Freitag, 21. Juni 2019

Der Bischof und die wehrhafte Demokratie

Die Bundeswehr ist ungewollt zu einer Parallelwelt der Gesellschaft geworden. Ebenso leben auch Christen als Bundeswehrangehörige in einer christlichen Parallelwelt. Als Sigurd Rink vor einigen Jahren zum ersten Evangelischen Militärbischof berufen wurde, fiel er aus allen Wolken. Er war doch als Friedensaktivist und Fundamentalpazifist bekannt.



Zurzeit übernachte ich öfter in Kasernen als in Hotels. Auch sonst habe ich regelmäßig mit Offizieren und Soldaten zu tun. Deshalb war ich gespannt auf ein Buch, das der Evangelische Militärbischof Sigurd Rink geschrieben hatte: "Können Kriege gerecht sein?"

Sigurd Rink nähert sich dem Thema Christ und militärische Gewalt auf verschiedenen Ebenen an. Zunächst beschreibt er seinen eigenen Werdegang, seine Kindheit im Internat, sein frühes Glaubensumfeld, seinen Einstieg in die Friedensbewegung, seine Herausforderungen im Gemeindealltag und seinen Umdenkungsprozess während des Völkermordes in Ruanda.

Und dann plötzlich die Anfrage, erster Evangelischer Militärbischof zu werden. Bei seiner Buchvorstellung Anfang Juni 2019 sagte Sigurd Rink, dass er wohl schon immer einen "Hang zu Grenzbereichen der Ethik" gehabt habe. Er habe sich bereits mit Geschäftsethik befasst und dafür ordentlich Prügel einstecken müssen - aus den eigenen Reihen.

Sigrud Rink "Können Kriege gerecht sein?"
Evangelischer Militärbischof Sigrud Rink: "Können Kriege gerecht sein?"
Prügel muss er nun auch für dieses Buch einstecken. Seine Familie hat ihm bereits avisiert, dass er jede Menge Exemplare zum nächsten großen Treffen mitbringen solle und man ihn entsprechend auseinander nehmen werde. Der Militärbischof ist aber inzwischen den Gegenwind gewohnt. er sitzt zwischen sämtlichen Stühlen: Familie, Gesellschaft, Bundeswehr, Klerus, alte Freunde. In Gemeindekirchenräten wird diskutiert, ob "so jemand" überhaupt predigen dürfe. Beim Kirchenkaffee nach dem Gottesdienst wird er von aufgebrachten Zuhörern angegangen.

Sigurd Rink sieht das sportlich. Wie ein glatt gewaschener Fels steht er in der Brandung der Angriffe der lieben Geschwister. Weiß er doch, welch einen Segen sein Dienst in der Bundeswehr bringt. Er ist viel unterwegs und besucht die Soldaten an ihren Standorten und im Auslandseinsatz. Wenn er auftaucht, gibt es erst einmal einen Beer-Call, bei dem sich nach Feierabend die Soldaten um ihn scharen und von ihren persönlichen Herausforderungen reden. Erst am Folgetag kümmert sich der Bischof um seine Kollegen vor Ort. Die Militärseelsorge ist nicht in die Strukturen der Bundeswehr eingefügt, sondern agiert als externer Bestandteil. Militärseelsorger haben keine Berichtspflicht und können deshalb über sehr intime und pikante Themen schweigen. Das Vertrauen der Truppe in die Seelsorger ist hoch. Gelegentlich werde ich selbst Zeuge davon.

Der Militärbischof nähert sich mit Ernst, Intelligenz und Offenheit für Umdenkungsprozesse neuen Themen an. Er bildet sich nach Abwägung eines größeren Kontextes eine Meinung und steht dann auch zu dieser. Deshalb enthält das Buch nach der biografischen Einleitung noch weitere Teile. Im zweiten Teil zeigt der Autor, dass sich sämtliche Kirchenväter von Augustinus bis Luther mit dem Thema Christ und Soldat oder Christ und bewaffnete Regierung auseinandersetzen mussten. Er beschreibt deren Denkprozesse und die auch heute noch in der Militärethik genutzten Grundsätze.

Ein besonders langer Abschnitt widmet sich den aktuellen Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Die eigenen Erfahrungen vor Ort bettet er in einen flüssig lesbaren Kontext sicherheitspolitischer Zusammenhänge ein. Immer wieder wird klar: Er bildet sich seine eigene Meinung und vertritt diese auch gegenüber der Verteidigungsministerin. Apropos Verteidigungsministerin: Diese hatte das Buch bereits gelesen und zeigte sich beeindruckt.

Ich fand das Buch sehr hilfreich zur Nachschärfung des eigenen Standpunktes gegenüber der wehrhaften Demokratie. Das Buch und die authentische Persönlichkeit des Schreibers ermutigten mich, ebenfalls zu meiner Meinung zu stehen, auch wenn es Widerstände aus den eigenen Reihen gibt.

Montag, 10. Juni 2019

Pfingskonferenz der AVC in Nidda

Über Pfingsten besuchte die Tochter des Church Checkers in Nidda eine Konferenz der AVC. Hier ihr Bericht:



Die alljährliche Pfingstkonferenz von AVC fand in dieser kleinen Stadt statt. AVC steht für „Aktion für verfolgte Christen und Notleidende“. Der Verband wurde 1972 gegründet, um verfolgten Christen in der damaligen Sowjetunion beizustehen. Inzwischen hat er sich zu einem großen Missionswerk entwickelt, welches Missionare in allerhand Länder auf der ganzen Welt entsendet, zum Beispiel nach Madagaskar und in die Philippinen.

Über das Pfingstwochenende versammelten sich zur „Mission Live Konferenz 2019“ Menschen aus der Umgebung, Jugendgruppen aus ganz Deutschland und Missionare von überall. Den Start bildete am Freitag die Pastorenkonferenz. Missionare und Pastoren berichteten von ihrem Wirken in Sibirien, Sudan und Süddeutschland und konnten sich bei Kaffee und Kuchen von ihren Strategien und Erfahrungen erzählen. Einig waren sich alle in dem Punkt, dass Mission Zeit braucht. Viele Evangelisten verbringen Jahre an einem Ort, bis sie überhaupt eine Gemeinde gründen können oder von einem  Baum steigen können, wie ein Pastor aus dem Südsudan erzählte. Er sei auf einen Baum geklettert und habe von dort aus gepredigt, bis sich die Dorfältesten bekehrt hatten. Erst dann sei er heruntergestiegen. Harte Zeiten erfordern eben harte Maßnahmen.

Das restliche Wochenende über gab es Gottesdienste, durch reichlich leckeres Essen unterbrochen. Die Predigten hatten oft den Heiligen Geist als Thema, denn schließlich war es ja Pfingsten. Die Rolle des Heiligen Geistes als Leiter und Anwalt wurde teils mit Bibelgeschichten, teils mit den Erlebnissen der Sprecher in fernen Ländern veranschaulicht. Mit Gottes Hilfe konnten in Syrien fahrbare Kliniken gebaut, Schulen in abgeschotteten Dörfern errichtet und viele Menschen mit der Guten Nachricht von Gottes Vergebung erreicht werden. Wer an dieser Konferenz teilnahm, hatte ein neues Herz für die Mission bekommen und war begeistert, den nächsten Schritt zu gehen oder andere bei diesem Schritt zu unterstützen.

Doch warum war gerade die Tochter des Church Checkers bei einer Missions-Konferenz in Nidda? Ich habe mein Abitur frisch in der Tasche und werde ab September einen Freiwilligendienst in Madagaskar machen. Mit französischen Missionaren als Chefs werde ich in einer Schule, die vom AVC unterstützt wird, arbeiten. Das macht mich zu einem Teil der AVC-Missionare und so wurden andere Freiwillige und ich am Ende der Konferenz offiziell ausgesendet, um in Ländern, die auf dem ganzen Globus verteilt sind, ein Licht zu sein. Wer mehr darüber erfahren möchte, der schaue gerne auf meinem Blog Madi in Mada vorbei.

Auf der Konferenz wurde deutlich: Gott wirkt überall. Nicht nur in Afrika, Asien und Südamerika, sondern auch in Nidda.

Montag, 25. März 2019

Versöhnt leben mit Team.F

Das Seminar "Versöhnt leben - Beziehungen klären" ist ein Grundlagenseminar von Team.F, auf dem sich weitere Schulungen und die Möglichkeit aufbauen, selbst Team.F-Berater zu werden. Wir sind der Empfehlung eines Bekannten aus Berlin gefolgt und erlebten fünf spannende und heilsame Tage in Brotterode, Thüringen.



Das Timing war perfekt: Meine Mutter wollte an diesem Wochenende zu einem Klassentreffen nach Zeitz fahren. 60 Jahre Abitur. Zeitz lag ohnehin auf unserem Weg nach Brotterode in Thüringen. So motivierten wir sie, zwei Tage früher nach Zeitz zu fahren. Wir würden ihr dann bei den Verhandlungen mit dem Friedhof bezüglich der Gräber meiner Großeltern helfen. Auf unserem Rückweg wollten wir sie dort wieder abholen.

