Sonntag, 12. Februar 2017

Bundesversammlung in der St. Hedwigs-Kathedrale

Der Sonntag der 16. Bundesversammlung zur Wahl des neuen Bundespräsidenten begann mit einer ökumenischen Morgenandacht in der St. Hedwigs-Kathedrale. Gemäß Artikel 54 des Grundgesetzes besteht die Bundesversammlung aus den Mitgliedern des Bundestages und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder gewählt werden.



Weiß-rote Absperrgitter, Polizisten und schwarze Limousinen markierten heute früh das Areal rund um die St. Hedwigs-Kathedrale. Absolutes Halteverbot, Polizeibusse, Menschen in langen Mänteln und Pressefahrzeuge säumten die Bürgersteige. Bereits am Eingang des katholischen Sakralbaus mit der grünen Kuppel stellte sich heraus, wer zur Bundesregierung und wer zur Bundesversammlung gehörte.

Eine gepanzerte Limousine mit Blaulicht folgte der nächsten. Vor mir traf Volker Kauder ein und eilte durch den westlichen Portalzugang, der für die Bundesversammlung vorgesehen war. An der östlichen Pforte hatten sich Kameraleute postiert und fingen die amtierenden Spitzenpolitiker ein.

Ost und West

Die schmalen Türen führten jeweils in den Ostflügel oder den Westflügel der Kathedrale. Es war gut geheizt, so dass ich meinen Mantel ausziehen konnte. Viele der Volksvertreter bevorzugten jedoch ein nachhaltiges Tragen ihrer Mäntel. Nun ja, sie waren alt genug. Viertel vor neun war der Saal schon sehr voll. Auf den Bänken lagen Programmhefte, in denen sämtliche Lieder, Gebete und der Predigttext abgedruckt waren.

Gegen neun Uhr war der Saal so gut gefüllt, dass einige Gäste sogar stehen mussten. Etwa dreihundert Mitglieder der Bundesversammlung wollten den Tag mit einem Gottesdienst beginnen. Politisch korrekt wurde die Zusammenkunft offiziell als "ökumenische Morgenandacht" deklariert, enthielt jedoch fast alle Elemente der allgemein üblichen Liturgie. Allein die Ansagen fehlten und die Kollekte wurde am Ausgang gesammelt: für die Telefonseelsorge.

Bundesversammlung St.Hedwigs-Kathedrale ökumenische Morgenandacht
16. Bundesversammlung - Ökumenische Morgenandacht in der St. Hedwigs-Kathedrale


Große Koalition

Ich hatte direkten Blickkontakt zu Martin Schulz, dem Wettbewerber von Angela Merkel bei der nächsten Bundestagswahl. Angela Merkel war durch einen Kopf verdeckt. Dafür hatte ich den neben ihr sitzenden Frank-Walter Steinmeier im Blick. Dass sämtliche CDU-Politiker durch die "Mitgl.BVers." verdeckt waren, hatte mich zunächst nicht weiter beschäftigt, könnte aber eine prophetische Sicht auf das nächste Wahlergebnis sein. Wir werden es sehen.

Von Nord nach Süd saßen die unterschiedlichen Parteienvertreter in Eintracht nebeneinander: Maria Böhmer, Julia Klöckner, Martin Schulz, Peter Altmaier, Herrmann Gröhe, Wolfgang Schäuble, Joachim Gauck, Norbert Lammert, Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier. Es schloss sich der Altarbereich mit dem Kreuz an, was die Anwesenheit von Jesus symbolisierte.

Ökumene

So bunt wie der Parteienreigen waren auch die Akteure an der Kanzel. Flüssig und in ökumenischer Harmonie wechselten sich Erzbischof Dr. Heiner Koch, Prälat Dr. Karl Jüsten und Prälat Dr. Martin Dutzmann ab. Jeder von ihnen hatte spezielle Impulse, die politische Themen und biblische Botschaft verknüpften. Die Versammlung wurde klar auf die Gegenwart Gottes hingewiesen und bei einem längeren Moment der Stille sollten die Anwesenden reflektieren, in welcher Beziehung sie selbst gerade zu Gott stehen. Kein Input und kein Lied war darauf gerichtet, dem Hörer hörig zu werden. Jesus und die Ehre Gottes standen im Mittelpunkt.

Matthäus 20, 1-15

In der Predigt ging es um den Hausherrn, der den gesamten Tag über Arbeiter für seinen Weinberg anstellt und diesen am Abend jeweils einen Tageslohn auszahlen lässt (Mt 20,1-15). Der Fokus lag auf der Person des Hausherrn, der zwar gemäß Vers 8 einen Verwalter hatte, aber viele Dinge selbst in die Hand nahm, da sie ihm wichtig waren. "Früh am Morgen" hatte er sein Haus verlassen und die ersten Mitarbeiter angestellt und auch Verantwortung für seine Mitbürger übernommen, die keine Arbeit gefunden hatten, aber zum Feierabend ihre Familie ernähren konnten. "Grundsicherung", raunte meine Nachbarin ihrem Begleiter zu. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, als die Bundesversammlung der Predigt lauschte.

Wenn du willst, kannst du das Gebot halten.

Bereits in der Einleitung wurde aus Sirach 15, 15 zitiert, wo es heißt: "Gott gab den Menschen seine Gebote und Vorschriften. Wenn du willst, kannst du das Gebot halten". Gottes Gebote, Gleichheit und Gerechtigkeit waren Themen, die sich durch den gesamten Gottesdienst zogen. Als besonderes Zeichen der Gleichheit durften sich die Anwesenden per Handschlag einen "Friedensgruß" zusprechen.

Vaterunser mit der Bundesregierung

Nach mehreren Vortragsstücken des Chores und der Dombläser der St. Hedwigs-Kathedrale standen wir auf und beteten gemeinsam das Vaterunser. Mehrere hundert Entscheidungsträger unseres Landes beteten zusammen das Vaterunser. Eine besondere Atmosphäre, die den Innenraum der Kathedrale erfüllte und in der eine unsichtbare Kraft zu spüren war. Es folgte das gemeinsame Lied "Nun danket alle Gott" und danach der Segen, der auch als eine von Gott begleitete Entsendung zur bevorstehenden Wahl formuliert wurde.

Am Ausgang wurde für die Telefonseelsorge mit ihren etwa 7.500 ehrenamtlichen Mitarbeitern gesammelt. Die in einigen Gemeinden so penetrant eingeworbenen "Scheinwerfer" waren heute wohl alle zur Wahl des neuen Bundespräsidenten nach Berlin gekommen. Beim Verlassen der Kathedrale lief mir Petra Pau über den Weg. Ihr folgte Peter Altmaier im Anzug. Er telefonierte scheinbar mit seinem abwesenden Fahrer. Ich hatte mich bereits in den Mantel gewickelt und freute mich, dass mein Auto ganz in der Nähe parkte.

Samstag, 11. Februar 2017

Meine Wohnung soll unter ihnen sein

Beim Abschlussabend des #MDGC16 Movement Day Global Cities fiel der Satz: "Die Bibel beginnt im Garten und endet in der Stadt". Das wird durch die heutige Losung bestätigt.



Als letzter hetzte ich in die Küche. Die Familie saß bereits am Frühstückstisch und begann mit der Verteilung der Croissants. Ich setzte mich und ließ mir die Losung reichen. Eine Tradition, die wir schon seit vielen Jahren pflegen.

Hesekiel 37, 27 und Johannes 1, 14

Die heutigen Texte standen in Hesekiel 37, 27 und in Johannes 1, 14. "Meine Wohnung soll unter ihnen sein, und ich will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein", las ich vor und dachte an die Wohnung unter uns. Fünf Zimmer auf einhundert Quadratmetern im sechsten Stock. Wer wohnt da jetzt eigentlich? Vor ein paar Wochen hatte ich dort ein Päckchen abgeholt. Es hatte eine kräftige (so das politisch korrekte Attribut) Frau mit blondem Haar geöffnet und mir freundlich die Sendung entgegen gereicht. Freundliche Leute hier im Haus, die ich noch nie bewusst wahrgenommen hatte.

Diese Gedanken waren im Bruchteil von Sekunden abgelaufen. Als ich jedoch "Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns" aus Johannes nachschob, fiel mein Sohn ein und bemerkte: "Also wohnt auch das Fleisch unter uns in der sechsten Etage". Die Assoziation zur Wohngegend war wohl unabhängig voneinander bei allen von uns angeklungen.

Hesekiel 37, 27
Hesekiel 37, 27 - Meine Wohnung soll unter ihnen sein.
Wie erkenne ich meinen Nachbarn?

Während meine Frau von Müttern mit bestimmter Haarfarbe, Kinderanzahl oder Konfektionsgröße berichtet, merke ich mir die Mitbewohner eher an den Autos. "Ist das die Frau von dem mit dem grünsilbernen Octavia?" oder "Ach die Frau, deren Mann den blauen A4 fährt." oder "Na die mit dem weißen X1, dem sie letztens auch die Radnabenabdeckungen geklaut hatten", versuchen wir uns bei der Identifikation der thematisierten Nachbarn anzunähern. Darauf kann beispielsweise ein "Nee, das ist die Frau mit den zwei Kindern, die öfter mit Blumenstrauß im Fahrstuhl steht und in Etage soundso aussteigt" kommen. "Kann nicht sein. Dann wäre das ja die Frau von dem mit dem schwarzen Vito", versuche ich das zu evaluieren.

Erst ergänzende Einwürfe unserer Kinder wie "Mama meint die Lehrerin mit dem Fahrrad aus der elften Etage, die mit dem Sohn, der immer mit der Angelausrüstung rumläuft". "Ach so, du meinst die mit dem dunkelblauen Ford. Und was ist mit denen?"

Ja, so ist das im urbanen Umfeld:

Gott wohnt vielleicht bereits unter uns und wir haben das noch gar nicht mitbekommen.

Hesekiel 37, 27
Hesekiel 37, 27 - Meine Wohnung soll unter ihnen sein.
In unserer Funktion als ehrenamtliche Poststelle des Hauses klingeln bei uns oft der Hermes-Versand oder DHL und hinterlassen Pakete für Nachbarn mit völlig unbekannten Namen. Wer das wohl schon wieder ist? Bei der Abholung stellt sich heraus, dass es sich um die Bezugspersonen zum silbernen Ford, dem schwarzen Audi oder der silbernen E-Klasse handelt. Einst wurde ein Päckchen für unsere direkte Nachbarin abgegeben, deren Namensschild ich noch nie gelesen hatte. Mit ihren über neunzig Jahren hatte sie kein Auto, war aber trotzdem sehr nett.

