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Montag, 30. Mai 2022

Ja, sowas passiert. Aber nicht bei uns!

Heute wurden in der Bundespressekonferenz die Zahlen zum sexuellen Kindesmissbrauch vorgestellt. Die Mechanismen sind vergleichbar mit denen, die bei geistlichem Missbrauch festzustellen sind.

BKA-Chef Holger Münch und die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, stellten sich heute den Fragen der Hauptstadtpresse. Anlass war die Veröffentlichung der Fallzahlen beim Kindesmissbrauch im Jahr 2021. Die Gesetzeslage ist gut geeignet, Täter angemessen zur Verantwortung zu ziehen.

Dadurch, dass viele der Taten seitens der Missbraucher mit Bildmaterial dokumentiert werden, können die Handschellen schnell zuschnappen. Dafür sorgt seit einigen Jahren die ausgesprochen gute Zusammenarbeit mit der amerikanischen Stelle NCMEC (National Center for Missing & Exploited Children - Nationales Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder). Durch eine kontinuierliche Verbesserung der Software konnte die Identifizierung allein von 2020 bis 2021 von 21,7 auf fast 30 Millionen gesteigert werden. Die KI (Künstliche Intelligenz) arbeitet inzwischen mit einer Trefferquote von 98% und selbst die eine Woche Speicherzeit für IP-Protokolle reicht aus, die Täter bis ins heimische Wohnzimmer nachzuverfolgen. Es wird also eng für Ersteller und Nutzer des brisanten Bildmaterials. Selbst ein Ausweichen ins Darknet ist längst kein Garant mehr für ein Agieren ohne Konsequenzen.

Wenn kein Bildmaterial als Beweis vorliegt

Da längst nicht alle Straftaten dieses Bereiches mit Bildmaterial belegbar sind, appellieren Holger Münch und Kerstin Claus an die Öffentlichkeit, Verdachtsfälle anzuzeigen und Kinder frühzeitig für die Gefahren des Missbrauchs zu sensibilisieren. Kerstin Claus bestätigte, dass das Phänomen bekannt sei, dass die Mama eher dem missbräuchlichen Onkel glaube als dem betroffenen Kind. Betroffene Kinder haben dann nicht nur den eigentlichen Missbrauch zu verarbeiten, sondern auch noch den eklatanten Vertrauensbruch durch die Mutter. Deshalb werde man demnächst eine umfangreiche Aufklärungskampagne starten, die genau diesen Punkt aufgreift.

Doppeltes Trauma durch Missbrauch und Vertrauensbruch

Das Prinzip des Versagens der nächsten Vertrauenspersonen ist auch bei Fällen des geistlichen Machtmissbrauchs festzustellen. So erschleichen sich vermeintliche Seelsorger von Betroffenen sensible Informationen, die sie anschließend öffentlich gegen den Betroffenen verwenden und diesen damit zu erpressen suchen. Andere "Seelsorger" nutzen das Argument des "Du wolltest es doch auch.", um den Druck für den Täter zu lindern und den Betroffenen in eine Mittäterschaft zu zerren, oder eine komplette Täter-Opfer-Umkehr zu bewirken. Im Rahmen des Korpsgeistes verbünden sich Pastorenkollegen aktiv mit dem Täter, denn "Der Onkel" - pardon - "Der liebe Kollege macht sowas nicht."

Hellfeld und Dunkelfeld des geistlichen Missbrauchs

Der Druck auf verschiedene Gemeinden ist dennoch so hoch, dass seit 2014 Clearingstellen eingerichtet werden, die für Außenstehende den Anschein erwecken, man gehe das Problem tatsächlich an. Letztlich agieren diese Clearingstellen aber systemimmanent und stehlen den wenigen redenden Betroffenen aus dem "Hellfeld" nur Zeit und Energie. So ist auch bei geistlichem Missbrauch von einem hohen "Dunkelfeld" auszugehen, das optimistisch geschätzt beim Faktor 100 liegen dürfte. Immerhin ist es bei geistlichem Missbrauch gängige Praxis, dass Personen, die ein Problem ansprechen, selbst zu einem Problem gemacht werden, während das eigentliche Problem nicht gelöst wird. Den Verantwortlichen der betreffenden Gemeinden und Verbände scheint das egal zu sein. Die Unabhängige Beauftragte brachte diese Einstellung in der Pressekonferenz sehr gut auf den Punkt: "Ja, sowas passiert. Aber nicht bei uns!"

Katholische Kirche setzt Akzente

Auch wenn das evangelikale Lager gerne von sich ablenkt, indem es mit Fingern auf die Katholische Kirche zeigt, ist diese doch schon viel weiter. So hat die Katholische Kirche beispielsweise im Bistum Osnabrück eine Anlaufstelle für Betroffene von sexueller und spiritueller Gewalt geschaffen. Das katholische Werk Don Bosco hat vorbildhaft gezeigt, wie am besten mit Missbrauch umzugehen ist: 1) Betroffene ernst nehmen, 2) unabhängig untersuchen, 3) Konsequenzen für die Täter. Das Ergebnis ist ein nachhaltiger Vertrauensgewinn bei Eltern und Unterstützern dieses Kinder- und Jugendwerkes. Im evangelikalen Bereich scheitert es in der Regel schon am ersten Punkt.

Mittwoch, 6. Januar 2021

#hellerdennje Sternsinger und 20*C+M+B+21 während der Pandemie

Wie sich die "Weisen aus dem Morgenland" mit Corona arrangieren, zeigt das diesjährige Sternsingen unter dem Motto #hellerdenje.


Auch die traditionellen Pressetermine sind dem Lockdown zum Opfer gefallen. Deshalb gab es zu heute keine Einladungen ins Kanzleramt oder das Schloss Bellevue. Statt dessen verriet das Kalenderblatt, dass heute der Dreikönigstag ist. Der Tag, an dem normalerweise die lieben Kleinen aus dem Bundesgebiet anreisen und an sämtliche Türen von Ministerien, Bundeskanzleramt und Schloss Bellevue das 20*C+M+B+21 schreiben.

Das CMB steht für das lateinische Christus mansionem benedicat und heißt auf Deutsch: Christus segne diese Herberge/Wohnung! Das Drumherum referenziert auf das zweite Kapitel des Matthäus-Evangeliums, in dem Magier aus dem Orient in Jerusalem erscheinen und nach dem neuen König fragen. Der amtierende Herrscher - König Herodes - war davon nicht sehr begeistert und versuchte über eine List, mehr über den Aufenthaltsort seines neugeborenen Rivalen zu erfahren. Der Plan ging allerdings nicht auf, so dass er kurzentschlossen alle kleinen Jungs bis zwei Jahre in Bethlehem ermorden ließ. Ein aktiver Einsatz von Engeln, die nicht an Raum und Zeit gebunden sind, sorgte dafür, dass das Kind während des Mordens schon nach Ägypten unterwegs war und 30 Jahre später als Jesus Christus durch Israel ziehen konnte.

Die Weihnachtsgeschichte wird nur in zwei von vier Evangelien berichtet - ganz im Gegensatz zur Kreuzigung. Diese ist das zentrale Element des christlichen Glaubens, weil mit dem Blut von Jesus Christus praktisch der Kaufpreis - die Schuldentilgung - in der angeschlagenen Beziehung zu Gott bezahlt wurde. Deshalb auch die drei Kreuze zwischen CMB und dem Rest der Jahreszahl. Das Sternchen am Anfang steht für die Geburt.

Die Sternsinger sind schon seit 1959 in katholisch dominierten Regionen unterwegs. Sie klopfen an die Türen, singen, schreiben den CMB-Segen an die Türen und sammeln Geld für Hilfsprojekte. Auf diesem Wege sind bereits über eine Milliarde Euro zusammengekommen. Präsenztermine beim Bundespräsidenten oder der Kanzlerin hatten in den vergangenen Jahren gut eine Stunde gedauert. Neben den genannten Elementen Singen, CMB und Sammeln wurden die aktuellen Hilfsprojekte vorgestellt, weitere Musikstücke gespielt und niederschwellig mit den Spitzenpolitikern kommuniziert.

Die Kostüme der Sternsinger sind immer sehr aufwendig gestaltet. Goldene Kronen, viel Samt und kunstvoll verzierte Schatullen zur Aufnahme der Spenden von Angela Merkel & Co. In diesem Jahr kamen noch die farblich abgestimmten Masken hinzu. Die Spenden wurden virtuell gesammelt und statt der Vor-Ort-Besuche gab es Videobotschaften. Goldig, wie die Kinder mit den Masken hantierten, als sie mit ihrem Spruch an der Reihe waren. Der Segen wurde mit Segenstüten versandt. In den Segenstüten befand sich ein Aufkleber mit 20*C+M+B+21, der von den Empfängern selbst angebracht werden konnte.

#hellerdennje ist das Motto des diesjährigen Sternsingens. Die Gläubigen lassen sich durch Corona nicht entmutigen, sondern machen frei nach Römer 8,28 das Beste aus jeder noch so destruktiven Situation. So wie die Eltern von Jesus, die versorgt mit Gold, Weihrauch und Myrrhe, erst einmal nach Ägypten auswanderten.

Freitag, 1. Mai 2020

Konkrete Maßnahmen zur Durchführung von Gottesdiensten nach #COVID19

Die Bundesregierung und die Länderchefs haben sich bei ihrem gestrigen Online-Meeting lobend über die gute Zusammenarbeit mit den Religionsgemeinschaften geäußert. Es waren Konzepte vorgelegt worden, die inzwischen auch vom Robert Koch-Institut kommentiert wurden.



Die Arbeitsgruppe aus Vertretern der evangelischen, katholischen und orthodoxen Kirche sowie jüdischer und muslimischer Dachverbände hat einen nachhaltig guten Eindruck bei der Bundesregierung hinterlassen. Auch die Presse hatte unentwegt nachgefragt, wann und in welcher Form es wieder mit Gottesdiensten losgehe. Allein dieses Segment der Corona-Bewältigung zeigt, dass die Bundesregierung nicht abgehoben agiert, sondern diverse Schnittmengen zur Einflussnahme durch die Gesellschaft vorhanden sind.

Um die Ausbreitung der Pandemie gezielt behindern zu können, sei eine Nachverfolgung der Infektionsketten notwendig. Dazu soll es demnächst eine App geben. Aber auch der Abstand zwischen Personen, die nicht in einem Haushalt leben, soll möglichst groß sein, damit keine Lücken in der Nachvollziehbarkeit der Verbreitung des Erregers entstehen.

Die folgenden Maßnahmen des Gesundheits- und Infektionsschutzes bei der Durchführung von Gottesdiensten und religiösen Handlungen sind zwar kein offizieller Bestandteil der Beschlüsse vom 30. April 2020, wurden aber als einzige Anlage dem Ergebnispapier beigefügt. Die oben genannten Glaubensgemeinschaften sind jedoch eine Selbstverpflichtung eingegangen, diese Maßnahmen einzuhalten.

Begrenzung der Teilnehmerzahl

Die Teilnehmerzahl soll sich an der Größe des Raumes orientieren. Auf keinen Fall darf es zu Menschenansammlungen kommen. Es soll auch nur das unbedingt notwendige liturgische Personal anwesend sein. Taufen, Beschneidungen, Trauungen und andere religiöse Feste sind im kleinen Kreise von Familienangehörigen und wenigen unverzichtbaren Personen durchzuführen. Auf Großveranstaltungen wie Konferenzen, Wallfahrten oder Prozessionen ist zu verzichten.

Abstand

Die allgemeinen Abstandsregeln von 1,5 bis 2 Metern gelten auch für Gottesdienste. So soll auch das Personal in diesem Abstand das Gebäude betreten und verlassen. Auch während der liturgischen Handlung ist dieser Abstand einzuhalten. Laufwege und mögliche Sitzplätze sind zu markieren. Nur Familien aus einem Haushalt dürfen zusammensitzen. Für größere Räume werden Ordner empfohlen. Ohnehin werden große Räume favorisiert, weil sich darin mehr Leute mit mehr Abstand aufhalten können. Auch bei der Seelsorge in Krankenhäusern, Pfarrbüros oder Privatwohnungen sind die entsprechenden Abstände einzuhalten.

Das Robert Koch-Institut verweist explizit auf Online-Gottesdienste. Diese haben mehrere Vorteile: kein Infektionsrisiko, Risikogruppen wie Senioren und Kranke können teilnehmen und die Reichweite ist größer.

