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Donnerstag, 2. Juni 2022

Der Schrei der Wildgänse

Mit einem Abstand von sieben Jahren habe ich das Buch "Der Schrei der Wildgänse" noch einmal gelesen. Es ist schon interessant, wie Bücher - gelesen zur richtigen Zeit - ihre ganz besondere Wirkung erzielen können.

Beim ersten Lesen des Buches "Der Schrei der Wildgänse" von Wayne Jacobsen und Dave Coleman waren wir gerade in der Phase, unsere über 20 Jahre hinweg aufgebaute und begleitete Gemeinde zu verlassen, da wir dort nicht mehr erwünscht waren. Das Buch spiegelte unsere Situation wider, wobei wir so viele Baustellen gleichzeitig zu bearbeiten hatten, dass viele der wertvollen Impulse einfach untergingen. Das Buch machte damals die Runde unter den Ehepaaren, die ebenfalls nicht mehr erwünscht waren, weil auch sie es gewagt hatten, den Pastor zu hinterfragen.

"Der Schrei der Wildgänse" von Wayne Jacobsen und Dave Coleman
"Der Schrei der Wildgänse" von Wayne Jacobsen und Dave Coleman - Foto: Pazifikküste Costa Rica


Zwischenzeitlich hat sich einiges bei uns getan. Wir haben viele andere Gemeinden kennengelernt: gesunde und weniger gesunde. Wir haben uns für fünf Jahre in einer internationalen Gemeinde eingebracht, neue Aufgabenfelder ausprobiert und interessante Menschen kennengelernt, die ihre Beziehung zu Jesus bauen. Und genau an diesem Punkt setzt das Buch an:

Der Protagonist, Jake, ist im Hamsterrad des Gemeindelebens gefangen. Er findet das zwar normal und richtig, ist aber sehr unzufrieden. Dann begegnet ihm John, ein geheimnisvoller, aber beeindruckender Typ, von dem bis zum Ende des Buches nicht klar wird, ob es sich um den Johannes aus der Bibel handelt. Das spielt letztlich aber auch keine Rolle, da es im Kern um die Auflösung des Konfliktes zwischen institutioneller Betriebsamkeit und tatsächlicher christlicher Gemeinschaft mit Fokus auf die Beziehung zu Jesus geht.

Immer wieder fallen Jake und seine Weggefährten in alte Muster zurück und können sich nur schwerlich von gewohnten Ritualen und Organisationsstrukturen lösen. Das beginnt bei der manipulativen Sprache, der gegenseitigen moralischen Kontrolle und endet bei der liturgischen Form privater Treffen im Wohnzimmer. In den geschilderten Situationen findet sich wohl jedes langjährige Gemeindemitglied wieder.

Die Autoren fordern dazu auf, über den Tellerrand hinaus zu denken. Das Reich Gottes nicht nur als die Ortsgemeinde zu sehen, sondern als einen dynamischen Körper von Menschen, die eine tiefe Beziehung zu Jesus suchen. So kann es Gemeinde auch auf der Parkbank, dem Parkplatz, dem Wanderweg, dem Restaurant oder dem Garten hinter dem Haus geben. So kommen die Wildgänse aus dem Titel auch erst im vorletzten Kapitel vor: Jake ist nach etwa vier Jahren schon so gereift, dass er anderen seine neuen Erkenntnisse und Erfahrungen weitergibt. Dann ziehen mehrere Gruppen von Wildgänsen über die Szene hinweg. Dabei wechseln die Vögel auch die Position in der V-Formation. Es sind mehrere Gruppen, die aber alle ein Ziel haben und sich letztlich an genau diesem Ziel treffen.

Auch wir haben sieben weitere Jahre an Erfahrungen gesammelt, so dass uns das Buch genau jetzt ganz neu erfrischt hat.

Sonntag, 24. April 2022

JKB Treptow im Astra Filmpalast

Der Astra Filmpalast in Berlin-Johannisthal scheint die Corona-Pandemie gut überlebt zu haben. Auch die JKB Treptow feiert dort nach wie vor ihre Gottesdienste.

Fünf Jahre ist es her, dass wir die JKB Treptow besucht haben. Damals waren wir angetan von der Gastfreundschaft und dem zeitgemäßen Lobpreis. Diesmal trafen wir sehr knapp am Astra Filmpalast ein, fanden aber sofort einen Parkplatz. Am Eingang wurden wir freundlich begrüßt und erfuhren, dass der Gottesdienst immer erst fünf Minuten nach elf starte. Wir eilten die Treppen hinauf zu Kino 5, erspähten eine freie Reihe und ließen uns in die bequemen Sitze fallen.

Eine junge Frau, die heute Geburtstag hatte, moderierte den Gottesdienst: flüssig und mit angenehmer Stimme. Drei Männer bildeten das Lobpreisteam mit Bass, Schlagzeug und Gitarre. Die Lieder kannten wir weitestgehend. Ergänzend liefen die Texte über die Kinoleinwand.

Nach zehn Minuten begann die Predigt. Es ging um einen der Buchstaben der Aufforderung "SEGNE". Das heutige E stand für "Erst zuhören". Nathanael Bader entfaltete das Thema mit Alltagsbeispielen und anhand eines Bibeltextes, in dem Jesus einen Blinden in Jericho heilt. Der Blinde macht zunächst lautstark auf sich aufmerksam, wird dann zu Jesus durchgelassen und von Jesus gefragt, was er denn für ein Anliegen habe. Auch wenn Jesus alles weiß, möchte er doch mit uns kommunizieren und von uns selbst gesagt bekommen, was uns beschäftigt.

Sehr ungewohnt war für uns, dass die Predigt schon nach 22 Minuten vorbei war. In den letzten Jahren haben wir regelmäßig Predigten zwischen 40 und 70 Minuten gehört, wobei die Aufnahmefähigkeit auch bei gut vorgetragenen Themen nach 20 Minuten erschöpft war. JKB-Insider wussten zu berichten, dass wegen der Live-Übertragung bei YouTube genau auf das Timing geachtet werde. Und tatsächlich war der Gottesdienst mit abschließenden Liedern, Ansagen, Geldsammlung, Gratulation an die Moderatorin und Segen Punkt fünf nach zwölf zu Ende.

Der Kinosaal war an diesem Sonntag mit etwa 70 Personen im Alter zwischen 20 und 60 besetzt. Meine Frau fand das zu homogen. Ich fand es gut. Gut fand ich auch die Berichte über Grillpartys in der Nachbarschaft. Apropos Nachbarschaft: Im Großraum Johannisthal hatte ich meine Kindheit und Jugend verbracht und konnte meiner Frau während der Fahrt einige Highlights des Stadtteils zeigen und Episoden aus der Vergangenheit erzählen.

Die JKB Treptow ist einen Besuch wert: Gäste werden herzlich empfangen, aber nicht vereinnahmt. Gemeinschaft und integrative Veranstaltungen haben einen hohen Stellenwert. Die Gemeinde hat verschiedene Hauskreise und bietet Glaubenskurse an. Wer nach dem Gottesdienst noch etwas in Johannisthal verweilen möchte, findet direkt neben dem Kino jede Menge Restaurants und Cafés.

Mittwoch, 20. April 2022

Corona hinterlässt Spuren in der Gemeindelandschaft

Vor zwei Jahren hatten wir den ersten Lockdown in Deutschland. Die Straßen waren leer und es konnte sich noch niemand so recht ausmalen, wie es weitergeht. Inzwischen schauen wir auf weitere Lockdowns und deren Auswirkungen zurück. Die Zeit ist nicht spurlos an den Gemeinden vorbeigegangen.

Kurz vor dem ersten Lockdown (ab 22. März 2020) hatten wir Hillsong Berlin besucht. Die Freude über den ersten Gottesdienst in der neuen Location war der Gemeinde anzumerken. In der Tat bietet der Westhafen einen niederschwelligen Zugang zu zeitgemäßen Gottesdiensten. Das galt auch für die Kalkscheune oder das Kino Colosseum.

Aber weder Hillsong, noch Saddleback, noch Die Kreative sind an diesen Standorten geblieben. Hillsong feiert seine Gottesdienste inzwischen in der Kreuzberger Besselstraße, einem eher unattraktiven Industriebau, der zuvor von Mosaik Berlin genutzt wurde. Mosaik Berlin ist während Corona in die Heeresbäckerei an der Spree gegenüber des Ostbahnhofs gezogen. Auch eine sehenswerte Party-Location. Die Kreative musste wegen der pandemiebedingten Insolvenzwelle das Colosseum verlassen und trifft sich nun An der Industriebahn in Weißensee.

Besonders viele Wechsel gab es bei Saddleback. Zum Jahreswechsel 2020 verließ Pastor Dave Schnitter die Gemeinde und ging zu Mosaik Berlin. Kurz darauf musste die Gemeinde die Kalkscheune verlassen, weil der Vermieter in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war. So zog das Büro ins oberste Stockwerk des CVJM-Hauses in der Schöneberger Einemstraße. Gottesdienste wurden mit einer überschaubaren Personaldecke online gestaltet, so dass der Platz erst einmal ausreichte. Mit der Lockerung der Corona-Maßnahmen musste jedoch ein Ort für Offline-Gottesdienste gefunden werden. So zog die Gemeinde übergangsweise nach Tempelhof in die Malzfabrik. In dieser Zeit gab es weitere Wechsel in der Leitung und die Gemeinde zog nach Neukölln in ein weiß gekacheltes Industriegebäude.

Durch die vielen örtlichen und personellen Veränderungen ist derzeit ein hohes Transferaufkommen in den Berliner Gemeinden zu verzeichnen. Gerade wenn der Stil des Lobpreises, die Schwerpunkte der Predigten oder das soziale Gefüge der Mitglieder ähnlich sind, fällt es dem urbanen Christen leicht, die Gemeinde zu wechseln. Begünstigt wurde das auch durch den bequemen Zugang, sich über benachbarte Gemeinschaften zu informieren. Wenn nämlich der Livestream der eigenen Gemeinde gehakt hatte, wurde schnell mal auf den Gottesdienst einer anderen Gemeinde umgeschaltet oder sogar ins Ausland. Das ging uns auch so: Als einmal der Online-Gottesdienst bei Saddleback Berlin klemmte, haben wir eben zu Saddleback Hong Kong umgeschaltet, wo ebenfalls auf Englisch gepredigt wurde.

Überhaupt sind sämtliche Gottesdienste momentan gut besucht. Das liegt wohl daran, dass bezüglich der sozialen Offline-Kontakte einiges nachzuholen ist. Auf alle Fälle haben die vielen Live-Übertragungen dazu gedient, dass online-affine Gemeinden teilweise auf die doppelte Mitgliederzahl angewachsen sind. Aber auch etablierte Gemeinden mit zögerlicher medialer Darstellung haben durch Corona einen Innovationsschub bekommen und bedienen nun ungeplant den Missionsbefehl aus Matthäus 28.

