Schwarzer mit pastoralem Hemdskragen gesellte sich an unseren Tisch. "Ich heiße Mose", lächelte er mich an und reichte mir seine Hand. Währenddessen lag mir schon ein "Und ich Elia" auf der Zunge. Im letzten Moment nannte ich meinen richtigen Namen, hatte aber gleich einen guten Einstieg für das folgende Gespräch.

Mose, Psalmen und Lukas

In bestem Deutsch erklärte er mir, dass er in Rom Theologie studiere. Sein Schwerpunkt sei Altes Testament. Ich nannte ihm eine meiner Lieblingsstellen: 5. Mose 7 und erklärte die geniale Bedeutung des Textes als Metapher für unsere eigene Reifung im Glauben. Meinen Lieblingspsalm 107, in dem es um Unternehmer in ihren Herausforderungen und das Eingreifen Gottes geht, beantwortete er mit seinem Lieblingspsalm 82. Dieser behandelt das zweite Hauptthema von Sant'Egidio: Dienst an den Armen.

Ein weiterer Schwarzer kam an den Tisch. Ich holte noch etwas Käse und Erdbeeren. Es war nicht Elia, sondern ein junger Mann aus Haiti - auch mit pastoralem Hemdskragen. Wegen der vermeintlichen Papst-Audienz hatte ich heute sogar eine Krawatte um. So war es zumindest in den Infoblättern zur Vatikan-Reise vorgeschrieben worden. Dem Bruder aus Haiti fiel die Kinnlade nach unten, als ich ihn nach seinem Lieblingstext fragte. Er sei ein Freund des Lukas-Evangeliums, dem "Evangelium für die Armen". Das war mir bisher gar nicht so bewusst.

Wer ist in der Mitte?

Wir traten in den Garten und unterhielten uns weiter über die Bibel und Sant'Egidio. An einem der runden Tische diskutierte der Bundespräsident mit den Leitern der Gemeinschaft über Themen, die hier nicht zitiert werden dürfen.

Mose erzählte mir, dass er einen Freund habe, der Elia heiße. Die Beiden nehmen das zum Anlass für folgende Frage: "Wer ist in der Mitte?" - "Jesus", sagte ich und Moses Gesicht erhellte sich zu einem breiten Lächeln.

Dann Aufbruch-Stimmung, Kameras startklar und hinter dem Bundespräsidenten her. Vor der Pforte des Klosters hatten sich die Mitarbeiter aufgereiht: Gruppenfoto. Plötzlich badeten wir in einer Menge herbeigeströmter Touristen. Deutsche erkannten den Mann, dessen Partei sie kurz zuvor gewählt haben mussten. Einer davon grüßte seinen "Frank" aus einer Kleinstadt, deren Name mir inzwischen entfallen ist. "Who is that man?", fragte mich ein Holländer. Die Menschentraube bewegte sich langsam und unter lautstarker Beachtung des Publikums zurück zur Piazza di Santa Maria, wo die Fahrzeuge warteten.

Samstag, 7. Oktober 2017

Kirche für Jedermann in Teltow

Die "Kirche für Jedermann" in Teltow ist eine freundliche und gemütliche Gemeinde, die sich jeden Samstag für zwei Stunden zum Gottesdienst trifft. Heute war ich dort zu Gast.


Hätte ich gewusst, dass die Hausnummer 18 am gefühlten Stadtrand von Potsdam liegt, wäre ich wohl mit Auto zur Kirche für Jedermann gefahren. So stellte ich beim Erblicken des ersten Straßenschildes "Potsdamer Straße" fest, dass ich noch über 70 Haunummern ablaufen müsse. Die Potsdamer Straße fiel durch zwei Dinge auf: Tod und Autohäuser. Zwei Bestatter, ein Denkmal mit mahnenden Toten und unzählige Gebrauchtwagen-Händler. Wenigstens regnete es nicht.

Willkommen!

Zehn nach zehn war ich endlich an der Eingangstür des großflächig bemalten Flachbaus angelangt. Die Begrüßung war sehr herzlich. Kaum hatte ich mich gesetzt, bekam ich als Gast einen Gutschein für den Buchertisch. Ich schnaufte noch etwas die 70 Hausnummern weg und hatte mich zum ersten Klang der Anbetungszeit wieder gefangen.