Hygiene

Personen mit Krankheitssymptomen haben generell keinen Zutritt. Für die Durchsetzung dieser Regel sind Veranstalter und Ordner zuständig. Idealerweise tragen die Besucher eine Gesichtsmaske, die Mund und Nase bedeckt. Hier kann es zu länderspezifischen Abweichungen kommen. Körperkontakte wie Hände schütteln, küssen oder umarmen sind Tabu. Das gilt auch für liturgische Elemente mit Körperkontakt wie Handauflegung oder Abendmahl. Beichtstühle bleiben wegen ihrer räumlichen Beschaffenheit geschlossen. Für die Beichte müssen also kreative neue Formen mit Abstandswahrung geschaffen werden.

Gesangsbücher, Gebetsschals und Bibeln müssen Gottesdienstbesucher selbst mitbringen, da die Erreger eine bemerkenswert hohe Überlebensdauer auf sämtlichen Oberflächen aufweisen. Blasorchester, Chöre und Bands sind untersagt. Musik darf nur durch Einzelpersonen vorgetragen werden. Hier schlägt die Stunde des Mikrofons: Lautes Sprechen oder gemeinsames Singen sind wegen der exzessiven Verbreitung von Tröpfchen nicht erwünscht. Blasinstrumente sind ein absolutes No Go.

Weihwasserbecken bleiben leer, Handdesinfektion ist bereitzustellen, Kontaktflächen, Türen, Mikrofone, liturgische Geräte sind regelmäßig zu desinfizieren. Es ist für eine gute und natürliche Belüftung zu sorgen. Nach den Veranstaltungen sind die Kirchen und Gemeinderäume zu schließen.

Normalität

Eine Rückkehr zur Normalität wird noch eine Weile auf sich warten lassen. 14-tägig werden die Infektionszahlen und die Fortschritte der Forschung ausgewertet. Aufgrund dessen werden politische Entscheidungen getroffen. Bis mindestens Ende August sind Großveranstaltungen wie Volksfeste, Konzerte, Festivals, Sportevents untersagt. Auch ist noch nicht bekannt, wann und in welcher Intensität die erwartete zweite und dritte Welle der Pandemie über das Land zieht. Deshalb sei hier an zwei Worte erinnert, die die Kanzlerin in der gestrigen Pressekonferenz mehrfach in Zusammenhang gebracht hatte: Geduld und Verantwortung.

Freitag, 24. April 2020

#COVID19 - bald wieder Offline-Gottesdienste

Seit zwei Wochen wird in der Bundespressekonferenz regelmäßig gefragt, wann und unter welchen Auflagen wieder Gottesdienste stattfinden dürfen. Gemeint sind damit Gottesdienste vor Ort in den Gemeinderäumen.



Es habe "ausgesprochen hilfreiche Gespräche" gegeben. Am 17. April 2020 hatten sich Vertreter der Religionsgemeinschaften erstmalig mit Staatsekretär Kerber im Innenministerium getroffen. Schnell hatten sie sich auf die Einrichtung einer Arbeitsgruppe verständigt. Ziel war die Erarbeitung eines Konzeptes zum Wiederanlauf von Gottesdiensten und Veranstaltungen in den Gemeinderäumen.

Eine große Zeitung war von der Verschleppung des Vorgangs durch die muslimische Seite ausgegangen. Das konnte vom Ministerium nicht bestätigt werden. Alle Zuarbeiten seien fristgerecht eingegangen - eine zweistellige Anzahl von Vorschlägen. Daraus sei ein "gutes, tragfähiges Konzept" erarbeitet worden. Momentan werde es durch das Robert Koch-Institut geprüft. Auch die Bundesländer schauen noch einmal drüber.

Gerade Letztere überholen die Kanzlerin gerne mal bei der Lockerung der Corona-Regeln. In diplomatisch gefärbtem Deutsch bezeichnet man das als "unterschiedliche Entwicklung". Deshalb bleibt abzuwarten, ob sich die Länder und einzelnen Gemeinden an die Vorgaben des Konzeptes halten. Einige Gemeinden könnten im Überschwang der Harmonie für eine wundersame Infektionsvermehrung sorgen. Eine freikirchliche Konferenz mit über 2.000 Teilnehmern im Februar im Elsass hatte in diesem Zusammenhang für erhebliche mediale Aufregung gesorgt.

Die oben genannte Arbeitsgruppe bestand aus Vertretern der evangelischen, katholischen und orthodoxen Kirche sowie des Zentralrats der Juden und des Koordinierungsrates der Muslime. In der Sache "baldige Versammlungen nach Corona" waren sich alle einig und konnten deshalb konstruktive Ergebnisse erzielen. Eine ungewohnte Einheit wie derzeit in der Großen Koalition.

Allein die Freikirchen mit ihren 1,3 Millionen Mitgliedern waren nicht an der Ausarbeitung der Konzepte beteiligt. Den Freikirchen fehlt ein entsprechender Dachverband. Auch wenn sich die Deutsche Evangelische Allianz als solch ein Dachverband ansieht, scheint sie doch von der Politik nicht wirklich wahrgenommen zu werden. Auch bei ihrer Zielgruppe hat sie eher ein verstaubtes Image, das einmal im Jahr durch die Allianz-Gebetswoche in Erscheinung tritt.

Modernen Freikirchen kann Corona nahezu egal sein. Ihre zahlreichen Gottesdienstbesucher verfolgen die Predigten und den Lobpreis auch gerne von zu Hause aus. Kleingruppentreffen gestalten sie per Videokonferenz. Parallel dazu wird die leidende Gastronomiebranche durch Pizza-Bestellungen unterstützt. Auch wir haben uns inzwischen an internationale Gottesdienste per Livestream gewöhnt.

Freitag, 20. Dezember 2019

Jüdische Militärseelsorge in der Bundeswehr

Annegret Kramp-Karrenbauer unterzeichnet beim Gemeindetag 2019 einen Militärseelsorge-Staatsvertrag mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland.



Auf dem WC standen Eimer mit zwei Henkeln. Auf den Tischen lagen kleine Kreisel mit hebräischen Schriftzeichen. Auf den Servietten stand "100% koscher". Für drei Tage hat der Zentralrat der Juden in Deutschland das Hotel InterContinental gebucht und führte seinen Gemeindetag 2019 durch. Das Programm war vielfältig und ein Blick in die zahlreichen Broschüren verriet, dass auch das Judentum in zwei Bereiche gespalten ist - in orthodox und liberal.

Neben Bundespräsident Steinmeier trat auch Grünenchef Habeck auf. Mein Fokus lag jedoch auf der Unterzeichnung des Militärseelsorge-Staatsvertrages durch Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer. Im Foyer traf ich Sigurd Rink, den Evangelischen Militärbischof. Er sprach von 300 jüdischen Gläubigen in der Bundeswehr und freute sich über diesen historischen Moment.

Pause seit dem Ersten Weltkrieg

Im Ersten Weltkrieg hatte eine sechsstellige Anzahl jüdischer Soldaten an der Seite ihrer deutschen Kameraden gekämpft. Die Motivationsrede des Kaisers zum Einstieg in den Krieg hatte alle Bevölkerungsschichten, Parteien und Ethnien in Gleichheit vereint. Viele aus Russland geflohene Juden hofften auf ein Ende ihrer Diskriminierung und setzen umso mehr ihr Leben und die Gesundheit für das neue "Vaterland" ein. Sie entwickelten innerhalb der Truppe ein aktives jüdisches Leben mit Synagogen, Militärrabbinern und jüdischen Festen. Die Euphorie fand Anfang 1917 mit der sogenannten Judenzählung ihr jähes Ende. Frustriert mussten die Soldaten feststellen, dass sie doch nicht für kompatibel gehalten wurden.

Dann gab es eine etwa 100-jährige Unterbrechung der jüdischen Militärseelsorge. Während evangelische und katholische Seelsorge bereits mit Gründung der Bundeswehr vor über 60 Jahren etabliert wurden, schien es für andere Religionen keinen Bedarf zu geben. In der Zwischenzeit sind die steuerlich nachweisbaren Christen in der Bundeswehr auf die Hälfte abgeschmolzen. Die andere Hälfte wurde durch 3.000 Moslems, 300 Juden, Neuapostolen, Atheisten und Anhänger nordischer Religionen aufgefüllt.

Charme der Militärseelsorge

300 Juden in der Bundeswehr sind schon sehr wenige. Deshalb ist dieser Staatsvertrag eher symbolisch zu betrachten. In der Praxis werden zehn speziell ausgebildete Militärrabbiner durch Deutschland sowie in die Einsatzgebiete reisen und dort ihre jüdischen Gläubigen betreuen. Erklärtermaßen stehen sie aber auch den Christen und anderen Soldaten zur Verfügung. Immerhin hat Militärseelsorge - in Deutschland zumindest - den besonderen Charme der Schweigepflicht. Militärgeistliche laufen bei der Bundeswehr außerhalb der Dienstränge und sind ihrer geistlichen Organisation verpflichtet und nicht dem Militär. Militärpsychologen müssen Berichte anfertigen, die möglicherweise Konsequenzen für den beruflichen Werdegang des jeweiligen Soldaten haben. Die Militärseelsorge kann das etwas geschmeidiger gestalten und wird deshalb auch gerne von Soldaten mit anderen Glaubensansichten konsultiert.

In diesem Zusammenhang wird oft auch nach islamischer Militärseelsorge gefragt. Seelsorge ist im Islam nicht vorgesehen, da dort vieles dem Zufall überlassen wird. Zudem fehlt es auf islamischer Seite an allgemein anerkannten Ansprechpartnern und entsprechenden Studiengängen.

Anlässlich der Unterzeichnung des Staatsvertrages ist auch ein interessantes Buch zum Thema "Militärrabbiner in der Bundeswehr" erschienen. Es stellt ein gutes Ergänzungswerk zu "Können Kriege gerecht sein" von Sigurd Rink dar.

Freitag, 21. Juni 2019

Der Bischof und die wehrhafte Demokratie

Die Bundeswehr ist ungewollt zu einer Parallelwelt der Gesellschaft geworden. Ebenso leben auch Christen als Bundeswehrangehörige in einer christlichen Parallelwelt. Als Sigurd Rink vor einigen Jahren zum ersten Evangelischen Militärbischof berufen wurde, fiel er aus allen Wolken. Er war doch als Friedensaktivist und Fundamentalpazifist bekannt.



Zurzeit übernachte ich öfter in Kasernen als in Hotels. Auch sonst habe ich regelmäßig mit Offizieren und Soldaten zu tun. Deshalb war ich gespannt auf ein Buch, das der Evangelische Militärbischof Sigurd Rink geschrieben hatte: "Können Kriege gerecht sein?"

Sigurd Rink nähert sich dem Thema Christ und militärische Gewalt auf verschiedenen Ebenen an. Zunächst beschreibt er seinen eigenen Werdegang, seine Kindheit im Internat, sein frühes Glaubensumfeld, seinen Einstieg in die Friedensbewegung, seine Herausforderungen im Gemeindealltag und seinen Umdenkungsprozess während des Völkermordes in Ruanda.

Und dann plötzlich die Anfrage, erster Evangelischer Militärbischof zu werden. Bei seiner Buchvorstellung Anfang Juni 2019 sagte Sigurd Rink, dass er wohl schon immer einen "Hang zu Grenzbereichen der Ethik" gehabt habe. Er habe sich bereits mit Geschäftsethik befasst und dafür ordentlich Prügel einstecken müssen - aus den eigenen Reihen.

Sigrud Rink "Können Kriege gerecht sein?"
Evangelischer Militärbischof Sigrud Rink: "Können Kriege gerecht sein?"
Prügel muss er nun auch für dieses Buch einstecken. Seine Familie hat ihm bereits avisiert, dass er jede Menge Exemplare zum nächsten großen Treffen mitbringen solle und man ihn entsprechend auseinander nehmen werde. Der Militärbischof ist aber inzwischen den Gegenwind gewohnt. er sitzt zwischen sämtlichen Stühlen: Familie, Gesellschaft, Bundeswehr, Klerus, alte Freunde. In Gemeindekirchenräten wird diskutiert, ob "so jemand" überhaupt predigen dürfe. Beim Kirchenkaffee nach dem Gottesdienst wird er von aufgebrachten Zuhörern angegangen.