Sonntag, 17. April 2022

Die Kreative an der Industriebahn in Weißensee

Unser letzter Besuch bei "Die Kreative" liegt schon über sechs Jahre zurück. In der Zwischenzeit hat sich die Gemeinde deutlich weiterentwickelt und ist nun auch an einem anderen Standort zu finden.

Vor sechs Jahren war "Die Kreative" noch eine homogene Gruppe mit suboptimaler Willkommenskultur, die sich im Kino Colosseum in Prenzlauer Berg zum Gottesdienst traf. Skeptisch verfolgte ich Berichte von Neumitgliedern, die erzählten, dass sich die Willkommenskultur deutlich verbessert habe und nun auch sämtliche Altersgruppen dort vertreten seien. Als dann auch andere Freunde vom Lobpreis und dem personellen Umfang schwärmten, konnten wir uns dem Ruf zur Evaluation nicht mehr verschließen. Zunächst schauten wir uns zwei Predigten mit Kreative-Pastor Christopher Domes an und beschlossen, die Gemeinde auch einmal live zu besuchen.

Dieser Moment war gekommen, als wir im Jetlag-Delirium nach unserer ausgedehnten Costa-Rica-Reise über einen geeigneten Oster-Gottesdienst nachsannen. Neben Pastor Domes war auch der Beginn des Gottesdienstes um 10.30 Uhr als Konstante geblieben. Ansonsten hatte sich viel verändert. Wobei der begriff der "Weiterentwicklung" deutlich besser passt, als "Veränderung". Wegen der wirtschaftlichen Folgen von Corona musste das Colosseum geräumt werden. Die Gemeinde ist nun in einer abgefahrenen Location An der Industriebahn in Weißensee beheimatet. Gleich um die Ecke befindet sich meine favorisierte BWM-Niederlassung.

Vor dem Haus gab es erstaunlich viele freie Parkplätze. Beim Betreten wurden wir mehrfach sehr freundlich begrüßt. Der große in Mattschwarz gestrichene Raum war abgedunkelt. Dadurch kamen die imposante Technik und die raffinierte Beleuchtung besonders gut zur Geltung. An mehreren Stellen waren Kameras für den Livestream positioniert. Wir zählten die Stuhlreihen und Sitzplätze nicht, waren jedoch von der Menge überrascht. Hinter den Sitzplätzen war ein Bereich für Kleinkinder aufgebaut. Einige davon krabbelten bereits über die großen Verkehrsteppiche.

Zwischen 10.20 und 10.30 füllte sich der Saal zusehends. Der Gottesdienst begann pünktlich mit Lobpreis. Dieser unterwarf sich keiner liturgischen Eile und dauerte 40 Minuten. Die Lieder waren in Sprache und Entstehungsdatum gut durchmischt, so dass keine Langeweile aufkam. Band, Text-Screen und Lichttechnik überzeugten auf professionellem Niveau.

Dann folgte eine Einleitung und die Begrüßung des Gastpredigers mit einem Video. An diesem Ostersonntag war OM-Gründer George Verwer höchstpersönlich in Weißensee erschienen. George Verwer ist über 80 Jahre alt und versprüht immer noch sein missionarisches Feuer. Die von der Bühne aus übersetzte Predigt war ein Mix aus Lebensgeschichte und Bücherwerbung. Ein cleveres Stilmittel, das dem Aufbau von Webseiten ähnelt: Einige wichtige Infos werden geliefert und weitere Infos können über Klick auf diesen oder jenen Link alias das Lesen dieses oder jenes weiterführenden Buches gewonnen werden.

Am Ende der Predigt stand der Aufruf, sich auf ein "Sende mich!" einzulassen. In der nachfolgenden Lobpreiszeit konnten Besucher, die sich angesprochen fühlten, nach vorne gehen und für sich beten lassen. Wer fertig war, konnte zur Kaffeetheke hinter den Sitzreihen gehen und seine sozialen Gemeindekontakte pflegen. Genau dort trafen wir alte Bekannte, die auch mal gucken wollten. Das freute uns und rundete den Besuch bei "Die Kreative" ab.

Sonntag, 3. April 2022

Gottesdienst mit Kokosnuss: Pura Vida Church in Esterillos

Auf unserer Reise nach Costa Rica besuchten wir auch einen Gottesdienst der Pura Vida Church in Esterillos. Die Gemeinde versammelt sich entweder in einer Schule oder am Pazifik-Strand.

"Halt mal an!", rief meine Frau vom Rücksitz. Vor uns flogen gerade knallrote Papageien in eine große Palme. Langsam fuhren wir weiter bis zum Ende der Straße. Der Weg wurde sandig. Wir zogen eine Staubwolke hinter uns her. Rechts Palmen, Stand und Pazifik - links flache Häuser oder Büsche. Irgendwo entdeckten wir drei junge Leute, die wie ein Lobpreis-Team aussahen. Dort hielten wir an und stellten sicher, dass wir nicht unter Kokosnüssen parkten.

Da wir recht früh vor Ort waren, konnten wir beobachten, wie der Pastor und die Gottesdienstbesucher eintrafen. Zusammen mit einigen Jugendlichen räumten wir Stühle vom Pickup und stellten sie als Auditorium auf. Natürlich mit Blick zum Meer. Am Strand lag ein kleines blaues Boot. der geeignete Vordergrund für ein Postkartenfoto.

Immer wieder zogen Staubwolken durch die Palmen zum Meer. Bald war das Areal mit Geländewagen umstellt und der Gottesdienst konnte beginnen. Die Texte für den Lobpreis hätte man sich per QR-Code aufs Handy laden können. Dazu wäre aber eine Internetverbindung notwendig gewesen. So sangen wir irgendwie ohne Text mit. Es gab nur wenige Ansagen. Diese wurden von einem Amerikaner auf Spanisch vorgetragen. Wie groß die sprachliche Not bei der Verständigung in Costa Rica ist, zeigt schon allein der Umstand, dass so gut wie alle anwesenden Amerikaner Spanisch gelernt hatten.

Nach den Ansagen startete die Predigt. Diese wurde von einem Amerikaner auf Englisch und Spanisch gehalten. Er übersetzte sich selbst und redete über die Berufung und Vollmacht Moses, während sich mein Stuhl immer tiefer in den Sandboden bohrte. Einige der Zuhörer schrieben eifrig mit.

Die Pura Vida Gemeinde unterstützt eine Freiwilligen-Organisation, die unter anderem zwischen Deutschland und Costa Rica aktiv ist - und zwar bidirektional: Deutsche gehen für ein Jahr nach Costa Rica und Tikos (so nennen sich die Costa Ricaner selbst) kommen für ein Jahr nach Deutschland. Nach dem Gottesdienst wurden wir von einem braungebrannten Einheimischen in fließendem Deutsch angesprochen. Er war seinerzeit als Freiwilliger in Berlin und hatte bei der Gelegenheit seine heutige Frau kennengelernt. Sie stammt aus Texas. Damit aber nicht genug: Seine damaligen Gasteltern waren uns aus Berlin gut bekannt.

Statt eines Gemeindecafés gab es hier am Strand Gemeindekokos. Zwei Männer mit Machete schlugen die frisch von den Palmen gefallenen Kokosnüsse zurecht und steckten Strohhalme in die Öffnungen. Überall standen Gottesdienstbesucher, unterhielten sich und schlürften dabei Kokoswasser. Die Zusammensetzung der Gemeinde war recht bunt: Einheimische, Amerikaner und Europäer mit einer breit gefächerten Altersstruktur: Vom Säugling bis zum Senioren war alles vertreten.

Das Meer rauschte und das touristische Interesse drängte. Es war keine Kokosnuss auf unser Auto gefallen. Mit einer imposanten Staubwolke verließen wir den Strand und schauten uns noch weitere Dinge in und um Esterillos an. "Pura Vida" ist übrigens das Lebensmotto der Costa Ricaner. Es bedeutet "Leben aus vollen Zügen".

Sonntag, 21. Februar 2021

Lobbyismus in Zeiten der Online-Gottesdienste

Der fehlende persönliche Austausch am Rande von Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen ist für viele schwer zu ertragen. Es gibt aber eine Lösung: die virtuelle Lobby von Wonder.


Wenn es mal kein Corona gibt, ist die Lobby der Ort, an dem sich die Besucher eines Gottesdienstes treffen, umarmen, Hände schütteln, ihre Jacken ablegen, Kaffee trinken oder einfach nur zum Smalltalk zusammenstehen. Eltern hetzen mit ihren Kleinkindern durch die Lobby und bringen diese in die Spielzimmer. Das Willkommensteam scannt die Lobby nach neuen Gesichtern und vermittelt erste Kontakte. Verabredungen zum nächsten Hauskreis werden getroffen und wenn es Keksdosen gibt, werden diese durch Erwachsene und Kinder geleert.

Um den Jahreswechsel wurde in unserer Gemeinde eine virtuelle Lobby eröffnet. Auf dem Bildschirm war eine schöne Winterlandschaft zu sehen und es rieselte reichlich Schnee. Mal schauen, wie das funktioniert! Wie im echten Leben gab es in der Lobby mehrere Bereiche. Nach der Bestätigung des Zugriffs auf Kamera und Mikrofon konnte man sich per Mouse in den gewünschten Bereich der Lobby bewegen. Uups, da war noch jemand, der sich im neuen Umfeld zu orientieren suchte.

Als wir uns mit der Mouse auf die andere Person zubewegten, erschien plötzlich ein Kreis. Dieser legte sich um unsere Bilder und wir fühlten uns schon fast so, als würden wir uns an einem der Stehtische im realen Umfeld treffen. Plötzlich tauchte eine dritte Person auf. Auch sie kam an unseren Tisch. Das Gespräch, das nun entstand, war so interessant, dass wir den Beginn des Gottesdienstes verpassten - auch eine realitätsnahe Erfahrung.

In den folgenden Wochen wurde die Lobby für verschiedene Zusammenkünfte genutzt. Ein zeitnahes Frauentreffen war so von dem rieselnden Schnee genervt, dass der Schnee umgehend abgeschaltet wurde. Das funktionierte bei der realen Wetterlage nicht. Da man in dieser Lobby auch geschlossene Gruppen bilden kann, eignet sich die Software auch gut für Hauskreise. Gerade in der letzten Woche haben wir uns zwei Stunden zum Hauskreis in der Lobby aufgehalten, noch einmal sämtliche Funktionen durchgespielt und überlegt, ob wir die Lobby nicht auch für die nächsten Geburtstagsfeiern nutzen. Man könnte beispielsweise das Backrezept herumsenden und sich zum gemeinsamen Verzehr des Kuchens in der Lobby treffen.

