Sonntag, 17. September 2017

Geht's gut?

Wenn Worte und Sätze zu oft genutzt werden, können sie schnell zur Floskel werden. In den letzten Wochen wurde ich vermehrt mit Fragen nach dem Wohlbefinden konfrontiert.



"Hallo Herr Wieker!" - kräftiger Händedruck - "Geht's gut?" - "Ja", entgegnete ich dem Generalinspekteur. Dabei war ich schon den halben Tag mit schmerzendem Bein die Treppen der Akademie hoch- und runtergehumpelt. Hätte ich ihm das erzählen sollen? Ansonsten ging es mir gut. Der Workshop in Hamburg war sehr interessant. Das ließ die körperlichen Schwächen vergessen.

Wie geht es dir?

Am Sonntag darauf fragten mich gleich drei Leute bei Saddleback, wie es mir gehe. Das kam mir so langsam unheimlich vor. Alle Fragesteller wirkten so, als hätten sie tatsächlich ein Ohr für mein Wohlergehen. Ich war verunsichert. Sehe ich so schlecht aus?

Irgendetwas schien meinen Gesprächspartnern zu zeigen, dass ich eine Last trage. Nur welche? Natürlich gab es einen bunten Strauß an Herausforderungen, die parallel liefen und gemeistert werden mussten. Aber dazu hätte ich zu weit ausholen müssen. Und nach Römer 8 Vers 28 fühlte ich mich dennoch gut. Jesus wird schon wissen und das Richtige zur richtigen Zeit veranlassen.

So antwortete ich mit "Ja" oder "Gut" und ging weiter. Die Frage wurde mir auch an den folgenden Tagen gestellt, was mich verwunderte. Bei der Akkreditierung des israelischen Botschafters, also drei Tage vor dem Zusammenbruch, fragte eine Pressekollegin nach. Dem "Gut" fügte ich einen Hinweis auf die zwei Wochen Urlaub Anfang August hinzu. Kurz darauf rührte sich eine Lungenentzündung mit starken Stichen in der linken Seite. Ein Vorbote für noch Schlimmeres.

Hi, how are you?

Eine amerikanische Missionarin beschwerte sich einmal, dass der Hausmeister ihres Berliner Mietshauses auf die Hi-How-Are-You-Floskel (Hallo, wie geht es dir?) tatsächlich geantwortet hatte. Dabei sollte es nur im Vorbeigehen nett klingen - und dann erzählt doch der Mann allen Ernstes eine halbe Stunde lang, wie es ihm geht. Unfassbar!

Die Frage nach dem Wohlergehen kann also auch nach hinten losgehen und sollte nur gestellt werden, wenn Zeit zum Zuhören eingeplant wurde. Deshalb stelle ich solche Fragen fast nie. Es sei denn, es interessiert mich wirklich. Neuerdings wickle ich das per WhatsApp ab und verbinde das gleich mit einer entsprechenden Gebetsunterstützung.

Ehrliches Interesse

Nach der Lungenembolie war ich bei meiner Hausbank. "Geht's gut?", wollte die Kassendame wissen. "Nein", sagte ich und schilderte kurz die gesundheitliche Situation. Betroffenheit und beste Wünsche. Die Frau hatte sich ehrlich dafür interessiert. Auch aus der Leserschaft dieses Blogs, der Kundschaft und dem Bendlerblock kamen Anfragen und Genesungswünsche. Ernsthaftes Interesse. Das gab mir Kraft und Motivation.

Rückblickend und mit einem gesunden Abstand kann ich Römer 8 Vers 28 immer wieder bestätigen. Gott hat einen Plan und alle Herausforderungen und schweren Zeiten haben einen Sinn.

Sonntag, 10. September 2017

Gottesdienst im Klinikum

Wenn ich die Bibel richtig verstanden habe, ist Gottesdienst eine 24/7-Angelegenheit. Diese konnte ich in der vergangenen Woche im Vivantes Friedrichshain feiern.