Sigurd Rink sieht das sportlich. Wie ein glatt gewaschener Fels steht er in der Brandung der Angriffe der lieben Geschwister. Weiß er doch, welch einen Segen sein Dienst in der Bundeswehr bringt. Er ist viel unterwegs und besucht die Soldaten an ihren Standorten und im Auslandseinsatz. Wenn er auftaucht, gibt es erst einmal einen Beer-Call, bei dem sich nach Feierabend die Soldaten um ihn scharen und von ihren persönlichen Herausforderungen reden. Erst am Folgetag kümmert sich der Bischof um seine Kollegen vor Ort. Die Militärseelsorge ist nicht in die Strukturen der Bundeswehr eingefügt, sondern agiert als externer Bestandteil. Militärseelsorger haben keine Berichtspflicht und können deshalb über sehr intime und pikante Themen schweigen. Das Vertrauen der Truppe in die Seelsorger ist hoch. Gelegentlich werde ich selbst Zeuge davon.

Der Militärbischof nähert sich mit Ernst, Intelligenz und Offenheit für Umdenkungsprozesse neuen Themen an. Er bildet sich nach Abwägung eines größeren Kontextes eine Meinung und steht dann auch zu dieser. Deshalb enthält das Buch nach der biografischen Einleitung noch weitere Teile. Im zweiten Teil zeigt der Autor, dass sich sämtliche Kirchenväter von Augustinus bis Luther mit dem Thema Christ und Soldat oder Christ und bewaffnete Regierung auseinandersetzen mussten. Er beschreibt deren Denkprozesse und die auch heute noch in der Militärethik genutzten Grundsätze.

Ein besonders langer Abschnitt widmet sich den aktuellen Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Die eigenen Erfahrungen vor Ort bettet er in einen flüssig lesbaren Kontext sicherheitspolitischer Zusammenhänge ein. Immer wieder wird klar: Er bildet sich seine eigene Meinung und vertritt diese auch gegenüber der Verteidigungsministerin. Apropos Verteidigungsministerin: Diese hatte das Buch bereits gelesen und zeigte sich beeindruckt.

Ich fand das Buch sehr hilfreich zur Nachschärfung des eigenen Standpunktes gegenüber der wehrhaften Demokratie. Das Buch und die authentische Persönlichkeit des Schreibers ermutigten mich, ebenfalls zu meiner Meinung zu stehen, auch wenn es Widerstände aus den eigenen Reihen gibt.

Sonntag, 6. Januar 2019

20*C+M+B+19 und der Segen für die Bundesregierung

Auch 2019 sind wieder die Sternsinger unterwegs. Kinder aus dem Bistum Trier besuchten heute den Bundespräsidenten im Schloss Bellevue.



Das Sternsingen startete bereits am 28. Dezember. Traditionell wird jedoch erst am 6. Januar der Bundespräsident besucht. Damit beginnt die offizielle Segnung der Bundesregierung zum Neuen Jahr. Die Tür am Schloss war bereits gesäubert worden. 20*C+M+B+18 hatte Wind und Wetter überdauert und konnte noch bei den letzten Anlässen des Jahres 2018 an der Eingangstür gelesen werden. Nun war Platz für Neues.

Die Kinder aus dem Bistum Trier waren sehr fit mit Texten, Gesang und der Schreibweise des CMB. CMB steht für Christus Mansionem Benedicat und bedeutet, dass Christus die Wohnung/Herberge segnen solle. Die Schreibweise ist etwas kompliziert, ergibt sich aber aus dem Leben von Jesus. Zwischen die Jahreszahl wird zunächst ein Stern als Erinnerung an den Stern von Bethlehem gesetzt. Dann folgen das C und das M und das B sowie der Rest der neuen Jahreszahl - alles getrennt mit drei Kreuzen, die die drei Kreuze von Golgatha symbolisieren: 20*C+M+B+19.

20*C+M+B+19 Sternsinger Bistum Trier Schloss Bellevue Bundespräsident
20*C+M+B+19 Sternsinger aus dem Bistum Trier im Schloss Bellevue
Das Sternsingen setzt auf den "Magiern aus dem Orient" (Matthäus 2) auf. Diese wurden im Laufe der Kirchengeschichte in drei Könige umfunktioniert. Gemäß der Geschenke, die sie für Jesus mitgebracht hatten, bekamen sie dann noch die Namen Caspar, Melchior und Balthasar. Deshalb kleiden sich die Kinder in Samt und Zobelersatz. Auf den Köpfen tragen sie glänzende goldene Kronen. Das passt ja zum Schloss. Wer etwas spendet, bekommt den CMB-Segen an die Tür geschrieben.

Mit den Spendeneinnahmen, die sich in diesem Jahr auf knapp 50 Millionen Euro belaufen, werden 1.436 Projekte in 108 Ländern unterstützt. Fokus der Sternsinger aus Trier lag auf einem Hilfsprojekt für Kinder mit Behinderungen in Peru. Auch der Bundespräsident legte eine Spende ein. Zu diesem Zweck hatte ein Mädchen mit Königskostüm eine kleine goldene Schatztruhe umzuhängen.

Die Sternsinger binden regelmäßig Kinder mit Einschränkungen oder Down Syndrom in die Vorführungen ein. Im Schloss Bellevue wird das mit Wohlwollen aufgenommen. Der Bundespräsident ist nicht nur Mitglied einer sich als sozial bezeichnenden Partei, er lebt auch aktiv christliche Nächstenliebe und Fürsorge für Benachteiligte. Davon konnten wir uns kurz vor Weihnachten in der Wärmestube der Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg überzeugen. Dort hatte er das protokollarische Timing um 20 Minuten überzogen, da er mit den Gästen der Wärmestube - zumeist Obdachlose - ins Plaudern geraten war.

Der königliche Besuch im Schloss zeigt aber auch, dass unsere Politiker Segen und Gebet brauchen. Das 20*C+M+B+19 an der Tür erinnert das ganze Jahr daran, immer mal wieder ein Gebet in die Führungsetagen der deutschen Politik zu senden. Morgen werden Sternsinger aus 27 Diözesen im Kanzleramt erscheinen. Am Dienstag besuchen Sternsinger aus ganz Europa das EU-Parlament in Brüssel. Fehlt jetzt nur noch eine weltweite Aktion mit Besuch bei der UNO.

Freitag, 30. November 2018

Weihnachtsverspannungen und die Familien-Chronik

Christbaumschmuck eignet sich offensichtlich auch zum Sammeln. So hat das Deutsche Historische Museum (DHM) heute eine Sonderausstellung zu diesem Thema eröffnet. Ich habe am Presserundgang teilgenommen.


In der christlichen Szene ist die Nutzung des Weihnachtsbaumes umstritten. Besonders "rechtgläubige" Christen lehnen ihn als heidnisches Symbol ab. Schließlich werde auch in der Bibel nichts vom Weihnachtsbaum berichtet, ganz abgesehen von der Datierung der Geburt Jesu. Alles nur kirchengeschichtliches Beiwerk, das sich irgendwelche Prälaten zur Verweltlichung geistlicher Themen ausgedacht haben.

Die gestern im DHM eröffnete Sonderausstellung zum Christbaumschmuck aus zwei Jahrhunderten konnte die Frage nach dem Ursprung der Weihnachtsbaum-Tradition nicht erschöpfend klären. Fakt ist jedoch, dass der Baum um diese Jahreszeit in vielen Kulturen genutzt wird. So zeigt die Ausstellung eine sehr ambivalente Vermischung religiöser und ethnischer Baum-Behänge.

Christbaumschmuck DHM Deutsches Historisches Museum Sonderausstellung
Christbaumschmuck im Deutschen Historischen Museum (DHM) - Runen für den Julbaum
Wenn ein einschlägig bekanntes Möbelhaus aus Schweden mit seinen Jul-Wochen und dem Austausch des Weihnachtsbaumes gegen Möbel wirbt, liegt dem das nordische Jul-Fest zugrunde. In einer Vitrine war deshalb auch Jul-Schmuck in Form bunt bemalter Runen zu sehen. Diese hatte ein Mann mit straffer NS-Vergangenheit in Dresden gesammelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren plötzlich einige Teile seiner Biografie verschollen. Nicht so seine Julbaum-Runen. Als Experte für völkisches Denken hatte er damals auch über Runengebäck und ähnliches gelehrt.

In der Nachbarvitrine lag dann auch eine Weihnachtsbaumspitze mit Lametta und Hakenkreuz, dazu ein glitzerndes Hakenkreuz für die Zweige und eine plattgedrückte silberne Weihnachtskugel mit einem geprägten Hakenkreuz. Ein Kameramann ergatterte von einem erhöhten Standpunkt aus ein interessantes Motiv: Hakenkreuz hinter Davidstern. Dieser hing nämlich in den Vitrine gegenüber. Neben dem Davidstern hingen der Felsendom, arabische Behänge, Ikonen und der Chanukkaleuchter, alles im Format unserer bekannten Weihnachtskugeln.

Auf 80m² waren 500 Exponate ausgestellt. Die Hälfte davon waren in die "Weihnachtsverspannung" integriert. Diese Verspannung bildete mit gläsernen Köpfen von Marx und Luther, Krippen, Engeln, Kugeln, Menschen, Fahrzeugen und einem zentral verspannten Handy ein Dreieck, das wohl einen Weihnachtsbaum symbolisieren sollte.

Christbaumschmuck DHM Deutsches Historisches Museum Sonderausstellung
Christbaumschmuck im Deutschen Historischen Museum (DHM) - Generationen gehen dahin und dokumentieren das vor dem Weihnachtsbaum.
Interessant war, dass sich am Weihnachtsbaum so manch eine Familienchronik nachvollziehen ließ. So tauchten die Protagonisten als Babys, als Kinder, als Jugendliche, als Soldat, als Offizier und dann gar nicht mehr auf. Andere Personen waren weiterhin dabei, zeigten aber den üblichen biologischen Verfall, bis sie dann auch von den Fotos vor dem Weihnachtsbaum verschwanden. Auch in unserer Familie gibt es die Tradition dieses Gruppenfotos im engsten Kreise. Daran lässt sich ablesen, wann mein Schwager mal wieder auf Weltreise war, wann er seine Freundin kennengelernt hatte, wann unsere Väter gestorben waren, wie der Stand des Übergewichts war und wer gerade den Friseur besucht hatte.

Die Eröffnung der Ausstellung im DHM war gleichzeitig eine Steilvorlage für das Anschalten des Lichtes am Weihnachtsbaum vor dem Schloss Bellevue. Jedes Jahr, am Freitag vor dem ersten Advent, lädt der Bundespräsident Grundschüler aus irgendeiner Stadt in Deutschland ein und singt mit ihnen Weihnachtslieder. Anschließend dürfen sie das Licht einschalten und Kakao mit dem Präsidenten trinken. So auch heute, nur dass das Singen wegen des Regens im Schloss statt auf dem Vorplatz stattfand.

Montag, 10. September 2018

Evangelische Allianz in Berlin

Die Evangelische Allianz kennt Otto Normalchrist eigentlich nur durch die Einladungen zur Gebetswoche Anfang des Jahres. In der letzten Woche besuchte ich ein Meeting von Verantwortlichen der Region Berlin und war überrascht.



Die Allianz-Gebetswoche gilt als das Flaggschiff der Deutschen Evangelischen Allianz. Grau-weißes Haar, muffige Gemeinderäume, uralte Lieder und Absitzen einer Pflichtveranstaltung sind die Assoziationen, die sich bezüglich der Gebetswoche eingebrannt haben. Die Allianz-Gebetswoche findet immer im Januar statt - oft begleitet von Kälte, Nässe, Schnee.

Entsprechend war auch meine Erwartungshaltung, als ich am Freitag die EFG Tempelhof ansteuerte. Einmal im Jahr trifft sich dort die Evangelische Allianz der Region und beredet die nächsten Aktivitäten. Als ich den Raum betrat, war ich jedoch überrascht:

Überraschung beim Alter

Etwa die Hälfte der Anwesenden war jünger als ich. Dynamische Pastoren aus Pankow, Prenzlberg oder Westend saßen an den Tischen und interessierten sich für eine Durchdringung der Stadt mit christlichen Inhalten. Eine Frau aus Tegel berichtete über das interkonfessionelle Gebet und Gebetskreise am Gymnasium ihrer Tochter. In Berlin gebe es sogar ein Gebetshaus, das 24/7 ausgelastet sei.