Die Lobby von Wonder lässt sich gut in bestehende Webseiten einbinden und personalisieren. Weitere Infos gibt es auf der Webseite von Wonder. Leider nur auf Englisch, aber es wird sich bestimmt jemand finden, der sich mit Computern auskennt und ein wenig Englisch versteht.

Sonntag, 24. Januar 2021

Online-Gottesdienst bei der Bethel Church in Redding

Wegen technischer Probleme war die Übertragung des geplanten Gottesdienstes eingefroren. So entschieden wir uns kurzerhand für einen Besuch bei der Bethel Church in Redding.


Noch unter der Dusche war zu vernehmen, dass es Probleme bei der Übertragung des Vorprogramms zum Gottesdienst gab. Als ich ins Wohnzimmer kam, war das Bild eingefroren und im begleitenden Chat wurde das Technik-Team zum Durchhalten ermutigt. Weil unser Sohn in diesem Team mitarbeitet, diskutierten wir zunächst, ob es familiär fair wäre, auf einen anderen Gottesdienst umzuschalten. Egal: Wir schalteten auf den Live-Gottesdienst von Mosaik Berlin um. Deren Pastor, Dave Schnitter, begann eine neue Predigtreihe zu Barmherzigkeit. Das Thema ist zwar wichtig, aber in den letzten Monaten immer wieder durchgekaut worden. Was tun?

"Die Follower von Soundso schauen sich immer Bethel an", warf meine Frau ein. Daraufhin suchten wir den Live-Gottesdienst der Bethel Church. Deren Hauptsitz liegt allerdings in Redding. Redding liegt im nordkalifornischen Nirgendwo und hat einen Zeitunterschied von neun Stunden. Dort war es also gerade zwei Uhr nachts und keine geeignete Zeit für eine Live-Übertragung. So stöberten wir auf deren YouTube-Kanal und fanden einen halbwegs aktuellen Gottesdienst. Er sollte etwa zwei Stunden dauern.

Den größten Teil dieser zwei Stunden nahm der Lobpreis ein. Nach einer kurzen Begrüßung ging es auch schon los. Die Lieder wurden in Super-Long-Maxi-Versionen gespielt, aber sehr authentisch vorgetragen. Im Vergleich zu Hillsong fehlten Make-up, Schmuck und Show. Auch die Stimmen waren bei Weitem nicht so markant wie beim australischen "Wettbewerber".

Nach einer Stunde gab es Ansagen zum Gemeindeleben und einen längeren Block zum Spenden. Wenn man nur reichlich spende, bekomme man richtig viel von Gott zurück. Inhaltlich deckte sich das zwar mit unseren Erfahrungen, wurde aber so penetrant vorgetragen, dass es schon wieder manipulativ wirkte. Etwas überrepräsentiert waren auch die Johnsons: Candace Johnson machte die Begrüßung, Bill Johnson gab einen kurzen und guten Input nach dem Lobpreis und Eric Johnson hielt die Predigt. Neben Bill, Eric und Candace gibt es noch Beni, Brian und Jenn Johnson, die alle als Senior Leiter oder Senior Pastoren geführt werden. Zustände, wie sie auch in kleineren Gemeindeverbänden Deutschlands anzutreffen sind. Eine zu starke Verschwägerung in der Leitungsebene kann eine Menge Probleme nach sich ziehen. Von daher war es ein ermutigendes Zeichen, dass sich Eric und Candace in diesem Gottesdienst verabschiedet haben. Eric sprach von seinen 18 Jahren bei Bethel und dass er gespannt auf die nächsten Etappen seines Lebens ist.

Nach der Predigt verabschiedete sich auch die sichtlich gerührte Candace von der Gemeinde. Dann war Schluss. Einfach so - ohne Lied - ohne Abbau des Spannungsbogens - einfach Schluss - wie beim Rodeo in Texas, wo nach zwei Stunden mitten im Turnier das Licht angeschaltet und die Gäste zum Verlassen der Arena aufgefordert werden. Auch hier gibt es einen Unterschied zu Hillsong. Bei Hillsong gibt es nach der Predigt noch ein Abschlusslied.

Samstag, 4. April 2020

Johannes Hartl online aus dem Gebetshaus Augsburg

Links zu Videos von Johannes Hartl aus dem Gebetshaus Augsburg bekomme ich oft zugespielt. Heute habe ich mich erstmalig auf ein solches Video eingelassen.



Wenn mir liebe Freunde bisher einen Link zu Johannes Hartl übermittelt hatten, hatte ich relativ schnell draufgeklickt - insbesondere wenn per WhatsApp meine Antwortzeit evaluierbar war. Das Video selbst erlebte dann regelmäßig ein Absprungtiming, das unter einer Minute lag. Gründe waren das Erblicken der Laufzeit des Videos, die Einleitung mit Hebraismen gefüllten Sätzen und dieser an eine Badeanstalt erinnernde beige-graue Noppenhintergrund. Hebräisch finde ich zwar tendenziell ganz nett, aber doch bitte nicht mitten am Tag zwischen E-Mail-Check und dem Absprung zu McFit.

Nach drei Wochen ohne McFit und unzähligen E-Mail-Checks beschloss ich einen neuen Versuch mit Johannes Hartl. Schnell verzogen sich die Kinder in ihre Zimmer. Meine Frau war bereit zum Mitgucken. Gerade war wieder eine Einladung über Campus für Christus gekommen. Den Live-Stream hatten wir aber verpasst. Während Corona verliert man jegliches Zeitgefühl. Deshalb schauten wir auf dem YouTube-Kanal des Gebetshauses Augsburg nach. Der Kanal hat stattliche 43.500 Abonnenten und knapp 12 Millionen Videoaufrufe.

Zum Warmgucken schauten wir uns einen 90-Sekunden-Clip über professionelle Hilfe bei Psychosen an. Man brauchte schon strake Nerven für die Kombi aus gelbem Sessel und mittelalterlichem Schwarz-Weiß-Hintergrund mit großen roten Flecken. Ein leichter Touch von Tatortreiniger. Dann wagten wir uns an ein einstündiges Video mit dem Titel "Krisen bewältigen".

Das dunkel geblümte Sakko von Johannes Hartl kompensierte den beige-grauen Noppenhintergrund. Wir konzentrierten uns auf den katholischen Theologen und dessen Worte. Bald hatten sie das optische Ambiente überlagert. Was der Mann sagte, hatte Hand und Fuß, war gut strukturiert und wurde permanent per Flipchart illustriert. Die dargelegte Vorgehensweise im Umgang mit Krisen deckte sich mit unseren Erfahrungen. Er ging darauf ein, dass man an Krisen reifen oder zerbrechen könne.

Komfort, Kontrolle und Freiheit gehörten zwar zu unserem allgemeinen Erleben. Diese seien aber nicht selbstverständlich. Corona beispielsweise könne innerhalb weniger Momente alle drei Komponenten wegbrechen lassen. Und das sei auch gut so, weil Krisen die Persönlichkeit eines Menschen reifen lassen. Gott schaffe zwar selbst keine Krisen, aber er nutze diese zum Training von Menschen, die er anschließend für bestimmte Handlungen oder Positionen einsetzen möchte. Menschen, die Krisen erlebt haben und daran gereift seien, seien deutlich glücklicher als Menschen, die noch nie eine wirkliche Krise erlebt hätten.

Das Video war wirklich spannend und wurde deshalb wohl auch schon von 120.000 Leuten angesehen. Damit hat das Video Potenzial, als erstes die Schallmauer von einer Million zu durchbrechen. Es gibt auch ältere Videos mit sechsstelligen Zugriffszahlen, aber das Krisen-Video ist erst seit zwei Wochen online. Mal sehen, wann wir mal wieder den Kanal des Gebetshauses durchstöbern.

Sonntag, 1. März 2020

Hillsong Berlin im Westhafen

Als regelmäßige Hörer von Hillsong-Playlists wollten wir nach drei Jahren mal wieder einen Hillsong-Gottesdienst besuchen. Hillsong Berlin trifft sich seit heute in einer coolen Eventlocation am Westhafen.



Bei Hillsong Berlin gibt es wohl nur zwei Konstanten: das Pastorenehepaar Wilkinson und die permanente Veränderung. Hillsong Berlin hat seit 2015 mindestens vier neue Veranstaltungsorte gesehen: Alexanderplatz, Kulturbrauerei, ein Hotel an der Friedrichstraße und nun die Halle 1 im Sektor B des Westhafens. Der Name der Gemeinde wurde ebenfalls geändert - von Berlin Connect in Hillsong Berlin. Das ist als Aufwertung zu verstehen. Berlin Connect war zunächst nur ein Teil der Hillsong Family, aber noch keine echte Hillsong-Gemeinde. Wer den Namen Hillsong tragen darf, zeigt damit, dass auch Hillsong drin ist.

Beim heutigen ersten Gottesdienst im Westhafen wurde noch etwas geübt mit der Technik. Licht und Ton mussten noch auf die neuen Räume abgestimmt werden. Eine typische Lagerhalle, wie man sie auf innerstädtischen Häfen kennt und wie sie als Magnet für die Start-up-Szene fungiert. Entsprechend jung war das Publikum. Das Durchschnittsalter muss so zwischen 20 und 30 gelegen haben. Für unseren Sohn zu alt und für uns zu jung. Meine Frau entfernte ihre Hörgeräte.

Die Willkommenskultur war auch heute beispielhaft. So kannten wir das noch aus Berlin-Connect-Zeiten. Flyer, Kaffeestände, Kekse, Garderobe, Hinweisschilder und Einweiser. Alles sehr professionell organisiert. Professionell auch die Kollekte, die mit einer längeren Ansprache und einem Acht-Punkte-Programm eingeleitet wurde. Das ist in charismatischen Gemeinden nicht unüblich. Musik und Multimedia an der Großleinwand liefen ebenfalls sehr professionell. Wie in modernen Gemeinden üblich, wurde auch hier nur Englisch gesprochen.

Ich wunderte mich nur, dass ich die vielen alten Bekannten - Alter über 30 - nicht sah. Hatten sie doch früher von morgens bis abends aktiv das Geschehen begleitet und waren auch unter der Woche bei den vielen Veranstaltungen zu sehen. Die Gemeinde schien sich komplett verjüngt zu haben. Das merkte man dann auch während der Predigt von Mark Wilkinson. Vor drei Jahren hatte das Publikum noch proaktiv "Amen" oder "Ja" gesagt, zustimmend aufgestöhnt oder zum Glaubenskampf entschlossen die Faust nach oben gestreckt. In diesem ersten Gottesdienst im Westhafen musste Mark Wilkinson mehrfach fragen: "Bekomme ich ein Amen?" Die Predigt war leichte Kost und sehr jugendgerecht. Es wurden auch einige Leute aus der ersten Sitzreihe in die Darstellung einer Szene aus der Apostelgeschichte einbezogen.

