Vom Lesen der Bibel in unterschiedlichen Sprachen und Übersetzungen kann man durchaus profitieren. Wer schnell liest, schafft das Neue Testament in einem Monat und die komplette Bibel in einem halben Jahr. Die Bibel eröffnet in jeder Lebensphase neue Perspektiven, erweitert den Horizont und gibt Anregungen zur Optimierung der eigenen Persönlichkeit.
Der Beerdigungstermin meines Vaters ließ sich gut merken: Achter Neunter, zehn Uhr. Bei der anschließenden Trauerfeier in der Baptistengemeinde meiner Eltern sah ich sie. Groß, braun, attraktiv und für mich unerreichbar. Sie stand dort und wartete auf jemanden. Ich kannte sie nicht und hatte sie zuvor auch nicht wahrgenommen. Ich beobachtete sie. Still stand sie dort und wartete. Uns trennte nur eine Glasscheibe. Ich näherte mich und erfuhr dann ihren Namen: Elberfelder Bibel in großer Schrift.
Die Elberfelder hatte ich noch nie zuvor gelesen, da mir das Schriftbild nicht gefiel. Zudem gab es diesen Hype um die Urtextnähe und das damit verbundene holperige Deutsch. Da ich gerade bei den letzten Kapiteln des Neuen Testamentes von Nestle-Aland war, wollte ich es diesmal mit ihr wagen. Der nahe Geburtstag und der Beginn des neuen Bibelleseloops förderten eine Begehrlichkeit, die meine Mutter wenige Tage später in die praktische Umsetzung von Sprüche 13 Vers 12 (ein erfüllter Wunsch aber ist ein Baum des Lebens) münden ließ.
Die Bibel im Looping zu lesen ist eine interessante Sache. OK, manchmal ist es "nur" das Neue Testament. Aber da man dieselben Texte immer in einer anderen Lebenssituation liest, bekommen sie eine ungeahnte Tiefe. Die Bibel ist für mich vergleichbar mit einem Schloss in St. Petersburg, wo Türen über Türen geöffnet werden, kleine und größere thematisch divergente Räume durchschritten werden und am Ende der Licht durchflutete "Thronsaal" (heißt auch auf Russisch so) mit Rastrelli-Parkett, Goldtäfelung und Spiegeln auf den Touristen wartet, dem beim Anblick von Thron und Pracht die Kinnlade herunterklappt.
Die Bibel als Genussmittel, das auf der Zunge zergeht und wie eine Chili-Schokolade mal süß, mal herb in den Leser eingeht. Der Genuss entfaltet sich besonders dann, wenn sich viel gelesene oder oft in Predigten gehörte Texte ganz neu erschließen. Hilfreich ist deshalb das Lesen in unterschiedlichen Sprachen und Übersetzungen: Schlachter, Bibel in heutigem Deutsch, Gute Nachricht, Luther, New International Version, Vulgata ohne Punkt und Komma, Hebraica, Nestle-Aland Novum Testamentum Graece oder Latine, Volxbibel. Dabei entdeckt man nicht nur inhaltlich viel Neues, sondern fördert die eigene Sprachkompetenz. Auch wenn im letztgenannten Punkt die zweimal neunhundert Seiten Altes Testament der Volxbibel recht anstrengend werden können, so war es doch die Volxbibel, die mir erstmalig die Pointe des Hiob in Kapitel 42 vermitteln konnte. In der ersten Auflage des Neuen Testamentes ist sie zudem nicht so weichgespült wie andere deutsche Übersetzungen. Dieses in der christlichen Szene äußerst umstrittene Buch trifft aus meiner Sicht vielfach sehr gut den Sinn des originalen Textes. Nehmen wir nur einmal Matthäus 7 mit der Überschrift "Beten funzt".
An dieser Stelle werden wohl einige Leser dieses Artikels verärgert ihr Church Checker Abo gelöscht und den Browser geschlossen haben, so dass ich nun noch auf die lückenhaften Erzählungen im Kindergottesdienst eingehen kann. So wurde uns immer ein freudig mit seiner Matte umhergehender Geheilter vom Teich Bethesda vermittelt. Laut Text in Johannes 5 hatte er jedoch eine Menge Ausreden, um gar nicht geheilt zu werden und letztlich trat er noch als miese Petze auf, weil Jesus ihm eine Persönlichkeitsoptimierung anriet (Verse 14-16). Bevor ich mit etwa zwanzig Jahren das erste Mal selbst die Bibel gelesen hatte, wunderte ich mich immer, woher meine Eltern Dinge wissen, über die nie gepredigt wird. OK, von Dina in Sichem (Genesis 34) und den stammesgeschichtlichen Folgen erzählten sie mir auch nichts, aber das sind so Texte, die gerne verschwiegen werden. Wie auch Matthäus 23, Hesekiel 8-11 oder Apostelgeschichte 15.
Besondere Zusammenhänge lassen sich auch entdecken, wenn man die Texte über den fett gedruckten Sinnabschnitt oder die Kapitelgrenze hinweg liest. Bei Lukas 4,38 bis 5,11 könnte man sich die Frage stellen, was Petrus gerade gemacht hatte, als Jesus am Wirken war (Lukas 4,40-41)?
Während ich mich zwecks Textkorrektur bei der Volxbibel-Wiki angemeldet hatte und anhand der Einträge meine Lesegeschwindigkeit evaluieren konnte, entdeckte ich in der Elberfelder nur einen Schreibfehler in Habakuk 3 Vers 13, wo auf dem Innenknick der Seite 1438 ein scharfes "S" fehlte.
Insgesamt hatte das Durchlesen der Elberfelder siebeneinhalb Monate in Anspruch genommen. Erfahrungsgemäß kann man also die gesamte Bibel - egal in welcher Sprache oder Übersetzung - innerhalb von sechs bis zwölf Monaten durchlesen und das Neue Testament in ein bis drei Monaten.
Und welche Bibelausgabe lese ich jetzt?