In Anbetracht dieser Tatsachen irritiert es schon, wenn man am Hauseingang mit Namen begrüßt wird. Noch gravierender sind Situationen, wo ein Mann mit silberner C-Klasse grüßt, obwohl er zwei Hauseingänge weiter wohnt. Meine Frau verwechselte jüngst einen Cabrio-Fahrer aus dem Nachbaraufgang: "Das war doch der, der uns den Täterhinweis gegeben hatte, als uns einer in den parkenden Volvo gefahren war". "Nee, war er nicht", konnte ich mit ziemlicher Sicherheit behaupten. Der verwechselte Nachbar fährt einen dunklen Opel.

Hesekiel 37, 27
Hesekiel 37, 27 - Wohnt Gott unter uns? - Sophistograu vor Manhattan-ähnlicher Fassade

Wie wird es also sein, wenn Gott unter uns wohnt?

Hat das einen Einfluss auf unseren Umgang mit den Nachbarn? Lernen wir deren Namen und grüßen sie sogar damit? Meine Frau hatte schon öfter den Vorschlag gemacht, zu Weihnachten Plätzchen im Hausflur zu backen. Ich fand das eher peinlich und hatte nachbarschaftliche Beziehungen auf den Parkplatz verlagert und dort bei Wind und Wetter über Cabrios, Teileklau und Fahrperformance philosophiert. Da stellt sich die Frage, ob es in der avisierten Stadt aus den letzten Kapiteln der Bibel überhaupt Parkplätze und Autos gibt? Vermutlich: Nein.

Offenbarung 21, 18-23

In der Stadt, in der Gott unter uns wohnen möchte, gibt es keine Straßenbeleuchtung. Fahrzeug-Lackierungen wie Saphirschwarz, Topasblau oder Smaragdschwarz werden dann als originale Edelsteine die Fundamente der Stadtmauer verzieren.

Meine beliebten Metallic-Farben Sophistograu und Sterlinggrau werden genauso wenig eine Rolle spielen wie das in den 1990er Jahren aktuelle Manhattangrau im Badbereich. Die Stadt, in der Gott unter uns wohnt, besteht aus reinem Gold. Mit einem Aufpreis von 980 Euro kann zurzeit Atlaszeder oder Kaschmirsilber für ein Neufahrzeug konfiguriert werden. Das reine Gold aus Offenbarung 21 wird es wohl nicht einmal im Ansatz nachvollziehbar machen.

Ich bin gespannt!

Zum Mittagessen dankte ich Gott, dass er "bei" uns wohnen möchte. Die anschließenden Blicke erinnerten mich daran, dass nach zwei Au-pairs und einer Austauschschülerin das "bei" uns wohnen eine ganz besondere Bedeutung hat.

Donnerstag, 9. Februar 2017

Gebet für die Stadt im Maritim proArte

Als der zentrale aber sakrale Ort in der City West nicht mehr zur Verfügung stand, eröffnete sich ein zentraler aber säkularer Ort in der City Ost für das monatliche Gebet unter der Leitung zweier ehemaliger Offiziere der Heilsarmee.



Die Dorotheenstraße in Mitte wird fast immer passiert, wenn politische oder wirtschaftliche Ereignisse in Berlin stattfinden. In unmittelbarer Nähe befinden sich das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, der Bundestag, die Botschaft Frankreichs, das Café Einstein, das Hauptstadtstudio des ZDF, der Bahnhof Friedrichstraße, das Hochhaus von Ernst & Young, die Hauptstadtrepräsentanzen von Microsoft und Google, das Telefónika Basecamp und das Hotel Maritim proArte.

Heute Abend parkten wir direkt vor dem letztgenannten Hotel und legten statt des üblichen Presseschildes ein vom benachbarten Automaten gezogenes Parkticket auf das Armaturenbrett. Die hoch frequentierte Auffahrt des Hotels ließ zunächst auf einen der vielen Kongresse schließen, für die das Maritim proArte bekannt ist. Das täuschte jedoch und in der Lobby standen nur vereinzelte Personen, die auf jemanden warteten.

Salon 7

Eine Bildschirm informierte uns darüber, dass das "Beten für Berlin" in Salon 7 stattfinde. Ein Mitarbeiter erklärte uns den Weg und wir begaben uns in die erste Etage. Der dicke Teppich schluckte unsere Laufgeräusche. Im Salon mit der biblischen Vollkommenheitszahl standen bereits einige ältere Beter und gossen sich Apfelsaft oder Mineralwasser ein. Das Majors-Ehepaar hatte bereits einen Laptop und einen Beamer vorbereitet. Die Stühle standen im Halbkreis und durch das Fenster konnte ich beobachten, ob das hinter uns parkende Fahrzeug die enge Lücke ohne Rempler zu verlassen imstande sei.

Danken und Bitten

Nach einer kurzen Begrüßung stiegen wir sofort ins Gebet ein. Der Abend war in zwei Hauptteile gegliedert: erst Dank, dann Fürbitte. Rolf Metzger führte mit einer liebevoll vorbereiteten Präsentation durch die Themenbereiche. Zwischendurch gab es immer wieder gemeinsame Lieder, die er auf seiner Concertina begleitete. Auch zum Hören auf Gottes Reden war Gelegenheit.

Gottes Gedanken - Gottes Wege - Dein Wille geschehe!

Der heutige Leittext stand in Jesaja 55, 8-9 und beinhaltet im Wesentlichen die Aussage, dass Gottes Gedanken nicht unsere Gedanken und Gottes Wege nicht unsere Wege sind. Ein Thema, das uns schon seit dem gestrigen Ehekurs beschäftigt hatte und heute mehrfach in anderen Zusammenhängen aufgefrischt worden war. Der Offizier in Dunkelblau griff diese Aussage mehrfach auf und ermutigte die Runde der dreizehn Teilnehmer, sich auf das hörende Gebet einzulassen und dann in die Richtung zu beten, die Gott vorgab.

75 Minuten Gebet für die Stadt

Die 75 Minuten des Gebetsabends vergingen wie im Fluge und wurden mit dem Vaterunser und einem Lied abgeschlossen. In dieser Zeit hatten wir Gott für vieles gedankt und anschließend unter anderem für den Senat, die Bundesregierung, die Sicherheitskräfte, die Gemeinden Berlins und den Gastgeber gebetet.

Nach einem kurzen Smalltalk verließen wir das Hotel und fuhren an den Stadtrand.

Dienstag, 7. Februar 2017

Wortspiel mit Maria und Martha - Lukas 10, 38-42

Maria und Martha sind die ungleichen Schwestern aus den Evangelien, die sich in ihrer Unterschiedlichkeit hervorragend ergänzen. Beim Lesen von Lukas 10 gab es nun weitere Entdeckungen.



Zunächst werden sich alle Martha-Typen freuen, dass Martha in Vers 38 zuerst genannt wird. Martha war es, die Jesus in ihr Haus einlud. Maria wird erst ab Vers 39 erwähnt. Ad hoc fallen mir zwei Frauen ein, die sich mit der aktiven Martha identifizieren und sofort über die "mufflige" Maria herfallen.

Als Mann sollte man sich nicht in einen "Zickenkrieg" einmischen, so dass ich bisher immer das "Eines ist wichtig!" für mich aus dem Text geholt hatte. Die aktive Martha bedient und versorgt die Gäste, redet mit Jesus und beschwert sich über ihre Schwester. Maria sagt gar nichts, sitzt zu Jesu Füßen und hört zu. In Johannes 11 werden die beiden Schwestern noch einmal im Zusammenhang mit ihrem Bruder Lazarus beschrieben. Ihr dortiges Auftreten passt zum Lukas-Text.

Soweit nichts Neues

Zur Abwechslung lese ich das Neue Testament gerade wieder auf Ivrith (modernes Hebräisch). Dabei fiel mir ein interessantes Wortspiel mit dem hebräischen Konsonantenstamm DBR (דבר - davar) auf. Es wird verwendet für: Wort, Sache, Angelegenheit, Sprechen, Sprachfähigkeit, Wortführung oder Anliegen. Davon leiten sich auch schöne Begriffe wie dabran (Schwätzer) oder daberet (krankhafter Redefluss, Geschwätzigkeit) ab.

Lukas 10, 38-42
Jesus bei Maria und Martha - Lukas 10, 38-42
Wie das Wort ausgesprochen wird, hängt von der Vokalisierung ab, die mit Pünktchen und Strichen um die Konsonanten DBR gesetzt werden. So kann das B gelegentlich als V ausgesprochen werden, wenn der Punkt im dicken Bauch des hebräischen Beth fehlt. Beth heißt übrigens Haus, was von Beth El (Haus Gottes) her bekannt sein dürfte.

Maria hört

In Vers 39 lesen wir, dass Maria "seinen Worten" (דברו - devaro) zuhörte. Oder hörte sie den Angelegenheiten zu, von denen Jesus erzählte? Da im Griechischen "logos" steht, gehen wir mal von Worten und Erzählungen aus. Aber hatte Jesus griechisch gesprochen? Wohl kaum, eher aramäisch. Aram steht aber im alttestamentlichen Kontext für Syrien. Warum sollte Jesus syrisch gesprochen haben? Interessanterweise switchen (das ist Englisch) einige neuere Bücher des Alten Testamentes wie Daniel oder Esra mitten im Text auf aramäisch um, was durch das seltsame und im Hebräischen unbekannte Wort "di" postuliert wird. "Di" muss ein Artikel wie der, die das sein und tritt dann mindestens so oft auf, wie das "Ähm" eines Pressesprechers ohne Rhetorikausbildung. Einem solchen  hatten wir einst bei einem Unternehmertag in Potsdam zugehört. Er moderierte eine Diskussionsrunde, bei der innerhalb einer Viertelstunde 113 "Ähms" zu zählen waren.

McCafé

In Vers 41 redet Jesus die aktive Gastgeberin zweimal mit Namen an und stellt fest, dass sie sich über viele Dinge (devarim rabbim) aufregt. Beim Aufregen sind sich die Hebräer und Lateiner in der Wortwahl einig. Interessant ist die Mehrzahl (devarim), die dann noch mit einem "rabbim" verstärkt und damit zu einer Vielzahl wird. Das Wort "Rabbi" wird gerne in kanaanäischen Predigten verwendet. Regt sich Martha nun über viele Worte oder viele Angelegenheiten oder über spezielle Rabbis oder gar über Alles auf? War sie eine antike McCafé? Ausgesprochen: Mecker-Fee.