Anbetung

Die Anbetungszeit verdiente hier tatsächlich diese Bezeichnung, da die sehr bekannten Lieder aus den 1990ern klar auf die Ehre Gottes ausgerichtet waren und nicht auf unser Wohlbefinden. Wenn es um uns in den Liedern ging, dann mit der Bitte um ein neues Herz und die Symbiose mit Jesus. Der unterlegte Klangteppich aus Gitarren, Cajon und Keyboard hatte einen Drive, der mich die ganze Zeit über gefesselt hielt. Fasziniert war ich auch über die Harmonie der Stimmen.

Erlebt

Es schloss sich eine Zeit des Erzählens an. Endlich mal wieder eine Gemeinde, in der die Leute von ihren alltäglichen Erfahrungen mit Jesus berichten konnten. Die Leute von der Kirche für Jedermann hatten viel mitzuteilen und freuten sich gegenseitig an den Erfahrungen. Im Saal saßen etwa 50 Personen. In diesem Bereich bewegte sich auch das Durchschnittsalter mit leicht nach unten orientierter Tendenz. Hier entscheiden sich regelmäßig Menschen für Jesus. Heute sollte es sogar eine Taufe für einen Rollstuhlfahrer geben.

Die Gottesdienste finden samstags statt, weil die Wurzeln der Gemeinde auf die Adventisten zurück gehen. Hier ist aber Jedermann willkommen, so dass sich eine sehr heterogene Gruppe gebildet hat, die sich gegenseitig inspiriert.

Erziehung

Etwa zur Halbzeit wurde ein Bügelbrett mit Laken auf die Bühne getragen: das obligatorische Puppenspiel. Das Puppenspiel führte - wie auch diverse andere Elemente - zur Predigt hin. Es ging um Erziehung. Ein knuffiger Plüsch-Prinz wollte ein Praktikum als Erzieher machen und musste sich einem Test unterziehen. Er fiel durch.

Die Predigt wird bei der Kirche für Jedermann von Laien gehalten. Dadurch ist ein brauchbarer Alltagsbezug gewährleistet. Mit Hebräer 12, 6 wurden wir in die herausfordernden Facetten der Erziehung hineingenommen. Erziehung der eigenen Persönlichkeit durch schmerzliche Erfahrungen. Der heutige Prediger konnte das mit sehr vielen Beispielen plastisch erläutern und suchte auch immer wieder den Dialog mit den Zuhörern.

Segen

Zum Abschluss stellte sich die gesamte Gemeinde im Kreis auf, fasste sich an die Hände und sang ein Segenslied. Sehr familiär. Überhaupt hatte ich mich sehr heimisch gefühlt. Das Licht, die kneipenähnliche aber gemütliche Einrichtung und die natürliche Freundlichkeit der Anwesenden waren ein gelungener Mix, einen Schnupper-Gast zum Mitglied werden zu lassen.

Ich hätte mir noch ein Buch aussuchen können. Auch hätte ich noch zu Mittag essen können. Allerdings hatte ich heute noch weitere Termine und wollte das Diät-Essen in der Klinik nicht verpassen. So wechselte ich noch einige Worte und eilte hinaus. Auch der Rückweg über eine Parallelstraße dauerte 25 Minuten. Damit waren neben Laufband, Ergometer und Muskelaufbau noch zwei Einheiten Ausdauer-Training dazu gekommen. Eine ungeplante Sporteinlage von knapp sechs Kilometern schnell gelaufener Wegstrecke.

Montag, 2. Oktober 2017

Gesprächsforum Leben + Glauben mit Pianist Sam Rotman

Die Abende im Best Western Steglitz bieten immer wieder eine gute Gelegenheit, Freunde oder den Chef mitzubringen. Gestern Abend spielte Sam Rotman Stücke von Beethoven und Rachmaninow.



Wir waren früh dran - gestern Abend beim Gesprächsforum Leben + Glauben. Meine Frau kam von zu Hause und ich aus der Reha-Klinik in Teltow. Unser Timing war nahezu perfekt. An Tisch 8 sollten wir diesmal sitzen. Die liebevoll per Hand geschriebenen Namenskarten standen bereits an den Plätzen. Vier alte Bekannte aus der Lukas-Gemeinde sollten uns beim Hören und Essen Gesellschaft leisten.