Es tut sich also etwas in Berlin. Insbesondere ist eine gravierende Verjüngung der Beter selbst festzustellen. Die jungen Aktivisten interessieren sich nicht mehr für konservierte Formen einer Januar-Gebetswoche, sondern beten, wo und wann es gerade passt. Eine ältere Teilnehmerin hatte sich das Frühgebet von Berufstätigen angeschaut und war beeindruckt über das Aufstehen zu nachtschlafender Zeit und die Intensität der Gebete.

Klimaveränderung in der Großstadt

Wie das Beispiel New York City zeigt, kann gemeinschaftliches Gebet und überkonfessionelles Handeln das Klima einer ganzen Stadt verändern. In New York City wurde klar definiert, dass eine große Stadt viele verschiedene Gemeinden braucht, um viele verschiedene Menschen erreichen zu können. Dort wird Diversität in Einheit gelebt - mit geistlichem Erfolg. Die Evangelische Allianz in Berlin hat auch solch ein Potenzial. Flankiert durch die drastische Verjüngung kann dieses Potenzial zur Entfaltung gebracht werden.

Von einmal pro Woche zu einer Woche pro Jahr

Als die Evangelische Allianz 1846 gegründet wurde, gab es eine Aufbruchsstimmung unter den evangelischen Christen. Die drei wichtigsten Ergebnisse der Gründungskonferenz in London waren das gemeinsame Gebet einmal pro Woche, die aktive Vernetzung von Gemeinden und ein Lebensstil, der Christen in der Gesellschaft sichtbar macht.

Das Gebet pro Woche wurde inzwischen auf eine Woche pro Jahr reduziert. Die anderen beiden Werte werden durch neue Gemeinden in der Stadt disruptiert. Das heißt, neue Gemeinden leben das einfach, während etablierte Gemeinden lieber im eigenen Saft schmoren und mal eben zur Allianz-Gebetswoche auf regionale Einheit machen.

Bei unseren Wanderungen durch die Stadt haben wir mehrere Parallelwelten erlebt, die oft nur wenige Meter voneinander entfernt existieren. Trotz sehr ähnlicher theologischer Prägung, gibt es keine Verzahnung. Dabei könnten Synergien entstehen, die sich positiv auf sämtliche Bereiche auswirken würden.

Gemeinsam

Die Evangelische Allianz in Berlin arbeitet sehr eng mit dem Gemeinsam für Berlin e.V. zusammen. Dieser verfolgt als Nebenschauplatz die gleichen Ziele wie die Allianz und bringt sogar Katholiken, Kopten und Orthodoxe an einen Tisch. Bei EINS sitzen die Christen unterschiedlicher Denominationen nicht nur an einem Tisch. Sie beten auch gemeinsam, haben gemeinsame Andachten und informieren sich gegenseitig über ihre Freuden und Herausforderungen. Daraus kann eine Bewegung entstehen, die tatsächlich die Stadt verändert - positiv wie New York City.

Das Treffen in der EFG Tempelhof war also eine positive Erfahrung mit einer Bewegung, die ich bisher als verstaubt und wenig relevant wahrgenommen hatte. Deshalb nahm ich mir eines der Informationshefte zur "Verantwortung der Christen in Staat und Gesellschaft" mit. Die Evangelische Allianz setzt sich nämlich auch im politischen Umfeld für biblische Werte ein und hat in Uwe Heimowski einen kompetenten Vertreter bei der Bundesregierung.

Die Evangelische Allianz bildet die Schnittmenge aus Christen, die ihre Basis in Jesus und der Bibel sehen und theologische Unterschiede wie das Tauf-Alter, die Form des Abendmahls, die Leitungsstrukturen und andere Sekundärthemen um der Einheit willen außen vor lassen können.

Sonntag, 27. Mai 2018

60 Jahre Aktion Sühnezeichen

Auch in diesem Jahr gibt es wieder viele Geburtstage. Heute feierte Aktion Sühnezeichen sein 60. Jubiläum. Ich besuchte dazu den Gottesdienst in der Französischen Friedrichstadtkirche.



So früh war ich wohl noch nie zum Gottesdienst erschienen: 60 Minuten vor Beginn. Nach einer kurzen Personen-Kontrolle betrat ich den Saal. Schon etwa die Hälfte der Plätze waren besetzt oder mit Taschen und Jacken reserviert worden. In der zweiten Reihe erspähte ich einen Stuhl ohne Tasche, Jacke oder Handtuch. Er war tatsächlich noch frei.

Die Tasche neben mir gehörte einer älteren Dame, die freundlich grüßte und sich als Frau eines Aktivisten von Sühnezeichen vorstellte. Sie sei aus Leipzig angereist und fragte, wie ich denn mit der Aktion Sühnezeichen verbandelt sei. "Gar nicht", sagte ich und verwies auf den Terminkalender des Bundespräsidenten. Dieser sollte am Gottesdienst und dem anschließenden Festakt teilnehmen. Deshalb auch die Anmeldung mit Name und Geburtsdatum, die Kontrollen am Eingang und das gelbe Bändchen mit der Aufschrift "Bundeskriminalamt".

Frank-Walter Steinmeier erschien recht unspektakulär 10 Minuten vor der Zeit. Zunächst stand er unbeachtet am Eingang - und stand und stand. Dann war der Chorleiter mit seinen Ansagen fertig und der Bundespräsident wurde offiziell begrüßt. Er durfte in der ersten Reihe direkt vor dem Altarbereich sitzen. Elke Büdenbender - seine Frau - war nicht dabei.

Normalerweise ist der Spitzenpolitiker das Maß aller Dinge und bestimmt mit seinem Erscheinen den Beginn. In der Französischen Friedrichstadtkirche war das heute anders. Zehn Minuten des Wartens, zehn Minuten der Stille. Keiner betrat mehr den Saal. Die Uhr des Organisten bestimmte den Beginn: Punkt zehn griff er in die Tasten.

Während des Gottesdienstes erfuhren wir viel über Aktion Sühnezeichen. So sei die Organisation aus dem Impuls entstanden: "Man kann es einfach tun". Die Betonung liegt auf dem Tun. Der sperrige Begriff Sühnezeichen wurde bewusst gewählt und auch über die Jahrzehnte beibehalten, da kein passenderes Wort gefunden werden konnte.

Wofür aber Sühne? Zwischen 1938 und 1945 war ein Drittel der gesamten jüdischen Weltbevölkerung ausgelöscht worden. Daran waren maßgeblich Menschen aus Deutschland beteiligt: als aktive Täter, Desinteressierte oder willige Masse. Solch ein Genozid schreit nach Vergeltung. Sühne kann also einerseits mit Rache zur Vergeltung angegangen werden oder andererseits als Reue und Wiedergutmachung. Aktion Sühnezeichen hat sich der letzteren Form verschrieben und setzt seit 1958 auf konkrete Hilfe für Überlebende und deren Nachkommen.

Bischof Dröge predigte über 5. Mose 32, 46-47 und kam über die Brücke der zehn Gebote immer wieder auf das Tun von Aktion Sühnezeichen zurück. Wenn jemand schuldig geworden sei, solle er um Vergebung bitten. Die Aktion Sühnezeichen sei eine "tatkräftige Bitte um Vergebung".

Dieser Gottesdienst machte bewusst, dass die Pogrom-Nacht von 1938 auch eine göttliche Dimension hatte. Damals waren in Berlin 9 von 15 Synagogen zerstört worden. Die Schriftrollen mit dem Gesetz - also auch den 10 Geboten - waren herausgeholt, zerschnitten und verbrannt worden. Markus Dröge kennt die protestantische Denkweise, die dem Gesetz normalerweise so begegne, dass der Freiheit in Christus der Vorrang eingeräumt werde. Zu Deutsch: "Wir müssen nichts tun".

Aktion Sühnezeichen tut und hat dabei keine Nachwuchs-Probleme. In den 60 Jahren des Bestehens waren etwa 25.000 Menschen losgezogen und haben Zeichen der Sühne getan. Hauptfokus: Israel. Das Aufgabenspektrum ist inzwischen gewachsen. Es geht um Hilfe für Behinderte, Minderheiten, Flüchtlinge, Sinti und Roma sowie um zivilen Ungehorsam und Akzente gegen Populismus.

Aktion Sühnezeichen hatte für heute Mittag auch zur Gegendemonstration anlässlich einer AfD-Veranstaltung vor dem Hauptbahnhof aufgerufen. Diese Demo zog sich relativ ungeordnet über das Regierungsviertel bis zur Friedrichstraße. Nach dem Gottesdienst mit Aktion Sühnezeichen hatte ich mich mit meiner Familie an der Kalkscheune verabredet. Dort wurden wir Zeugen, wie es aussieht, wenn es auf den Straßen Berlins brennt. Diesmal brannten - wenige Meter von der Synagoge in der Oranienburger Straße entfernt - keine Thora-Rollen, sondern Mülltonnen.

Donnerstag, 12. April 2018

Lunch mit dem Bischof

Schon mehrfach wurden hier die Parallelwelten in der christlichen Szene erwähnt. Oftmals existieren diese nur wenige Meter voneinander entfernt und kommen einfach nicht zusammen. Gestern gab es eine Begegnung mit der Parallelwelt Bundeswehr. In der City traf ich den evangelischen Militärbischof Dr. Sigurd Rink zum Lunch.



Während die Bundesregierung in Meseberg über Abgase von Diesel-Fahrzeugen und andere wichtige Dinge redete, genossen wir die Sonne in der City West. Am Tisch vor dem Savoy saßen der evangelische Militärbischof Dr. Sigurd Rink, sein persönlicher Referent Dr. Klaus Beckmann und der bischöfliche Pressereferent Dr. Roger Töpelmann.

Im Terminplan des Bischofs ist wenig Luft. Er ist viel unterwegs, bereist die Einsatzgebiete und Standorte der Bundeswehr, ist in seiner regionalen Kirchengemeinde aktiv und trifft sich regelmäßig mit Pastoren zum Austausch. So hatte es einige Wochen gedauert, bis ein passender Termin gefunden war: Mittwoch nach Quasimodogeniti 2018.

Evangelischer Militärbischof Sigurd Rink
Evangelischer Militärbischof Dr. Sigurd Rink (links) und sein persönlicher Referent Dr. Klaus Beckmann (rechts) - in der Mitte eine Blume und ein unbekanntes Double von Alexander Garth
Bemerkenswert war, dass die drei Doktoren nicht selbst das Wort ergriffen, sondern ein unmittelbares Interesse an meiner Firma und der persönlichen geistlichen Entwicklung zeigten. War ich ungeplant in eine Seelsorge-Sitzung geraten? Der Bischof und seine Mitarbeiter hatten ein offenes Ohr und stellten Fragen über Fragen. Dabei wollte ich doch Sigurd Rink kennenlernen und erleben, wie er tickt und wie er bestimmte geistliche Themen sieht.

Christliche Parallelwelten

Die christliche Szene in Deutschland hat ja generell ein gespaltenes Verhältnis zur Bundeswehr. Um Militärseelsorger und Christen in der Bundeswehr macht der Otto Normalchrist einen großen Bogen. Pazifismus gehört zum guten Ton. Dabei fühlen sich 56% der Bundeswehrangehörigen einer der großen Volkskirchen verbunden - mit einem leichten Übergewicht zugunsten der Protestanten.

Sigurd Rink war durch den Völkermord in Ruanda (2014) nachdenklich geworden. Paulus und Petrus sprechen im Neuen Testament vom Sinn der obrigkeitlichen Gewalten als bewaffnete Ordnungshüter. Bestätigt wurde der Militärbischof durch die Kriegsleute-Schrift von Martin Luther (1526). Luther greift Bibelpassagen wie Römer 13 auf und entwickelt daraus die so genannte Zwei-Regimente-Lehre. Regiment ist hier im Sinne von Regierung zu verstehen. Das erste Regiment führt Gott und das zweite der Staat. Der Staat ordnet sich idealerweise den ethischen Grundsätzen der Bibel unter. Moral und Ethik sind Dreh- und Angelpunkt der Kriegsleute-Schrift. Am Ende der Ausführungen wünscht sich Luther noch viel mehr Christen in der Armee, die entsprechend positive Akzente setzen könnten.