Eines

In Vers 42 stellt Jesus klar, dass nur ein Wort oder eine Sache (bedavar echad) erforderlich bzw. notwendig sei. Maria habe das Gute erwählt und das werde ihr nicht weggenommen. Echad kennen wir ja vom "Schma Israel" (Höre Israel aus Dtn 6,4), wo es weiter heißt "Adonai Elohenu, Adonai Echad". Der HERR ist unser Gott, der HERR ist Einer.

Sollte uns das nicht zu denken geben? Zumindest so viel, den Blick von den vielen aufregenden Dingen abzuwenden und auf den Einen zu sehen, den Gott in unser Beth, ähm Haus, gebracht hat: Jesus.

Sonntag, 5. Februar 2017

#BICC Berlin International Community Church

Großes Kino im CinemaxX am Potsdamer Platz. Heute hatten wir einen Gottesdienst der BICC Berlin International Community Church besucht. Gäste werden als VIPs über den roten Teppich geleitet.



Der Parkraumbewirtschaftungshinweis "Mo-Sa" rauschte an uns vorbei, als wir der Grünphase zum Potsdamer Platz entgegenrollten. Noch war unklar, ob wir die Tiefgarage nutzen oder eine geeignete Stelle an der Straße finden. Das hatte sich jedoch recht schnell geklärt, da der Potsdamer Platz im Rahmen der Berlinale bereits weiträumig abgesperrt war. So stellten wir das Auto kostenfrei vor dem Dali-Museum am benachbarten Leipziger Platz ab.

Red Carpet

Vor dem Eingang des CinemaxX empfingen uns drei Mitglieder des Welcome-Teams und zeigten uns eine Klapptafel am Fuß einer Treppe. Dort standen zwei weitere Welcome-Mitarbeiter. Auf dem Weg zu unseren Plätzen in Reihe 3 passierten wir etwa sieben Welcome-Stationen. Mit den Worten "First Time" wurden wir übergeben und mit "Welcome" und "How are You" zur nächsten Etappe begleitet. Warum nur dachte ich die ganze Zeit an die Times Square Church in New York? Gäste werden hier als VIPs angesehen, so dass das Welcome-Team heute auch offiziell in Red Carpet Team umbenannt wurde.

Es gab keinen Countdown und kein akademisches Viertel. Dafür begann der Gottesdienst Punkt elf mit einem cineastisch ausgereiften Glaubensbekenntnis von der Leinwand. Professionell ging es weiter mit einer recht großen Lobpreisband und einer Sängerin, die das Publikum zum Mittanzen animierte. Es war nur zu wenig Platz in den Sitzreihen. Wir kannten keines der auf Deutsch und Englisch vorgetragenen Lieder, konnten aber rhythmisch ganz gut mithalten.

Self Supported

Es folgte ein Intro, welches mein Sohn mit "Hier ist das erste deutsche Fernsehen mit der Tagesschau" kommentierte. Statt der Tagesschau trat BICC-Pastor Steve Mack auf, der für ein freudiges Geben der Kollekte warb. Es wurden große dunkle Eimer durch die Reihen gegeben und mit Umschlägen und Scheinen befüllt. Wie wir erfuhren, ist die Gemeinde stolz auf die finanzielle Eigenständigkeit.

Eigenständig ist ein guter Begriff für die Berlin International Community Church. Wir hatten beiläufig von der Existenz einer "Börlin Internäschenell Soundso" gehört, diese aber bisher so gar nicht auf dem Radar, obwohl dieses Paralleluniversum in unmittelbarer Nähe zu Saddleback, Berlinprojekt und Berlin Connect agiert. Google ergänzte dann die Freitextsuche und versorgte uns mit den weiteren Kontaktinformationen. Laut Worship Pastor Andrew Mack, dem Sohn des über vierzig Jahre verheirateten Pastoren-Ehepaares Steve und Karen Mack, treffe sich die Gemeinde an einer "A Location" inmitten von "Five Star Locations" wie dem Grand Hyatt Berlin. Auf Gemeinde Jesu wurde das mit unserem großartigen Gott adaptiert, der der Chef einer großartigen Gemeinde sei. Auf diese gedankliche Verbindung mit der "Five Star Church" an einer "A Location" gab es ein "A-Men" aus dem Publikum.

Wachstum mit Qualitätsanspruch

Auch wenn die Herkunft und konfessionelle Anbindung des ehemaligen Missionsprojektes bisher nicht erschlossen werden konnte, liegt doch ein klar erkennbarer Fokus auf Etablierung und Wachstum. Die Gemeinde unterhält professionelle und personell beachtliche "Children's Ministries". Es wird viel in die Zukunft und das Training von Mitarbeitern und Leitern investiert. Über Kurse werden Christen im Glauben gestärkt und Suchende in eine Beziehung zu Jesus geführt.

Kino 7 ist wohl der größte Raum des CinemaxX am Potsdamer Platz. Heute waren etwa 250 Plätze besetzt. Solch eine Auslastung sehen Kinos normalerweise nur zur Berlinale oder bei Premieren von Star Wars oder James Bond. Die heutigen Besucher waren ethnisch und demografisch stark diversifiziert. Die Hauptsprache des Gottesdienstes war Englisch. Für eine Simultanübersetzung standen Kopfhörer zur Verfügung.

Vision Sunday

Statt einer Predigt erlebten wir eine Podiumsdiskussion der drei oben genannten Pastoren aus der Familie Mack sowie zwei Eingeborenen aus Deutschland, die seit vielen Jahren Teil der Gemeinde sind. Andrew Mack moderierte, die beiden Deutschen erzählten ihre Lebensgeschichte mit einem besonderen Augenmerk auf ihre Entscheidung für Jesus und die Gemeinde. Karen Mack sprach über die Passage der Lichtverbreitung aus der Bergpredigt (Mt 5,14-16) und Steve Mack über "Acceleration". Acceleration kann mit Beschleunigung übersetzt werden. Eine Sache läuft an, aber ist noch nicht in voller Fahrt. Irgendwann jedoch geht es richtig los. Ich musste an die Wildwasserfahrt im Heidepark Soltau denken, wo der Einbaum zunächst gemächlich für das obligatorische Foto durch eine Almhütte gleitet und anschließend ungebremst in das finale Wasserbecken stürzt. An der Leinwand lasen wir: "Vision Sunday". Das erklärte, warum so viel über die eigene "Five Star Church" an der "A Location" geredet wurde.

Texanischer Ausklang

Das Ende des Gottesdienstes erinnerte mich ans Rodeo in Texas. Die Deutsche aus der Diskussionsrunde stand auf und verabschiedete die Gottesdienstbesucher. Kein Gebet, kein Segen, kein Lied, einfach Schluss. Etwas irritiert verließen wir das Kino. Am Ausgang wurden wir vom Welcome Team verabschiedet.

Auf dem Weg zum Parkplatz tauschten wir unsere Eindrücke aus. Frau und Tochter hatten die ergänzenden Informationen zur Wahrnehmung der männlichen Familienmitglieder. Während mein Sohn und ich per Tunnelblick auf die Teilnehmer der Diskussionsrunde geachtet hatten, konnten die Frauen gleichzeitig die Texte auf der Leinwand verfolgen. "Stand doch da", lachten sie die ganze Rückfahrt über unsere Unwissenheit.

Meine Frau war besonders von der Acceleration angesprochen. Gerne hätte ich die Familie simultan in das Gefühl von Acceleration hineingenommen, hatte aber leider nicht die Pole Position an der roten Ampel. Ich holte das in den Kurven nach. Auch beim Chinesen diskutierten wir bei Ente kross und Mangosauce weiter über die Berlin International Community Church.

Sonntag, 29. Januar 2017

Bibelgemeinde Füssen

Wenn schon Bayern, dann muss es auch ein katholischer Gottesdienst sein. So dachten wir und bekamen eine evangelische Freikirche in Füssen empfohlen.



Vier Uhr nachts. Viermal pling. Viermal dong. Dann einmal pling. Zweimal pling. Um sieben dann viermal pling, sieben Mal dong und anschließend DauerIäuten. Unser Wirt hatte Recht, der Gottesdienst in der benachbarten Kirche begann um 7:30 Uhr. Ich drehte mich noch einmal um und hörte, wie mein Sohn zum Bäcker aufbrach.

Schwangau, Schwanstein, Füssen

Von Schwangau aus fuhren wir nur wenige Minuten bis Füssen. Blauer Himmel, gleißende Sonne und glitzernder Schnee begleiteten uns auf der Fahrt. Das Gemeindehaus der Bibelgemeinde Füssen liegt inmitten der malerischen Altstadt. Sonntags kann man dort sogar kostenlos parken.

Gute alte Zeiten

Am Eingang begrüßte uns eine ältere Dame. Schnell kamen wir auf Berlin zu sprechen. Vor vielen Jahren hatte ein amerikanisches Ehepaar diese evangelische Freikirche geprägt und war dann nach Berlin-Marzahn gezogen, wo sie maßgeblich an der Gründung von CMH (Christen in Marzahn-Hellersdorf) beteiligt waren. Die Frau, die im späteren Verlauf den Gemeindegesang auf der Geige begleitete, erinnerte sich an die liebevolle Art der Amis und sagte, dass das eine sehr gute Zeit für die Gemeinde gewesen sei.

Auch von anderen Gottesdienstbesuchern wurden wir freundlich begrüßt und setzten uns in die zweite Reihe. Die Atmosphäre kann als warmherzig und integrativ beschrieben werden. Die auf der Geige begleiteten Lieder kannten wir noch aus unserer Jugendzeit.

Rustikale Predigt

Die Predigt von meinem Namensvetter Matthias vermittelte uns detaillierte Einblicke in den Alltag eines Nachwuchslandwirtes. Wir lernten, wie man Elektrozäune mit einem Grashalm testet, dass sich Jungvieh selten alleine von der Weide entferne und dass der für die Mineralstoffe wichtige Leckstein gerne mal zwanzig Meter von seinem Platz "weggeleckt" werde. Der mehrfach eingebrachte Satz "Schau nach dem Jungvieh!" hätte sehr gut mit Psalm 23 oder Mt 21,28-32 verknüpft werden können.

