Angeregt durch eine Begegnung bei EINS besuchten wir heute den Gottesdienst der Alt-Katholiken in Wilmersdorf. Die katholische Freikirche ist zentral gelegen und hat am Innsbrucker Platz einen eigenen Autobahnanschluss.
Heute fuhren wir zu viert nach Wilmersdorf. 10:30 Uhr war ein guter Kompromiss zwischen Mittagessen und familiärer Morgen-Hektik. Überpünktliches Erscheinen sicherte uns einen guten Parkplatz. Neben dem Matchbox-Laden Cars & Boxes führte eine kleine Treppe in die Räume der Berliner Alt-Katholiken. Die Tür sah verschlossen aus, war sie aber nicht.
Wir betraten eine helle Stube mit Bildern in freundlichen Pastelltönen. An den Wänden klebten goldene Kreuze. Durch einen Vorhang schauten wir in einen weiteren Raum. Dort stand ein Tisch und darüber hing ein Gemälde von Josef-Hubert Reinkens.
Freikirche auf Katholisch
Reinkens wurde 1873 als erster Bischof der Alt-Katholiken geweiht und noch im selben Jahr von der preußischen Regierung als gleichberechtigt zu römisch-katholischen Bischöfen anerkannt. Damit hatte die katholische Kirche wieder eine Trennung erlebt. 1054 hatte sie sich schon von der orthodoxen Ostkirche verabschieden müssen, 1517 von den Protestanten und diesmal von den Alt-Katholiken. Während alt intuitiv mit konservativ gleichgesetzt wird, bedeutet es bei den Alt-Katholiken eher uralt, also Katholizismus aus einer Zeit, als es noch keine Unfehlbarkeit des Papstes und andere nachgelagerte Dogmen gab.
Mit ihren 145 Jahren sind die Alt-Katholiken eine recht junge Freikirche. Fast so jung wie der Mülheimer Verband, nur eben mit dreimal so vielen Mitgliedern. Während evangelische Freikirchen gerne die alten Liturgien über den Jordan werfen, praktizieren die Alt-Katholiken einen moderaten Übergang vom üblichen Stil der Landeskirche zum familiären Stil der Freikirche. So stand im Saal ein modernes Taufbecken, Kerzen, ein Altar, eine Kanzel und zwei Kruzifixe. Es gab Messdiener, Glöckchen, die Eucharistie - Abendmahl - und Gewänder in den Farben des Kirchenjahres.
Abendmahl, Weihnachten und Familien-Gottesdienst
Das Abendmahl durfte von allen genommen werden, die getauft waren und eine irgendwie geartete Kommunion absolviert hatten. So stellten auch wir uns in den Kreis und machten uns mit den Alt-Katholiken EINS.
Die Tatsache, dass hier immer noch Weihnachten zelebriert wurde, erstaunte uns. Der Vikar erklärte, dass die Weihnachtszeit erst am 2. Februar mit Mariä Lichtmess ende. Kein Wunder also, dass wir neben unzähligen weiteren Liedern auch "O, du Fröhliche" sangen und vor dem Altar Stall und Krippe bewundern konnten.
Heute war Familien-Gottesdienst und die Kinder durften den Hauptteil der Predigt übernehmen. Das heißt, sie wurden zum herbeigetragenen Gemälde von Josef-Hubert Reinkens befragt. Dabei lernten wir, dass der Mann auf dem Bild der erste Bischof gewesen sei und Bischöfe immer ein Kreuz auf der Brust tragen. "Außer vielleicht, wenn sie in Jerusalem den Tempelberg besuchen", dachte ich. Ein weiteres Bild zeigte eine Nonne - Computerausdruck. Zusammen mit den Kindern wurde festgestellt, dass Nonnen beten, putzen und kochen. Es wurde Kirchengeschichte vermittelt und die Wichtigkeit von Namen herausgestellt. Die Kinder wurden namentlich aufgerufen und jeweils eine Kerze für sie angezündet.
Eine Gemeinde weit und breit
Insgesamt nahmen etwa 50 Personen am Gottesdienst teil. Davon 20% Kinder. Da es in Berlin nur eine alt-katholische Gemeinde gibt, kamen die Besucher auch aus der weiteren Umgebung. Mit 23 Kilometern Anfahrt bewegten wir uns im Nahbereich. Die Alt-Katholiken in Berlin-Wilmersdorf sind im Radius von 200 Kilometern so ziemlich die einzigen ihrer Denomination. Dennoch haben die Räume ihre Wachstumskapazitäten ausgeschöpft. 20 Personen mehr würden einen Umzug erforderlich machen. Hier übrigens eine interessante Studie zu den Wachstumsschwellen von Gemeinden (bereitgestellt von https://der-leiterblog.de/).
Fast allen Anwesenden konnten wir während eines Friedensgrußes die Hände schütteln. Nach den jüngsten Klinik-Aufenthalten betrachte ich dieses liturgische Element sehr ambivalent. Es wird jedoch in vielen Gemeinden praktiziert. Laut Ansage sollte es heute wieder das traditionelle Familien-Gottesdienst-Mittagessen geben. Den Köchen winkt am Jahresende ein selbst gebasteltes Geschenk.
Da wir außer während des Friedensgrußes in unserer Anonymität belassen wurden, entfernten wir uns relativ zeitnah aus der umgebauten Wohnung im Hochparterre. Auf dem Rückweg entschlossen wir uns zum Test eines Inders am Winterfeldtplatz. Das war eine sehr gute Entscheidung, die zur Nachahmung anregt.