Traditionserlass und christliche Wurzeln

Der neue Traditionserlass der Bundeswehr enthält viele dieser ethischen Grundlagen, obwohl Gott nicht ein einziges Mal darin erwähnt wird. Die Begleitung des Prozesses zur Erarbeitung der neuen Richtlinien offenbarte eine tiefe Verwurzelung von Offizieren und Generälen im christlichen Glauben. Ein Grund dafür ist die Herkunft aus den alten Bundesländern und die natürliche christliche Sozialisierung. Allerdings gehört auch Mut dazu, seinen Glauben offen zu bekennen. So sei den studierten Theologen aufgefallen, dass prozentual mehr Christen in der Bundeswehr zu finden seien als im wirtschaftlichen Kontext.

Hilfe bei PTBS und das Ohr an der Truppe

Der hohe ethische Standard bei Bundeswehrangehörigen wird auch bei der Behandlung Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) sichtbar. Innere Konflikte entstehen nicht nur durch eigenes Leid, sondern auch durch die Verletzung oder Tötung von Gegnern. Die Auslandseinsätze produzieren derzeit etwa vier neue PTBS-Fälle pro Tag. Das ist eine beachtliche Zahl, die durch Fachpersonal der Bundeswehr und eben auch die Seelsorger behandelt wird. Roger Töpelmann warf mit merklichem Stolz ein, dass die Militärseelsorge erhebliche Erfolge bei der Minderung und Überwindung von PTBS habe. Es gibt sogar eine Bundeswehr-App mit dem Namen Coach PTBS.

Die Militärseelsorge ist zwar eingebettet in die Truppe, steht aber administrativ daneben. Durch die Einbettung erleben die Seelsorger den Alltag der Soldaten und können sich ohne große Erklärungen in deren Umstände hineinversetzen. Sie sind an das Seelsorge-Geheimnis gebunden und dienen deshalb als Anlaufstelle für Themen, die sonst niemand erfährt. Auch Toxic Leadership (vergiftende Leitung) kann in der Seelsorge angesprochen werden. Es wird dann nach Lösungswegen gesucht.

Evangelischer Militärbischof Sigurd Rink
Evangelischer Militärbischof Dr. Sigurd Rink in seinem Büro
Gehen statt auf Kommende warten

Was Militärgeistliche an ihrer Arbeit reizt, ist die Gehen-Mentalität in der Bundeswehr. Die Ortsgemeinde lebt vom Kommen: Anwohner kommen in die Kirche. Bei der Bundeswehr geht der Pfarrer an die Standorte, in den Einsatz, zur Truppe. Rumsitzen und auf Zuhörer warten? Das funktioniert bei der Bundeswehr nicht. Es gilt, einen Draht zur Truppe aufzubauen. Auch wenn keine aktive Mission betrieben wird, so entscheiden sich doch immer wieder Soldaten für eine Taufe und eine Lebensausrichtung auf das Vorbild Jesus Christus.

Apropos Jesus Christus: Der immer stärker werdende Migrationsanteil unter den Soldaten bringt neue Herausforderungen für die Seelsorge mit sich. Die wenigen Juden werden zumeist von regionalen Synagogen betreut. Moslems kennen keine Seelsorge. Dennoch konsultieren sie christliche Seelsorger, die wiederum sehr positive Erfahrungen mit den Moslems machen. Auch wenn es im Militärseelsorgevertrag von 1957 anders steht, sind die Seelsorger offen für alle Soldaten, deren Seele eine Sorge hat. Das kann ein Katholik, ein Orthodoxer, ein Moslem, ein Freikirchler oder ein Humanist sein. Da der Seelsorger seiner Kirche untersteht, wird er sich jedoch nicht verbiegen und die Eigenheiten der anderen Denomination adaptieren.

Militärseelsorger ohne Uniform

Die Herren am Tisch waren froh darüber, dass die Militärgeistlichen in Deutschland nicht in die Armeestrukturen eingebunden sind. In anderen Ländern ist das anders geregelt und die Pfarrer tragen sogar Uniformen. Uniformen hebeln zudem die Seelsorgekompetenz aus, da die Geistlichen dem zweiten Regiment (Staat) unterstellt sind. Sigurd Rink führte in diesem Zusammenhang Predigten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg an, die als Sahnehäubchen für die Kampfmoral gedient hatten und weit entfernt waren von verantwortungsvoller christlicher Lehre.

Die Authentizität und Kompetenz, mit der die drei Gesprächspartner von ihrer Arbeit und ihrem Glauben erzählten, überzeugten mich davon, dass Bischof Rink der richtige Mann am richtigen Platz ist. Ein enger Mitarbeiter der Ministerin hatte mir vorab schon mitgeteilt, dass Sigurd Rink "sehr sehr nett" sei. Das fand ich bestätigt.

Montag, 8. Januar 2018

Souveräner Malteser Ritterorden

Die Malteser tragen das Kreuz im Wappen. Die Malteser kennt man von karitativen Einrichtungen und die Malteser haben sogar einen Botschafter, der Teil des Diplomatischen Korps ist. Heute wurde ein Ordensritter im Schloss Bellevue akkreditiert.



Der Bundespräsident ist als Protestant bekannt. Dennoch schaut er gerne über den ökumenischen Tellerrand. Im Juni letzten Jahres hatte er sich mit dem Patriarchen von Konstantinopel getroffen und war im Oktober zu einer Privataudienz beim Papst geflogen. Am Samstag hatte er die katholischen Sternsinger im Schloss Bellevue empfangen und heute stand die Akkreditierung des neuen Botschafters des Souveränen Malteser Ritterordens auf dem Plan.

Baron Maciej Heydel heißt Seine Exzellenz und stammt aus Polen. Er ist 56 und Unternehmensberater. In der polnischen Politik hatte er auch schon mitgewirkt. Die Google-Ergebnisse zum Ritterorden sind nicht so repräsentativ, dass man hier weiter drauf eingehen sollte. Hier verweise ich auf meine Erfahrungen bei der Suchmaschinen-Optimierung, auch SEO genannt.

Malteser Ritterorden Botschafter akkreditiert
Souveräner Malteser Ritterorden - Baron Maciej Heydel als Botschafter akkreditiert
Der Orden des Heiligen Johannes - gemeint ist Johannes der Täufer - wurde 1048 gegründet. Das war die Epoche der Kreuzzüge. Die ersten Immobilien waren eine Kirche, ein Hospital und ein Konvent. Der Orden hatte einen stark diakonischen Fokus und drei Hauptregeln: Armut, Enthaltsamkeit und Gehorsam. Bedingt durch die interreligiösen Konflikte im Nahen Osten kam noch die Komponente der Verteidigung hinzu. Dabei wurde eine weitere Regel aufgestellt: Waffen dürfen nicht gegen Christen erhoben werden.

1113 wurden dem Ritterorden seitens der Kirche gewisse Freiheiten eingeräumt, so dass vielfach theologische Laien zum Einsatz kamen. Während in Deutschland die Reformation im Gange war, nahmen die Ritter die Mittelmeerinsel Malta in Besitz. Das war 1530. Der heutige Name war demnach erst 500 Jahre nach der Gründung entstanden. Mit Malta stand dem Orden erstmals eigenes Land zur Verfügung.

Die geografische Lage und der Wunsch, das eigene Land zu behalten, ließen die Malteser zu einem effektiven Grenzposten gegenüber dem Osmanischen Reich werden. Ihre Stärken lagen im Kampf zur See. Neben den Osmanen hielten sie auch die Piraten aus Nordafrika fern. 1571 gelang ihnen bei der Seeschlacht von Lepanto ein entscheidender Schlag gegen die Osmanen. Dabei verloren die islamischen Gegner mindestens 100 Schiffe und etwa 30.000 Soldaten ihr Leben.

1798 übernahm der clevere Napoleon die Insel Malta. Die ritterliche Regel, nicht gegen Christen zu kämpfen, verhinderte den Widerstand gegen die Franzosen. Stattdessen zog sich der Orden auf das europäische Festland zurück. Im 20. Jahrhundert verschob sich der Schwerpunkt wieder zugunsten karitativer Aufgaben. Während der beiden Weltkriege gab es in dieser Hinsicht viel zu tun. So sind die Malteser heute eher als Hilfsdienst bekannt und weniger als Souveräner Malteser Ritterorden.

Samstag, 6. Januar 2018

20*C+M+B+18 Sternsinger aus der Diözese Eichstätt im Schloss Bellevue

Die Sternsinger kamen in diesem Jahr aus der Diözese Eichstätt. Gegen elf klopften sie im Schloss Bellevue an. Ihnen wurde geöffnet und sie durften den Segensspruch 20*C+M+B+18 an die Tür schreiben.



Als ich kurz nach halb elf eintraf, war das Atrium des Präsidialamtes mit Kleinen und Großen gefüllt. Die Kleinen hatten stabile goldene Kronen auf den Köpfen und waren in lange bunte Umhänge gehüllt. Ich bahnte mir den Weg zum WC und machte dabei noch ein Gruppenfoto vor dem Weihnachtsbaum. Anschließend waren die gut 20 Presseleute verschwunden. Ich eilte ihnen nach und fand noch eine gute Bildposition vor dem Schloss.

20*C+M+B+18 Sternsinger Diözese Eichstätt Schloss Bellevue
20*C+M+B+18 Sternsinger der Diözese Eichstätt im Schloss Bellevue
20*C+M+B+18

Vor wenigen Tagen war mir eher zufällig aufgefallen, dass die Buchstaben des CMB-Segens im letzten Jahr falsch herum an die Schloss-Tür geschrieben worden waren: 20*C+B+M+17. Ein Pressekollege stellte den lateinischen Segen "Christus mansionem benedicat" um und bemerkte, dass der Sinn auch mit CBM gegeben wäre. Beim Winterurlaub am Fuß von Schloss Neuschwanstein hatten wir gesehen, dass auch in katholischen Regionen kaum jemand die korrekte Schreibweise des CMB beherrscht. Eine besondere Vielfalt war bei der Setzung von Stern und Kreuzen zu entdecken.

20*C+M+B+18 Sternsinger Diözese Eichstätt Schloss Bellevue
Eva schreibt 20*C+M+B+18 an die Eingangstür von Schloss Bellevue
Die korrekte Schreibweise zeigten uns heute die Kinder aus der Diözese Eichstätt. Eine Diözese ist ein kirchlicher Verwaltungsbezirk und wird auch Bistum genannt, da diesem Bezirk ein Bischof vorsteht. Im evangelischen Sprachgebrauch nennt man solch einen Bezirk auch Sprengel.

Klopft an und es wird euch aufgetan!

Zunächst liefen die Kinder um den großen Weihnachtsbaum vor dem Schloss, bogen dann auf den Weg ein, den die Staatsgäste befahren und nahmen schließlich auf der Treppe ihre Positionen ein. Die Kronen glänzten in der Wintersonne. Es war kühl, aber nicht windig. Sterne aus Holz wurden justiert. Eva, Elisabeth und Jonas machten sich bereit für den großen Auftritt. Kurzes Zögern - Klopfen!

20*C+M+B+18 Sternsinger Diözese Eichstätt Schloss Bellevue
Sternsinger betreten das Schloss Bellevue
Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender öffneten die Tür und wurden von den Kindern begrüßt. Nach einem Lied wurde die Tür ein weiteres Mal geöffnet und eine Leiter kam zum Vorschein. Eva durfte den Segensspruch an die Tür schreiben. Diesmal auf den linken Flügel. Zufall oder politische Korrektheit?

Es folgten zwei weitere Strophen von "Seht ihr unsern Stern dort stehen". Dann durften die kleinen Gäste mit den goldenen Kronen das Schloss betreten. Wir nahmen einen anderen Weg und trafen die Sternsinger im großen Saal wieder. Zur plüschigen Bundesfahne hatten sich zwei Königsgruppen gesellt. Die Kinder mit den Blasinstrumenten standen am Fenster zum Garten. Als auch die begleitenden Eltern und Prälaten im Saal waren, kamen der Präsident und seine Gattin.

Gottes Segen ist das Wichtigste!

Neben mehreren Liedern gab es eine kurze Rede des Präsidenten, in der er sagte, dass der Segen Gottes das Wichtigste ist. Segen gab es viel an diesem Vormittag. Draußen an der Tür und im großen Saal. Den Abschluss bildete ein Segenslied zum gestrigen 62. Geburtstag von Frank-Walter Steinmeier.