Kaffee, Kekse, Pizza

Etwa vierzig Besucher und Akteure aller Generationen saßen im Saal, der damit schon fast sein Fassungsvermögen erreicht hatte. Nach dem Gottesdienst gab es noch Kaffee und Kekse. Wir sprachen mit einer Frau, deren Alter und Familienumfeld sehr gut mit uns harmonierte. Sie war damals eine Nachbarin der oben erwähnten Amis gewesen und hatte durch diese zu einer persönlichen Jesusbeziehung gefunden.

Anschließend schlenderten wir durch den mittelalterlichen Stadtkern und ließen den Vormittag im Herzl am Rathaus bei Pizza und Flammkuchen ausklingen.

Dienstag, 24. Januar 2017

I wie Interconnect

"Der amerikanische Pastor spielt während der Predigt Nintendo", beschwerte sich eine ältere Dame vor einigen Jahren nach dem Gottesdienst. Sie wusste nicht, dass er auf seinem Palm eine Bibel-App zu laufen hatte.



Inzwischen ist die Nutzung moderner Technologien auch in der als innovationsresistent geltenden "Gemeinschaft der Heiligen" angekommen.

Kirche 4.0

Predigten werden vom Tablet abgelesen, Beamer haben weitestgehend die Liederbücher ersetzt, Ansagen werden als Video eingespielt und kirchliche Webseiten weisen einen Link zum Kartenmaterial von Google auf. Besonders innovative Gemeinden haben bereits das sogenannte Responsive Design eingeführt, welches die Webseite in einer nutzbaren Form auf Smartphones darstellt.

Die Saddleback Church ist bekannt dafür, sämtliche Begriffe in einzelne Buchstaben zu zerlegen und daraus didaktisch wirkungsvolle Slogans zu entwickeln. Bei deren Kampagne "Daring Faith" (Vertrauen wagen) stehen mit dem Wort "FAITH" fünf nutzbare Buchstaben zur Verfügung. Das "I" in der Mitte ist dabei mit folgendem Motto belegt:

Interconnect our growing fellowship through new Technologies.

Neue Technologien sind also nicht nur ein Teil des Gottesdienst-Equipments, sondern zentrales Werkzeug des kontemporären Christen: I wie Internet, I wie Industrie 4.0 oder I wie Innovation. Der Christ wird vom Atheisten auch gerne als Idealist bezeichnet. Auch ein Wort mit I.

In einigen Gemeindeverbänden zählen deshalb wohl auch der iMac und das iBook zum guten Ton der Rechtgläubigkeit. Per iPad oder iPhone können dann auch die innergemeindlichen Daten über die iCloud ausgetauscht werden. Sollten sensible Daten versehentlich aus der iCloud "gCloud" worden sein, kann der innovative Techniker anhand der IP-Adresse des Intrusors eventuell dessen Standort in Irland, Island oder Indonesien ermitteln.

I auf Papyrus

Iranische oder irakische Christen gehen etwas vorsichtiger mit ihren Informationen um. Dort kommen noch Briefe, Zettel und das von Mensch zu Mensch gesprochene Wort zum Einsatz. Übrigens auch Methoden, die selbst Israel beinahe zum Verhängnis geworden wären, als Syrien bis September 2007 am Al-Kibar-Reaktor baute und die Informationen auf dem seit biblischer Zeit bewährten Wege der Papyrus-Kommunikation durch die Gegend sandte.

iMatthäus

Intrusion Injection nennt der Informatiker, übrigens auch ein Wort mit I, das Eindringen eines Crackers in ein fremdes System mit anschließender Einpflanzung eigener Software. Der Cracker ist das strafbewährte Gegenstück zum Hacker. Ein Hacker will immer nur das Gute oder so.

So ist das Intrusion-Injection-Prinzip aus Matthäus 13 Vers 33 eine ganz klare Hacker-Angelegenheit. Im Rahmen der Gleichberechtigung geht es im Text um eine Frau, die Hefe unter einen Teig mischt und eine multiplikative Wirkung damit erzielt. Es könnte sich um den gedanklichen Vorgriff auf eine vegane Prenzlschwäbin handeln, die mit ihrem Mediendesign-Bachelor als Search Engine Security Marketing Social Media Exploring Solution Preventing Managerin (kurz SEMSMESPM) in einem Co-Working-Space in der Nähe der Kastanienallee eingemietet ist und von dort aus das Internet mit christlichen Inhalten durchdringt.

Wetts-Ab

Es sind übrigens die per se kommunikativen Frauen, die Werkzeuge wie Instagram, Facebook, Twitter und WhatsApp voranbringen. Beim Gemeinsam-e1ns-Kurs wollten wir eine WhatsApp-Gruppe eröffnen und erfuhren, dass eine der jüngsten Teilnehmerinnen bereits vor mehreren Jahren ihre WhatsApp-App gelöscht hatte. Offensichtlich bewegte sich die Cloud ihrer virtuellen Bezugspersonen zu jener Zeit im Ein-Bit-Bereich.

Kaum hatte meine Frau auf ein wasserdichtes Smartphone gewechselt, wurde auch WhatsApp installiert und die Kommunikation konnte ungeahnte Dimensionen annehmen. Auch meine Schwiegermutter nutzt seit geraumer Zeit das neue Medium "Wetts-Ab", wie sie sagt. Vor ein paar Tagen hatte ich vergeblich versucht, sie über Festnetz oder Handy zu erreichen. Auf "Wetts-Ab" reagierte sie prompt.

Es war ein pensionierter Pfarrer, der vor, während und nach unserer New-York-Reise regelmäßig auf Leute ohne WhatsApp-Anbindung einging. Meine Mitbewohner in der NYSUM waren immer gut informiert, wo man sich zum Abendessen mit dem Team aus Deutschland trifft oder das gemeinsame Mittagessen während der Konferenz einnimmt. Der Nutzer des benachbarten Doppelstockbettes buchte und bezahlte mal eben die Tickets für das One World Trade Center per Smartphone und ein Unternehmer im theoretischen Ruhestand ließ sich auf dem Times Square die Hertha-Ergebnisse aufs Smartphone pushen, um dann wieder auf "Quizduell" umzuschalten. Übrigens alles Apps, die auch in den sakralen Räumen der Metropole funktionieren. Nur im New Yorker Underground bricht die Verbindung regelmäßig ab.

Endlich nicht mehr allein

Abbrechen ist ein gutes Stichwort, denn nach mehrmaligem Ausfall meines Akkus mit einer ehemaligen Standby-Zeit von 935 Stunden, war ich Ende November auch veranlasst, auf ein Mobilgerät umzusteigen, das WhatsApp kann. Endlich modern! Endlich eingereiht in die stetig wachsende Croud der Pensionäre und mitteilungsbedürftigen Frauen. Endlich Teil der Gruppe, nämlich der Familiengruppe, der Ehekursgruppe und weiterer Gruppen. Endlich sitze ich nicht mehr einsam in meinem Büro, während Frau und Kinder auf die eckigen Displays starren. Endlich kann auch ich die fettigen Fingerabdrücke vom Touchscreen abwischen und in die Gruppe hineinfragen, ob es Salat oder Pizza zum Abendbrot gibt.

Bibel-App

Ja, auch zwei Bibel-Apps hatte mein Sohn installiert. Eine davon optisch etwas retro mit der Biblia Hebraica auf Papyrus-Background. In der kostenlosen Variante ist die Bedienung allerdings etwas gewöhnungsbedürftig, insbesondere wenn erst einmal unkalkulierbare Vollbildwerbung erscheint und der Button zum Wegklicken gesucht werden muss. Zum Glück bisher nur Reisewerbung! Viel peinlicher war es, als ich während eines Seminars auf den vermeintlichen Weiter-Button geklickt hatte und dann der hebräische Text laut, sehr laut, vorgelesen wurde. Auch das sorgt für Aufmerksamkeit und man spürt es mit sämtlichen Sinnen: "Ich bin nicht allein".

Die andere Bibel-App ist da etwas dezenter und hält mehrere Bibelversionen und Übersetzungen auch offline vor. Man muss also nicht mehr jeweils 2.000 oder 700 Seiten (Vollbibel/Neues Testament) mit sich herumtragen. Schade nur, wenn dann beim Aufruf eines Petrusbriefes Texte aus den Chroniken eingesteuert werden. Im betreffenden Gottesdienst hätte ich ja gerne auf eine andere Übersetzung umgeschaltet, aber da waren wieder diese Lautsprechersymbole...

Sonntag, 22. Januar 2017

Herz Jesu - Katholisch in Prenzlberg

Katholisch kommt vom griechischen "καθολικός" (katolikos) und heißt so viel wie "allumfassend". Auf die Kirche angewendet, wird es synonym für die allumfassende Gemeinschaft der Christen unter dem Dach einer von Rom aus geleiteten Kirche verwendet. Die katholischen Gottesdienste im protestantischen Berlin erfreuen sich einer regen Teilnahme.



Glockengeläut klingt durch das Schlafzimmerfenster. Es ist acht Uhr. Nur gut, dass ich erst in zweieinhalb Stunden in Prenzlberg sein muss. Das Frühstück um neun verläuft schon etwas gehetzter. Es ist immer noch unklar, wer mich zu "Herz Jesu" in der Nähe des Rosa-Luxemburg-Platzes begleiten wird. Gegen zehn fahre ich schließlich alleine in die City.

Drei Tage Prenzlberg

Schon der dritte Tag hintereinander Prenzlberg. Am Freitag Gemeinsam für Berlin, gestern ein hochkarätig mit Christen aus Bildung und Wirtschaft besetzter Think Tank im "C13" und heute "Herz Jesu" in der Fehrbelliner Straße. Und schon der dritte Tag hintereinander, an dem es Parkplätze in unmittelbarer Nähe der Location gibt.

Am Eingang zum katholischen Sakralbau sitzt ein Bettler und zweigt dort bereits einen Teil der geplanten Kollekte ab. Im Eingangsbereich lese ich den Hinweis, dass die Geldsammlung heute für die Gemeinde bestimmt sei. An einem Tisch mit Oblaten steht ein weiteres Hinweisschild: "Heute nur Gotteslob". Nur Gotteslob? Das ist doch schon mal etwas! Ich greife ein graues Gesangsbuch und setze mich in eine der Holzbankreihen. Platz 146.

Wann geht es los?

Zehn Minuten vor Beginn sind nur wenige Plätze besetzt. Fünf Minuten vorher etwa die Hälfte des Kirchenschiffes und halb elf ein großer Teil des Hauses. Es müssen um die dreihundert Männer, Frauen, Kinder, Jugendliche und Senioren im Saal sein. Eine ausgesprochen gute Generationsdurchmischung, die durch äußere Indikatoren wirtschaftlicher Unabhängigkeit flankiert wird. In meiner Reihe sitzen zwei junge Damen und ein Mann mit orientalischer Zuwanderungsgeschichte.