Sonnenschein, Wärme und ein vielfach saniertes Zeitz begrüßten uns am Mittwochnachmittag. Das Hotelzimmer meiner Mutter war hell und sauber. Alles hatte geklappt, auch die Formalitäten zur Einebnung der Gräber meiner Großeltern nach mehr als 30 Jahren. Zusammen mit meiner Mutter waren wir die alten Wege auf dem Friedhof abgelaufen. Damals war mir das viel weiter vorgekommen. Sonnenschein, Vogelgezwitscher. Meine Mutter freute sich auf die kommenden Tage mit ihrer Freundin und den alten Klassenkameraden. Ende 70. Wir fuhren weiter nach Thüringen.

Team.F: Versöhnt leben - Beziehungen klären

In Brotterode - kurz hinter Erfurt - wollten wir an einem Seminar teilnehmen: "Versöhnt leben - Bezieghungen klären"Team.F kennen wir schon seit vielen Jahren und wissen: Wenn Team.F, dann mit dem Team aus Thüringen in Brotterode. Das "Haus am Seimberg" ist funktional, gut gepflegt und hat eine geniale Lage am Berg mit weiter Aussicht. Das Essen ist schon seit vielen Jahren so lecker und abwechslungsreich, dass ich auch diesmal mehr als zwei Kilo zugenommen habe.

Das Thema des Seminars klang zunächst etwas anstrengend, da mir einige Personen vor Augen standen, mit denen bisher nichts geklärt werden konnte. Auf deren Wiedersehen ich auch keinen gesteigerten Wert legte. Es wurde jedoch sehr schnell klar, dass es hier nicht um eine verkrampfte Unterwerfung unter alte Verletzungen und deren Verursacher geht, sondern um eine kurzzeitige Konfrontation mit alten Begebenheiten mit dem Ziel, endlich Heilung zu erfahren. Es ging darum, selbst Lasten abzulegen, Schuld zu bekennen und Vergebung zu empfangen. Wenn es relevant war, konnte auch Vergebung ausgesprochen werden für lebende und bereits verblichene Täter. Vielfach resultieren aktuelle Verhaltensmuster aus verletzenden Erfahrungen mit den Eltern: Grenzüberschreitung, Liebesentzug, Ferne, Missbrauch, religiöser Druck oder Scheidung.

Vorträge und Kleingruppen

Immer wieder traten Seminarleiter auf, die von ihren Erfahrungen mit dem VL-Seminar (VL = Versöhnt leben) berichteten. Das klang schon fast zu gut, als dass ich es einfach so hätte hinnehmen können. Deshalb näherte ich mich der Sache mit einer gewissen Skepsis, war aber generell offen für Gottes Wirken. Nach einigen Vorträgen über Bitterkeit, Vater und Mutter ehren, steinerne Herzen, innere Festlegungen und Schwüre sowie Vergebung, Buße und Wiedergutmachung gingen wir in Kleingruppen. Die Kleingruppen bestanden aus maximal sieben Personen und hatten einen bemerkenswerten Betreuerschlüssel.

In unserer Gruppe gab es vier Teilnehmer und drei Seelsorger. Zunächst stellten sich die Seelsorger vor und berichteten von ihren Erfahrungen mit VL. Sie machten klar, dass auch sie noch auf dem Weg seien, aber nach und nach eine positive innere Umgestaltung erleben. Wir sollten uns einen Schwerpunkt aus unseren Seelsorge-Themen heraussuchen und als erste Übung einen Frust-Psalm an die Personen schreiben, die uns besonders verletzt hatten. Das Ergebnis war sehr bewegend und eine geeignetes Basis zum Weiterarbeiten. Aufmerksam hörte die Kleingruppe zu, als wir nacheinander unsere Themen ausbreiteten. Die Seelsorger stellten Fragen. Es flossen Tränen. Es gab Umarmungen. Mitgebrachte Utensilien dienten als Hilfsmittel, um Lasten spürbar und hörbar fallen zu lassen. Durch Vergebung wurden Fesseln gelöst und alte Bindungen getrennt.

Tränen und Hausaufgaben

"Das klingt aber abgeklärt", meinte eine Frau aus der Kleingruppe, als ich meine Schlüsse aus dem Seminar darlegte. Sie hatte Recht. Dennoch war das Seminar nicht ohne Tränen an mir vorbeigegangen. Als sich Menschen im selben Raum für Vergebung entschieden, Lasten sichtbar abwarfen und auch die gesamte Körpersprache für eine nachhaltig erfolgte Befreiung sprach, musste auch ich zur Tücherbox greifen, weil die Tränen plötzlich freien Lauf hatten.

Bei einem der Vorträge in der großen Runde stellten sich die Mitarbeiter ans Mikrofon und sprachen stellvertretend für unsere Eltern Bitten um Entschuldigung aus. Das hörte gar nicht mehr auf. Ich dachte an meine Kinder und Situationen, in denen ich ihnen gegenüber verantwortungslos gehandelt oder sie durch Blicke, Worte und Gesten verletzt hatte. Wieder kam die Tücherbox zum Einsatz. Direkt am Kreuz, das neben der Bühne stand, sprach ich die ganzen Situationen aus und bekam dort Vergebung zugesprochen. Das noch mit meinen Kindern zu klären, habe ich als Hausaufgabe mitgenommen.

Alte Bekannte und meine Mutter

Wir trafen in Brotterode auch alte Bekannte, mit denen ich vor über 30 Jahren mal auf Freizeiten zusammengetroffen war. Auch lernten wir viele neue Leute aus dem gesamten Bundesgebiet kennen. Viele hatten katholische Wurzeln, etliche hatten geistlichen Missbrauch erlebt und freuten sich, dass mein Buch am Büchertisch angeboten wurde. Besonders erfreut war ich aber über die vielen kompetenten Mitarbeiter, die uns Teilnehmern mit Rat, Umarmung und Seelsorge zur Seite standen.

Auf der Rücktour sammelten wir meine Mutter in Zeitz ein. Sie sah sehr erholt aus, hatte eine gesunde Bräune im Gesicht und berichtete begeistert von ihren dortigen Begegnungen. Sie habe noch ein Blümchen auf dem Friedhof hingestellt und Abschied von ihren Eltern genommen. Als wir das Ortsausgangsschild passierten, sagte sie, dass sie Zeitz nun endlich habe abschließen können und diese Stadt wohl auch nicht mehr betreten werde. Sie hat ihren Frieden darüber gefunden. Sie war zwar nicht beim VL-Seminar in Brotterode, dennoch sah man ihr die Gesundung an.

Sonntag, 24. Februar 2019

Greater Grace in Schöneberg

Greater Grace ist eine kleine und relativ neue Gemeinde im Stadtbezirk Schöneberg. Heute besuchten wir den Gottesdienst, der sonntags um halb elf  beginnt.



Das ganze Ausmaß der 30er-Zone für angebliche Luftreinhaltung war mir noch gar nicht bekannt. Als wir das erste Schild in der Nähe des Alexanderplatzes passierten, informierte mich mein Sohn, dass das jetzt auch in der Potsdamer Straße in Schöneberg gelte. Und tatsächlich wurden wir kilometerweit mit dieser Einschränkung gegängelt. Immer wieder blockierten uns Fahrzeuge, die sich an diese fragwürdige Regelung hielten und tatsächlich 30 km/h fuhren.

Wir stellten den Wagen vor einer 30er-Nummer der Ebersstraße in Schöneberg ab. Nach wenigen Metern hatten wir die 37 erreicht. Eine moderne Glastür in einem schätzungsweise 130 Jahre alten Mietshaus trug die Aufschrift "Greater Grace" - "Größere Gnade". Die Tür öffnete nach innen und gab den Blick auf einen hellen Vorraum frei. Links standen Kaffeetassen und rechts einige Tische. Man empfing uns sehr freundlich und bald hatte sich eine Traube von Gemeindemitgliedern um uns geschart.

Kenosis und Bowling

Einige Kinder liefen aufgeregt an uns vorbei. Heute sollte endlich ein Weihnachtsversprechen eingelöst werden: Der Kindergottesdienst macht einen Ausflug zum Bowling. Pastor Stephan Stein erklärte uns, dass es in seiner Predigt heute um die Kenosis gehen solle. Kenosis bedeute wohl Entleerung und beziehe sich auf das zweite Kapitel des Philipperbriefes, in dem sich Jesus selbst erniedrigt und uns Menschen gleich wird.

Da ich mit Altgriechisch nichts am Hut habe, war mir das Wort Kenosis nicht bekannt. Leider war die Mobilfunkverbindung im Gemeindesaal so schwach, dass ich mir auch keine griechische Bibelversion aufs Handy laden konnte. Das Wort ekenosen taucht im Vers 7 auf und wird im Deutschen gerne mit entkleiden oder entäußern übersetzt. Entleeren ist da schon ein stärkerer Begriff. Die Lateiner verwenden das Wort exinanire, was eindeutig mit ausleeren zu übersetzen ist.

Gute Mischung

Durch die Bowlingaktion, der sich ganz viele erwachsene Helfer anschlossen, passte das Thema auch perfekt zur Anzahl der Gottesdienstbesucher. Wir waren etwas über 20 Personen im Saal. Normalerweise sitzen hier gut 40 Zuhörer, während im Nachbarraum zehn Kinder ein eigenes Programm erleben. In dieser kleinen Gemeinde sind fast alle Generationen vertreten. Sie ist auch ethnisch gut durchmischt.