Nach etwa zwei Stunden war der Gottesdienst zu Ende. Die jungen Leute fluteten ins Foyer, drängten sich um die Garderobe und den Kaffeestand, lasen sich die Flyer zu den nächsten Veranstaltungen durch oder nahmen im Untergeschoss das Abendmahl ein. Zwei weitere Gottesdienste sollten noch folgen. Die aktuellen Gottesdienstzeiten sind 11:15 Uhr, 13:30 Uhr und 16:00 Uhr.

Die neue Location ist hervorragend an den öffentlichen Nahverkehr angebunden. Vom U-Bahnhof Westhafen sind es nur noch wenige Meter bis zur Halle 1. Wir mussten deutlich weiter laufen, da wir mit Auto gekommen waren. Vom Parkplatz aus konnten wir schon den Hauptbahnhof sehen.

Sonntag, 19. Januar 2020

Martin Luther in Steglitz

Steglitz - der Bible Belt von Berlin. Heute besuchten wir den Gottesdienst der Martin-Luther-Kirche in der Nähe des Botanischen Gartens.



Das Navi führte uns einen interessanten Weg. Wegen der Libyen-Konferenz war die Innenstadt gesperrt. Die Innenstadt ist das Nadelöhr, wenn man nach Steglitz fahren möchte. Meine Frau nutzte die Zeit, um das Bonusprogramm ihrer Hebräisch-App zu absolvieren: "Ani koneh Tick schechor" (Ich kaufe eine schwarze Tasche.), "Atta jodea lizlol?" (Kannst du tauchen?) - Wir kamen über die sprachlichen Unterschiede von Können und Befähigung ins Gespräch. Nach einer halben Stunde waren wir in Steglitz und bogen in ein blumiges Wohngebiet ein: Hyazinthenstraße, Tulpenstraße, Hortensienstraße.

Martin Luther war eingerüstet. Am Gerüst ein großes Schild der Lotto-Stiftung. "Aha, Oma finanziert den Bau der Kirche", bemerkte mein Sohn. Eine ältere Dame verschwand unter den Gerüsten. Wir folgten ihr und gelangten in einen hellen Vorraum. Dort wurden wir bereits vom Pfarrer begrüßt: schwarzer Talar und sehr freundlich. Ein anderes freundliches Gemeindemitglied drückte uns ausreichend Gesangsbücher in die Hand. Die Kirchenbänke waren mit Kissen belegt, so dass auch längere Gottesdienste möglich waren. Die Kirche war gut temperiert.

Bemerkenswert war die natürliche Freundlichkeit, die sämtliche Gottesdienstbesucher ausstrahlten. Man fühlte sich sofort willkommen. Es gab einige Familien und ältere Besucher, jedoch kaum Jugendliche. Die Kinder durften nach einem kurzen gemeinsamen Beginn in ihr eigenes Programm gehen. Die Anfangsliturgie nahm einige Zeit in Anspruch.

Dann folgte die Predigt. Dazu hatte sich der Pfarrer an eine Kanzel gestellt und seine Kollegin an die andere Kanzel. Beide zeigten uns, wie eine Dialogpredigt funktioniert. Das war recht interessant, weil sie sich einerseits die inhaltlichen Bälle zuwarfen und andererseits die Fragen und Bedenken des anderen auflösten. der Predigttext stand in Jeremia und war durch die Losungen vorgegeben worden. Während die Pfarrerin zunächst überlegt hatte, einen anderen Text zu nehmen, ging ihr Kollege darauf ein, dass Gott in all den herausfordernden Umständen immer noch alles im Griff habe.

Zum Abschluss des Gottesdienstes gab es noch ein gemeinsames Abendmahl, den Segen und ein Postludium von der Orgel. Meine Frau bemerkte, dass die Orgel endlich mal flott gespielt worden sei. So habe man die Lieder gut mitsingen können.

Die oben schon erwähnte Willkommenskultur setzte sich im Vorraum weiter fort. Kaffee und Kuchen wurden uns auf eine charmante Weise regelrecht aufgedrängt. Einige Gemeindemitglieder sprachen uns an und wollten wissen, ob mein Sohn Konfirmand ist. Unsere eigene Besuchergruppe war inzwischen auf sieben Personen angewachsen: Freunde aus Saddleback, Arbeitskollegen und wir. Die Kollegen wohnen in Steglitz und sehen im kurzen Fußweg einen erheblichen Mehrwert. Der Gottesdienstbeginn um 11 ist ebenfalls gut auf jüngere Besucher abgestimmt. Ganz abgesehen von dem angenehmen Klima in der Martin-Luther-Kirche.

Sonntag, 12. Januar 2020

Gemeinde auf dem Weg in Berlin-Tegel

Einen Sonntagsgottesdienst hatten wir bei der Gemeinde auf dem Weg in Tegel bisher noch nicht besucht. Deshalb waren wir gespannt, was uns erwartet. Diesmal waren meine Frau und mein Sohn dabei.



Die Gemeinde auf dem Weg liegt so gar nicht auf dem Weg. Dennoch haben wir uns auf den Weg gemacht, einen Gottesdienst der Gemeinde auf dem Weg zu besuchen. Zweimal 25 Kilometer quer durch die Stadt haben wir dabei zurückgelegt. Über den Berliner Ring hätten wir auch fahren können. Zeitlich wäre das wohl identisch gewesen. Allerdings hätten wir doppelt so viele Kilometer ins Fahrtenbuch eintragen müssen.

Zehn vor zehn rollten wir auf den Parkplatz. Wir wurden eingewiesen. Bemerkenswert viele Besucher strömten in den großen Flachbau. Die vielen Leute verteilten sich im Haus. Einige gaben im Untergeschoss ihre Kinder ab. Andere gingen direkt in den großen Saal. Der große Saal ist wirklich sehr groß. Er schluckte so viele Gäste, dass er letztlich nur zur Hälfte gefüllt war - wenn überhaupt. Man hatte in der Gemeinde auf dem Weg sicher schon bessere Zeiten erlebt.

Über eine riesige Leinwand flimmerte ein Countdown, der eine sportliche Anfangszeit vorgab. Kein Vergleich zum entspannten Gottesdienstbeginn in den Hipster-Gemeinden von Mitte und Prenzlauer Berg. Dafür waren wir hier in einer etablierten Gemeinde und - in Tegel. Die Altersstruktur war gut durchmischt und es gab sogar jede Menge Jugendliche.

Die erste Stunde war von Lobpreis und Ansagen geprägt. Gegen elf begann die Predigt. Diese dauerte nur 25 Minuten. Die finale Aussage war, dass die Herrlichkeit von Jesus in uns ist und lediglich aktiviert werden müsse. Zur Aktivierung konnte man nach vorne gehen und für sich beten lassen. Um das Aktivierungsgebet für die Entfaltung der Herrlichkeit Jesu zu untermalen, wurde der Keyboarder gebeten, salbungsvolle Klänge anzustimmen.

Die Kollekte wurde übrigens auch an der Bühne eingesammelt. Nach zwei Stunden war der Gottesdienst zu Ende. Kinder wurden aus dem Untergeschoss abgeholt und der Cafébereich füllte sich. Wir begaben uns zügig auf den Parkplatz und fuhren durch die City zurück. Dabei kamen wir an diversen Gemeinden vorbei, die zwar nicht auf dem Weg waren, dafür aber auf dem Weg lagen.

Montag, 16. Dezember 2019

Saddleback Berlin - Nachruf auf Dave Schnitter

Dave Schnitter war ein wichtiger Teil des Gründungsteams von Saddleback Berlin. Mitte Dezember 2019 hat Dave Schnitter recht kurzfristig seine Gemeinde verlassen. Ein kurzer Nachruf:



Eigentlich heißt er David. Weil Englisch modern ist, hatte er sich in Dave umbenannt - gesprochen "dejff". Australier sprechen sogar von Daiff - ausgesprochen wie das Adjektiv "steif". Steif ist Daiff so gar nicht. Dave ist der gechillteste Pastor, der mir je begegnet ist. Ein Hipster vor dem Herrn. Er ist musikalisch begabt, hat Humor, ist integrativ und kommunikativ.

Dave war ein wichtiger Teil des Gesamtpaketes Saddleback Berlin. Das Gesamtpaket bestand aus drei Komponenten: dem Ruhepol Dave, dem professionellen Lobpreis und den alltagstauglichen Predigten von Rick Warren. Dieses Gesamtpaket hatte die Bedürfnisse unserer Familie bedient, nachdem wir uns zwei Jahre lang in der christlichen Szene Berlins umgeschaut hatten.

Und dann war Dave plötzlich weg. Ende November hatte die Gemeinde offiziell erfahren, dass Dave geht: Mitte Dezember - also noch vor Weihnachten. Bei Amerikanern werden solche Dinge wohl immer sehr schnell durchgezogen. Hire and Fire nennt man das. Saddleback Berlin ist eben doch nur ein Franchise-Projekt der amerikanischen Muttergemeinde. Dave war bei den Nazarenern als Predigtpastor ausgebildet worden, durfte aber bei Saddleback nur Lobpreis und das Drumherum machen. Er wollte endlich wieder predigen. Das hätte jedoch dem Schwergewicht Rick Warren den Sendeplatz streitig gemacht.

Dave ist nun bei Mosaik. Dort erhofft er sich ein Comeback als Prediger. Laut Webseite gibt es dort jedoch nur einen Akteur: Gründungspastor Neville Johnes. Mosaik ist ein Sammelbecken von Christen, die bei anderen coolen Gemeinden wie ICF, Hillsong, Berlin-Projekt oder Saddleback ausgestiegen waren.

Die Erfahrung zeigt, dass der Weggang einer so wichtigen Komponente wie Dave Schnitter eine Sogwirkung erzeugt. Bisher ist davon noch nicht so viel zu merken. Die ersten Bekannten sind ihm jedoch schon gefolgt. Andere liebäugeln mit einem Sondierungsbesuch bei Mosaik. Letzteres sollte in gut geplanten Etappen geschehen, da die Räume schon vor drei Jahren ihre Kapazitätsgrenze erreicht hatten.

In unserer Familienkonferenz haben wir entschieden, dass wir uns zukünftig wieder verschiedene Gemeinden der Stadt anschauen. Ob es für uns noch einmal so ein passendes Gesamtpaket wie  Saddleback Berlin geben wird, ist fraglich.

Sonntag, 24. Februar 2019

Greater Grace in Schöneberg

Greater Grace ist eine kleine und relativ neue Gemeinde im Stadtbezirk Schöneberg. Heute besuchten wir den Gottesdienst, der sonntags um halb elf  beginnt.