Kleiner Mann - große Energie

Weitere Bekannte erschienen, so dass der Abend ohne große Aufwärm-Phase seinen Lauf nahm. Hallo, kräftiger Händedruck, Umarmung, kurze News und dann war es auch schon 18 Uhr. Der kleine Sam Rotman setzte sich an den polierten Flügel und schmetterte Beethoven in die Tasten. Alles auswendig!

Dazu gab er mit seiner sagenhaften Radio-Stimme Erklärungen ab. Er erläuterte auch die weiteren Stücke von Rachmaninow und wurde dabei von Joe Hartung übersetzt. Der Pianist, der wohl zu den 25 der Besten seiner Instrumenten-Klasse zählt, sprach Englisch. Dennoch kannte er einige Wörter wie "Schade", "Ja" und "Danke".

Nach jedem Stück hauchte er ein "Ja!" in den Raum, schwang seine Hände wie ein Schwan im Fluge zur Seite, stand auf und verbeugte sich. Applaus. Dann die Erklärung des nächsten Stückes und einige Worte zum Komponisten.

Jesus versus Konzertflügel

Im letzten Viertel seines Konzertes erzählte er von sich selbst. Der 1950 geborene Rotman berichtete von seinen Eltern, seiner Geburt und Schulzeit in Nordamerika und seiner Begegnung mit Jesus. Jesus sei ihm wichtiger als die Musik. Immerhin war es Jesus gelungen, sein Innerstes zu verändern. Sam habe viele Masken getragen, sei sehr religiös und korrekt gewesen - rein äußerlich - und habe innen sehr viel Müll mit sich herumgetragen. Jesus habe das verändert. Die Begeisterung für die Beziehung zu Jesus sprudelte nur so aus ihm heraus.

Diätplan

Gegen 19:30 Uhr wurde das Buffet eröffnet. Ich hatte meinen Diätplan im Kopf und hielt mich an die unzähligen Varianten Fisch, Salate ohne Dressing sowie Ballaststoffe und ungesättigte Fettsäuren. Das ging erstaunlich gut. Die Gäste neben mir verspeisten Fleisch, Pilze, Brownies und andere leckere Dinge. Mal ganz abgesehen vom trockenen Rotwein an den Nachbartischen. Wir hatten stilles Wasser bestellt.

Termine und anderes

Am Tisch tauschten wir uns über die gemeinsame Vergangenheit und neueste Entwicklungen aus. Nach dem Essen wurden Fragen an Sam Rotman verlesen, die er sehr offen beantwortete. Es folgten Terminhinweise für Paar-Abende, Männertreffen und Gott begegnen am Meer mit Maike Behn und Joe Hartung.

Da meine Frau mit dem ÖPNV unterwegs war, mussten wir uns sehr bald von den Gesprächspartnern losreißen. Auf dem Weg durch die Lobby traf ich Bekannte aus Eben Ezer und bot ihnen eine Mitfahrgelegenheit nach Lichterfelde an. Während meine Frau auf den Bus wartete, hetzte ich mit meinen Fahrgästen durch die Nebenstraßen von Steglitz. Dass ich zu schnell war, merkte ich an ihrer Atemlosigkeit. Das Ausdauertraining in der Kardio-Klinik trägt Früchte.

Sonntag, 1. Oktober 2017

Nehemia Potsdam

Die Nehemia-Gemeinde in Potsdam ist über die Grenzen der Landeshauptstadt hinweg bekannt. Dabei werden immer zwei Attribute genannt: Royal Rangers und charismatisch. Heute wollte ich den Gottesdienst bei Nehemia besuchen.



Und wieder regnete es in Brandenburg. Wieder auf der Fahrt zu einem Gottesdienst in Potsdam. Sehr seltsam. Mein Ergotherapeut bestätigte letzte Woche, dass auch bei tagelangem Regen immer zu Sport und Bewegung im Freien die Sonne herauskomme.

Die Pappelallee liegt hinter der Alexandrowka. Den Weg war ich schon mehrfach gefahren, zumal auch Verwandtschaft in dieser Straße wohnt. Auf der linken Seite erblickte ich ein Areal mit Hinweisen auf die Nehemia-Gemeinde. Ich stellte das Auto in einer Nebenstraße ab und lief zum Haupttor. Es regnete immer noch.