Multiethnisch ist auch der in Weiß und Grün gekleidete Pfarrer Serge Armand. Als Schwarzer spricht er Deutsch mit starkem französischem Akzent. Es werden viele Bibeltexte verlesen, darunter Jesaja, Matthäus und der erste Korintherbrief. So viele unkommentierte Bibelzitate hört man in evangelischen Gemeinden selten, es sei denn, Ekkehart Vetter von der Evangelischen Allianz (DEA) leitet einen Seminartag ein.

Einheit in Christus

Apropos Allianz: das Anliegen der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen steht heute ganz im Mittelpunkt des Gottesdienstes. Eigentlich hätte es sogar eine Art Kanzeltausch mit einer evangelischen Pfarrerin gegeben. Diese ist jedoch kurzfristig erkrankt, so dass Serge Armand den Predigtpart übernehmen muss. Er liest einen längeren Text des Papstes vor und äußert sich in seinen begleitenden Ausführungen sehr positiv über die Annäherung der Christen unterschiedlicher Konfessionen.

Zentral ist auch Jesus Christus. In Liedern, Gebeten, liturgischen Texten und den Ausführungen des Pfarrers spielt Jesus eine große Rolle. Jesus steht als goldenes Mosaik auch über dem Altarbereich und breitet einladend seine Hände aus. Im gesamten Deckengewölbe sind Bibelzitate auf Latein zu lesen. "DIGNVS EST AGNVS, QUI OCCISVS EST", lese ich als erstes ein aus Off 5,12 stammendes Textfragment im Kuppelbereich. Mein Blick schweift umher und freut sich an den vielen weiteren guten Versen und der tiefen Symbolhaftigkeit der Gemälde und Mosaiken.

Glaubenskurs und Liturgie

Die Ansagen sind ebenfalls sehr interessant, vermitteln sie doch ein Spiegelbild des alltäglichen Gemeindelebens. Am Donnerstag findet im Rahmen eines Glaubenskurses ein Seminar zum Thema Gebet mit anschließendem Praxisteil statt. Bei "Herz Jesu" gibt es auch Alphakurse und Taufseminare. Die Gemeinde strahlt Relevanz für den Kiez aus. Diesem kommt sie ja letztlich auch durch den äußerst humanen Gottesdienstbeginn entgegen.

Im Verlauf des Gottesdienstes werden mindestens zehn Kirchenlieder mit Orgelbegleitung gesungen. Es gibt Abendmahl, eine Kollekte, mehrere Gebete inklusive des Vaterunsers und einen Segen zum Abschluss. Nach ziemlich genau einer Stunde ist der Gottesdienst zu Ende und die Besucher quellen hinaus auf die Fehrbelliner Straße oder die Schönhauser Allee. Draußen sitzt immer noch der Bettler.

Freitag, 20. Januar 2017

Harald Sommerfeld mit Gott in der Stadt unterwegs

Harald Sommerfeld ist ein Freund der urbanen Transformation, der wachen Auges durch Berlin fährt und das umsetzt, was Bill Hybels kürzlich auf einer Konferenz postulierte: "See it. Smell it. Touch it".



Der Tag der offenen Tür bei Gemeinsam für Berlin hatte bereits um 13:00 Uhr in der Kastanienallee begonnen. Per WhatsApp erfuhr ich, wer gerade welchen Programmpunkt moderierte und welche Projekte sonst noch vorgestellt werden. Gegen 18:00 Uhr konnte ich noch sehr spontan unsere Freunde aus Marzahn zu einer gemeinsamen Fahrt nach Prenzlberg gewinnen, so dass wir schließlich zu dritt dort auftauchten.

Man traf sich im Untergeschoss, das normalerweise von der Heilsarmee genutzt wird und bisher kein Teil meines Erfahrungshorizontes war. Mit Gemeinsam für Berlin verbindet mich eine lange Beziehung, die bis in die Gründungszeit dieses urbanen Netzwerkes reicht. Neben zwei sehr aktiven Damen ist der Theologe Harald Sommerfeld erklärtermaßen gleichberechtigtes Vorstandsmitglied des Gemeinsam für Berlin e.V.

Multimediale Lesung

Für den Abend war eine Vorstellung seines Buches "Mit Gott in der Stadt" geplant. Dieses Buch war mir bereits im Oktober empfohlen worden, wobei mich die 700 Seiten abgeschreckt hatten. Im Januar erfolgte eine weitere Empfehlung und immer lag die dicke Schwarte im weißen Paperback demonstrativ vor mir auf dem Tisch. Soll ich, oder soll ich nicht?

Harald Sommerfeld - Mit Gott in der Stadt
Harald Sommerfeld - Mit Gott in der Stadt
Das Buch wurde als die am besten wissenschaftlich fundierte Veröffentlichung zur urbanen Transformation in deutscher Sprache angepriesen. OK: 700 Seiten, wissenschaftlich fundiert - klingt nach sehr trockener Lektüre. Ich dachte an 789 Seiten Neues Testament in Altgriechisch, wofür ich ganze drei Monate gebraucht hatte. Zwischen den beiden Empfehlungen hatte ich noch "A Disruptive Gospel" von Mac Pier verschlungen und sah damit den Bedarf an urbaner Transformationsliteratur als gestillt an. Deshalb war ich gespannt auf die heutige multimediale Lesung.

Brennpunkt Großstadt

Es begann mit einem Video des Pentagon, worin die Entwicklung der Weltmetropolen inklusive der bereits vorhandenen oder erwarteten Herausforderungen beschrieben wurde In Zeitschriften, die sich an eine militärische Zielgruppe wenden, ist regelmäßig von verstärkten Trainingsaktivitäten im städtischen Umfeld zu lesen. Es werden ganze Kleinstädte zu Übungszwecken gebaut, wo einheimische und Partnerstreitkräfte den "Gangbarkeitsmodus: zerstört" testen können.

Die fragmentierten und asymmetrisch agierenden Gruppen innerhalb der Metropolen sind in ihrer ethnischen, sozialen und religiösen Vielfalt kaum noch zu überblicken, geschweige denn verlässlich zu steuern. Die Sicherheitsorgane müssen sich entscheiden, ob sie "reingehen" oder sich "raushalten". Anders die Gemeinde mit ihrem Auftrag für die Stadt.

Harald Sommerfeld - Mit Gott in der Stadt
Harald Sommerfeld - Mit Gott in der Stadt - Multimediale Lesung bei Gemeinsam für Berlin
Die Oma erwacht

Harald Sommerfeld begann tatsächlich mit den ersten Seiten des Buches, wo er so gar nicht wissenschaftlich verstaubt eine ältere Dame zu Wort kommen lässt, die mal eben fünfzig Jahre "verschlafen" hatte und nun in einer ganz anderen Welt aufwacht. Eine damals lebendige Gemeinde in einem Problemkiez war inzwischen zu einer gut situierten Gemeinde mit gepflegtem Gebäude im Kiez ohne tatsächlichen Kiezbezug geworden. Die Mitglieder lebten längst am Stadtrand und fuhren nur noch zum Gottesdienst "rein". Und natürlich war man missionarisch. Das Missions-Ehepaar in Südostasien wurde finanziell unterstützt. Eine interessante Schilderung, die wahrscheinlich rein fiktiv war und nur zufällig mit Erfahrungen aus der Berliner Gründungsszene kongruiert.

M29 und das Schamgefühl

Besonders bewegend war die Videobusfahrt mit der Linie M29. Diese transportiert die Fahrgäste quer durch Berlin und kommt dabei durch sehr unterschiedliche Wohngegenden. Einkommen, Mietniveau, ethnische Zuordnung, Beschäftigungsquote und Bezuschussungsbedarf wechseln beständig und teilweise diametral im Bereich weniger Meter.

In diesem Zusammenhang sei noch ein sehr interessantes Kapitel zum Thema Scham erwähnt. Dem Abendland wird ja immer nachgesagt, dass es sich im Gegensatz zur Schamkultur des Orients in einer Schuldkultur bewege. Das Buch macht deutlich, dass geringes Einkommen, falsche Kleidung, niedriger Bildungsstand und ähnliche Eckdaten auch bei Deutschen zu Scham, gesellschaftlichem Rückzug und Aggressivität führen.

Bewusster Umzug

Harald Sommerfeld berichtete von sehr guten Erfahrungen mit dem bewussten Zuzug von Christen in Problembezirke. Wichtig sei es jedoch, dass eventuell vorhandene Ortsgemeinden dafür offen seien. In der Regel entwickelt sich das Umfeld durch den Einfluss der ambitionierten Gruppe so positiv, dass soziale Hilfeleistungen entbehrlich werden, das Bildungspotenzial steigt und sich das allgemeine Klima spürbar entspannt darstellt. Eine Situation, die auch in New York zu beobachten ist und die wir um die Jahrtausendwende in Marzahn erlebt hatten.

Wenn Christen in herausfordernde Gebiete ziehen, habe das auch einen großen Einfluss auf die Sozialkompetenz der begleitenden Kinder, wie Harald Sommerfeld aus seinem eigenen familiären Hintergrund einbringen konnte. Er selbst feiere inzwischen keine Geburtstage mehr mit wohlhabenden Freunden, sondern mit Menschen aus der Nachbarschaft, von denen nach biblischer Vorgabe keine Gegeneinladung zu erwarten sei.

Harald Sommerfeld - Mit Gott in der Stadt
Harald Sommerfeld - Mit Gott in der Stadt - Multimediale Lesung bei Gemeinsam für Berlin
Copy & Paste

Die multimediale Lesung wechselte zwischen Videos, Fotos und Musikstücken. Sogar eine Choreografie war dabei. Anhand der gelesenen Auszüge ist das Buch wohl doch nicht so trocken, wie ursprünglich erwartet. Es scheint sogar sehr praxisnah zu sein und regt zum Nach- und Weiterdenken an. Im Endeffekt muss das vermittelte Wissen auf die jeweilige Kiez-Situation adaptiert und flexibel nachjustiert werden. Urbane Transformation, auf Deutsch Klimaveränderung, kann nicht 1:1 aus anderen Projekten kopiert werden, sondern muss sich an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen.