Das ganze Ausmaß der 30er-Zone für angebliche Luftreinhaltung war mir noch gar nicht bekannt. Als wir das erste Schild in der Nähe des Alexanderplatzes passierten, informierte mich mein Sohn, dass das jetzt auch in der Potsdamer Straße in Schöneberg gelte. Und tatsächlich wurden wir kilometerweit mit dieser Einschränkung gegängelt. Immer wieder blockierten uns Fahrzeuge, die sich an diese fragwürdige Regelung hielten und tatsächlich 30 km/h fuhren.

Wir stellten den Wagen vor einer 30er-Nummer der Ebersstraße in Schöneberg ab. Nach wenigen Metern hatten wir die 37 erreicht. Eine moderne Glastür in einem schätzungsweise 130 Jahre alten Mietshaus trug die Aufschrift "Greater Grace" - "Größere Gnade". Die Tür öffnete nach innen und gab den Blick auf einen hellen Vorraum frei. Links standen Kaffeetassen und rechts einige Tische. Man empfing uns sehr freundlich und bald hatte sich eine Traube von Gemeindemitgliedern um uns geschart.

Kenosis und Bowling

Einige Kinder liefen aufgeregt an uns vorbei. Heute sollte endlich ein Weihnachtsversprechen eingelöst werden: Der Kindergottesdienst macht einen Ausflug zum Bowling. Pastor Stephan Stein erklärte uns, dass es in seiner Predigt heute um die Kenosis gehen solle. Kenosis bedeute wohl Entleerung und beziehe sich auf das zweite Kapitel des Philipperbriefes, in dem sich Jesus selbst erniedrigt und uns Menschen gleich wird.

Da ich mit Altgriechisch nichts am Hut habe, war mir das Wort Kenosis nicht bekannt. Leider war die Mobilfunkverbindung im Gemeindesaal so schwach, dass ich mir auch keine griechische Bibelversion aufs Handy laden konnte. Das Wort ekenosen taucht im Vers 7 auf und wird im Deutschen gerne mit entkleiden oder entäußern übersetzt. Entleeren ist da schon ein stärkerer Begriff. Die Lateiner verwenden das Wort exinanire, was eindeutig mit ausleeren zu übersetzen ist.

Gute Mischung

Durch die Bowlingaktion, der sich ganz viele erwachsene Helfer anschlossen, passte das Thema auch perfekt zur Anzahl der Gottesdienstbesucher. Wir waren etwas über 20 Personen im Saal. Normalerweise sitzen hier gut 40 Zuhörer, während im Nachbarraum zehn Kinder ein eigenes Programm erleben. In dieser kleinen Gemeinde sind fast alle Generationen vertreten. Sie ist auch ethnisch gut durchmischt.

Zunächst wurde gesungen, Kollekte eingesammelt und die üblichen Ansagen gemacht. Unter der Woche finden relativ wenige Veranstaltungen statt, so dass noch genug Zeit für außergemeindlichen Beziehungsaufbau bleibt. Die Predigt blieb zwar beim Thema, hätte aber zeitlich gestrafft werden können. Die Prediger wechseln sich bei Greater Grace regelmäßig ab.

Torte, Kaffee und Gyros-Pita

Am Ende wurde noch eine Torte hereingetragen, weil eine der afrikanischen Sängerinnen heute Geburtstag hatte. Das Licht wurde ausgeschaltet, damit die Kerzen auf der Torte besser zur Geltung kommen. Es kam richtig Stimmung auf. Danach gingen wir in den Vorraum und unterhielten uns bei Kaffee und Torte mit einigen Mitgliedern der Gemeinde. An der Wand hing eine große Weltkarte mit vielen roten Punkten: den Standorten von Greater Grace auf sämtlichen Kontinenten. Das Hauptzentrum befindet sich in Baltimore, Maryland, USA. Von dort aus kamen vor über 20 Jahren zwei Frauen nach Schöneberg und bauten hier eine neue Gemeinde auf. Das offizielle Gründungsjahr war 1998.

Von Schöneberg aus fuhren wir wieder durch die 30er-Strecke zurück, machten einen Zwischenstopp und aßen jeweils eine der sehr empfehlenswerten Gyros-Pitas bei Berkis am Winterfeldtplatz. Dann ging es weiter. Eine elektronische Anzeige bedankte sich mit grüner Schrift bei uns. "Papa, warum fährst du so langsam?" - "Ich wollte den Dank sehen."

Sonntag, 20. Januar 2019

Eckstein Gemeinde Berlin

Die Eckstein Gemeinde Berlin ist sehr jung. Sie wurde 2016 gegründet und befindet sich in zentraler Lage der City Ost. Heute besuchten wir als Familie den Gottesdienst.



Die Eckstein Gemeinde Berlin hatte ich völlig ungeplant bei einer Google-Suche entdeckt. Nachdem ich ein wenig auf der Webseite herumgeklickt hatte, stand für mich fest: Da musst du mal hin! Besonders erstaunt war ich, dass meine Familie geschlossen mitkommen wollte. Das war mir ganz recht.

Zwischen Ostbahnhof und ver.di ist wohl eine treffende Beschreibung der Lokalität. Bei ver.di handelt es sich um die Gewerkschaft mit den Streiks an Flughäfen oder den Streiks bei Amazon während der Weihnachtszeit. Wer das Haus von ver.di betritt, sollte jedoch mit Anzug bekleidet sein, da die Inneneinrichtung einen entsprechenden Respekt einflößt. Irgendetwas muss ja schließlich mit den Beiträgen der Angestellten der Dienstleistungsbranche gemacht werden. Das wäre jetzt aber ein Thema für sich.

Kostenlos parken zwischen Ostbahnhof und ver.di

Wir stellten das Auto in einer Seitenstraße des Ostbahnhofs ab. Am Sonntag kann dort kostenlos geparkt werden. Leider waren wir etwas knapp dran, obwohl der Gottesdienst zur Idealzeit 11 Uhr beginnen sollte. "Gibt es ein akademisches Viertel?", wollte ich wissen, als wir kurz vor elf die hellen, freundlichen Räume betraten. Nein, der Gottesdienst beginne immer pünktlich. So liefen wir an mehreren jungen Leuten vorbei, bekamen ein Programmheft mit Kontaktkarte in die Hand gedrückt und setzten uns in die zweite Reihe.

Alle waren sehr freundlich und hatten ein Durchschnittsalter von 30. Es gab sogar Jugendliche. Licht flutete durch den Gottesdienstraum. Überproportional viele Schwangere saßen um uns herum. Um biologisches Gemeindewachstum muss man sich bei Eckstein keine Sorgen machen. Aber wohl auch nicht um Wachstum durch Entscheidungen für Jesus.

Stetiges Wachstum seit 2016

Seit der Gründung 2016 ist die Gemeinde stetig gewachsen. Heute waren etwa 70 Personen zum Gottesdienst erschienen. Der Raum könnte vermutlich 120 Personen fassen. Rein statistisch könnte dieser Fall in zwei Jahren eintreten. Dann müssten neue Räume gesucht werden. Knapp wird es bereits beim Kindergottesdienst. Dieser hat einen so regen Zulauf, dass die Nebenräume kaum ausreichen. Apropos Kinder: Meine Frau war ganz beeindruckt, dass die Pastoren auch die Kinder begrüßten und ihnen eine besondere Beachtung schenkten.

Der Gottesdienst startete tatsächlich pünktlich um elf. Es gab eine kurze Begrüßung, eine Lesung von Psalm 31, danach zwei Lobpreislieder auf Deutsch und anschließend begann auch schon die Predigt. Wie uns berichtet wurde, gebe es bei Eckstein mehrere Predigtserien: eine Themenreihe, eine Serie durch die Psalmen und eine Serie durch das Markus-Evangelium. Heute war Markus 5, 21-34 dran.

Schwarzbrot mit Körnern

Flankierend zur Predigt war ein Programmheft ausgegeben worden. Wir hätten auch diverse Notizen machen können. Allerdings fehlte uns der Stift dazu. Ein Kugelschreiber mit Eckstein-Logo wäre jetzt praktisch gewesen. Uns fehlte noch etwas. Nämlich die mitgebrachte Bibel. Meine Frau zückte ihr Smartphone mit der Online-Bibel. Ich hörte nur zu.

Die Predigt über die 14 Verse ging etwa eine Stunde. Wenn man ein biblisches Bild dafür gebrauchen wollte, könnte man von Schwarzbrot mit Körnern reden. Eine kernige Predigt, die tief in den Text einstieg und diesen für unseren Alltag relevant machte. Die Konzentration setzte trotz der Länge nur selten aus, so dass ich fast alles genüsslich aufsaugen konnte.

Gemeinschaft ohne Kollekte

Auch das Ende war eher unspektakulär. Es gab noch ein Lied, aber keine Kollekte. Dann war Schluss und die Besucher wuselten durcheinander. Tische und Stühle wurden durch den Saal getragen. Essen wurde auf einer langen Tafel platziert und wir holten uns einen Kaffee. Schnell kamen wir mit mehreren Leuten aus der Gemeinde ins Gespräch. Eine sehr offene Atmosphäre, die zum Verweilen einlud.

Die Eckstein Gemeinde Berlin ist ein Gründungsprojekt der EBTC (Europäisches Bibel Trainings Centrum). Dieses kannten wir zwar dem Namen nach und wussten, dass es in Hellersdorf beheimatet ist. Besucht hatten wir es aber bisher noch nicht. Eckstein war also unsere erste Berührung mit EBTC. Der Ersteindruck war sehr positiv.

Montag, 10. Dezember 2018

Feliz Navidad und der Owie lacht

Weihnachtslieder werden über sprachliche Grenzen hinweg gesungen. Gestern erlebten wir einen internationalen Gottesdienst mit sprachlichen Fallen.



Im Eingangsbereich unserer Gemeinde stehen 50 kleine Fähnchen. Zu jedem der Fähnchen gibt es hier mindestens eine Person. Als beste sprachliche Schnittmenge dient Englisch, obwohl auch Afrikaner, Asiaten und Lateinamerikaner zu den Besuchern zählen. Afrikaner sprechen oft französisch und Südamerikaner spanisch.

Die Übersetzerin hatte es leicht. Die Weihnachtsgeschichte wurde auf Kinderdeutsch vorgelesen und die Übersetzung ins Englische stand an der Leinwand. Ein Großteil der Kinder disruptiert den Trend der Start-up-Szene und will lieber auf Deutsch kommunizieren. Das zwang die Mitarbeiter dazu, dieser Präferenz zu folgen. Hauptsache, die Kinder hören und machen das, was ihnen gesagt wird.

Während die Erwachsenen im großen Saal schon Weihnachtslieder auf Englisch, Spanisch und Deutsch sangen, wurden die lieben Kleinen in die reichlich vorhandenen Kostüme gesteckt. Es gab eine riesige Schafherde, viele Hirten, Ochs und Esel, viele Engel, aber nur zwei Könige, so dass meine Tochter den dritten König stellen musste. Vermutlich war sie Balthasar, da sie Caspar und Melchior vor sich her schob. Ein Geschichtenerzähler saß am Rand vor dem bunt geschmückten Weihnachtsbaum und las auf Deutsch.