Zunächst wurde gesungen, Kollekte eingesammelt und die üblichen Ansagen gemacht. Unter der Woche finden relativ wenige Veranstaltungen statt, so dass noch genug Zeit für außergemeindlichen Beziehungsaufbau bleibt. Die Predigt blieb zwar beim Thema, hätte aber zeitlich gestrafft werden können. Die Prediger wechseln sich bei Greater Grace regelmäßig ab.

Torte, Kaffee und Gyros-Pita

Am Ende wurde noch eine Torte hereingetragen, weil eine der afrikanischen Sängerinnen heute Geburtstag hatte. Das Licht wurde ausgeschaltet, damit die Kerzen auf der Torte besser zur Geltung kommen. Es kam richtig Stimmung auf. Danach gingen wir in den Vorraum und unterhielten uns bei Kaffee und Torte mit einigen Mitgliedern der Gemeinde. An der Wand hing eine große Weltkarte mit vielen roten Punkten: den Standorten von Greater Grace auf sämtlichen Kontinenten. Das Hauptzentrum befindet sich in Baltimore, Maryland, USA. Von dort aus kamen vor über 20 Jahren zwei Frauen nach Schöneberg und bauten hier eine neue Gemeinde auf. Das offizielle Gründungsjahr war 1998.

Von Schöneberg aus fuhren wir wieder durch die 30er-Strecke zurück, machten einen Zwischenstopp und aßen jeweils eine der sehr empfehlenswerten Gyros-Pitas bei Berkis am Winterfeldtplatz. Dann ging es weiter. Eine elektronische Anzeige bedankte sich mit grüner Schrift bei uns. "Papa, warum fährst du so langsam?" - "Ich wollte den Dank sehen."

Sonntag, 20. Januar 2019

Eckstein Gemeinde Berlin

Die Eckstein Gemeinde Berlin ist sehr jung. Sie wurde 2016 gegründet und befindet sich in zentraler Lage der City Ost. Heute besuchten wir als Familie den Gottesdienst.



Die Eckstein Gemeinde Berlin hatte ich völlig ungeplant bei einer Google-Suche entdeckt. Nachdem ich ein wenig auf der Webseite herumgeklickt hatte, stand für mich fest: Da musst du mal hin! Besonders erstaunt war ich, dass meine Familie geschlossen mitkommen wollte. Das war mir ganz recht.

Zwischen Ostbahnhof und ver.di ist wohl eine treffende Beschreibung der Lokalität. Bei ver.di handelt es sich um die Gewerkschaft mit den Streiks an Flughäfen oder den Streiks bei Amazon während der Weihnachtszeit. Wer das Haus von ver.di betritt, sollte jedoch mit Anzug bekleidet sein, da die Inneneinrichtung einen entsprechenden Respekt einflößt. Irgendetwas muss ja schließlich mit den Beiträgen der Angestellten der Dienstleistungsbranche gemacht werden. Das wäre jetzt aber ein Thema für sich.

Kostenlos parken zwischen Ostbahnhof und ver.di

Wir stellten das Auto in einer Seitenstraße des Ostbahnhofs ab. Am Sonntag kann dort kostenlos geparkt werden. Leider waren wir etwas knapp dran, obwohl der Gottesdienst zur Idealzeit 11 Uhr beginnen sollte. "Gibt es ein akademisches Viertel?", wollte ich wissen, als wir kurz vor elf die hellen, freundlichen Räume betraten. Nein, der Gottesdienst beginne immer pünktlich. So liefen wir an mehreren jungen Leuten vorbei, bekamen ein Programmheft mit Kontaktkarte in die Hand gedrückt und setzten uns in die zweite Reihe.

Alle waren sehr freundlich und hatten ein Durchschnittsalter von 30. Es gab sogar Jugendliche. Licht flutete durch den Gottesdienstraum. Überproportional viele Schwangere saßen um uns herum. Um biologisches Gemeindewachstum muss man sich bei Eckstein keine Sorgen machen. Aber wohl auch nicht um Wachstum durch Entscheidungen für Jesus.

Stetiges Wachstum seit 2016

Seit der Gründung 2016 ist die Gemeinde stetig gewachsen. Heute waren etwa 70 Personen zum Gottesdienst erschienen. Der Raum könnte vermutlich 120 Personen fassen. Rein statistisch könnte dieser Fall in zwei Jahren eintreten. Dann müssten neue Räume gesucht werden. Knapp wird es bereits beim Kindergottesdienst. Dieser hat einen so regen Zulauf, dass die Nebenräume kaum ausreichen. Apropos Kinder: Meine Frau war ganz beeindruckt, dass die Pastoren auch die Kinder begrüßten und ihnen eine besondere Beachtung schenkten.

Der Gottesdienst startete tatsächlich pünktlich um elf. Es gab eine kurze Begrüßung, eine Lesung von Psalm 31, danach zwei Lobpreislieder auf Deutsch und anschließend begann auch schon die Predigt. Wie uns berichtet wurde, gebe es bei Eckstein mehrere Predigtserien: eine Themenreihe, eine Serie durch die Psalmen und eine Serie durch das Markus-Evangelium. Heute war Markus 5, 21-34 dran.

Schwarzbrot mit Körnern

Flankierend zur Predigt war ein Programmheft ausgegeben worden. Wir hätten auch diverse Notizen machen können. Allerdings fehlte uns der Stift dazu. Ein Kugelschreiber mit Eckstein-Logo wäre jetzt praktisch gewesen. Uns fehlte noch etwas. Nämlich die mitgebrachte Bibel. Meine Frau zückte ihr Smartphone mit der Online-Bibel. Ich hörte nur zu.

Die Predigt über die 14 Verse ging etwa eine Stunde. Wenn man ein biblisches Bild dafür gebrauchen wollte, könnte man von Schwarzbrot mit Körnern reden. Eine kernige Predigt, die tief in den Text einstieg und diesen für unseren Alltag relevant machte. Die Konzentration setzte trotz der Länge nur selten aus, so dass ich fast alles genüsslich aufsaugen konnte.

Gemeinschaft ohne Kollekte

Auch das Ende war eher unspektakulär. Es gab noch ein Lied, aber keine Kollekte. Dann war Schluss und die Besucher wuselten durcheinander. Tische und Stühle wurden durch den Saal getragen. Essen wurde auf einer langen Tafel platziert und wir holten uns einen Kaffee. Schnell kamen wir mit mehreren Leuten aus der Gemeinde ins Gespräch. Eine sehr offene Atmosphäre, die zum Verweilen einlud.

Die Eckstein Gemeinde Berlin ist ein Gründungsprojekt der EBTC (Europäisches Bibel Trainings Centrum). Dieses kannten wir zwar dem Namen nach und wussten, dass es in Hellersdorf beheimatet ist. Besucht hatten wir es aber bisher noch nicht. Eckstein war also unsere erste Berührung mit EBTC. Der Ersteindruck war sehr positiv.

Sonntag, 6. Januar 2019

20*C+M+B+19 und der Segen für die Bundesregierung

Auch 2019 sind wieder die Sternsinger unterwegs. Kinder aus dem Bistum Trier besuchten heute den Bundespräsidenten im Schloss Bellevue.



Das Sternsingen startete bereits am 28. Dezember. Traditionell wird jedoch erst am 6. Januar der Bundespräsident besucht. Damit beginnt die offizielle Segnung der Bundesregierung zum Neuen Jahr. Die Tür am Schloss war bereits gesäubert worden. 20*C+M+B+18 hatte Wind und Wetter überdauert und konnte noch bei den letzten Anlässen des Jahres 2018 an der Eingangstür gelesen werden. Nun war Platz für Neues.

Die Kinder aus dem Bistum Trier waren sehr fit mit Texten, Gesang und der Schreibweise des CMB. CMB steht für Christus Mansionem Benedicat und bedeutet, dass Christus die Wohnung/Herberge segnen solle. Die Schreibweise ist etwas kompliziert, ergibt sich aber aus dem Leben von Jesus. Zwischen die Jahreszahl wird zunächst ein Stern als Erinnerung an den Stern von Bethlehem gesetzt. Dann folgen das C und das M und das B sowie der Rest der neuen Jahreszahl - alles getrennt mit drei Kreuzen, die die drei Kreuze von Golgatha symbolisieren: 20*C+M+B+19.

20*C+M+B+19 Sternsinger Bistum Trier Schloss Bellevue Bundespräsident
20*C+M+B+19 Sternsinger aus dem Bistum Trier im Schloss Bellevue
Das Sternsingen setzt auf den "Magiern aus dem Orient" (Matthäus 2) auf. Diese wurden im Laufe der Kirchengeschichte in drei Könige umfunktioniert. Gemäß der Geschenke, die sie für Jesus mitgebracht hatten, bekamen sie dann noch die Namen Caspar, Melchior und Balthasar. Deshalb kleiden sich die Kinder in Samt und Zobelersatz. Auf den Köpfen tragen sie glänzende goldene Kronen. Das passt ja zum Schloss. Wer etwas spendet, bekommt den CMB-Segen an die Tür geschrieben.

Mit den Spendeneinnahmen, die sich in diesem Jahr auf knapp 50 Millionen Euro belaufen, werden 1.436 Projekte in 108 Ländern unterstützt. Fokus der Sternsinger aus Trier lag auf einem Hilfsprojekt für Kinder mit Behinderungen in Peru. Auch der Bundespräsident legte eine Spende ein. Zu diesem Zweck hatte ein Mädchen mit Königskostüm eine kleine goldene Schatztruhe umzuhängen.