Der direkte Draht zu Gott

Ohne den direkten Draht zu Gott funktioniert das ohnehin nicht. Deshalb werden am Ende des Buches mehrere Bibelstellen zitiert. Harald beendete den Abend mit dem iterativ vorgetragenen Lied "Veni, Sancte Spiritus" - "Komm, Heiliger Geist".

Samstag, 14. Januar 2017

Ich bin, wo ich hingehe.

Die geistliche Identität eines Christen wird gerne anhand seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ortsgemeinde kategorisiert. Ist das noch zeitgemäß?



Um die Allianzgebetswoche herum wurden wir überproportional oft nach unserer Mitgliedschaft in einer Ortsgemeinde gefragt. Offensichtlich wird es als befremdlich empfunden, wenn nicht sofort ein gelangweiltes "Ich bin bei den Baptisten in Soundso", ein vorsichtiges "Ich bin Katholik", ein nüchternes "Wir sind beim CVJM" oder ein überlegenes "Wir sind jetzt in der Gemeinde auf dem Weg" kommt. Lässt sich doch anhand einer solchen Aussage eine Schublade öffnen, in die der überzogene Charismatiker, der verstaubte Bruder, der Öko-Freak oder der sentimentale Lobpreissänger einzuordnen geht.

Dass wir zurzeit keine Mitgliedschaft vorzuweisen haben, ist in gemeindlichen Vorstellungsrunden nicht vorgesehen. "Aber ihr geht doch in irgendeine Gemeinde oder wart doch irgendwo", wird dann nachgefragt. Bei einem Vortrag der Konrad-Adenauer-Stiftung trafen wir alte Bekannte, die uns nach dem Wiedereinstieg fragten. Als wir ihnen sagten, dass wir nach achtzehn Monaten immer noch keine feste Gemeinde haben, fragten sie ernstlich besorgt nach, ob wir vom Glauben abgefallen seien.

Wir haben es ihm verboten.

Heute Früh las ich in Markus 9,38-41 den bekannten Text, in dem Johannes zu Jesus kommt und ihm erzählt, dass sie einem Mann das Reden und Wirken im Namen Jesu verboten hätten, da dieser nicht ihrer Gruppe "hinterher laufe". Dabei hatte Jesus regelmäßig die Geheilten in ihre vertraute Umgebung zurückgeschickt, dass sie genau dort für ihn aktiv werden.

Dieser Text tangiert unseren aktuellen Erfahrungskontext. Dabei hatte ich 97% meines Lebens in etablierten Strukturen verbracht und mich als Teil dieser Strukturen engagiert und auch partiell darüber definiert. Das Privileg des Großstädters ist ja, dass er sich aus einem riesigen Pool an Gemeinden bedienen und dort anschließen kann, wo er theologisch und personell orchestriert.

Das vereinfacht die schnelle Einordnung des Gesprächspartners. Auf bundesweiten Seminaren oder Freizeiten trifft man aber auch Christen vom Dorf, die so gut wie keine gemeindliche Auswahl haben. Mit ihnen muss man sich dann etwas intensiver beschäftigen, um gemeinsame oder divergente Standpunkte auszuloten.

Schublade

Wie stark die Einordnung anhand der Gemeindezugehörigkeit hinkt, zeigt die personell unerschöpfliche Gruppe der Baptisten. Allgemeine Merkmale sind die gute Willkommenskultur, die Glaubenstaufe und die breite Generationsdurchmischung. Unterschiede zeigen sich jedoch beim Lobpreis, der liberalen bis charismatischen Predigt, der Freundschaft zu Israel versus Kuschelkurs zum Islam und der Zusammenarbeit mit anderen Verbänden. Genau so unterschiedlich denken auch die Mitglieder, deren Erwachsenentaufe in einigen Fällen aufgrund gruppendynamischen oder sachdienlichen Drucks durchgeführt wurde. EFG-Baptisten legen Wert darauf, nicht mit den Southern-Baptists in eine Schublade gesteckt zu werden.

Gemeinden und Transferwachstum

Das Southern-Baptist-Derivat Saddleback entspricht im Erscheinungsbild der Prägung von Berlin Connect, Berlinprojekt oder Mosaik Berlin. Stilistisch lassen sich noch die Kulturwerkstatt Mitte, JKB Treptow oder ICF einbeziehen.

Wegen der ähnlichen Altersstrukturen, ansprechender Predigten, guter Willkommenskultur und vergleichbar professionellem Lobpreis vereinen sich diese Gemeinden zu einem ungeschriebenen Bund, einem stilistisch definierten Pool zeitgemäßer Gemeinden. Mitglieder transferieren in der Regel nur innerhalb dieses Pools und kehren selten in etablierte Gemeinden oder Kirchen zurück.

Das Ausdünnen bestehender Gruppen durch den Weggang in modernere Gefüge wird als "Transferwachstum" bezeichnet. Die Anwendung dieses Begriffes entspricht aber nur bedingt den Tatsachen, da in deren Gottesdienste auch Freunde und Kollegen mitgenommen werden können, ohne dass diese anschließend irritiert die Beziehung kündigen. Der Boden für Neubekehrungen ist hier deutlich besser gedüngt.

Durch Hauskreise und Seminare wird für geistliches Wachstum gesorgt, was im traditionellen Umfeld mitunter einen anderen Stellenwert hat oder in einen anachronistischen Rahmen gepresst wird.

Wachstum in der Beziehung zu Jesus

Wichtiger als das Etikett für die Schnellkategorisierung ist die lebendige und wachsende Beziehung zu Jesus. Wenn Gemeinden dafür den Rahmen bieten und deren Leiter und Mitglieder ein authentisches Vorbild abgeben, ist es fast egal, unter welchem "Confession Branding" das läuft.

Kürzlich traf ich einen Unternehmer, der wegen struktureller Defizite aus seiner evangelischen Freikirche ausgetreten war und nun seine geistliche Nahrung bei der katholischen Kirche vor
Ort bekommt.

Ich bin immer wieder fasziniert, welch eine Tiefe des Glaubenslebens und der Erfahrungen bei Christen zu Tage kommen, wenn man das Vereinslabel übergeht und sich über deren spannendes Erleben in der Beziehung zu Jesus unterhält.

Und wo geht ihr nun hin?

Ein Freund schrieb mir kürzlich ein Mail, worin er noch einmal ausführlich die Gründe für die Mitgliedschaft in einer Ortsgemeinde darlegte. Die Argumente kannte ich nur zu gut und kann diese vom Prinzip her unterstreichen. Allerdings betrachte ich das Reich Gottes inzwischen deutlich umfänglicher als nur bis zum Tellerrand des verorteten Clubs.

Auch ohne Unterschrift auf einem Eintrittspapier sind wir geistlich versorgt und von ehrlichen Korrektive umgeben. Wir erleben intensive christliche Gemeinschaft mit Freunden, die unterschiedlichsten Gemeinden oder Werken angehören. Während wir früher in sonntäglicher Betriebsamkeit und quer durch die Woche im ekklesiastischen Mikrokosmos rotiert hatten, stehen nun die Kapazitäten für den eigentlichen Beziehungsteil und das weite Reich Gottes zur Verfügung.

Auch als Teil einer Ortgemeinde hatte ich geistliche Nahrung eher "im Kämmerlein" oder in Kleingruppen aufgenommen und im größeren Kreise wieder abgegeben. Mitgliedschaft ersetzt nicht die Pflege der persönlichen Beziehung zu Jesus.

Da insbesondere für unsere Kinder eine feste Anlaufstelle wichtig ist, wird es wohl auch bei uns wieder auf den Einstieg in eine Bestandsgemeinde oder die Mitarbeit in einer Neugründung hinauslaufen. Dazu aber mehr, sobald es spruchreif ist.

Donnerstag, 12. Januar 2017

Allianzgebetswoche im Christus-Treff

Im Rahmen der Allianzgebetswoche besuchten wir heute eine Veranstaltung im Bezirk Treptow-Köpenick. Das Hauptthema dieser Woche lautet "Einzigartig".



Die Pflastersteine lagen noch am Kreuz. "Vater" und "Heiliger Geist" standen wie gewohnt in großen weißen Buchstaben über den Türportalen. "Jesus" war um eine Kerze mit Krone gruppiert. Die Räume des Christus-Treffs in der Isingstraße wirkten vertraut. Im Februar letzten Jahres hatten wir hier einen Gottesdienst besucht und konnten uns noch an die damaligen Minusgrade erinnern.

Obwohl Treptow-Köpenick einige etablierte Baptisten- und Brüdergemeinden aufzuweisen hat, waren im Programmheft der Allianzgebetswoche nur drei Termine in diesem südöstlichen Bezirk vorgesehen: Springborn Projekt, JKB Treptow und Christus-Treff. Wie Pastor Tobi erklärte, liege die Isingstraße in der "Zone" zwischen Kreuzberg und Neukölln und die Nachbarn hätten wegen ihrer Vergangenheit gewisse Berührungsängste mit der Kirche.

Das Wochenprogramm mit seinen über einhundert Gebetstreffen quer durch die Stadt mit wechselseitigen Gastgebern und Andachtsreferenten zeigt eine starke Vernetzung und eine erfreuliche Annäherung der unterschiedlichen Gemeinden und Kirchen. Einige Namen wie Erhart Zeiser tauchen recht häufig auf. Anfahrtswege von zwanzig Kilometern sind für die Referenten keine Seltenheit. Für uns waren es heute dreizehn Kilometer bis Treptow.

Das Wochenmotto "Einzigartig" bezieht sich auf die vier Grundaussagen der Reformation:

sola gratia (allein aus Gnade)
sola fide (allein aus Vertrauen)
sola scriptura (allein die Schrift)
solus Christus (allein Christus)

Für den heutigen Donnerstag war "sola fide" vorgesehen. Sven Volkmann vom Projekt A+ aus Altglienicke sprach kurz über "Glauben allein", über den auflösbaren Widerspruch zwischen vier Mal "allein" und dem alleinigen "Allein" sowie über Praxisbeispiele zur Umsetzung von Glauben und Werten.

Es gab auch eine Vorstellungsrunde, bei der jede Besuchergruppe zu Wort kam. Neben Christen aus Treptow-Köpenick war auch ein älteres Ehepaar aus Charlottenburg angereist. Der Christus-Treff wurde im Rahmen der Gebetsanliegen etwas genauer vorgestellt. Dabei erfuhren wir, dass sie das Haus inzwischen von der Stadtmission gekauft hatten und ambitionierte Anbaupläne hegen.