60 Jahre, Indien und Kakao

Die Sternsinger besuchen den jeweils amtierenden Bundespräsidenten seit 1983 - damals noch Karl Carstens in der Villa Hammerschmidt (Bonn). Das "Dreikönigssingen" ist fast so alt wie Herr Steinmeier und dient der Sammlung von Spenden für Not leidende Kinder.

20*C+M+B+18 Sternsinger Diözese Eichstätt Schloss Bellevue
Sternsinger nehmen die Spende des Bundespräsidenten und seiner Gattin entgegen
Heute bekamen die Sternsinger eine Spende für Minderjährige in Indien, die durch Bildung und alternative Erwerbsmöglichkeiten aus diskriminierenden Situationen herausgeholt werden können. Zur Untermalung stellten die kleinen Könige eine Szene aus dem indischen Arbeitsalltag dar. Als der gesundheitsschädliche Staub aus dem bunten Material geklopft wurde und das Präsidentenpaar umnebelte, klackerten die Kameras.

Kein Kinderbesuch ohne Kakao. Die Kleinen strömten in den Salon Luise und die Schlossdiener eilten ihnen mit den Kakao-Tabletts hinterher. Ich verließ den goldigen Schauplatz und machte noch ein Foto von der Schrift an der Tür.

Video:
Sternsinger aus der Diözese Eichstätt im Schloss Bellevue

Sonntag, 24. Dezember 2017

Stallweihnacht in Bad Reichenhall

Die Stallweihnacht in Bad Reichenhall hat Tradition und zieht Gäste aus dem gesamten Bundesgebiet an. Ein Pressekollege war vor Ort und animierte mich zu diesem Artikel.



An der Mütze von General Pfeffer scheiden sich die Geschmäcker. General Pfeffer leitet das Einsatzführungskommando und ist damit für die Auslandseinsätze zuständig. Seine Mütze ist hellgrau, leicht zerknautscht und mit einem Blümchen versehen: Edelweiß. Er trägt die Mütze mit Stolz. Zeichnet sie ihn doch als Angehörigen der Gebirgsjäger aus.

Gebirgsjäger Stallweihnacht Bad Reichenhall
Edelweiß - Zeichen der Gebirgsjäger
Tragtiere und Gebirgsjäger

Gebirgsjäger haben nichts mit Wildschweinen, Wölfen, Bären oder Rehen zu tun.

Gebirgsjäger jagen durch unwegsames Bergland und gelten als eine der agilsten Truppen der Bundeswehr. Dort, wo Hubschrauber und Fahrzeuge versagen, klettern die Gebirgsjäger durch das Gelände. Logistische Hilfe bekommen sie durch Tragtiere. Diese tragen die Jäger oder deren Lasten. Fast so wie damals, als sich Maria und Joseph auf den Weg nach Bethlehem machten.

Schon Esra räumte den Tragtieren eine besondere Bedeutung ein. Er zählte diese zusammen mit den Priestern und Leviten auf: 736 Pferde, 245 Maultiere, 435 Kamele und 6.720 Esel (Esra 2, 66-67).

Die Tragtier-Kompanie der Gebirgsjäger ist in Bad Reichenhall stationiert. Bad Reichenhall liegt so tief im Südosten Bayerns, dass es nicht mehr weit bis zur Adria ist.

Tradition seit 1962

Fern von der Heimat wollten es sich die jungen Soldaten 1962 etwas gemütlich machen. Sie beschenkten die Tiere mit Äpfeln und improvisierten eine kleine Weihnachtsfeier mit Liedern und Lukas-Evangelium. In den folgenden Jahren kamen auch Verwandte dazu, so dass die Location bald gewechselt werden musste. Den Verwandten folgten Gäste aus Deutschland und der ganzen Welt. Mitte Dezember fand in Bad Reichenhall die 56. Stallweihnacht statt. Es gab eine Aufführung für Kinder und drei Aufführungen für Erwachsene.

Der Bischof

Erstmalig war auch der Evangelische Militärbischof Dr. Sigurd Rink dabei. Er zeigte sich sehr beeindruckt und sprach die Empfehlung aus, diese Tradition an sämtlichen Standorten im In- und Ausland zu etablieren: Weihnachtslieder und Weihnachtsgeschichten nach Matthäus und Lukas.

Die Gebirgsjäger sind dabei noch nah bei ihren Verwandten. Anders sieht es bei den Soldaten in Mali, Afghanistan und den weiteren 13 Einsatzgebieten aus. Sigurd Rink besucht regelmäßig diese Standorte und kümmert sich um die seelsorgerliche Betreuung.

Stallweihnacht 2017 Bad Reichenhall - Foto Militärseelsorge Roger Töpelmann
Stallweihnacht 2017 in Bad Reichenhall - Foto Militärseelsorge / Töpelmann
Tragtierwesen 230

Die Stallweihnacht wurde in diesem Jahr von 18 Darstellern der 23. Gebirgsjäger-Brigade und des Einsatz- und Ausbildungszentrums für Tragtierwesen 230 gestaltet. Es traten zudem Maultiere, Schafe, Gämsen, Hirtengruppen, regionale Musiker und der Volksliederchor Inzell auf. Jedes Jahr gibt es einen Wettbewerb um den Zuschlag für die musikalische Mitarbeit.

An die Musiker werden bestimmte Anforderungen gestellt. Sie müssen nämlich auch Alphörner, Hackbretter, Saitenbläser, Tuba, Bassflügelhörner, Kontrabässe, Zithern oder Klarinetten bedienen können.

Vielen Dank übrigens an Dr. Roger Töpelmann aus dem Pressestab des Militärbischofs. Er war vor Ort und hatte mir den finalen Anstoß zu diesem Artikel gegeben.

Montag, 18. Dezember 2017

Bahnhofsmission am Zoo: Schwester Inge und andere wichtige Leute

Die Bahnhofsmission der Stadtmission ist eine prominente Einrichtung, die das soziale Engagement von Christen, Wirtschaft und Politik widerspiegelt. Heute war ich dabei, als Bundespräsident Steinmeier die Bahnhofsmission am Zoo besuchte.



"Hat sie der Bazillus auch schon erwischt?", wollte Schwester Inge wissen. Die pensionierte Schwester mit dem schlichten grauen Gewand und dem weißen Häubchen blickte mich mit ihren gütigen Augen an. Sie meinte den Bazillus ansteckenden Glaubens an Jesus. Als ich das bestätigte und hinzufügte, dass das wohl der einzige Bazillus sei, der keinen Heilungsprozess benötige, freute sie sich noch viel mehr.

Schwester Inge hatte ich bereits vor einem Jahr erlebt, als Joachim Gauck die Bahnhofsmission besucht hatte. Fünf Tage später fand der Anschlag auf den Breitscheidplatz statt. Letzterer jährt sich morgen - eine tragische Terminverknüpfung. Ich fragte Schwester Inge, ob der damalige Bundespräsident sein Versprechen eingelöst habe. Er wollte zum Abwaschen kommen. Ja, das habe er wenige Wochen nach Ende seiner Amtszeit in die Tat umgesetzt.

Bundespräsident Steinmeier Bahnhofsmission Stadtmission
Frank-Walter Steinmeier im Gespräch bei der Bahnhofsmission der Stadtmission
Als wir auf Christen in der Bundespolitik zu sprechen kamen, erfuhr ich vom Engagement Steinmeiers für die Bahnhofsmission. Er habe eine Fahrt mit dem Kälte-Bus absolviert, habe Essen ausgeteilt, sei maßgeblich an der Finanzierung der Hygienestation beteiligt und habe seine Doktorarbeit sogar über das Thema "Bürger ohne Obdach" geschrieben. Wieder leuchteten die Augen von Schwester Inge.

Einige der Punkte wiederholte der Bundespräsident in seiner Begrüßungsrede. Zudem sei er das vierte Mal innerhalb der letzten zwei Jahre bei der Stadtmission. An diesem Ort zeige sich, was "in der Gesellschaft noch zu erledigen ist". Er dankte "denen, die sich kümmern". Die Gäste erfuhren ferner, dass die Deutsche Bahn um die 500 Mitarbeiter für "Servicetage" in der Bahnhofsmission freistellt. Die Obdachlosen am Bahnhof Zoo kommen aus 80 Nationen. Das ist mehr als in den bekannten multi-ethnischen Gemeinden der Stadt.

Bundespräsident Steinmeier Bahnhofsmission Stadtmission
Elke Büdenbender im Gespräch bei der Bahnhofsmission der Stadtmission
"RBB", schallten Kinderstimmen durch den Raum, als eine weitere Kamera hereingetragen wurde. Eine Gruppe von Schülern hatte sich mit Obdachlosigkeit beschäftigt und ein Theaterstück dazu gestaltet: "Das andere Einmaleins". Sie führten den Akt "8x8 - gestohlen in der Nacht" auf. Wir wurden zudem Zeugen des neuen Kino-Spots der Stadtmission. Nur das ZDF hatte ihn vorab sehen dürfen. Darin redet ein Obdachloser mit vorbeihetzenden Passanten, fühlt sich in diese hinein und stellt dann fest: "Nur wie sich ein Zuhause anfühlt, weiß ich nicht mehr so genau."

Dann wechselten wir den Raum. Kameraleute drängten sich hinter die Absperrung im Speisesaal. Zwei Stühle am zentralen Tisch waren frei. Weihnachtsgebäck, Kaffeetassen mit Löffel und rote Servietten. Am präsidialen Geschirr-Spülbecken hatte ich ein wenig Bewegungsfreiheit - direkt hinter der ARD und deren Plüschmikrofon.

Einer der Mitarbeiter mit den markanten blauen Jacken bot der Presse seelsorgerliche Gespräche an. Es sei noch nicht zu spät für eine Bekehrung. Mission wird hier also wörtlich genommen.

Bundespräsident Steinmeier Bahnhofsmission Stadtmission
Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit Mitarbeitern der Bahnhofsmission
Dann kamen auch der Bundespräsident und seine Gattin. Er bat sie, an einen anderen Tisch zu gehen und setzte sich selbst auf einen der beiden freien Plätze vor mir. "Wo übernachten Sie?", fragte er den hageren Mann gegenüber. Zerzaustes Haar, langer Bart. Die First Lady, Elke Büdenbender, unterhielt sich angeregt am Nachbartisch. Durch die Aufteilung des Präsidentenpaares konnte jeder Tisch bedient werden. Beide wechselten die Plätze und unterhielten sich mit den Mitarbeitern und Stammgästen der Bahnhofsmission.

Über der Szenerie fiel der Blick immer wieder auf das Kreuz an der Wand. Jesus - in unsichtbarer Anwesenheit - hat sich bestimmt gefreut.

Freitag, 1. Dezember 2017

Christ erscheint vor dem 1. Advent

Die Ereignisse des heutigen Tages bieten eine Steilvorlage für Predigten zum ersten Advent. Während vier Sonntage lang symbolisch auf die Ankunft (Adventus) von Jesus gewartet wird, ist heute in Berlin der Christ erschienen.



Eine bunte Schar einfacher Menschen blickte auf den großen Stern - Herrnhut. Dieser wird in wenigen Tagen das Innere des Präsidialamtes erhellen. Die rauen Männer und wenigen Frauen waren in ihrer Arbeitskleidung gekommen und warteten auf das Signal. Als ihre Hirtin kam, folgten sie ihr über das holperige Pflaster des Gartens in ein festlich erleuchtetes Haus.

"Lasset uns hinaufgehen", heißt es in Lukas 2 Vers 15. So stieg die bunte Schar erst eine Treppe, dann noch eine Treppe und schließlich auf ein hölzernes Podest hinauf. Dort positionierten sie die Kameras.

Christ, weise Männer und Geschenke

Kurz nach elf erschien der Christ - sein Vorname: Josef. Ort: kein Stall mit Krippe, sondern ein Schloss - das Schloss Bellevue am Großen Stern.

Statt Caspar, Melchior und Balthasar waren Männer eines vergleichbaren Ranges zugegen: Frank-Walter Steinmeier, Thomas de Maizière und Andreas Voßkuhle. Wie die Weisen aus dem Orient hatten auch sie eine Schatulle mit wertvollem Inhalt dabei: Das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Abweichend von den Berichten aus Matthäus 2 wurde diese Schatulle nicht dem Josef Christ überreicht, sondern seinem Vorgänger Wilhelm Schluckebier. Schluckebier und Christ stehen der Christ-Demokratie sehr nahe.