Die Sternsinger binden regelmäßig Kinder mit Einschränkungen oder Down Syndrom in die Vorführungen ein. Im Schloss Bellevue wird das mit Wohlwollen aufgenommen. Der Bundespräsident ist nicht nur Mitglied einer sich als sozial bezeichnenden Partei, er lebt auch aktiv christliche Nächstenliebe und Fürsorge für Benachteiligte. Davon konnten wir uns kurz vor Weihnachten in der Wärmestube der Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg überzeugen. Dort hatte er das protokollarische Timing um 20 Minuten überzogen, da er mit den Gästen der Wärmestube - zumeist Obdachlose - ins Plaudern geraten war.

Der königliche Besuch im Schloss zeigt aber auch, dass unsere Politiker Segen und Gebet brauchen. Das 20*C+M+B+19 an der Tür erinnert das ganze Jahr daran, immer mal wieder ein Gebet in die Führungsetagen der deutschen Politik zu senden. Morgen werden Sternsinger aus 27 Diözesen im Kanzleramt erscheinen. Am Dienstag besuchen Sternsinger aus ganz Europa das EU-Parlament in Brüssel. Fehlt jetzt nur noch eine weltweite Aktion mit Besuch bei der UNO.

Donnerstag, 27. Dezember 2018

Kawohl rettet die Familienfeier

Ein kleines Kästchen mit Frage-Karten kann Flauten und peinliche Richtungen der familiären Kommunikation korrigieren helfen. An den Weihnachtstagen haben wir das getestet.



Im November stand der 70. Geburtstag meiner Schwiegermutter auf dem Programm. Sie hatte uns dazu in ein Restaurant in Charlottenburg eingeladen. Brunch von 13 bis 16 Uhr. Drei lange Stunden, in denen ich mich politisch korrekt verhalten musste. In der ersten Stunde gelang mir das sehr gut. Abgesehen vom antizyklischen Vorgehen am Buffet. Es war dort aber wirklich sehr voll. Nach einer Stunde ununterbrochenen Essens war ich so satt, dass ich auf dem bequemen Sitz nach unten rutschte und wohl etwas zu laut gähnte. Beides passiert mir wohl auch in Gottesdiensten, wenn der Redner nicht zum Punkt kommt.

Kritik und Lösung

Dieser Vorfall hatte Konsequenzen. In der nächsten Familienkonferenz stand mein unpassendes Verhalten auf der Agenda. Drei ernste Augenpaare waren auf mich gerichtet. Ich wurde gefragt, ob ich das bei beruflichen Anlässen auch so mache. Keine Kritik ohne Lösungsvorschlag: Meine Frau meinte, es gäbe ein Kartenspiel mit Fragen. Damit könne man das Gespräch ankurbeln und lerne die Anwesenden besser kennen. Die Karten seien bereits bestellt.

Als wir weitere Details wissen wollten, wurde meine Frau plötzlich sehr wortkarg. Was hatte sie zu verbergen? Wir bohrten weiter und dann gab sie kleinlaut zu: Die Karten seien von Kawohl. Breites Grinsen entfaltete sich auf unseren Gesichtern und gleichzeitig Skepsis. Kawohl ist doch der Verlag, dessen Bildsprache diametral mit dem abgedruckten Text harmoniert. Ein rein fiktives Beispiel wäre das Foto einer alpinen Schneelandschaft kombiniert mit dem Spruch "Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer". Wenn wir in Gemeinderäumen große Plakate sehen, bei denen Bild und Text lediglich in einem farblichen Verhältnis zueinander stehen, ist ohne weitere Prüfung klar: Es handelt sich um ein echtes Kawohl.

Kunststoff-Box mit Frage-Karten

Wir waren gespannt. Bald traf das Päckchen ein und ich durfte die Karten auspacken. "Erzähl mir von Dir" enthält 62 Frage-Karten, die in einer stabilen Kunststoff-Schachtel aufbewahrt werden. 62 Fragen, die das Gespräch innerhalb der Familie ankurbeln können. Kein Kawohl ohne Bild. So wurde für dieses Spiel ein Familien-Foto eingekauft, das an zentraler Stelle ein auffälliges Dekolleté der vermeintlichen Mutter darstellte. Vater, Kinder und Großeltern waren nicht ganz so sommerlich bekleidet. Abgesehen vom Deckblatt, wird das Dekolleté auf den anderen Karten durch den Fragetext kaschiert.

Spielregeln gibt es nicht. Irgendwer zieht eine Karte und beantwortet sie selbst oder gibt sie an seinen Nachbarn weiter oder alle antworten auf die Frage. Die Erfahrung der letzten Tage zeigt, dass eine Frage ausreicht, um ein längeres Gespräch in Gang zu setzen. Gelegentlich muss moderierend eingegriffen werden. Im Großen und Ganzen überbrückt es aber die üblichen Pausen. Steht die Box griffbereit auf dem Tisch, kann jederzeit eine neue Frage in die Runde geworfen werden.

Familie im Gespräch

Schwager, Schwägerin, Omas, Kinder, meine Frau und ich mussten uns mit Fragen wie "Wer beeinflusst deine Zukunft?", "Wessen Zukunft beeinflusst du?", "An welchen Geruch aus der Kindheit erinnerst du dich?", "Mit wem würdest du dich gerne mal zwei Stunden unterhalten? Warum?", "Was war deine beste Entscheidung des letzten Jahres?" oder "Welche Eigenschaften deiner Eltern entdeckst du an dir?" auseinandersetzen. Keine Antwort ist auch eine Antwort.

Jedenfalls kommen Dinge zur Sprache, über die man bisher noch nie mit der Familie geredet hat. Vielleicht hat man sich darüber selbst noch nie Gedanken gemacht. Das Spiel regt Denkprozesse an, die noch weit über das Treffen hinaus gehen und Anknüpfungspunkte für weitere Unterhaltungen bieten. Die Karten eignen sich auch für Zusammenkünfte mit Freunden und Kollegen. Die Anwesenden müssen keine Christen sein, da die Fragen persönlich, aber nicht unbedingt geistlich, gehalten sind.

Nach unserem Selbsttest an den drei Weihnachtstagen können wir den Kauf der kleinen Box sehr empfehlen.

Mittwoch, 26. Dezember 2018

Suche Frieden und jage ihm nach! Psalm 34, 15 b

Das Los der Herrnhuter Brüdergemeine für das Jahr 2019 fiel auf die Psalmen. In Psalm 34, 15 steht die Jahreslosung, die allgemein mit "Suche Frieden und jage ihm nach!" wiedergegeben wird.



Mitte Dezember lagen die ersten Grußkarten im Briefkasten. Zwei Absender, über deren Karten ich mich besonders freute. Die erste Karte war mit einen Fraktur-W und dem lateinischen Ausspruch "semper talis" (immer gleich) versehen. Die zweite Karte trug ein Kreuz mit dem Schriftzug "Domini sumus" (des HERRN sind wir). Latein war aber nicht alles, was mich erfreute: Auf der zweiten Karte war auch die Jahreslosung für 2019 abgedruckt.

Das Los für 2019

In Herrnhut gibt es große Behälter mit Bibelsprüchen, aus denen die Losungen gezogen werden. Das Los für das Jahr 2019 war auf Psalm 34, 15 gefallen: "Suche Frieden und jage ihm nach!".

Lose werfen ist eine durchaus biblische Angelegenheit. So hatten die Priestergewänder gemäß der Mosebücher spezielle Taschen zur Aufbewahrung von Losen. Lose wurden zur Ermittlung des ersten Königs von Israel geworfen. Der zweite König, David, warf Lose, um Gottes Antworten zu ermitteln. Die Soldaten unter dem Kreuz warfen das Los um die Kleidung von Jesus und die Apostel warfen das Los zur Nachberufung eines neuen zwölften Mannes. Seit knapp 300 Jahren wird nun auch in Herrnhut das Los geworfen und Bibelzitate für Jahr, Monat, Woche und Tag ermittelt.

Psalm 34, 15

"Suche Frieden und jage ihm nach!" ist eine der möglichen Übersetzungsvarianten von Psalm 34, 15. Zunächst ist zu beachten, dass das nur der zweite Teil eines viel längeren Verses ist. Der Vers beginnt mit "Weiche ab vom Bösen und tue Gutes!". Hier gibt es kaum Spielraum bei der Übersetzung. Egal, ob man den Text direkt aus dem Hebräischen, aus der Septuaginta (griechisch) oder der Vulgata (lateinisch) übersetzt. Allein das erste Wort sur kann widerstehen oder zurückkehren oder abkehren oder abweichen vom Bösen oder vom Übel (me-rah) bedeuten.

Interessanter ist die Übersetzung des zweiten Teils "Suche Frieden und jage ihm nach!". Das erste Wort baqesch wird normalerweise für Bitten, Erbitten, Ersuchen verwendet. Wenn beispielsweise der Tourist mit offenem Mund vor der Klagemauer in Jerusalem steht und plötzlich einen Stoß in die Seite bekommt gepaart mit dem Ausspruch "Vaqascha", dann heißt das "Bitte!" Er soll bitte Platz machen, damit auch noch andere Leute durchkommen. Baqesch kann aber auch mit "Suche!" übersetzt werden.

Erbitte Frieden!