Auch das Projekt A+ mit seinem Fokus auf Hauskreise, Gemeinschaft und Nachbarschaftsrelevanz wurde ausführlich vorgestellt. Sven Volkmann lobte die gute Zusammenarbeit mit der Lukas-Gemeinde und das Mentoring durch deren Pastor Hans-Peter Pache. Eine Ansicht, die anhand weiterer Beispiele zu evaluieren wäre.

Die anschließende Gebetszeit gestaltete sich in der Form, dass sich kleine Gruppen um eine der fünf mit Papiertüten umgebenen Kerzen stellen und für die auf der Tüte notierten Anliegen beten sollten. Die Kerzentüte in unserer unmittelbaren Nähe war mit "Einheit" im Sinne von christlicher Vernetzung beschriftet. Wir beteten also für Gemeinsam für Berlin und parakirchliche Netzwerk-Initiativen in der Stadt, was ohnehin meinem momentanen Lieblingsthema entspricht.

Musikalisch wurde der Abend mit einer markanten E-Gitarre ohne Klangkörper und Liedern von Manfred Siebald begleitet. Die Liedtexte erschienen jeweils nach einer Gedenksekunde, da der Techniker wohl testen wollte, ob alle Anwesenden textsicher sind.

Montag, 9. Januar 2017

Heilung erfahren nach geistlichem Missbrauch

Geistlicher Missbrauch bezeichnet den Missbrauch der Vertrauensstellung in einer Leitungsposition und hat ähnlich nachhaltige Verletzungen zur Folge wie sonstige Formen des Missbrauchs. Dabei redet die Bibel oft und konkret über dieses Thema.



Die Mechanismen des geistlichen Missbrauchs werden hinreichend im Neuen Testament beschrieben, aber selten in Predigten thematisiert. Deshalb sind Gemeinden und deren Mitglieder recht unbedarft beim Umgang mit problematischen Leitern und lächeln milde vergebend, wenn sie von diesen missbraucht werden. Bileam aus dem vierten Buch Mose (4. Mose 22-25 und Off 2,14) würde heute geistlichen Missbrauch empfehlen, um Gemeinden und motivierte Mitarbeiter nachhaltig zu schädigen.

Bibel warnt oft vor geistlichem Missbrauch

Dabei lesen wir schon in Johannes ab dem sechsten Kapitel, in Markus ab dem dritten Kapitel oder in Matthäus ab dem zwanzigsten Kapitel von den absurden Fragen und Wortverdrehungen gegenüber Jesus. Auch in der Apostelgeschichte geht es munter weiter und zieht sich vom fünften Kapitel bis zum Ende. In Apg 20,29 kündigt Paulus den Ältesten aus Ephesus bereits an, dass "Wölfe" kommen werden, die die "Herde" nicht schonen.

In den letzten zwei Jahren hatten wir uns intensiv mit diesem Thema beschäftigt und waren erstaunt, wie ernst und oft das Neue Testament darüber redet. Die Zugriffszahlen auf das Stichwort "geistlicher Missbrauch" in diesem Blog verraten uns, dass ein reges Interesse daran besteht.

Nachdem ich bei einem Bier für acht Dollar auf dem Dach des Hilton in New York mit einer Frau über geistlichen Missbrauch in Theorie und Praxis geredet hatte, freute sie sich, dass es endlich mal einen Gesprächspartner gab, der ihre Situation nachvollziehen konnte.

Geistlicher Missbrauch für Dummys

Der missbrauchende Leiter ist in der Regel eine unsichere Persönlichkeit, die oft gar nicht zum Leiten berufen oder befähigt ist und diesen Umstand durch eine besondere Art der Markierung seines Herrschaftsbereiches überspielen muss.

Damals wie heute kann sich solch eine Person sehr einfach etablieren: es reicht eine theologische Ausbildung und administrative Strukturen, die eine Kündigung des Amtsinhabers verhindern. Dann kann es losgehen.

Zuerst wird durch Verwässerung und begriffliche Umwidmung der biblischen Grundlagen die Beurteilungsfähigkeit und Mündigkeit der "Herde" reduziert. Pseudopietistische oder parabiblische Akzente werden gesetzt. Ein Minimum an Themen wird strapaziert und die Gemeinde wird mit rotierendem Aktionismus beschäftigt.

Wettbewerber werden in vertraulichen Einzelgesprächen zum Gehen motiviert oder mit unwahren Behauptungen öffentlich diffamiert. Wenn das nicht fruchtet, werden theologische Unterschiede oder geistliche Unreife konstruiert. Als letzte Möglichkeit steht noch die Okkultismusmasche analog Markus 3, 28-30 zur Verfügung.

Zerstörung von Familien

Da geistlicher Missbrauch von Personen ausgeht, die von Amts wegen Wahrheit und Vorbildwirkung gepachtet haben, können sie sehr lange ihren Handlungen nachgehen, ohne dass jemand an deren Kompetenz zweifelt.

Der Ausstieg einzelner Ehepartner kann dann sogar zu einem Bruch innerhalb der Familie führen. Es kommt dann vor, dass Tochter und Gattin freundlich zu Gemeindeaktivitäten eingeladen werden, während der Mann bereits ausgelistet ist. Wer die Mechanismen des geistlichen Missbrauchs nicht kennt oder die problematischen Leitungsperson bisher nicht hinterfragt hatte, wird sich bei solchen Situationen nichts weiter denken, zumal die offizielle Begründung oft schlüssig klingt.

Wir haben Menschen getroffen, die viele Jahre für ihren Heilungsprozess benötigt hatten oder sich völlig von der Gemeinde Jesu abgewandt haben. Deshalb ist es ermutigend, wenn wir von Betroffenen hören, dass sie sich auf unseren Rat hin sofort in anderen Gemeinden nach neuer Nahrung und christlicher Gemeinschaft umsehen.

Die hybriden Angriffsszenarien des geistlichen Missbrauchs werfen vorwiegend motivierte Mitarbeiter oder begabte Leiter aus der Bahn. Mitarbeiter mit Berufung haben normalerweise kein Interesse daran, dem Glauben den Rücken zu kehren und suchen erst einmal nach Hilfe.


Heilung erfahren nach geistlichem Missbrauch
Heilung erfahren nach geistlichem Missbrauch - Ken Blue
1. Schritt: Missbrauch beim Namen nennen

Die diffusen Erscheinungsformen des geistlichen Missbrauchs sind für die Betroffenen oft nicht klar einzuordnen und entsprechend zu benennen. Das ist jedoch eine wichtige Voraussetzung zum gezielten Angehen des Heilungsprozesses.

So kann es als Gnade gewertet werden, wenn einem die passenden Checklisten über den Weg laufen. Wenn ein Großteil der Punkte mit der Referenzsituation übereinstimmt, kann das Problem klar benannt werden und eine fokussierte Recherche nach Hilfe wird möglich.

Erste Anlaufstelle wäre nach der gängigen Logik die nächst höhere Instanz. Leider stehen sich Kollegen recht nahe und das Problem wird lieber unter den Teppich gekehrt. Dabei spielt das Wohl der Gemeinde eine untergeordnete Rolle. Es war bemerkenswert, dass uns ausgerechnet ein Pastor darauf hinwies, niemals einen Pastor als Mediator in einen Gemeindekonflikt einzubeziehen.

Inwieweit die Clearingstelle der Evangelischen Allianz in der Praxis etwas erreicht, wäre zu prüfen.

Nur echte Freunde werden sich ernsthaft für das Problem interessieren und nach Lösungen suchen. Bei allem Mitteilungsbedarf sollte beachtet werden, dass es oft nur um Sensationslust der Zuhörer geht.

Im schlimmsten Fall ist sogar davon auszugehen, dass niemand etwas vom Geschehenen wissen möchte und der Betroffene erst einmal völlig auf sich selbst gestellt ist. In den Büchern zu geistlichem Missbrauch ist deshalb auch mehrfach vom suizidalen Ausweg zu lesen.

2. Schritt: Heilungsprozess

Nach der Benennung ist die Konsultation von Seelsorgern, das Lesen von Fachbüchern, das Lesen der Bibel, das Gebet, eine Gemeinschaft authentischer Christen und das Finden anderer Heilungswilliger wichtig. Letzteres fördert den Gesundungsfortschritt, ist aber selten gegeben, da die relevanten "Schäfchen" normalerweise segmentiert und einzeln neutralisiert werden.


Ken Blue über Matthäus 23

Neben bereits vorgestellten Büchern ist "Heilung erfahren nach geistlichem Missbrauch" von Ken Blue sehr hilfreich für Christen, die ihr durch den Missbrauch irritiertes Bild von Gemeinde und Leiterschaft biblisch fundiert reparieren lassen möchten.

Ken Blue greift das oben erwähnte Matthäus-Evangelium auf und beschreibt anhand des Kapitels 23 die Facetten des geistlichen Missbrauchs. Zwei Drittel des Buches beschäftigen sich beispielsweise mit dem "Stuhl Moses", den "getünchten Gräbern", den "Heuchlern" (griechisch, Latein und hebräisch decken sich beim Begriff des Schauspielers) und dem Verhalten von Jesus.

Das letzte Drittel des Buches geht auf den konkreten Heilungsprozess und eine "Gemeindezucht" im neutestamentlichen Sinne ein.

Wer das Problem also beim Namen nennen kann und biblisch aufarbeiten möchte, sollte dieses Buch mit seinen 170 Seiten lesen. Kurz vor dem Ende wird wieder eine der Checklisten dargestellt, die sich weitestgehend mit der oben verlinkten Checkliste und der Checkliste aus "Menschen mit Format" (Seiten 199/200) deckt.

Heilung braucht Zeit

Ken Blue vergleicht die Verletzung durch den Missbrauch mit dem Überrollen durch einen Bus. Ähnlich lange solle man sich Zeit für die Heilung nehmen. Auch auf die wohlwollenden Angebote guter Freunde zu neuen Diensten in einem anderen Kontext solle man vorerst verzichten.

Dieser Moment ist jedoch gefährlich. Wir haben Christen erlebt, die erst einmal Siesta machen wollten und sich dadurch so weit von der "Gemeinschaft der Heiligen" entfernt hatten, dass ein Wiedereinstieg auch nach vielen Jahren nicht mehr realistisch war.

