Sant'Egidio ist in 73 Ländern der Welt aktiv und hat sich die "Weitergabe des Evangeliums und den Dienst an den Armen" auf die Fahnen geschrieben. Im Kloster Sant'Egidio in Rom traf ich Mose.
Die Fahrzeug-Kolonne des Bundespräsidenten rollte auf die gepflasterte Piazza di Santa Maria. Die wenigen Meter zum Kloster Sant'Egidio legten auch Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender zu Fuß zurück. Schwerbewaffnete, aber dekorative Polizisten in Uniform und Zivil säumten das Umfeld. Grün gekleidete Soldaten mit schussbereiten Sturmgewehren lauerten auf ungewöhnliche Bewegungen.
Garten und Buffet
Die Presse und Teile der Delegation wurden zu einem anderen Eingang geleitet und sollten dem Präsidentenpaar innerhalb des Hauses wieder begegnen. Nach dem Durchschreiten einiger verwinkelter Gänge fanden wir uns in einem romantischen Garten wieder, umbaut mit dem Kloster. Ich machte einige Fotos für meine Frau. Das einzige für mich zuordenbare Grün waren riesige Bananen-Pflanzen. Dazwischen Metallstühle mit Kissen, Stehtische, zwei runde Tafeln für den Präsidenten und seine Gesprächspartner sowie ein Buffet. Um dieses wuselte schwarz gekleidetes Personal herum, darunter ein beachtlicher Teil Mitarbeiter mit Down-Syndrom.
Sant'Egidio
Sant'Egidio wurde 1968 als parakirchliche Gemeinschaft gegründet und ist von der römisch-katholischen Kirche anerkannt. In Rom ist das wichtig und auch nicht für jeden erreichbar. Die Gemeinschaft ist in über 70 Ländern aktiv und setzt sich hauptsächlich für die Weitergabe des Evangeliums ein. Dabei liegt ein wichtiger Fokus auf dem Dienst an den Armen.
Das Kloster hatten die Karmeliter 1930 im historischen Stadtbild Roms integriert. 1971 übernahm Sant'Egidio den Gebäudekomplex.
Mediation und Sicherheitsbedarf
Die schwer bewaffneten Soldaten seien von der Regierung dort platziert worden, weil sich Sant'Egidio mit seinen Friedensverhandlungen weltweit engagiert. Das erzeugt nicht immer Gegenliebe. Der spektakulärste Verhandlungserfolg war die Beendigung des Bürgerkrieges in Mosambik. Dieser hatte 16 Jahre gedauert und fand am 4. Oktober 1992, also vor 25 Jahren, seinen Abschluss. Die Gemeinschaft ist regelmäßig in Konflikt-Mediationen in Asien, Lateinamerika und Afrika involviert. Sie kümmert sich ebenfalls um Themen wie AIDS-Bekämpfung, humanitäre Hilfe und Bildung. Deshalb erfährt sie finanzielle Hilfe seitens des Auswärtigen Amtes.
Reden und reden lassen
Der Gründer und der Präsident von Sant'Egidio quittierten den Besuch des prominenten Ehepaares aus Deutschland mit breitem Lächeln. In einem randvoll mit Zuhörern befüllten Raum hielt Herr Steinmeier die zweite offizielle Rede seiner Rom-Reise. Die erste hatte er am Vortag in der evangelischen Christuskirche in der Via Sicilia gehalten.
Mose und Elia
Es war schon früher Nachmittag und das zeitliche Delta zum Frühstück war entsprechend strapaziert. Umso erfreuter waren wir über die allgemeine Einladung zum Mittagessen. Antizyklisch bewegte ich mich in eine der kunstvoll bemalten Kapellen und nutzte das dortige Buffet. Mitarbeiter - teilweise mit Down-Syndrom - waren uns beim Auftun der italienischen Küche behilflich. Ich entschied nach Diätplan, was trotzdem sehr lecker war.
Ein Schwarzer mit pastoralem Hemdskragen gesellte sich an unseren Tisch. "Ich heiße Mose", lächelte er mich an und reichte mir seine Hand. Währenddessen lag mir schon ein "Und ich Elia" auf der Zunge. Im letzten Moment nannte ich meinen richtigen Namen, hatte aber gleich einen guten Einstieg für das folgende Gespräch.
Mose, Psalmen und Lukas
In bestem Deutsch erklärte er mir, dass er in Rom Theologie studiere. Sein Schwerpunkt sei Altes Testament. Ich nannte ihm eine meiner Lieblingsstellen: 5. Mose 7 und erklärte die geniale Bedeutung des Textes als Metapher für unsere eigene Reifung im Glauben. Meinen Lieblingspsalm 107, in dem es um Unternehmer in ihren Herausforderungen und das Eingreifen Gottes geht, beantwortete er mit seinem Lieblingspsalm 82. Dieser behandelt das zweite Hauptthema von Sant'Egidio: Dienst an den Armen.
Ein weiterer Schwarzer kam an den Tisch. Ich holte noch etwas Käse und Erdbeeren. Es war nicht Elia, sondern ein junger Mann aus Haiti - auch mit pastoralem Hemdskragen. Wegen der vermeintlichen Papst-Audienz hatte ich heute sogar eine Krawatte um. So war es zumindest in den Infoblättern zur Vatikan-Reise vorgeschrieben worden. Dem Bruder aus Haiti fiel die Kinnlade nach unten, als ich ihn nach seinem Lieblingstext fragte. Er sei ein Freund des Lukas-Evangeliums, dem "Evangelium für die Armen". Das war mir bisher gar nicht so bewusst.
Wer ist in der Mitte?
Wir traten in den Garten und unterhielten uns weiter über die Bibel und Sant'Egidio. An einem der runden Tische diskutierte der Bundespräsident mit den Leitern der Gemeinschaft über Themen, die hier nicht zitiert werden dürfen.
Mose erzählte mir, dass er einen Freund habe, der Elia heiße. Die Beiden nehmen das zum Anlass für folgende Frage: "Wer ist in der Mitte?" - "Jesus", sagte ich und Moses Gesicht erhellte sich zu einem breiten Lächeln.
Dann Aufbruch-Stimmung, Kameras startklar und hinter dem Bundespräsidenten her. Vor der Pforte des Klosters hatten sich die Mitarbeiter aufgereiht: Gruppenfoto. Plötzlich badeten wir in einer Menge herbeigeströmter Touristen. Deutsche erkannten den Mann, dessen Partei sie kurz zuvor gewählt haben mussten. Einer davon grüßte seinen "Frank" aus einer Kleinstadt, deren Name mir inzwischen entfallen ist. "Who is that man?", fragte mich ein Holländer. Die Menschentraube bewegte sich langsam und unter lautstarker Beachtung des Publikums zurück zur Piazza di Santa Maria, wo die Fahrzeuge warteten.