Hieronymus folgt dem nur bedingt bei der Übersetzung aus dem Griechischen und Hebräischen. Aus der Septuaginta übersetzt er mit inquire (Erforsche!), was wir von der Inquisition kennen, dem Erforschen dessen, was jemand alles so falsch gemacht haben könnte. "Erforsche den Frieden!" würde das im Deutschen heißen. Seine Übersetzung aus dem Hebräischen nutzt das Wort quaere (Suche! Frage! Untersuche!). Was nun? Sollen wir den Frieden untersuchen? Sollen wir ihn suchen? Oder sollen wir ihn erbitten? Und welches Wort steht im Urtext überhaupt für Frieden? Richtig: Schalom! "Baqesch Schalom we-radfehu!", ist dort zu lesen.

Das Wort Frieden ist aber nur ein Teilaspekt von Schalom. Unser Frieden könnte sich auf eine friedliche See, die Zeit zwischen zwei Kriegen oder den inneren Frieden beziehen. Laut Langenscheidt kann Schalom folgendes bedeuten: Frieden, Ruhe, Wohlbefinden, Gutes, Wohlergehen, Entschädigung, Reparation oder Wiedergutmachung. Am besten gefallen mir im gelben Wörterbuch der Schalom-Emeth, der echte Frieden, und der Isch-Schlomo, der Mensch des Vertrauens.

Verfolge ihn!

Würde ich mit Altgriechisch nicht auf Kriegsfuß stehen, würde ich diese Sprache hier auch noch einfließen lassen. Aber man kann nicht alles haben. Außerdem geht es ja nicht um den Kriegsfuß, sondern um Frieden, den Schalom. Ich persönlich tendiere zu "Erbitte Frieden!". We-radfehu kann ins Deutsche übertragen werden mit "und erstrebe ihn", "und eifere ihm nach", "und sei ehrgeizig" oder "und verfolge ihn".

Letzteres ist besonders pikant, da das hebräische Wort mit dem Konsonantenstamm "rdf" tatsächlich auch für unser Substantiv Verfolgung verwendet wird. Verfolgen oder nachjagen trifft den Sinn wohl am besten. Hieronymus nutzt das Wort "persequere". Dieses Wort begegnet uns zweimal in Apostelgeschichte 9. Dort wird Saulus von Jesus gefragt, warum dieser ihn denn verfolge: "Saul Saul, quid me persequeris?" und "Ego sum Iesus, quem tu persequeris!" (Ich bin Jesus, den du verfolgst!). Streicht man das "per" am Anfang weg, ergibt sich ein deutlich positiverer Sinn, nämlich die bekannte Sequenz, die Folge. Wenn Jesus seinen potenziellen Schülern zuruft "Sequere me!", dann übersetzt Luther das mit "Folge mir nach!"

Hinterherlaufen oder entgegengehen?

Wir sollen also Frieden erbitten und diesem dann konsequent nachfolgen. Seit einigen Jahren hängt mir ein Spruch aus der Finanzdienstleistung im Gedächtnis: "Man soll dem Geld nicht hinterherlaufen. Man muss ihm entgegengehen." Warum dem Frieden nachjagen, wenn man ihm auch entgegengehen könnte? Vers 15 aus Psalm 34 schließt beides ein. Das Erbitten oder Suchen geht dem Frieden entgegen und das Nachjagen macht den Frieden nachhaltig. Bitten, empfangen und erhalten stecken in diesem kleinen Vers, der im Hebräischen nur aus drei Wörtern mit insgesamt 13 Buchstaben besteht - sehr kompakt.

"Erbitte Frieden und folge ihm konsequent nach!" Den Rest müssen sich nun Heerscharen von Pfarrern und Pastoren ausdenken, die in der ersten Januarwoche eine Predigt über diesen Text abzuliefern haben. Ich hingegen lehne mich entspannt zurück und freue mich über die Weihnachtskarten: "Semper talis" ist der Leitspruch des Wachbataillons und "Domini sumus" das Motto der Militärseelsorge.

Sonntag, 16. Dezember 2018

Band of Brothers and Sisters in Spandau

"Band of Brothers and Sisters" ist eine neue übergemeindliche Initiative in Berlin. Gestern besuchte ich die Dezember18-Konferenz der "Band of Brother and Sisters" in Spandau.



Wer "Band of Brothers and Sisters" hört, könnte sogleich an einen Gospelchor denken. Tatsächlich hat diese Band etwas mit Gospel (Gute Nachricht, Evangelium) zu tun. Allerdings ist die Band im Sinne von Team zu verstehen, als ein "Team von Brüdern und Schwestern".

Am Freitag startete in Spandau die Dezember18-Konferenz der "Brothers and Sisters". Es begann mit einem Abend des Kennenlernens, mit Lobpreis und Gebet. Es war auch eine Abordnung aus Süddeutschland angereist. Das relativ locker organisierte Treffen wurde von Dirk Koeppe einberufen. Dirk Koeppe ist Pastor in der LKG Westend.

Termine und der Weg nach Spandau

Wegen vorweihnachtlicher Terminüberschneidungen und des langen Weges nach Spandau hatte ich den gestrigen Vormittag für die Konferenz eingeplant. Ich hatte keine konkrete Vorstellung, was mich erwarten werde. Mehrere Vorträge zu interessanten Leitungsthemen standen auf dem Programm. Nachdem ich den Wagen auf dem Gelände abgestellt hatte, begegnete ich sogleich einer Frau aus Süddeutschland. Sehr freundlich. Begrüßung mit Vornamen.

Freundlich und mit Vornamen ging es auch im Saal weiter. Nur Dirk Koeppe war mir bekannt, obwohl ich ihn auch nur einmal kurz bei einer Allianz-Veranstaltung getroffen hatte. Egal, so viele neue Gesichter und dazu die Namen. Wie merkt man sich das nur? Joachim, Günther, Peter. Dann schneite Detlef Czech herein. Noch ein Bekannter. Es wurde immer voller und kurz vor Beginn erschien Swen Schönheit.

Wir waren schätzungsweise 25 Männer und Frauen aus sämtlichen Generationen mit einem Durchschnittsalter von 50. Die administrative Zusammensetzung war sehr heterogen. Geistliche Leiter wie Swen Schönheit, Pastoren wie Dirk Koeppe, Otto Normalchristen und Freelancer wie Detlef Czech saßen in Harmonie nebeneinander. Uns alle verband ein Gedanke: Lasst uns das Reich Gottes - den Einflussbereich von Jesus - in Berlin und Brandenburg ausweiten!

Impulsvorträge mit Inhalt

Dirk Koeppe berichtete sehr offen von seinem pastoralen Werdegang, den Höhen und Tiefen von Gemeindeentwicklung und seinem Wunsch, noch effizienter die Menschen in der Stadt mit Jesus bekannt zu machen. Dem schloss sich Swen Schönheit an. Er zeigte jede Menge Folien zur Illustration seiner Ausführungen. Ich war fasziniert über seine Sprachgewandtheit und die Ehrlichkeit, mit der er seine jeweilige Situation reflektierte. So ließ er sich nicht von einer gut gefüllten und quantitativ wachsenden Gemeinde blenden, sondern suchte Tiefe und förderte gezielt Leiter, die diese Tiefe weitertransportieren konnten. Inzwischen engagiert er sich bei der GGE, der Geistlichen Gemeindeerneuerung in der evangelischen Kirche.

GGE passte sehr gut zu dieser Konferenz. Prophetische Eindrücke, kräftiger Lobpreis und intensives Gebet bildeten den Rahmen für die Vorträge und Fragerunden. Die Referenten standen für einen Dialog mit dem Publikum zur Verfügung und hatten dabei alle Zeit, die sie brauchten.

Es folgte Detlef Czech. Sein Arbeitsgerät war das Flipchart. Er untermalte seine Ausführungen per Edding. Als erklärter Out-of-the-Box-Denker nahm er uns in seine Erfolge und Konflikte hinein, schilderte seinen Werdegang als Gemeindegründer und geistlichen Freelancer, der sein Ohr am Geist Gottes hat und dann auch mal sehr unkonventionelle Wege beschreitet. Wir stellten in der begleitenden Diskussion fest, dass es gar nicht so einfach ist, normgebundenes Denken abzulegen. Detlef Czech stellte auch heraus, dass Gebete am Bedürfnis und nicht am Wunsch orientiert sein sollten.

Schwerwiegende Impulse

In nur wenigen Stunden hatte ich einige schwerwiegende Impulse aufgenommen: Die Theologen waren sich einig, dass im Judentum - also sämtlichen Texten der Bibel - gefragt wird, statt zu vermuten und anzuklagen. Als Softwareentwickler berechne ich einfach selbst viele Situationen voraus und stelle generell zu wenige Fragen. Das ist ein Defizit, das ich schon seit einiger Zeit an meine journalistischen Coaches herantrage.

Selbsterkenntnis und Selbstoptimierung seien die initialen Voraussetzungen für den weiteren Erfolg im Reich Gottes. Daraus kann das Gebet um Gleichgesinnte folgen und daraus das Treffen mit diesen. Wir waren uns einig, dass das Reich Gottes nicht über Gemeindeprogramme gebaut wird, sondern über persönliche, ehrliche Beziehungen, die ein konkretes Wachstum in der Beziehung zu Jesus fördern. Swen Schönheit ging sogar so weit, dass eine auf Aktionismus gebaute Gemeinde auf Sand gebaut sei. Aktion kann immer nur die Folge von Vision und Mission sein, aber nie der Beginn, auch wenn die Aktion erst einmal erfolgreich scheint.