Stadtmauer gegenüber des eigenen Hauses

Nehemia war der, der die Stadtmauer von Jerusalem wieder aufgebaut hatte. Jeder Einwohner sollte gemäß Kapitel 3 die Mauer gegenüber seines Hauses aufbauen. Das war sehr effizient. Schließlich hatten die Leute ein gewisses Eigeninteresse an diesem Schutzwall.

Das große Gittertor war verschlossen. Das kleine Gittertor für die Fußgänger war mit einer Kette gesichert. Keine Anzeichen eines in wenigen Minuten beginnenden Gottesdienstes. Kein Mensch weit und breit. Ein verlassen wirkender Gewerbehof mit Gebäuden, Grünanlagen und Freiflächen, die wohl ihre besten Jahre hinter sich haben. Ich zückte das Handy und schaute noch einmal auf der optimierungsfähigen Webseite der Nehemia-Gemeinde nach: Ort korrekt, Zeit korrekt, Datum korrekt. Es regnete immer noch.

Gemälde an der Gitterpforte

Nach fünf Minuten ging ich zum Auto zurück. Ein seiner Halbwertzeit ausgesetztes Banner bewarb die Royal Rangers und die Nehemia-Gemeinde. Eine Frau mit Hund kam mir entgegen. Ich parkte aus und rollte noch einmal langsam am Areal vorbei. Im Augenwinkel huschte ein Person mit einem Kreuzigungs-Gemälde an mir vorbei. Im Rückspiegel sah ich sie die Straße überqueren. Bei der nächsten Möglichkeit wendete ich. Vielleicht stimmte ja nur die Zeit nicht: 10 Uhr.

Als ich das Pfadfinder-Eldorado erreichte, stand auch die Frau mit dem Bild ratlos vor der Gitterpforte. Sie sei jetzt drei Wochen nicht beim Gottesdienst gewesen und habe lediglich gehört, dass eine neue Location im Gespräch sei. Diese sei wohl in der City, also der City von Potsdam. Sie wisse aber auch nichts über die genaue Adresse. Sie bemühte das Smartphon und kam zum gleichen Ergebnis wie ich zuvor. Das beruhigte mich.

Was ist los mit Nehemia?

Das Bild habe sie extra für die Nehemia-Gemeinde gemalt, wo es an den Wänden immer so kahl ausgesehen habe. Zudem sei sie eine halbe Stunde durch den Regen unterwegs gewesen. Zu Fuß schon frustrierend. Sie fragte, ob ich sie in die City - also die von Potsdam - mitnehmen könne. OK, das lag auf meinem Rückweg nach Teltow. "Wollen wir zu einem anderen Gottesdienst fahren", fragte sie und ich scannte kurz einige Alternativen durch: erlebt-Potsdam, mittendrin-Potsdam, ICF. Für mich war keine Alternative dabei, da ich ja unbedingt rechtzeitig zur leichten Vollkost in der Klinik zurück sein wollte. So blieb nur die Mitnahme in die City.

Nehemia sei eine kleine Gemeinde mit offensichtlich integrativer Atmosphäre. Die Leute seien sehr freundlich, der Lobpreis sei zeitgemäß und werde vorwiegend durch den Pastor und einen Gitarristen gestaltet. Der Pastor sei Mitte dreißig. Das klang ganz gut und passte in die Struktur von erlebt und mittendrin. Über die Predigten erzählte meine Mitfahrerin nichts, aber dass die Gottesdienste immer von 10 bis 12 Uhr gehen.

Farbe und die passende Info

Da sie die Querstraßen zur City nicht so gut kannte, setzte ich sie an einer Straßenbahn-Haltestelle ab. Das Bild hatte unter dem Regen etwas gelitten, was ich an den weißen Farbrückständen auf dem Ledersitz erkennen konnte. Während die Künstlerin durch das nasse Potsdam stapfte, fuhr ich durch das herbstliche Teltow-Fläming zurück. Der Abdruck des Gemäldes ließ sich problemlos mit Papiertüchern und Desinfektionsmittel entfernen. Es war wohl keine Ölfarbe.

Beim erneuten Besuch der Webseite - diesmal per Laptop - entdeckte ich plötzlich im zweiten Slider der Startseite einen wichtigen Hinweis: "Ab 1. Oktober finden unsere Gottesdienste im Friedenssaal statt (Schopenhauer Straße 23, 14467 Potsdam) - herzlich willkommen!"