12 Jahre

12 Stämme Israel, 12 Apostel, 12 Jahre Amtszeit eines Verfassungsrichters. Obwohl seine 12 Jahre noch nicht vollendet waren, wurde Wilhelm Schluckebier vorzeitig entlassen. Er bekam heute sogar eine Entlassungs-Urkunde. Entlassung ist ein Wort, bei dem wohl jeder Arbeitnehmer zusammenzuckt. Wilhelm Schluckebier trug es mit Fassung und Freude. Die etwa 30 Gäste applaudierten sogar. Vor wenigen Tagen hatte er seinen 68. Geburtstag gefeiert und war damit dem Dämpfungsfaktor Alter erlegen. Das ist ein durchaus biblisches Prinzip für die Karriere eines Leviten - pardon Verfassungsrichters.

Wilhelm Schluckebier war im Strafrecht zu Hause und musste sich mit einigen neuen Themen wie Kopftüchern, Flüchtlingen und der elektronischen Fußfessel beschäftigen. Er galt als besonnen und fachkompetent. Auf mich machte er einen sehr bescheidenen, freundlichen und insgesamt sympathischen Eindruck.

Christ, Big Data und Familie

Sein Nachfolger, Josef Christ, kennt sich mit Big Data, Wirtschaft und Vermögen aus. Er kommt aus dem südlichsten Süden Süddeutschlands. Mit dem neuen Arbeitsort Karlsruhe kommt er seiner Familie sehr entgegen. Diese hatte dem schwäbischen Umzugs-Hype nach Berlin erfolgreich widerstanden. Der Bundespräsident ging darauf sogar in seiner Rede ein.

Auch Josef Christ darf nur eine biblische Zahl von 7 Jahren im Amt bleiben, da er bereits 61 ist. Das sieht man ihm nicht an. Dennoch eine weise Regelung, die auch auf Gemeinden und parakirchliche Organisationen adaptiert werden könnte.

Nach einer halben Stunde verschwanden Christ und Gäste im großen Saal. Die Männer und Frauen auf dem hölzernen Podest packten ihre Habe zusammen und verließen freudig den Ort. Hatten sie doch heute viel erlebt und den Schwur von Josef Christ gehört, der mit den Worten endete: "So wahr mir Gott helfe."

Video: Wechsel beim Bundesverfassungsgericht

Sonntag, 19. November 2017

Volkstrauertag - Ewigkeitssonntag - 1. Advent

Der heutige 19. November fällt mit dem Volkstrauertag zusammen. Ein bedeutungsvoller Tag für unsere Familie, der Geschichte und Gegenwart verbindet.



Der Volkstrauertag wurde 1919 als Gedenktag vorgeschlagen und erstmalig am 1. März 1925 begangen. Bis 1951 fand der Volkstrauertag im Februar oder März statt - Reminiscere, dem fünften Sonntag vor Ostern. 1952 wurde er auf den zweiten Sonntag vor dem ersten Advent gelegt. Gedacht wird insbesondere an die Menschen, die durch Krieg und Gewalteinwirkung ums Leben gekommen sind.

Im Dritten Reich wurde der Tag auf den 16. März festgelegt. Am 16. März 1935 war die Wehrpflicht reaktiviert worden und damit ein passender Anlass, von der christlichen Zeitrechnung abzuweichen.

Volkstrauertag 2017 Neue Wache Kranzniederlegung
Volkstrauertag 2017 - Neue Wache - Kranzniederlegung
Volkstrauertag - Ewigkeitssonntag - 1. Advent

Der Volkstrauertag ist nicht zu verwechseln mit dem Totensonntag. Der Totensonntag - auch Ewigkeitssonntag genannt - ist ein evangelischer Gedenktag an die Verstorbenen - egal, in welcher Form sie abgelebt waren. Der Ewigkeitssonntag findet am letzten Sonntag des Kirchenjahres, also am Sonntag vor dem ersten Advent, statt. So ergibt sich die zeitliche Abfolge: Volkstrauertag, Ewigkeitssonntag, 1.Advent.

19. November

Die Eltern meiner Frau waren beide an einem 19. November geboren. 2016 feierte meine Schwiegermutter das erste Mal in Schwarz und ohne ihren Mann. Er war wenige Tage zuvor gestorben. Auch in diesem Jahr war es sehr knapp: Fast wären meine Schwiegermutter und ich nicht dabei gewesen.

Zum Volkstrauertag oder dem Ewigkeitssonntag habe ich keine besondere Beziehung. Warum auch? Von den Taten und Persönlichkeiten der Verstorbenen können wir einige Dinge lernen. Wir können uns an gemeinsame Erlebnisse erinnern und dann wieder unserem Alltag zuwenden. Ein Teil von ihnen lebt ja als DNA in uns weiter.

19. November 2017

Im Gottesdienst trafen wir einen Pastor, den wir noch aus früheren Zeiten kannten. Trauer über Vergangenes? Nein, stilles Verständnis. Nach dem Gottesdienst eilte ich zur Neuen Wache. Bei klirrender Kälte und schneidendem Wind trugen Minister und Präsidenten Kränze in einen LED-beleuchteten Raum. Wo einst die "Ewige Flamme" loderte, sitzt nun eine Mutter mit ihrem toten Sohn. Keine Pieta mit der kreuzförmig angeordneten Maria, die Jesus festhält, sondern eine Mutter des 20. Jahrhunderts, die ebenfalls um ihren Sohn trauert.

Danach trafen wir uns beim Thailänder und starteten in den Geburts-Tag meiner Schwiegermutter. Die Tage, an denen sie Schwarz trägt, werden immer weniger. Den Gang zum Friedhof hatte sie schon gestern absolviert. Heute standen nur noch Kaffee trinken, Abendessen und Gemeinschaft mit der Familie auf dem Programm.

Dienstag, 31. Oktober 2017

Luther beantwortet Frage: Christ als Soldat?

Christ und Waffe ist in der Szene sehr umstritten. Es gibt Pro und Contra sowie die einschlägigen Bibelstellen mit der anderen Wange oder dem Sinn der obrigkeitlichen Gewalten. Auch Martin Luther musste sich vor fast 500 Jahren dazu positionieren.



Zum heutigen Reformationstag flatterte eine Pressemitteilung des evangelischen Militärbischofs ins Haus. Darin wurde wieder einmal auf die Kriegsleute-Schrift von Martin Luther verwiesen. Er hatte sie 1526 geschrieben. Diesmal wollte ich mir selbst ein Bild machen und las den Text des kleinen Büchleins.

Am Rande eines kurfürstlichen Events wurde Luther von einem Ritter befragt, wie denn das Kriegshandwerk mit dem christlichen Gewissen zu vereinbaren sei. Die kämpfenden Kollegen hätten entweder massive Gewissensbisse oder seien gänzlich vom Glauben abgefallen. Luther nahm sich des Themas an und verfasste die Schrift "Ob Kriegsleute in seligem Stande sein können".

Amt versus Person

Nach einer kurzen Einleitung nimmt der Reformator eine Unterscheidung vor, die den Leser durch das gesamte Buch begleitet:
"Ein Amt oder eine Tat kann an sich sehr wohl gut und richtig sein, aber doch böse und falsch, wenn die Person oder der Täter nicht gut oder richtig ist oder nichts richtig macht."

So könne sich selbst ein von Gott gewollter Auftrag ins Negative verkehren, wenn die ausführende Person aus egoistischen Motiven wie Ehrsucht und Geldgier handelt. Der Autor bringt so pikante Beispiele wie den Kuss des Judas. Der Kuss an sich sei etwas Gutes, im Kontext des Judas-Kusses sei dieser aber in einer zutiefst negativen Bestimmung angewendet.

Gerechter und ungerechter Krieg

Der Reformator schreibt über die unterschiedlichen Formen bewaffneter Konflikte. Für die Fallbeispiele dient ihm vorrangig das 1. Samuel-Buch. Es taucht auch der Begriff des gerechten Krieges auf. Habsucht und Tyrannei seien Wurzeln des ungerechten Krieges. Die Landesverteidigung beurteilt er dagegen als einen gerechten Krieg.

Bürgerkrieg

Detailliert geht er auf die hierarchische Richtung von Kriegen ein. Den Bauernkrieg lehnt er entschieden ab, obwohl damit gewisse Tyrannen gerichtet wurden. Er ergreift für keine der beiden Seiten wirklich Partei. Stattdessen verweist er beharrlich auf die obrigkeitlichen Gewalten aus Römer 13, 1 und darauf, dass Gott selbst die problematische Führungsebene richten werde. Das Vollstrecken des Gerichtes an gottlosen Führen bezeichnet er mehrfach als "crimen laese maiestatis divinae" - einen Raub der göttlichen Majestät. Dadurch schließe sich der Kreislauf des Unrechts.

Mit zwei Beispielen macht Luther deutlich, dass die Absetzung des einen Herrschers nicht automatisch einen besseren Nachfolger bringt. Es kann sogar schlimmer werden, was sich bis heute zeigt. Luther kommentiert das in seiner rustikalen Art:
"Der tolle Pöbel aber fragt nicht viel, wie es besser werde, sondern nur danach, dass es anders werde. Wenn es dann schlimmer wird, will er wieder etwas anderes haben."

An einigen Stellen könnte der Leser dennoch meinen, Luther schreibe ein Buch für die Fürsten. Dem tritt er entschieden entgegen und formuliert sehr deutlich, dass sich die Gottlosigkeit durch alle Gesellschaftsschichten ziehe und jeder in seiner individuellen Position von Gott zur Rechenschaft gezogen wird.

Weil Luther sämtliche Standes-Ebenen tangiert, lassen sich die Ausführungen nicht nur auf damalige Ritter und Soldaten adaptieren, sondern auch auf heutige Unternehmer, Regionalpolitiker, Witwen, Empfänger von Arbeitslosengeld II und weitere Bevölkerungsgruppen.

Wer beginnt, verliert.

Im zweiten Teil des Buches stellt Luther eine interessante These auf, die er mit diversen Bibelstellen und Beispielen seiner Zeit untermauert: Wer einen Krieg beginnt, verliert diesen auch. Deshalb spricht sich Luther sehr klar für Notwehr und Landesverteidigung aus. Angriffskriege lehnt er ab. Es sei denn, der Angriff ist für die Verteidigung notwendig.

Luther stellt sogar volkswirtschaftliche Überlegungen an. So sei der Bauer für die Nahrung, der Soldat für den Schutz des Landes und der Fürst für den Dienst am Volk zuständig. Unnütze Leute solle man nicht dulden, sondern aus dem Lande jagen. Deshalb sieht Luther die Landsknechte sehr kritisch, da sie in der Regel nur Lust auf Krieg hatten. In der Zeit zwischen ihren Freelancer-Aufträgen seien sie jedoch keiner nützlichen Tätigkeit nachgegangen.

Beziehung zu Gott

Die Beziehung des einzelnen Menschen zu Gott zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Es beginne damit, dass Gott mehr gehorcht werden solle, als einem Tyrannen - und das mit allen Konsequenzen. Luther zitiert dazu aus der Apostelgeschichte. Zudem solle der Soldat den Feind nicht verachten, sondern als Menschen sehen, der auch mit seinen Sünden zu tun habe.

Luther wünscht sich zum Abschluss viel mehr Soldaten mit einer Christus-Beziehung in den Armeen. Das könnte das Klima in der Truppe verändern und: "Sie fräßen wohl die Welt ohne einen Schwertstreich".

Nachhaltige Wirkung

Die Leitlinien des kleinen Buches tauchen auch heute noch in den Ethik-Diskussionen der Bundeswehr auf. Bei verschiedenen Anlässen war ich erstaunt, wie tief biblische Grundlagen im Denken, Reden und Handeln der Offiziere verwurzelt sind. Überhaupt gibt es bei der Bundeswehr Gottesdienste und Andachten, die am Otto Normalchristen völlig vorbeilaufen. In den sicherheits-politischen Publikationen sind regelmäßig Artikel mit christlichen Themen zu finden.

Allein der Evangelische Militärbischof Dr. Sigurd Rink aus Berlin hatte bisher 80 Standorte und Auslandseinsätze besucht. Angesichts von Gefechtssituationen oder familiären Herausforderungen dienen die Seelsorger als wichtige Ansprechpartner der Soldaten. So überschneiden sich auch 500 Jahre nach Luther noch die obrigkeitlichen mit geistlichen Bereiche. Sigurd Rink bemerkt dazu, dass es den Kirchenvertretern nicht um die Ausübung politischer Macht gehe, sondern um einen kritischen Einfluss auf die Politik.