In der Pause diskutierten die Anwesenden in kleinen Grüppchen weiter. Peter Ischka bot Bücher und Z-Magazine an. Kekse und Salzstangen wurden geknabbert. Ich machte mich auf den Weg zu meiner Familie. Sie waren ins Umland zu einem Weihnachtsmarkt gefahren. Vorweihnachtliche Terminüberschneidung eben.

Montag, 10. Dezember 2018

Feliz Navidad und der Owie lacht

Weihnachtslieder werden über sprachliche Grenzen hinweg gesungen. Gestern erlebten wir einen internationalen Gottesdienst mit sprachlichen Fallen.



Im Eingangsbereich unserer Gemeinde stehen 50 kleine Fähnchen. Zu jedem der Fähnchen gibt es hier mindestens eine Person. Als beste sprachliche Schnittmenge dient Englisch, obwohl auch Afrikaner, Asiaten und Lateinamerikaner zu den Besuchern zählen. Afrikaner sprechen oft französisch und Südamerikaner spanisch.

Die Übersetzerin hatte es leicht. Die Weihnachtsgeschichte wurde auf Kinderdeutsch vorgelesen und die Übersetzung ins Englische stand an der Leinwand. Ein Großteil der Kinder disruptiert den Trend der Start-up-Szene und will lieber auf Deutsch kommunizieren. Das zwang die Mitarbeiter dazu, dieser Präferenz zu folgen. Hauptsache, die Kinder hören und machen das, was ihnen gesagt wird.

Während die Erwachsenen im großen Saal schon Weihnachtslieder auf Englisch, Spanisch und Deutsch sangen, wurden die lieben Kleinen in die reichlich vorhandenen Kostüme gesteckt. Es gab eine riesige Schafherde, viele Hirten, Ochs und Esel, viele Engel, aber nur zwei Könige, so dass meine Tochter den dritten König stellen musste. Vermutlich war sie Balthasar, da sie Caspar und Melchior vor sich her schob. Ein Geschichtenerzähler saß am Rand vor dem bunt geschmückten Weihnachtsbaum und las auf Deutsch.

Dazwischen immer wieder Weihnachtslieder und Eltern, die mit ihren Smartphones die goldigen Kindlein knipsten und sogleich viral im Internet verbreiteten. Als wieder eine Kinderherde zur Bühne kam, sangen wir "Stille Nacht, heilige Nacht". Ich war so fasziniert von diesem Monumentalfilmaufgebot an Kindern, dass ich fast die Stelle mit dem lachenden Owie verpasst hätte. "Owie lacht", sang ich meiner Frau ins Ohr. Sie lachte diesmal gar nicht. Zu sehr war sie auf die Kinder konzentriert.

Der Abend nahm seinen Lauf und auch "Feliz Navidad" wurde gesungen. Mein Sohn lernt schon seit vielen Jahren Spanisch. Das heißt, er hat Spanisch, lernt es aber nicht. Entsprechend sehen seine Noten aus. Er hasst das Fach. Dennoch machte er gestern eine folgenschwere Entdeckung. "Ano heißt aber etwas ganz anderes", raunte er meiner Frau zu. Es folgte der Owie-Effekt und sie klärte auch mich auf. Breites Grinsen beim iterierten Refrain: "Feliz Navidad Prospero Ano y Felicidad".

Über dem N von Ano fehlte die kleine Welle. Der Start-up würde von einer Tilde sprechen. Diese kleine Welle veränderte den Sinn des Wortes signifikant. Aufgeregt ging meine Frau zum Techniker, der die Folien aufgelegt hatte. Er solle dringend die kleine Welle über das N setzen. Breites Grinsen auch auf seinem Gesicht. Wir fragten den Technik-Leiter, wie lange denn schon von dieser Folie gesungen werde und ob noch keiner unserer vielen Spanischsprecher einen Hinweis dazu gegeben hätte.

Nein, es gab bisher keinen Hinweis und von der Folie werde seit fünf Jahren gesungen. Wir holten einen Spanier hinzu und fragten, ob ihm beim Lied etwas aufgefallen sei. Ob wir etwas anders singen, als es sein müsse. Er grübelte kurz und lächelte plötzlich verschmitzt in sich hinein. Breites Grinsen und dann schallendes Lachen. Seine amerikanische Frau kam hinzu. Sie verstand den Zusammenhang mit der fehlenden Welle erst, nachdem unser Technikchef auf seinen Hintern gezeigt hatte. Amerikaner lachen über solche Themen aber nicht.

Mit Feliz Navidad gibt es nun das zweite Weihnachtslied, das uns zukünftig zur Zeit und zur Unzeit zum Schmunzeln bringen wird.

Samstag, 8. Dezember 2018

First Christmas mit der Stadtmission im Ringcenter

Die Berliner Stadtmission hat den 2. Samstag im Advent genutzt, die originale Weihnachtsgeschichte mit Text, Spiel und Gesang aufzuführen. Die Kulisse stellte das zentrale Weihnachtshaus im Ringcenter am S-Bahnhof Frankfurter Allee.



Buff - "Du kannst das jetzt reklamieren gehen", sagte ich und hielt meiner Frau die kleine Tüte von Conrad Electronic unter die Nase. "Hat nicht geklappt?" - "Ich schmeiße jetzt die Mikrowelle in den Müll." Was war passiert?

Meine Frau hatte die Idee, heute Nachmittag zum Rixdorfer Weihnachtsmarkt zu fahren. Rixdorf ist eine sehr fromme Gegend mit Herrnhuter Brüdergemeine und Böhmischen Dörfern. Auch wenn ich Weihnachtsmärkte nicht mag, wollte ich meine Gattin heute mal begleiten. Einfach, um mit ihr zusammen zu sein. Untypisch war auch, dass ich ihre Entscheidung für die öffentlichen Verkehrsmittel akzeptierte.

Abstecher zu Conrad

In Neukölln stiegen wir in die U-Bahn um. Auf den Displays war zu lesen, dass der Rixdorfer Weihnachtsmarkt wegen Unwetterwarnung heute nicht stattfinde. Das glaubten wir nicht. Bei Google-Maps stand, dass der Weihnachtsmarkt geöffnet sei. So fuhren wir zunächst unter Rixdorf hindurch und zum Herrmannplatz. Dort kauften wir bei Conrad Electronic eine Sicherung für unsere Mikrowelle. Die Mikrowelle stand schon seit Monaten halb zerlegt im Flur und es war nirgends eine passende Sicherung dafür zu bekommen. Auch nicht bei Amazon. Conrad hatte noch genau eine Sicherung, die zwar nur 15 statt 16 Ampere verkraften konnte, aber egal. Das seltene Stück kostete 15 Euro. Dafür war eine kleine Conrad-Tüte dabei.

Im Nieselregen schlenderten wir noch etwas durch Neukölln. Straßenverkehr und sonstiges Ambiente erinnerten an Istanbul. Auch die Gerüche. Bei Karstadt entdeckten wir ein neues Geschäftsmodell: Tür auf- und einen Becher hinhalten. Meine Frau warf Münzen in den Becher von zwei russischen U-Bahnmusikern. Können muss honoriert werden.

Rixdorf und die Böhmischen Dörfer

Wieder sahen wir die Laufschrift, dass der Rixdorfer Weihnachtsmarkt ausfalle. Wir glaubten das immer noch nicht. So ging es wohl vielen Berlinern, die mit uns am U-Bahnhof Karl-Marx-Straße ausstiegen. Spätestens hier war ich froh, dass wir nicht mit Auto unterwegs waren. Es regnete. Autos und Fußgänger soweit das Auge reichte. Dann bogen wir in die lauschigen Gassen von Rixdorf ein. Eine ganz andere Welt unmittelbar neben Istanbul. Man fühlte sich plötzlich wie im weihnachtlichen Erzgebirge. Überall die Herrnhuter Weihnachtssterne von winzig bis riesig in unterschiedlichen Farben.

Als wir uns dem historischen Kern von Rixdorf näherten, stellten wir fest, dass die U-Bahn Recht gehabt hatte. Es waren nur sehr wenige Buden geöffnet und an der Bühne stand schon das THW für den Sturmeinsatz bereit. Wir schlenderten im Regen über den Platz und dann langsam Richtung S-Bahnhof. Das Timing passte perfekt zu einer Alternativ-Veranstaltung, die ich noch in der Hinterhand hatte: Berliner Stadtmission im Ringcenter.

Berliner Stadtmission im Ringcenter

Das Ringcenter liegt direkt am S-Bahnhof Frankfurter Allee. Man fällt regelrecht von der S-Bahn in dessen Nebeneingang. Aus der Tiefe waren weihnachtliche Klänge zu hören. Wir folgten der Musik. An zentraler Stelle war ein Knusperhäuschen aufgebaut - das Weihnachtshaus. Die Musiker von der Stadtmission übten noch einmal ihre Stücke. Direkt vor der Bühne saßen Kinder mit Bommelmützen und Müttern. Die Mütter hatten kaum Platz, da wenige Meter weiter ein Smoothie-Stand seine fruchtigen Getränke anbot. Die Stadtmissionare wirkten sehr beschäftigt und der Platz war eng. Deshalb fuhren wir wieder eine Etage höher und schauten von der deutlich besseren Position zu. Das sah der mitgebrachte Kameramann wohl auch so und folgte uns.