Dazwischen immer wieder Weihnachtslieder und Eltern, die mit ihren Smartphones die goldigen Kindlein knipsten und sogleich viral im Internet verbreiteten. Als wieder eine Kinderherde zur Bühne kam, sangen wir "Stille Nacht, heilige Nacht". Ich war so fasziniert von diesem Monumentalfilmaufgebot an Kindern, dass ich fast die Stelle mit dem lachenden Owie verpasst hätte. "Owie lacht", sang ich meiner Frau ins Ohr. Sie lachte diesmal gar nicht. Zu sehr war sie auf die Kinder konzentriert.

Der Abend nahm seinen Lauf und auch "Feliz Navidad" wurde gesungen. Mein Sohn lernt schon seit vielen Jahren Spanisch. Das heißt, er hat Spanisch, lernt es aber nicht. Entsprechend sehen seine Noten aus. Er hasst das Fach. Dennoch machte er gestern eine folgenschwere Entdeckung. "Ano heißt aber etwas ganz anderes", raunte er meiner Frau zu. Es folgte der Owie-Effekt und sie klärte auch mich auf. Breites Grinsen beim iterierten Refrain: "Feliz Navidad Prospero Ano y Felicidad".

Über dem N von Ano fehlte die kleine Welle. Der Start-up würde von einer Tilde sprechen. Diese kleine Welle veränderte den Sinn des Wortes signifikant. Aufgeregt ging meine Frau zum Techniker, der die Folien aufgelegt hatte. Er solle dringend die kleine Welle über das N setzen. Breites Grinsen auch auf seinem Gesicht. Wir fragten den Technik-Leiter, wie lange denn schon von dieser Folie gesungen werde und ob noch keiner unserer vielen Spanischsprecher einen Hinweis dazu gegeben hätte.

Nein, es gab bisher keinen Hinweis und von der Folie werde seit fünf Jahren gesungen. Wir holten einen Spanier hinzu und fragten, ob ihm beim Lied etwas aufgefallen sei. Ob wir etwas anders singen, als es sein müsse. Er grübelte kurz und lächelte plötzlich verschmitzt in sich hinein. Breites Grinsen und dann schallendes Lachen. Seine amerikanische Frau kam hinzu. Sie verstand den Zusammenhang mit der fehlenden Welle erst, nachdem unser Technikchef auf seinen Hintern gezeigt hatte. Amerikaner lachen über solche Themen aber nicht.

Mit Feliz Navidad gibt es nun das zweite Weihnachtslied, das uns zukünftig zur Zeit und zur Unzeit zum Schmunzeln bringen wird.

Sonntag, 22. April 2018

Lutherisch auf Farsi in der Dreieinigkeits-Gemeinde Steglitz

Gottfried Martens aus der Dreieinigkeits-Gemeinde ist durch die Presse bekannt geworden. Er engagiert sich für Menschen aus dem Nahen und Mittleren Osten. Heute haben wir einen Doppelgottesdienst in Steglitz besucht.



Mein Begleiter trieb mich zur Eile. Wenn wir nicht pünktlich vor Ort seien, bekämen wir keinen Sitzplatz mehr. Über 1.000 Menschen mit Fluchtgeschichte gehören wohl zur Dreieinigkeits-Gemeinde in Steglitz. So entschieden wir uns, schon zur vorgelagerten Beichtandacht zu erscheinen. Diese begann um zehn.

Das Gemeindehaus steht auf einem Eckgrundstück in der Steglitzer Südendstraße. Parkplätze waren an der Straße vorhanden. Aus dem Küchenfenster klangen orientalische Klänge. Überall Schilder mit arabischen Schriftzeichen. Im Eingangsbereich wurden wir freundlich begrüßt. Ein dunkelhaariger Mann reichte uns die drei benötigten Gesangsbücher und ein separates Liedblatt.

Sieben Kreuze und Vergebung

Da die Familie nicht dabei war, konnten wir uns in der dritten Reihe platzieren. Kirchenbänke mit Kissen. Im Altarbereich zählte ich sieben Kreuze: Kanzel, Kerzen, Altarkreuze und ein herzugetragenes Aufstellkreuz. Das war eine Steilvorlage für die Beichtandacht. Wir hatten ja schon einige lutherische Gemeinden erlebt, wo auf der Sündhaftigkeit des Besuchers herumgeritten wurde - teilweise mit bedrohlich gestalteten Liedtexten an der Wand.

Hier wurde ein klarer Gegenakzent gesetzt: Ja, es gibt immer wieder Sünde, aber es gibt auch Vergebung. So stand die Beichtandacht im Zeichen der Vergebung. Gruppen von etwa 20 Personen kamen in den Altarbereich, knieten sich nieder und bekamen auf Deutsch, Farsi und Englisch Vergebung zugesprochen. Dazu legte Gottfried Martens jedem die Hand auf. Auch mein Begleiter reihte sich ein und war dann im gefühlt siebten Durchlauf dabei. Die Wartenden nahmen kein Ende. Ich war beeindruckt.

200 Plätze und kein Smartphone

Die Sitzplätze im Saal und auf der Empore müssen um die 200 Personen fassen. An jedem Platz - also sechs Mal pro Holzbank - war ein Hinweis auf Farsi und Deutsch angebracht, dass wir uns der Gegenwart Gottes bewusst sein sollten und deshalb jegliche Benutzung von Smartphones als respektlos anzusehen ist. Wer sein Smartphone benutzen möchte, solle den Saal verlassen und erst nach dem Gottesdienst wieder betreten. Eine deutliche Ansage, die wohl ihre Gründe hat.

Der Übergang zwischen Beichtandacht und Gottesdienst dauerte etwa zehn Minuten. Der Saal füllte sich noch etwas, so dass die 200 Plätze nahezu ausgereizt waren. Niemand starrte auf sein Handy. Alle konzentrierten sich auf die Liturgie. Pfarrer Martens zelebrierte die lutherische Liturgie mit Hingabe und fast komplett ohne Textvorlage. Die Liturgie schien in ihm zu leben.

Da gefühlt 90% der Anwesenden Farsi sprachen, wurden die Bibeltexte auch in Farsi verlesen. Es wurde sehr viel gesungen: Kirchenlieder, Jugendlieder von 1990 und schwungvolle Lieder auf Farsi. Ich verstand kein Wort - doch: Pontius Pilatus. Farsi ist Amtssprache im Iran, in Afghanistan und in Tadschikistan. Als indogermanische Sprache klingt sie gar nicht arabisch, obwohl Farsi die gleichen Schriftzeichen hat. Es gibt weltweit etwa 70 Millionen Muttersprachler.

Verfall und Erneuerung

Mit Hingabe predigte Gottfried Martens über einen Text aus dem zweiten Korintherbrief: "Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so werden wir doch am inneren Menschen von Tag zu Tag erneuert" (2. Korinther 4, 16). Nachts um drei habe er die Predigt vorbereitet - nach einem Tag der Herausforderungen und Rückschläge beim Einsatz für seine zum Christentum konvertierten Gemeindemitglieder. Am eigenen Körper erlebe er, wie er ermüdet. In der nächsten Woche fallen einige Veranstaltungen aus, da er "Schlaf-Urlaub" mache.

Ein Leuchten kam in seine Augen, als er den zweiten Teil des Predigttextes betrachtete. Wir werden täglich am inneren Menschen erneuert und erfrischt. Sehr plastisch malte er uns mit seinen Worten die Spannung zwischen äußerem Verfall und innerer Erneuerung - renovatur im Lateinischen - vor Augen. Ich betete für ihn, dass er in der nächsten Woche wirklich diese innere Kraft tanken kann.

Abendmahl mit Weißwein

Zum Abschluss des Gottesdienstes gab es Abendmahl. Dieses dauerte über eine halbe Stunde. Es müssen um die zehn Gruppen zu je zwanzig Leuten nach vorne gekommen sein. Der Pfarrer legte die Oblaten in den Mund jedes Einzelnen. Dann kam der Kelch mit Weißwein. Gerade der Wein muss eine besondere Herausforderung für ehemalige Moslems sein. Ein starkes Zeichen der Lebensveränderung.

Nach dem Gottesdienst verabschiedete Gottfried Martens alle Besucher persönlich. Äußerlich vom Stress gezeichnet, aber innerlich erneuert. Das verriet sein Blick, als er uns verabschiedete. Wir schauten noch kurz in den Essenssaal im Erdgeschoss und verließen dann die Dreieinigkeits-Gemeinde in Steglitz.

Montag, 2. April 2018

Kosher, Kampf und Kommunion - Nahrungsaufnahme am Osterwochenende

Für das Osterwochenende gibt es diverse Bräuche, die auch vor unserer Familie keinen Halt machen. Unbeabsichtigt wurden einige Traditionen ergänzt.



Es begann am Morgen des Karfreitags. "Macht jemand mit beim Fleischverzicht?", fragte meine Frau am Frühstückstisch. Ach ja, das macht man ja so. Niemand rührte die Wurst und den Schinken an. Statt dessen Schokocreme und Marmelade. Zu Fisch, den man wohl zu Karfreitag immer isst, hatten wir keine einstimmige Meinung. Für Karfreitag hatten wir die letzte Etappe des Mauerradwegs geplant: Tegel bis Brandenburger Tor - 40 Kilometer.

Pizza und die 40 Kilometer zum Gottesdienst

Wider Erwarten und mit der Motivation der Ziel-Etappe erreichten wir tatsächlich kurz nach fünf das Brandenburger Tor. Zum Beweis machten wir dort Selfies. Zwischendurch hatten wir Obst, Gemüse und Pizza gegessen. In meiner Calzone waren sogar Salami und Schinken. Vor einem fiktiven Inquisitor würde ich das damit rechtfertigen, dass ich bei einer Calzone ja nicht vorher sehen kann, was drin ist. Mein Sohn hatte korrekterweise - aber wohl eher zufällig und wegen der Standardbestellung - Thunfisch-Pizza, meine Tochter Mozzarella-Pizza und meine Frau Spinat-Pizza auf dem Teller gehabt.

Das Timing war so perfekt, dass wir zehn Minuten vor Beginn der Karfreitagsandacht bei Saddleback in der Kalkscheune eintrafen. Es gab Kaffee und später die Kommunion - Abendmahl. Abweichend von der Normalität wurde kein Video abgespielt. Stattdessen gab es eine Life-Predigt von Dave Schnitter. Natürlich auf Englisch. Wir bedauerten den Übersetzer. Informierte Kreise konnten uns jedoch glaubhaft versichern, dass dem Übersetzer ein deutsches Predigtmanuskript vorlag. Ich hatte mich schon gewundert, dass Dave die ganze Zeit vom Zettel ablas.