Dienstag, 24. Oktober 2017

19. Bundestag startet mit Gottesdienst in die Arbeit

Der erste Arbeitstag des 19. Bundestages begann heute mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Französischen Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt. Spitzenpolitiker, Abgeordnete und ich waren dabei.



Die Rush Hour hatte ich bei der Zeit-Planung unterbewertet. So stand ich nun im Stau und fragte mich, ob die Frau im Nachbarauto nicht besser mit der Bahn gefahren wäre. Und überhaupt - wo sollten all diese Autos in der City parken? Die Zeit verstrich. Ich hatte einen wichtigen Termin: Gottesdienst am Dienstagmorgen. Beginn 8:30 Uhr am Gendarmenmarkt.

Gottesdienst - Dienstag 8:30 Uhr

Das war wohl einer der frühesten Gottesdienste, den ich seit Jahren besucht hatte. Am Gendarmenmarkt waren mehrere Bereiche gesperrt, so dass genügend Parkplätze für die Gottesdienstbesucher zur Verfügung standen. Zumindest interpretierte ich das so und stellte den Wagen ab. Am Eingang zur Kirche traf ich den neuen Bundestags-Präsidenten, den ich zuvor mehrfach als Finanzminister erlebt hatte. Er nutzte den Fahrstuhl und ich die Treppe.

Auf der rechten Seite hinter der Linken-Politikerin Petra Pau waren noch jede Menge Sitzplätze frei. Zwischen ihr und Kerstin Griese (SPD) konnte ich gut hindurchschauen auf die Sitzreihe der Kanzlerin. Neben Frau Merkel saßen Frank-Walter Steinmeier, Norbert Lammert, Wolfgang Schäuble, Landwirtschaftsminister Schmidt, Thomas de Maizière und zwei Kirchenvertreter. Dahinter verfolgten unter anderem Hermann Gröhe und Ursula von der Leyen den Gottesdienst.

Volle Kirche

Als Eingangslied besangen über 300 Anwesende "die güldne Sonne" von Paul Gerhardt. Eine gewisse Ambivalenz zur tatsächlichen Wetterlage. Es folgte die liturgische Einleitung und ein Wechselgebet aus Psalm 27. Interessant fand ich die musikalische Gestaltung unter der Leitung von Kilian Nauhaus. In Personalunion bediente er die Orgel und dirigierte den kleinen Chor auf der Empore. Das Ensemble nutzte die sagenhafte Akustik im Kuppelsaal.


Gottesdienst zur konstituierenden Sitzung des 19. Bundestages
Ökumenischer Gottesdienst anlässlich der konstituierenden Sitzung des 19. Bundestages
Der Sämann und der Abgeordnete nach Markus 4, 1-9

Der Predigttext stand in Markus 4, 1-9. Es geht darin um den Sämann, der das Saatgut verstreut und damit vier verschiedene Böden trifft. War die Liturgie bisher von evangelischen Akteuren gestaltet worden, trat nun der katholische Karl Jüsten auf und hielt die Predigt. Zuerst holte er die neuen, bleibenden und gehenden Abgeordneten in ihrer Situation ab. Dann ging er auf den Text ein und schlug immer wieder eine Brücke zum Arbeitsalltag des Politikers. Ein spannender Spagat, der ihm sehr gut gelang.

Man könne es einfach nicht allen Recht machen. Die Botschaft treffe, wie auch bei Predigern, auf unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Ansichten. Bei manchen fruchte es und bei anderen eben nicht. Das sei ein ganz normales Prinzip. So wertete er den Bibeltext als einen besonderen Trost für Politiker in ihren täglichen Auseinandersetzungen mit den Wählern und Abgeordneten der anderen Fraktionen.

Vereint in Jesus

Dass Gottesdienste partei-politische Grenzen überwinden können, zeigte die anschließende Fürbitte. Petra Pau von den Linken, Volker Beck von den Grünen, Kerstin Griese von der SPD und Christian Hirte von der CDU traten nacheinander ans Mikrofon und lasen ihre Gebetsanliegen vor. Besonders gut waren die Worte von Petra Pau haften geblieben. Sie betete für einen respektvollen Umgang und eine konstruktive Streitkultur innerhalb des Bundestages. Die Gemeinde quittierte die Fürbitten jeweils mit einem "Erbarme Dich".

Beim Vaterunser hatte ich die Augen geschlossen und genoss den vollen Klang im Kuppelsaal. Die Akustik verriet, dass wohl mehr Männer als Frauen anwesend waren. Nach "Komm Herr, segne uns" folgte der Friedensgruß mit Händeschütteln, der Segen vom Altar aus und "Verleih uns Frieden gnädiglich" von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Abgang in ökumenischer Eintracht

Untermalt von Orgelmusik verließen die Gottesdienstbesucher die Französische Friedrichstadtkirche. Auch wenn keine Hektik zu spüren war, so doch eine gewisse Enge. Vor mir schob sich der Heilige Stuhl zum Ausgang. Das heißt, dessen Apostolischer Nuntius, der Doyen des Diplomatischen Korps. Neben ihm war die griechische Orthodoxie in die Menge integriert. Beide verstanden sich gut und unterhielten sich in gebrochenem Deutsch.

Draußen reichten uns der evangelische Theologe Martin Dutzmann und sein katholischer Kollege Karl Jüsten die Hand. Es nieselte. Während sich die Vertreter des Vatikans und der Orthodoxie zu einer Anschlussveranstaltung verabredeten, lief ich über den Gendarmenmarkt zu meinem Parkplatz. Der Arbeitstag konnte beginnen.

Montag, 9. Oktober 2017

Sant'Egidio - Mose war auch in Rom

Sant'Egidio ist in 73 Ländern der Welt aktiv und hat sich die "Weitergabe des Evangeliums und den Dienst an den Armen" auf die Fahnen geschrieben. Im Kloster Sant'Egidio in Rom traf ich Mose.



Die Fahrzeug-Kolonne des Bundespräsidenten rollte auf die gepflasterte Piazza di Santa Maria. Die wenigen Meter zum Kloster Sant'Egidio legten auch Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender zu Fuß zurück. Schwerbewaffnete, aber dekorative Polizisten in Uniform und Zivil säumten das Umfeld. Grün gekleidete Soldaten mit schussbereiten Sturmgewehren lauerten auf ungewöhnliche Bewegungen.

Garten und Buffet

Die Presse und Teile der Delegation wurden zu einem anderen Eingang geleitet und sollten dem Präsidentenpaar innerhalb des Hauses wieder begegnen. Nach dem Durchschreiten einiger verwinkelter Gänge fanden wir uns in einem romantischen Garten wieder, umbaut mit dem Kloster. Ich machte einige Fotos für meine Frau. Das einzige für mich zuordenbare Grün waren riesige Bananen-Pflanzen. Dazwischen Metallstühle mit Kissen, Stehtische, zwei runde Tafeln für den Präsidenten und seine Gesprächspartner sowie ein Buffet. Um dieses wuselte schwarz gekleidetes Personal herum, darunter ein beachtlicher Teil Mitarbeiter mit Down-Syndrom.

Sant'Egidio

Sant'Egidio wurde 1968 als parakirchliche Gemeinschaft gegründet und ist von der römisch-katholischen Kirche anerkannt. In Rom ist das wichtig und auch nicht für jeden erreichbar. Die Gemeinschaft ist in über 70 Ländern aktiv und setzt sich hauptsächlich für die Weitergabe des Evangeliums ein. Dabei liegt ein wichtiger Fokus auf dem Dienst an den Armen.

Das Kloster hatten die Karmeliter 1930 im historischen Stadtbild Roms integriert. 1971 übernahm Sant'Egidio den Gebäudekomplex.

Mediation und Sicherheitsbedarf

Die schwer bewaffneten Soldaten seien von der Regierung dort platziert worden, weil sich Sant'Egidio mit seinen Friedensverhandlungen weltweit engagiert. Das erzeugt nicht immer Gegenliebe. Der spektakulärste Verhandlungserfolg war die Beendigung des Bürgerkrieges in Mosambik. Dieser hatte 16 Jahre gedauert und fand am 4. Oktober 1992, also vor 25 Jahren, seinen Abschluss. Die Gemeinschaft ist regelmäßig in Konflikt-Mediationen in Asien, Lateinamerika und Afrika involviert. Sie kümmert sich ebenfalls um Themen wie AIDS-Bekämpfung, humanitäre Hilfe und Bildung. Deshalb erfährt sie finanzielle Hilfe seitens des Auswärtigen Amtes.

Reden und reden lassen

Der Gründer und der Präsident von Sant'Egidio quittierten den Besuch des prominenten Ehepaares aus Deutschland mit breitem Lächeln. In einem randvoll mit Zuhörern befüllten Raum hielt Herr Steinmeier die zweite offizielle Rede seiner Rom-Reise. Die erste hatte er am Vortag in der evangelischen Christuskirche in der Via Sicilia gehalten.

Mose und Elia

Es war schon früher Nachmittag und das zeitliche Delta zum Frühstück war entsprechend strapaziert. Umso erfreuter waren wir über die allgemeine Einladung zum Mittagessen. Antizyklisch bewegte ich mich in eine der kunstvoll bemalten Kapellen und nutzte das dortige Buffet. Mitarbeiter - teilweise mit Down-Syndrom - waren uns beim Auftun der italienischen Küche behilflich. Ich entschied nach Diätplan, was trotzdem sehr lecker war.

Ein Schwarzer mit pastoralem Hemdskragen gesellte sich an unseren Tisch. "Ich heiße Mose", lächelte er mich an und reichte mir seine Hand. Währenddessen lag mir schon ein "Und ich Elia" auf der Zunge. Im letzten Moment nannte ich meinen richtigen Namen, hatte aber gleich einen guten Einstieg für das folgende Gespräch.

Mose, Psalmen und Lukas

In bestem Deutsch erklärte er mir, dass er in Rom Theologie studiere. Sein Schwerpunkt sei Altes Testament. Ich nannte ihm eine meiner Lieblingsstellen: 5. Mose 7 und erklärte die geniale Bedeutung des Textes als Metapher für unsere eigene Reifung im Glauben. Meinen Lieblingspsalm 107, in dem es um Unternehmer in ihren Herausforderungen und das Eingreifen Gottes geht, beantwortete er mit seinem Lieblingspsalm 82. Dieser behandelt das zweite Hauptthema von Sant'Egidio: Dienst an den Armen.

Ein weiterer Schwarzer kam an den Tisch. Ich holte noch etwas Käse und Erdbeeren. Es war nicht Elia, sondern ein junger Mann aus Haiti - auch mit pastoralem Hemdskragen. Wegen der vermeintlichen Papst-Audienz hatte ich heute sogar eine Krawatte um. So war es zumindest in den Infoblättern zur Vatikan-Reise vorgeschrieben worden. Dem Bruder aus Haiti fiel die Kinnlade nach unten, als ich ihn nach seinem Lieblingstext fragte. Er sei ein Freund des Lukas-Evangeliums, dem "Evangelium für die Armen". Das war mir bisher gar nicht so bewusst.

Wer ist in der Mitte?

Wir traten in den Garten und unterhielten uns weiter über die Bibel und Sant'Egidio. An einem der runden Tische diskutierte der Bundespräsident mit den Leitern der Gemeinschaft über Themen, die hier nicht zitiert werden dürfen.

Mose erzählte mir, dass er einen Freund habe, der Elia heiße. Die Beiden nehmen das zum Anlass für folgende Frage: "Wer ist in der Mitte?" - "Jesus", sagte ich und Moses Gesicht erhellte sich zu einem breiten Lächeln.

Dann Aufbruch-Stimmung, Kameras startklar und hinter dem Bundespräsidenten her. Vor der Pforte des Klosters hatten sich die Mitarbeiter aufgereiht: Gruppenfoto. Plötzlich badeten wir in einer Menge herbeigeströmter Touristen. Deutsche erkannten den Mann, dessen Partei sie kurz zuvor gewählt haben mussten. Einer davon grüßte seinen "Frank" aus einer Kleinstadt, deren Name mir inzwischen entfallen ist. "Who is that man?", fragte mich ein Holländer. Die Menschentraube bewegte sich langsam und unter lautstarker Beachtung des Publikums zurück zur Piazza di Santa Maria, wo die Fahrzeuge warteten.