Das Programm ging etwa eine halbe Stunde und war auf die Location abgestimmt. Es gab einen raschen Wechsel von Text, Theater und Musik. Dabei schlüpften einige der Akteure in verschiedene Rollen: Gesang, Engel, schwangere Elisabeth, Cajon, Joseph, Hirte, Bass-Ukulele und Maria. Die Übergänge funktionierten so perfekt, dass diese Personalunion kaum auffiel.

Mehrfach wurde ein Rückblick auf das Geschehene gegeben. Schließlich war ein ständiges Kommen und Gehen zu verzeichnen. Einkaufscenter eben. Nur das Publikum direkt vor der Bühne war recht konstant. Eine Frau mit Kopftuch filmte die gesamte Weihnachtsgeschichte mit ihrem Smartphone. Ein Vater machte mehrere Fluchtversuche, wurde aber von seinem kleinen Sohn zum Dableiben gezwungen. Neben uns tanzten Kunden zu "Gloria in excelsis Deo". Das Programm hatte die Stadtmission mit "First Christmas" angekündigt. Damit sollte auf den Ursprung des Weihnachtsfestes und auf Jesus aufmerksam gemacht werden. Das war nach unserer Einschätzung gelungen.

Die Stadtmissionare boten nach dem Programm noch Gespräche an, zogen sich jedoch bald in das Weihnachtshäuschen zurück. Schade, wir wollten noch kurz "Hallo" gesagt haben. So irrten wir durch das Ringcenter und fanden tatsächlich den Ausgang zur S-Bahn. Wenn Jesus schon das Timing bestimmt, dann richtig: Auf den Stufen zum Bahnsteig trafen wir noch eine gute Freundin und konnten uns gleich zum morgigen Adventsgottesdienst verabreden.

Als wir zu Hause waren, holte ich die zerlegte Mikrowelle hervor und setzte die neue Sicherung ein. Die Uhr leuchtete. Ich drehte den Knopf auf 30 Sekunden und drückte auf "Micro": Buff.

Samstag, 1. Dezember 2018

Vulgata Tusculum auf Deutsch

Wer die Vulgata lesen möchte, muss jetzt kein Latein mehr lernen. Mit der Vulgata Tusculum gibt es nun eine wissenschaftliche Übersetzung ins Deutsche. Diese wurde gestern in der Katholischen Akademie vorgestellt.



Die Einfahrt ins Parkhaus der Katholischen Akademie war eng. Die dunklen Streifen an der Wand signalisierten, dass hier schon so manch ein Fahrzeug zerschellt war. Den Wagen stellte ich vor dem Schild "Bischofskonferenz" ab und ging zum Fahrstuhl. Wer einen Vorgeschmack auf die Ewigkeit haben möchte, sollte den Fahrstuhl zum Erdgeschoss nutzen.

Im Erdgeschoss erfuhr ich, dass die Vulgata in der dritten Etage vorgestellt werde. Diesmal nutzte ich die Wendeltreppe und gelangte in einen mit vielen Stuhlreihen gefüllten Raum. Das Publikum erinnerte optisch und demografisch an Veranstaltungen der CDU/CSU-Fraktion. Über mir gab es eine Glaskuppel. Dort konnte kontrolliert werden, ob die Haare noch liegen. Das war mir jedoch egal, da meine Frau die Haare vor einem Monat geschnitten hatte. Versehentlich war der Haarschneider auf neun Millimeter eingestellt worden, so dass bis heute keine für die Glaskuppel relevante Frisur nachgewachsen ist.

In der ersten Reihe - also direkt vor mir - nahmen mehrere Professoren Platz. Nacheinander durften sie ans Pult treten und über ihr Werk reden. Die Vulgata in Deutsch war in nur sieben Jahren entstanden und hatte einige Übersetzer und sonstige Dienstleister verschlissen. Die drei Herausgeber - allesamt Professoren der Theologie - hatten sehr genau hingeschaut, welche Qualität geliefert wird. So sollten die Übersetzer jegliche regionale und sprachliche Eigenheiten ablegen, sie sollten keine Pastoraltöne, kein Lutherdeutsch und auch keinen Cicero einfließen lassen.

Den Cicero-Spagat hatte Hieronymus sehr gut hinbekommen. Während er um 400 seine Vorreden zu den biblischen Büchern im Stil von Cicero und natürlich auf Latein verfasste, konnte er bei der Übersetzung des hebräischen Urtextes auf die lateinische Alltagssprache umschalten. Wie Luther schaute auch Hieronymus "dem Volk aufs Maul". Aus protestantischem Prinzip durfte Luther den Hieronymus zwar nicht mögen, schätzte doch aber sein sprachliches Handwerk sehr.

Wer sich für Bibelübersetzungen und die damit verbundene Arbeit und den Kampf um die optimale Übertragung in eine andere Sprache interessiert, hätte gestern einen Hochgenuss erlebt. Die Professoren warfen Folien an die Wand mit Versen auf Hebräisch, Griechisch, Latein und Deutsch und schilderten die Herausforderungen bei der Übertragung von Redewendungen und Dingen, die in anderen Kulturen vielleicht gar nicht existieren. Das beginne schon in den ersten Versen der Bibel. Besonders schwierig sei die Übertragung des Hebräischen ins Griechische gewesen, da die Griechen mit "von ganzen Herzen" nichts anfangen konnten. Was hat das Herz mit der Gefühlswelt zu tun? Deshalb wurde dann auf das Geistige übersetzt, so dass auch der gemeine Grieche etwas mit dem Vers aus 5. Mose 6, 5 anfangen konnte.

Noch dramatischer gestalteten sich aber Übersetzungen für Eskimos. Die kennen kein Lamm und Brot gibt es im Polarkreis auch nicht. So wurde das Lamm in Robbenbaby übersetzt und auch für das Brot wurde ein schwaches Pendent gefunden. Allerdings waren damit wichtige Symbole zerstört: Brot und Wein oder Lamm Gottes. Die Professoren erläuterten die Entscheidungswege zur Festlegung des für die jeweilige Sprache passenden Äquivalentes. Generell war ein sehr ehrfürchtiger Umgang mit den Urtexten und Quellen festzustellen.

Bei der Übersetzung muss also zunächst entschieden werden, ob es ein formales oder ein dynamisch-funktionales Ergebnis geben soll. Die Elberfelder oder die Martin Buber gelten als formale und eher trockene Übersetzungen, die möglichst nah am Urtext rangieren. Die Hoffnung für Alle oder gar die Volxbibel sind eindeutig dynamisch-funktionale Bibeln, die für eine bestimmte Zielgruppe in deren Sprache übersetzt wurden. Die Professoren ließen sich nicht nehmen, zu erwähnen, dass "Die Bibel für kluge Kinder und ihre Eltern" gerne als Bibeleinstieg für Erwachsene genutzt wird. Durch die Hintertür des Kinderzimmers sozusagen.

Überhaupt waren insbesondere die Ausführungen von Prof. Dr. Widu-Wolfgang Ehlers mit spitzfindigem Humor gewürzt. Der Professor verzog keine Miene, während das Publikum fast bei jedem Satz in herzhaftes Lachen ausbrach.

Nach etwa zwei Stunden hatten wir einiges zum Thema Übersetzung gelernt und erfahren, dass die Vulgata Tusculum in Deutsch fünf Bände umfasst. Mit insgesamt 6.300 Seiten ist sie deutlich dicker als die Biblia Sacra Vulgata mit ihren 1976 Seiten. Das liegt wohl daran, dass der lateinische Text über oder neben der deutschen Übersetzung steht. Da ein Band knapp 80 Euro kostet, ist die Bibel wohl eher etwas für Experten oder Sammler. Alle fünf Bände kosten demnach 400 Euro. Das ist selbst mir zu teuer, so dass ich lieber bei meiner Vulgata in der Originalfassung von Hieronymus bleibe.

Es gab zwar noch einen Sektempfang des Verlages, aber ich wollte sicher sein, dass ich zur späten Stunde noch mein Auto aus der Tiefgarage bekomme. Nach dem Einwurf von drei Euro konnte ich sogar offiziell durch die geöffnete Schranke hinaus in die regnerische Nacht fahren.

Freitag, 30. November 2018

Weihnachtsverspannungen und die Familien-Chronik

Christbaumschmuck eignet sich offensichtlich auch zum Sammeln. So hat das Deutsche Historische Museum (DHM) heute eine Sonderausstellung zu diesem Thema eröffnet. Ich habe am Presserundgang teilgenommen.


In der christlichen Szene ist die Nutzung des Weihnachtsbaumes umstritten. Besonders "rechtgläubige" Christen lehnen ihn als heidnisches Symbol ab. Schließlich werde auch in der Bibel nichts vom Weihnachtsbaum berichtet, ganz abgesehen von der Datierung der Geburt Jesu. Alles nur kirchengeschichtliches Beiwerk, das sich irgendwelche Prälaten zur Verweltlichung geistlicher Themen ausgedacht haben.