Abendmahl mit rotem Saft

Das Abendmahl bestand aus zerbrochenen Weißbrotscheiben und kleinen Plastikbechern mit rotem Traubensaft. Die Farbe muss heute leider betont werden, da wir schon mehrfach orangen oder gelben Saft oder gar Weißwein zum Abendmahl gereicht bekommen hatten. Wo ist da bitte der Bezug zum Blut Jesu? Blut! Rot!

Das hebräische Wort für Blut ist übrigens Dam und wird nur mit den zwei Konsonanten DM geschrieben. DM kennen wir auch von Jakobs Bruder Esau, der im weiteren biblischen Verlauf Edom genannt wird. Edom enthält ebenfalls DM und bedeutet Rot. DM ist eine ehemalige deutsche Währungseinheit. Mit seinem DM hat uns Jesus von Sünde und Tod erkauft. Das hebräische DM ergibt übrigens den Zahlenwert 604. Das M wird hier als 600 gewertet, da es am Ende des Wortes steht und dort anders aussieht. Ein M am Anfang oder in der Mitte eines Wortes hat den Zahlenwert 40. Apropos 40: Am Rande des Gottesdienstes verbreitete ich noch per WhatsApp die heldenhafte Fahrradleistung von knapp 40 Kilometern von Tegel in die City.

Am Samstag ruhten wir - oder so. Was hatten wir da eigentlich gemacht? Hm.

Hummus und ungesäuertes Brot

Am Sonntag gab es wieder einen klassischen Gottesdienst bei Saddleback: Videopredigt mit Rick Warren und alles auf Englisch. Anschließend fragte uns eine Frau aus dem Übersetzer-Team, ob wir nicht irgendwo zusammen essen gehen wollten. Ich schlug ein Hummus-Restaurant in der Oranienburger Straße vor. Dort hatte ich einst den berühmten Schauspieler Rolf Dieter Degen reingehen gesehen. Wir hatten den Imbiss - wie ich vermutete - bisher aber nicht selbst getestet.

"Hummus & Friends" stellte sich als vollwertiges Restaurant heraus - kein Imbiss. Hatte ich bei Hummus zunächst an Araber gedacht, trug "Hummus & Friends" ein hebräisches Etikett. Das Essen dort ist kosher und vegetarisch. Hätte ich letzteres vorher gewusst, hätte ich das Restaurant wohl nicht empfohlen. Aber nun saßen wir hier und mussten uns zwischen mehreren Hummus-Gerichten, Beilagen und Salaten entscheiden. Hummus hat übrigens nichts mit der dunklen Erde im Garten zu tun, sondern ist ein hellbrauner Brei aus Kichererbsen. Mir jedenfalls schmeckt das. So war das Fehlen des kosheren Fleisches durchaus zu verkraften.

Auf diesem Wege waren wir zu Ostern - ohne es vorher geplant zu haben - in ein echtes Passah-Restaurant geraten. Die Brote waren wegen des jüdischen Passahfestes ohne Gärungsmittel gebacken worden und schmeckten trotzdem sehr gut. Bier wurde auch nicht ausgeschenkt wegen der Hefe. Auch ohne Fleisch wurden wir satt und fühlten uns gesund ernährt. Preislich war das auch vertretbar und lädt zu einem Folgebesuch nach dem Gottesdienst ein.

Schoko-Hasen

Zu Hause hatte meine Frau Osterhasen versteckt. Keine echten, sondern Schokoladenhohlkörper in Alufolie. Mein Osterhase war besonders gut getarnt. Ich fand ihn hinter den Kissen auf der Couch. Mit seiner Sonnenbrille, den Kopfhörern und dem Hipster-Outfit sah er aus wie der oben erwähnte Pastor Dave. Die Hasen wurden umgehend entkleidet und verzehrt. Die sättigende Wirkung des vegetarischen Mittagessens hatte wohl inzwischen nachgelassen.

Für Ostermontag war der Verzehr einer Ente zusammen mit den Omas geplant. Wo auch immer die Tradition mit der Ente herkommt? Während diese auf dem Balkon auftaute, aßen wir in der Küche Frühstück. Es gab gefärbte Eier.

Ente, Eier und der Preis des Siegens

Eine alte Tradition in unserer Familie ist der Eierkampf. Zur Zeit von Esra, Nehemia, Esther, Hesekiel und Daniel lebte ein Chinese namens Sun Tsu. Laut Sun Tsu sei die höchste Kunst des Krieges der Sieg ohne Kampf. Einmal war es mir gelungen, auf diese Weise den Sieg zu erringen. Während alle anderen ihre Eier aneinander zerschellen gelassen hatten, stand mein Ei unberührt im Eierbecher und hatte keine gebrochene Schale. Ich war der Sieger.

Das fand aber leider keine Akzeptanz und wird mir bis heute als unfair nachgetragen. Deshalb musste ich mich heute Morgen der aktiven Konfrontation stellen. Das Ei meiner Frau stand bereits eingedrückt im Becher. Mein Sohn schmollte, dass seine Schwester gegen ihn gewonnen hatte.

Über der Schokocreme entbrannte ein Luftkampf mit diversen Ausweichmanövern. Eine Schlacht in der dritten Dimension. Unerbittlich rammte meine Tochter die Spitze ihres Eis in mein grünes Flugobjekt. Hartgekocht gegen Mittel. Der Panzer brach und das gefärbte Wasser unter der Kalkschale entlud sich über den Gegner. Eine großflächig grün gepunktete Tochter entschädigte für den Verlust einer intakten Eierschale. Ihr rotes Ei war unversehrt. Sie eilte ins Bad. Dabei harmonieren doch Rot und Grün sonst immer so gut miteinander. Nach wenigen Minuten erschien sie ohne grüne Punkte. Auch ihre Brille war wieder sauber.

Das Osterwochenende als vielschichtig kulinarisches Erlebnis. Wir sind gespannt, was uns der gemeinsame Verzehr der Ente noch bringt.

Donnerstag, 29. März 2018

Gottesdienste in Berlin

Bei der Suche nach Gottesdiensten am Osterwochenende in Berlin führte uns Google auf eine der vielen Webseiten von Gemeinsam für Berlin: www.Gottesdienst-in-Berlin.de



Seit über einem Jahr besuchen wir als Familie wieder regelmäßig eine Gemeinde in Berlin. Dort haben wir auch einige Dienste übernommen. Das wirkt sich auf die Besuchsfrequenz des Church Checkers aus. Da unser Pastor in seiner internationalen Gemeinde Fluktuation gewohnt ist und ein großes Herz für den Church Checker hat, sind wir jedoch frei, diesen Blog weiter zu bedienen.

So schaute ich heute bei Google, welche Gottesdienste über das Osterwochenende stattfinden. Ohne den Zusatz "gottesdienst" hätte ich nur Webseiten zum Tanzverbot am Karfreitag, fragwürdige Umzüge oder anderen gottlosen Kram gefunden. Nachdem ich die Suche auf "karfreitag gottesdienst berlin" erweitert hatte, wurde mir eine Webseite von Gemeinsam für Berlin präsentiert:

www.Gottesdienst-in-Berlin.de

Ähnlich der Webseite für Migrationskirchen kann bei Gottesdienst-in-Berlin.de nach Stilrichtung, Sprache, Besucherzahl, Uhrzeit und Kinderfreundlichkeit gefiltert werden. Bei Klick auf "Modern" oder "Jugendorientiert" oder "Französisch" oder "So. Abends" reduzieren sich die roten Pins auf der Google-Karte.

Weitere Informationen werden sichtbar, wenn die Mouse über die Pins fährt. Es erscheint dann der Name der Gemeinde. Bei Klick auf den Pin öffnet sich ein Infofeld mit Adresse, Webseite und den gewünschten Uhrzeiten. Ein weiterer Klick leitet zur Routenplanung per Auto oder Bahn. Sehr gut gemacht und leicht zu bedienen. Leider eine etwas längere Ladezeit der Gesamtübersicht beim Erstbesuch dieser Gottesdienst-Webseite.

Der Vorstand von Gemeinsam für Berlin wies kürzlich auf den erheblichen Pflegeaufwand dieser Datenbanken hin. Man müsse Datenschutzrichtlinien beachten, die Gemeinden um Erlaubnis fragen und einen Mitarbeiter zur nachhaltigen Pflege einsetzen. Aus diesem Grunde kann die Aktualität nicht garantiert werden. Es lohnt sich also in jedem Fall, vor einem Offline-Besuch die Webseite der jeweiligen Gemeinde zu besuchen.

In diesem Sinne ein gesegnetes Osterwochenende!

Freitag, 2. März 2018

Requiem für Pater Alain-Florent Gandoulou

"Teuer ist in den Augen des HERRN der Tod seiner Frommen", heißt es in Psalm 116. Vor einer Woche ist der katholische Priester in seinem Berliner Büro ermordet worden. Heute hielt Erzbischof Heiner Koch das Requiem.



Vor einem Jahr lernte ich eine Frau kennen, die regelmäßig für die Caritas im Kongo unterwegs ist. Eines Tages geriet ihr Konvoi in einen illegalen Check-Point. Die Insassen des ersten Fahrzeuges wurden als Geiseln festgehalten. Ihr eigener Fahrer konnte wenden und fliehen. Die Splitter der Tür stecken immer noch in ihrem Fuß. Eine normale Karosserie hält bei Kalaschnikow-Beschuss gar nichts ab.

Kongo, Ost und West

Auch in Kongo gibt es eine Ost- und West-Trennung. Der Westen nennt sich Republik Kongo und war bis 1960 unter französischer Herrschaft. Der deutlich größere Osten nennt sich Demokratische Republik Kongo und war bis 1960 unter belgischer Hoheit. In beiden Teilen gilt Französisch als Amtssprache.

Kongo war auch das Geburtsland von Pater Alain-Florent Gandoulou, also die Republik Kongo im Westen. Er lebte schon viele Jahre in Deutschland. In den Kongo konnte er nicht mehr zurück, da er die dortige Politik kritisiert hatte. Bei seiner Gemeinde in Charlottenburg war er sehr beliebt. Nach den Gottesdiensten soll er immer wieder Leute zum Essen mit nach Hause genommen und sich sehr selbstlos um seine Gemeindemitglieder gekümmert haben. "Papa Alain" muss ein freundlicher und umgänglicher Mann gewesen sein.

Französisch in Berlin

Seine Gemeinde Paroisse Catholique Francophone wurde 1945 gegründet und bot zunächst den französischen Alliierten eine geistliche Heimat. Entsprechend nachhaltig waren auch seine Beziehungen zum Militär. So hatte er unter anderem an einem Pfingst-Gottesdienst beim Wachbataillon in Tegel teilgenommen. In Berlin leben weit über 18.000 Franzosen. Hinzu kommen Afrikaner, die Französisch aus ihren Heimatländern mitgebracht haben.