Umgang mit dem System

Anhand der zum Thema gelesenen Bücher und der Erfahrung von Betroffenen gibt es im Wesentlichen drei Optionen, mit dem Missbrauchssystem umzugehen:

1) mitmachen
2) zerstören
3) gehen

Die erste Option kommt nur in Frage, wenn die Persönlichkeit des Betroffenen schon völlig demontiert ist oder physische Barrieren den Weg versperren. Ansonsten baut sich ein so starker innerer Gewissenskonflikt auf, dass zu einer der beiden weiteren Optionen übergegangen werden muss.

Die zweite Option hatte bei der Colonia Dignidad sehr gut funktioniert, da die dritte Möglichkeit topografisch verwehrt war und die erste Variante mit physischer Gewalt durchgesetzt wurde. Die Überführung des Hauptverantwortlichen Paul Schäfer erfolgte nach mehrmonatigem Gebet.

Ken Blue empfiehlt die dritte Option, und zwar als familiäre Einheit. Denn es ist davon auszugehen, dass auch der Rest der Familie mit dem System kollidiert.

Von daher wäre für mitteleuropäische Verhältnisse ein Mix aus Gehen (Option 3) und nachgelagertem Beten (Option 2) denkbar. "Aktive Sterbehilfe" sei laut Ken Blue ein Liebesdienst an der pathologischen Gruppe. Immerhin dient das der Schadensbegrenzung.

Sonntag, 8. Januar 2017

Dorfkirche Marzahn mit jugendlichem Charme

Der Jahreswechsel ging auch mit dem Wechsel des Pfarrers der Dorfkirche Marzahn einher. Heute besuchten wir den Gottesdienst anlässlich der Einführung von Lucas Ludewig in Alt-Marzahn.



Frederik Spiegelberg war nur ein knappes Jahr in der Dorfkirche Marzahn. Bei mehreren Anlässen hatten wir ihn erlebt und dabei festgestellt, dass seine Altersparameter nur bedingt mit dem jeweiligen Kontext korreliert hatten. Von daher ist es verständlich, dass er in die Jugendpfarrstelle Berlin-Nordost wechselt.

Sein Nachfolger in Alt-Marzahn heißt Lucas Ludewig. Er ist frisch gebackener Pfarrer und hatte bereits durch einen Gottesdienst mit Star-Wars-Analogien für Schlagzeilen gesorgt. Mit seiner Social-Media-Affinität ist er sicher der passende Mann für die demografischen Gegebenheiten der Nachbarschaft.

Lucas Ludewig ist einunddreißig und stand heute mit zwei weiteren Herren vor dem Altar, die ebenfalls schwarze Gewänder trugen, aber offensichtlich nicht zur "dunklen Seite der Macht" gehörten. Das war daran zu erkennen, dass sie keinen markanten Plastikhelm mit Beatmungsfunktion trugen. Statt dessen war ihr Kragen mit jeweils zwei weißen lutherisch geschnittenen Beffchen versehen. Einer der Herren war Frederik Spiegelberg, einer Lucas Ludewig und der Dritte war Pfarrer Hartmut Wittig aus Hellersdorf. Im Publikum saß unter anderem auch Pfarrerin Katharina Dang aus Marzahn-Nord. Sie hob sich mit ihrem roten Mantel vom amtlichen Schwarz ab.

Apropos Publikum: Etwa achtzig Gottesdienstbesucher zählten wir in der gut geheizten Kirche. Darunter waren auch mehrere Familien und Mittvierziger. Ein Trend, der durch Frederik Spiegelberg wohl auch unter Einbeziehung des evangelischen Dorf-Kindergartens angestoßen wurde Der heute neu eingesetzte Gemeindekirchenrat (GKR) machte mit seiner Altersstruktur ebenfalls einen frischen Eindruck.

Eingebettet in eine umfangreiche Liturgie war die relativ kurze Predigt des scheidenden Pfarrers. Er sprach über Mt 4, 12-17, wo Jesus von der Verhaftung des Täufers Johannes erfährt, dann durch Galiläa zieht und die dortigen Bewohner zur Änderung ihres Lebensstils aufruft. Er hatte wieder eigene Gedanken und Beispiele eingebaut. Wie wir aus den anschließenden Dankesreden erfuhren, konnte gerade diese persönliche Note in den Predigten als wichtiger Faktor zum Wachstum der Gemeindemitglieder beitragen.

Damit Gemeinde und neuer Pfarrer gleich wissen, wie diese mit dem GKR interagieren, wurden mehrere Grundsatzpapiere verlesen. Demnach geht es in der Dorfkirche Marzahn sehr demokratisch zu. Der Pfarrer hat gewisse Aufgaben wie Taufen, Abendmahlsausgabe und Predigten zu erfüllen und ansonsten alles in enger Zusammenarbeit mit GKR und Gemeinde zu leisten. Kraft seines Amtes ist er gleichberechtigter Teil der "Ältesten". Frederik Spiegelberg untermauerte das Gesagte noch mit einem Zitat aus dem fünften Kapitel des ersten Petrusbriefes, worin es um den vorbildhaften Umgang mit der "Herde" geht.

In den Grundsatzpapieren war neben der Verantwortung des GKR für eine biblische Predigt auch das Recht verankert, die Gottesdienstzeiten zu ändern. Das wäre angesichts einer jüngeren Zielgruppe eine wichtige Maßnahme. Neun Uhr war auch für uns heute sehr herausfordernd, zumal wir erst um drei von einer Geburtstagsparty nach Hause gekommen waren.

Jugendlicher Charme manifestierte sich dann auch nach dem Segen. Mit Orgel und Blasinstrumenten wurde das Muppets-Lied gespielt, während die drei Pfarrer und der GKR würdevoll zum Ausgang schritten.

Samstag, 7. Januar 2017

Avner Less und die respektvolle Distanz

Die Bibel erzählt viele Begebenheiten, die als Referenzen auf unsere Alltagssituationen anwendbar sind. Anhand diesen lässt sich unser Handeln nachjustieren oder die Folgen von Fehlentscheidungen abschätzen.



Biblische Personen wie Abraham, David, Elia, Adam, Paulus, Johannes, Daniel oder Noah zeigen, wie bestimmte Dinge angegangen oder bewertet werden können und was besser vermieden werden sollte. Jesus bietet ein Vorbild, an dem wir uns orientieren können.

Jesus als Vorbild

Dem souveränen und respektvollen Umgang Jesu mit problematischen Zeitgenossen, wie es in Matthäus ab Kapitel 20 beschrieben wird, möchte ich mich gerne annähern. Umso beeindruckender ist es, wenn Menschen wie du und ich darin ebenfalls zum Vorbild werden und trotz direkter Betroffenheit eine gesunde innere Distanz wahren können.

Beim Lesen eines Buches über die Entlarvung von Gesprächspartnern, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, tauchte immer wieder der Name Avner Less auf. Avner Less hatte insgesamt 275 Stunden lang den bekannten Schreibtischtäter Adolf Eichmann verhört.

Abstand und Nähe

Polizisten sind in der Regel nicht direkt betroffen von den straftatbewährten Handlungen ihres Gegenübers. Deshalb können sie einen gewissen Abstand wahren. Avner Less hatte während des Nationalsozialismus seine deutsche Wahlheimat verlassen und war nach Frankreich gegangen. Dort hatte er seine Frau kennen gelernt und war später mit ihr nach Amerika umgezogen. Ein Teil seiner Familie war in Berlin geblieben und wurde kurz vor Kriegsende mit einem der letzten Transporte in die Vernichtungslager gebracht. Der Mann, der maßgeblich für die Organisation dieser Transporte zuständig war, saß ihm seit dem 29.05.1960 für mehrere Monate gegenüber.

Avner Less - Lüge! Alles Lüge!
Avner Less - Lüge! Alles Lüge!
Avner Less war zwei Jahre zuvor von Amerika nach Israel umgezogen und hatte dort bei der Polizei angefangen. Der von Israel gesuchte Adolf Eichmann war in Argentinien untergetaucht und ging dort einer normalen Berufstätigkeit nach. Auf abenteuerliche Weise wurde er dort entführt und nach Israel gebracht. Das Buch "Lüge! Alles Lüge" beschreibt in Tagebuchform die gesetzeskonformen Amtsvorgänge inklusive der ständigen Haftverlängerungen.

Respektvoller Umgang

Polizeihauptmann Less wurde für die Zeit des Verhörs direkt ins Gefängnis versetzt, so dass er nur schriftlich mit seiner Familie kommunizieren konnte. Eichmann war der einzige Häftling vor Ort. Mit Respekt (Lateinisch: respicere - Rücksicht nehmen) näherte er sich Eichmann an, sprach mit ihm wie mit einem Kollegen oder Nachbarn und bot ihm sogar eine Zigaretten an, wenn er selbst rauchen wollte.

Mit dieser Art des Umgangs kamen die Kollegen des Verhörführers gar nicht klar. Auch die israelische Presse beschimpfte Avner Less. Zu viele Israelis hatten Angehörige und Freunde durch den industriellen Genozid verloren, als dass sie noch für einen Prozess nach rechtsstaatlichen Grundlagen offen gewesen wären.

Spannungsfelder

So befand sich Avner Less gleich in mehreren Spannungsfeldern: der Verachtung der Kollegen, dem verständlichen Zorn der israelischen Bevölkerung inklusive der Presse sowie dem inneren Druck, den Hauptverantwortlichen für den Tod eines Teils seiner Familie vor sich sitzen zu haben. Dennoch blieb er sachlich und behandelte den Vorgang so professionell, dass Adolf Eichmann anschließend anhand der Protokolle, die er selbst gegenzeichnete, zum Tode verurteilt werden konnte. Die Vollstreckung erfolgte, als Avner Less gar nicht mehr in Israel wohnte. Er war wieder nach Europa gegangen.

Avner Less beeindruckt!

Schon beim Kauf des Buches war ich gespannt, woraus er denn diese Stärke und Selbstbeherrschung ziehe. Diese Frage wird auf den etwas über 300 Seiten nur zwischen den Zeilen beantwortet.

  1. Bewusste Entscheidung, nicht zu hassen und damit Durchbrechen der Opfer-Täter-Symbiose
  2. starke und innige Beziehung zu seiner Frau
  3. die unspektakuläre Otto-Normal-Persönlichkeit Eichmanns

Gerade letzterer Punkt hatte viele der Beamten irritiert, da sie Eichmann eine Aura des Schreckens angedichtet hatten und bei der persönlichen Begegnung einen ganz normalen Mann, eine absolute Durchschnittspersönlichkeit, antrafen.

Das Buch wechselt zwischen Tagebuchaufzeichnungen, Interviews, Gedichten und Briefen und liest sich wie eine Doku im Ersten.