Die gestern im DHM eröffnete Sonderausstellung zum Christbaumschmuck aus zwei Jahrhunderten konnte die Frage nach dem Ursprung der Weihnachtsbaum-Tradition nicht erschöpfend klären. Fakt ist jedoch, dass der Baum um diese Jahreszeit in vielen Kulturen genutzt wird. So zeigt die Ausstellung eine sehr ambivalente Vermischung religiöser und ethnischer Baum-Behänge.

Christbaumschmuck DHM Deutsches Historisches Museum Sonderausstellung
Christbaumschmuck im Deutschen Historischen Museum (DHM) - Runen für den Julbaum
Wenn ein einschlägig bekanntes Möbelhaus aus Schweden mit seinen Jul-Wochen und dem Austausch des Weihnachtsbaumes gegen Möbel wirbt, liegt dem das nordische Jul-Fest zugrunde. In einer Vitrine war deshalb auch Jul-Schmuck in Form bunt bemalter Runen zu sehen. Diese hatte ein Mann mit straffer NS-Vergangenheit in Dresden gesammelt. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren plötzlich einige Teile seiner Biografie verschollen. Nicht so seine Julbaum-Runen. Als Experte für völkisches Denken hatte er damals auch über Runengebäck und ähnliches gelehrt.

In der Nachbarvitrine lag dann auch eine Weihnachtsbaumspitze mit Lametta und Hakenkreuz, dazu ein glitzerndes Hakenkreuz für die Zweige und eine plattgedrückte silberne Weihnachtskugel mit einem geprägten Hakenkreuz. Ein Kameramann ergatterte von einem erhöhten Standpunkt aus ein interessantes Motiv: Hakenkreuz hinter Davidstern. Dieser hing nämlich in den Vitrine gegenüber. Neben dem Davidstern hingen der Felsendom, arabische Behänge, Ikonen und der Chanukkaleuchter, alles im Format unserer bekannten Weihnachtskugeln.

Auf 80m² waren 500 Exponate ausgestellt. Die Hälfte davon waren in die "Weihnachtsverspannung" integriert. Diese Verspannung bildete mit gläsernen Köpfen von Marx und Luther, Krippen, Engeln, Kugeln, Menschen, Fahrzeugen und einem zentral verspannten Handy ein Dreieck, das wohl einen Weihnachtsbaum symbolisieren sollte.

Christbaumschmuck DHM Deutsches Historisches Museum Sonderausstellung
Christbaumschmuck im Deutschen Historischen Museum (DHM) - Generationen gehen dahin und dokumentieren das vor dem Weihnachtsbaum.
Interessant war, dass sich am Weihnachtsbaum so manch eine Familienchronik nachvollziehen ließ. So tauchten die Protagonisten als Babys, als Kinder, als Jugendliche, als Soldat, als Offizier und dann gar nicht mehr auf. Andere Personen waren weiterhin dabei, zeigten aber den üblichen biologischen Verfall, bis sie dann auch von den Fotos vor dem Weihnachtsbaum verschwanden. Auch in unserer Familie gibt es die Tradition dieses Gruppenfotos im engsten Kreise. Daran lässt sich ablesen, wann mein Schwager mal wieder auf Weltreise war, wann er seine Freundin kennengelernt hatte, wann unsere Väter gestorben waren, wie der Stand des Übergewichts war und wer gerade den Friseur besucht hatte.

Die Eröffnung der Ausstellung im DHM war gleichzeitig eine Steilvorlage für das Anschalten des Lichtes am Weihnachtsbaum vor dem Schloss Bellevue. Jedes Jahr, am Freitag vor dem ersten Advent, lädt der Bundespräsident Grundschüler aus irgendeiner Stadt in Deutschland ein und singt mit ihnen Weihnachtslieder. Anschließend dürfen sie das Licht einschalten und Kakao mit dem Präsidenten trinken. So auch heute, nur dass das Singen wegen des Regens im Schloss statt auf dem Vorplatz stattfand.

Samstag, 10. November 2018

Angst beim Männertag in der EFG Oberkrämer

Beim Männertag in Oberkrämer ging es diesmal um verschiedene Ängste und den Umgang damit. Erstmalig war ich zusammen mit meinem Sohn beim Männertag.



"Fürchte dich nicht", stand in großen Buchstaben auf einem schwarzen Briefumschlag, den wir unter unseren Stühlen hervorziehen konnten. Bis zum Ende des Männertages in der EFG Oberkrämer hatte niemand bemerkt, dass er über einem schwarzen Briefumschlag sitzt. Manchmal klemmt auch Schokolade unter dem Sitz und manchmal auch ein Kaugummi.

Auch mein Sohn bückte sich unter den Stuhl. Mit seinen 15 Jahren war er nun endlich so groß, dass ich ihn mal mit zum Männertag nehmen konnte. Meine Frau hatte das bisher immer blockiert. Während ich zwei Männern aus meiner Ex-Gemeinde noch sagen konnte, sie sollen bitte nicht den Klassiker bringen, sprach es prompt ein anderer Mann aus: "Bist du aber groß geworden". Mein Sohn schaute über mich hinweg und grinste die Männer an. In der JKB Treptow fühlen sie sich seit dem Verlassen unserer Ex-Gemeinde sehr wohl und genießen die abwechslungsreichen Predigten. Sie seien inzwischen in den großen Kinosaal des "Astra" umgezogen.

Der Männertag in Oberkrämer wird seit vielen Jahren thematisch vom Forum Wiedenest begleitet. Diesmal war sogar Ulrich Neuenhausen angereist. Er ist Leiter des Werkes. Wiedenest liegt ganz im Westen in einer Region südlich des Sauerlandes. Echte Berliner wissen wahrscheinlich nicht, wo das Sauerland liegt. Hier ein Tipp für Dortmund-Fans: Das Sauerland liegt südlich von Dortmund und Wiedenest noch etwas südlicher davon.

Aus dieser Region jedenfalls war Uli Neuenhausen angereist. Er machte einen sehr authentischen und alltagsbezogenen Eindruck. Er war kein typischer Kleriker und auch kein Mann, der sich um das Amt des Werksleiters gerissen hätte. Das machte ihn sympathisch und schaffte eine gute Basis zum Zuhören. Das Thema Angst hatte er sich wohl selbst ausgesucht und begründete es damit, dass er mit zunehmendem Alter deutlich mehr Ängste erlebe als früher.

In seinen Vorträgen ging es um verleugnete Angst, wodurch sich der Ängstliche selbst etwas vorlügt und dann eben falsche Entscheidungen trifft. Saul wurde als Beispiel für Fehlentscheidungen durch geleugnete Menschenfurcht zitiert. Die These: Geleugnete Angst macht das Leben zur Lüge.

Petrus diente als Beispiel für Angst, die durch einen Wechsel des Fokus erzeugt wurde. Beim Gehen über das Wasser schaute Petrus plötzlich auf die Umstände, die Wellen, statt auf Jesus. Dabei war Jesus so nah, dass er Petrus greifen und vor dem Ertrinken bewahren konnte. Lähmende Angst also, die entschiedenes Handeln verhindert. Das Wort Entscheidung kam bemerkenswert oft bei Uli Neuenhausen vor. Damit offenbarte er sich selbst als Entscheider. Entscheidungsfähigkeit ist eine sehr wichtige Eigenschaft begabter Leiter.

Das Dritte waren irrationale Ängste. Ängste, die keinen objektiven Bezug zu den tatsächlichen Umständen haben. Der Referent aus Wiedenest sprach viele Ängste quer Beet an, so dass sich letztlich wohl jeder Mann irgendwo getroffen gefühlt haben musste.

Es waren etwa 150 Männer im Saal. In der Küche standen einige Frauen der Gemeinde und kochten unentwegt Kaffee. Sie kümmerten sich auch um das Mittagessen und den Kuchen. Mein Vordermann zeigte die Gänsehaut auf seinem Arm, als die Männerstimmen den Lobpreis in den Gemeinderaum hineinsangen.

Nach dem Mittagessen - Linsensuppe mit Würstchen oder Milchreis mit Kirschen - fanden die üblichen Seminare statt. Eines ging um Mentoring, eines um mutig von Jesus zu erzählen und eines um die Offenbarung, also das finale Buch der Bibel. Die Schnittmenge zwischen meinem Sohn und mir war das Mentoring-Seminar. Es gab zwar auch einen gruppendynamischen Teil, aber die gewohnt gute Verpflegung sorgte für eine Kombination aus Verdauungs- und Mittagsmüdigkeit.

Zum Wachwerden war Matthias Burhenne aus Wiedenest angereist. Er moderierte den letzten Teil des Männertages. Mein Sohn war beeindruckt von dessen professioneller Moderatorenstimme. Die erste Übung zur Überwindung der Mittagsmüdigkeit war ein Spiel mit Lutschern. Wer eine Frage mit Ja beantworten konnte, musste seinen Lutscher an den Fragesteller abgeben. Ich mag keine Lutscher und war deshalb gewollt schnell raus aus dem Spiel. Ein junger Mann hatte 12 Lutscher bekommen. Er hatte immer die gleiche Frage gestellt: "Bist du ein Mann?"

Als es dunkel geworden war, neigte sich auch der Männertag in Oberkrämer seinem Ende entgegen. Es gab noch drei Lieder, Gebetsangebote, eine Kollekte und einen Segen. Dann fuhren die Männer aus Berlin und Umgebung in die Nacht. Ich war erstaunt, dass man auch mit Baustellen-Tempo 40 und 60 zu Hause ankommt.