Pater Alain-Florent Gandoulou war am 11. August 1963 in Brazzaville geboren worden. 1991 wurde er zum Priester geweiht und arbeitete einige Jahre seiner Geburtsstadt. 1996 zog er nach Bonn (Bad Godesberg) und promovierte dort in Christlicher Gesellschaftslehre. Bis 2005 engagierte er sich in einer Bonner Gemeinde, ging dann nach Paris und startete 2009 seine Arbeit in Berlin. Ein intelligenter Mann also, der seine Chancen genutzt hatte und dabei ein nahbarer Ansprechpartner geblieben war. Ein Mann, der seinen Bezugspersonen ein Beispiel gelebten Glaubens vermitteln konnte.

Requiem

Requiem - Ruhe - für Pater Alain-Florent Gandoulou. Am 22. Februar 2018 wurde er im Streit von einem anderen Afrikaner ermordet. Der Tatort muss dem Szenario eines skandinavischen Krimis geglichen haben: Stichwunde im Kopf, beigefügt mit einem Regenschirm. Der mutmaßliche Täter wurde am Folgetag in Reinickendorf gefasst. Dieser war nur halb so alt wie der Papa Alain und kam aus Kamerun, dem nordwestlichen Nachbarland der Republik Kongo.

S-Bahn, Koch und neue Leute

Heute habe ich einen Fehler gemacht. Bei -8°C wollte ich mit der S-Bahn in die City fahren. Ich freute mich, dass sie schon im Bahnhof stand und auf mich wartete. "Der Zugverkehr ist unregelmäßig", tönte es regelmäßig durch den Lautsprecher. Schön warm war es in der Bahn. Nach einer halben Stunde stieg ich wieder aus. Die Bahn hatte sich keinen Zentimeter bewegt.

Pater Alain-Florent Gandoulou soll im Kongo beigesetzt werden - in seiner Geburtsstadt Brazzaville. Das heutige Requiem - die Gedenkmesse - mit Erzbischof Heiner Koch habe ich verpasst. Schade. Dennoch ist mir schon durch die Beschäftigung mit Papa Alain eine Person aus der christlichen Szene Berlins nahe gebracht worden, die ich bisher nicht kannte. Parallelwelten eben, die postmortal zu einer Welt - der neuen Welt Gottes - verschmelzen.

Montag, 5. Februar 2018

Macht in der Gemeinde

Nachdem hier schon viel über geistlichen Missbrauch geschrieben wurde, nun eine nicht ganz ernst gemeinte Auseinandersetzung mit den wahren Machthabern in der Gemeinde. Das sind nämlich Menschen wie du und ich.



Mehr als zwei Jahre hatte unsere Distanz zu jeglichen Gemeinde-Aufgaben gedauert. Kein Kinder-Gottesdienst, kein Willkommens-Team, kein eigener Hauskreis, keine Moderation, kein Putzdienst, kein Kochen, kein Backen - einfach Abstand von jeglichen Dingen, die uns in das Hamsterrad eines Gemeinde-Systems gepresst hätten.

Dennoch war uns bewusst, dass wir Gemeinde wollen. Wir waren auf die Suche gegangen, hatten bei 100 Gemeinden mit Zählen aufgehört und über die Erfahrungen berichtet. Parallel wurde ein neuer Freundeskreis aufgebaut und tatsächlich eine Gemeinde gefunden, die auf uns als ganze Familie passte. Das war gar nicht so einfach.

Macht die Familie eigentlich was?

Die Gemeinde ist vier Jahre alt, hat 300 Gottesdienst-Besucher, setzt sich aus 50 Nationen zusammen und spricht primär Englisch. Demnächst startet ein dritter Sonntags-Gottesdienst. Das fordert Ressourcen. Unsere Tochter war bereits vor einigen Wochen mit polizeilichem Führungszeugnis und Empfehlungen beim Kinder-Programm eingestiegen.

Meine Frau und ich waren bis zum Jahreswechsel resistent. Dann folgten wir einem multimedialen Hilferuf und sahen uns mal die Wirkungsweise des Technik-Teams an. Alles ging dann sehr schnell. Gestern saßen wir zu zweit im schalldichten Kasten und hatten die Verantwortung für den Beamer und die Simultan-Übersetzung.

Schon im Vorfeld sandte ich Smileys mit ängstlichen Mienen herum und warb um Gebetsunterstützung. Meine Frau hatte nur kurz mal zugeschaut, wie die Folien gewechselt werden und wo das Video mit der Predigt zu klicken sei. Allein die Einweisung in das präzise Starten des Countdowns flößte uns Respekt ein. Gestern war die Technik-Familie im Urlaub und wir sprangen ins kalte Wasser - sinnbildlich - wobei unser Glaskasten schon an ein Aquarium erinnerte.

Potenzielle Macht im Aquarium

Durch aufmunternde Bemerkungen unserer Kinder wurde uns bewusst, welche Macht wir plötzlich besaßen. Zehn nach halb zwölf waren wir vor Ort. Würden wir sofort den Countdown starten, würde das den Gottesdienst-Beginn vorverlegen. Hektik würde ausbrechen bei der Band und beim Pastor. Die Leute hinter der Kaffee-Theke würden sich wundern, dass so wenige Cappuccino zubereitet werden müssten. Menschen, die sich auf das akademische Viertel verließen, würden plötzlich vor der geschlossenen Tür zum Saal stehen. Irritation, Panik. Vielleicht hätten sie Schweißausbrüche und würden um einige Tage altern. Der Kaffee im großen silbernen Behälter würde sogar für die Gespräche nach dem Gottesdienst reichen.

Auch in den Gesprächen vor dem Start des Countdowns kamen wir immer wieder auf die Macht der Technik zurück. Mein Sohn meinte noch, wenn der Pastor zu schnell rede oder ich die Worte nicht kenne, solle ich einfach etwas anderes erzählen. Beispielsweise könne ich Werbung für den Church-Checker machen. Auch malten wir uns aus, welche weiterführenden Texte ich als Lückenfüller einflechten könnte. Hinweise auf unsere Youtube-Kanäle oder ähnliches. Immerhin wären mir die Gottesdienst-Besucher ohne Englisch-Kenntnisse hilflos ausgeliefert.

Macht praktisch

Das wäre normalerweise der Moment für ein sonores "Ho, Ho" und ein breites, fieses Grinsen. Da es aber auf zwölf zuging, wurden wir eher nervös. Wie war das noch mit dem Countdown? Fünf nach und 36 Sekunden oder sowas? Dann kam das manuelle Signal und meine Frau startete den Film: "5:00, 4:59, 4:58". Ich kauerte mich zu ihr und richtete mich neben dem massiven Sennheiser-Mikrofon ein. Oben war ein großer ON-OFF-Schalter. Die Lust auf Macht war mir gänzlich vergangen. "0:02, 0:01: 0:00", zum Glück startete sofort die Band und ich musste nichts übersetzen.

Meine Frau kam mit den Folien nicht klar. Niemand sang mit. Der durchbohrende Blick meiner Tochter traf den Glaskasten. Auch der Pastor schaute zur Technik. Experten drängten sich in unseren Kasten. Zum Ende des ersten Liedes sahen die Besucher die passende Folie. Dann begann plötzlich der Lobpreisleiter zu sprechen. Das war ja Englisch. Ich verstand alles. Darüber war ich so erstaunt, dass ich stumm vor dem Mikro saß. Meine Frau schaute mich erschrocken an. Erst als der unhygienische Friedensgruß in die Praxis umgesetzt wurde, hatte ich mich gefangen und teilte den Übersetzungs-Bedürftigen mit, dass sie jetzt aufstehen könnten um die Leute in ihrer Umgebung zu begrüßen. Ich hörte sogar meine eigene Stimme. Wie peinlich!

Macht langsam Spaß

Bereits nach dem Gruß hatte meine Frau die Folien voll im Griff. Auch meine Tochter drehte sich nicht mehr um. Sie musste statt dessen den Platz wechseln, weil noch zwei Leute nach dem akademischen Viertel gekommen waren. Unfassbar! Ein Schwarzer zwängte sich neben mir in den Glaskasten und teilte mir mit, dass er aus Kuba sei. Ja, schön. Dann setzte ich den Kopfhörer wieder auf und konzentrierte mich auf den nächsten Einsatz. Der kam nach dem Lobpreis.

Zur besseren Erklärung breitete ich die Zettelwirtschaft aus dem Begleitheft vor mir aus und erklärte nun simultan und mit einigen Lücken, was der eingeborene Germane an welcher Stelle anzukreuzen und auszufüllen habe. Auch Class 301, das Seminar zur Entdeckung des Gabenprofils, war Thema der Ansagen. Die oben erwähnten Werbeblöcke konnte ich gar nicht mehr platzieren. Egal, ich freute mich, dass ich die Simultan-Übersetzung, das parallele Reinquatschen in den Text des Redners auf der Bühne, als ideale Form der Translation für mich entdeckt hatte. Währenddessen suchte meine Frau nach der Folie für das parallele Jugendprogramm. Den Stress merkte man ihr gar nicht an.

Macht mal Pause für 48 Minuten

"Jetzt hast du 48 Minuten Zeit", sagte sie zu mir und lehnte sich entspannt zurück. Sie hatte das Video mit der Predigt gestartet. Alles reibungslos. Ich legte den Kopfhörer ab und ordnete die Zettel vor mir. Wenn die Leute saßen, konnte man vom Aquarium aus sehr gut das Geschehen auf den beiden Leinwänden verfolgen. In der Predigt ging es um die Handlungsmuster von Jesus: Hören - Stoppen - Gucken - Fragen - Tun. Dafür gäbe es viele Beispiele. Im konkreten Fall ging es um die Blinden von Jericho.

Als die Timeline auf die Null und der Pastor auf die Bühne zuging, fasste ich Mut und Mikrofon. Klack - ON - das Gebet begann. Wieder übersetzte ich simultan. Dann noch ein Lied mit Kollekte. Meine Frau sang und wippte mit. Die Folien wurden präzise gewechselt und unsere Tochter drehte sich nicht um. Geschafft!

Für 14:00 Uhr hatten wir einen Tisch beim Mexikaner reserviert. Durch das späte Starten des Countdowns waren aber Lobpreis, Predigt und Ansagen so weit nach hinten verlagert, dass wir nur noch zehn Minuten Zeit hatten. Wir würgten den nachfolgenden Smalltalk ab, versorgten uns mit Teewasser und Mänteln und liefen schnell zum Restaurant. Obwohl wir unsere Macht nicht zur Verschiebung der Zeiten missbraucht hatten, kamen wir sogar pünktlich zum Essen.