Es begann mit einem Gottesdienst bei Brücke Berlin in Charlottenburg. Der Aufstieg ins Dachgeschoss war ein sicherer Indikator für die Familie, mich anschließend beim Krankenhaus abzusetzen. In der Notaufnahme ging alles sehr schnell. Ergebnis: Lungenembolie mit sehr ausgeprägter Diagnose.

Rote Tasche mit Elberfelder in großer Schrift

Während meine Frau die eine Zeitschrift im Wartebereich studierte, packten die Kinder zu Hause meine Krankenhaus-Ausrüstung ein. conhIT Connecting Healthcare IT stand auf der knallroten Umhängetasche. Ein Schlafanzug, eine Unterhose, ein T-Shirt, mein Handy mit Ladekabel und die Elberfelder in großer Schrift. "Du sollst dich ja nicht so anstrengen", war ihre Argumentation für die Wahl der Elberfelder. Danke, aber ich lese gerade eine andere Bibel. Deshalb bat ich meine Frau, mir am nächsten Tag die Vulgata mitzubringen.

Langzeit-Ehe und noch immer frisch

Meine Mitpatientin hinter der Spanischen Wand war fortgeschrittenen Alters und lag hier wegen eines Schlaganfalls. Ihr Gesundheitszustand wurde merklich besser, so dass wir bald ins Gespräch kamen. besonders beeindruckend war die Beziehung zu ihrem Mann. Liebe wie am ersten Tag. Ein Beispiel für jeden guten Ehekurs, nur eben keine wirkliche Beziehung zu Jesus. Das fand ich sehr schade. Leider ergab sich kein Anknüpfungspunkt, um noch etwas über das Danach mit ihr ins Gespräch zu kommen.

Dreibett-Zimmer

Nach etwa 24 Stunden wurde ich von den Kabeln befreit und auf die normale Abteilung verlegt. Dreibett-Zimmer. Bei den vielen guten Begegnungen taten mir die Privatpatienten leid, die sich im Einzelzimmer langweilen. Im Zimmer lag bereits ein älterer Herr, der sein Leben lang als Maler gearbeitet hatte und nun kurz vor dem Abschied stand. Ein feiner und freundlicher Bettnachbar.

Die Frage nach Gott quittierte er mit einer sehr emotionalen Antwort: "Die Pfaffen kannst du alle vergessen. Die quatschen nur dummes Zeug und helfen dir letztlich doch nicht." Ein nicht ganz unbekanntes Thema. Hätte ich ihm von unserem Gemeindeaustritt vor zwei Jahren erzählen sollen? Schade jedenfalls, dass ihm die pastorale Erfahrung nun bei der direkten Kontaktaufnahme zu Jesus im Weg stand.

Am zweiten Tag kam unser dritte Mann und keiner hatte Skat-Karten dabei. Er war tätowiert, sehr kräftig, sehr sportlich, eine wahre Kämpfernatur von Mitte 40. Die Krankheit sah man ihm nicht an. Seine Brüder vom Motorad-Club gaben sich die Klinke in die Hand. Ich war fasziniert über diese Community. Sie brachten Geburtstagsgeschenke, schoben ihn im Rollstuhl zur Cafeteria, spielten Mensch ärgere Dich nicht und freuten sich auf seine Genesung.

Bibel auf dem Nachttisch

Entspannung im Krankenhaus ist nicht! Bis zum Nachmittag wurden wir mit Behandlungen, Messungen und Essenseinnahmen beschäftigt. Meine 10 x Danke pro Tag konnte ich morgens kaum am Stück aufschreiben, weil Blutdruck oder Sauerstoff-Sättigung gemessen wurden. Auch das eine Kapitel aus 4. Mose war selten in einem Rutsch zu lesen. So lag die grüne Bibel mit der goldenen Schrift oft zugeklappt auf dem Nachttisch.

Die Blicke von Ärzten und Schwestern fixierten das Buch. "Lesen Sie die Bibel?", kam ab und zu eine interessierte Frage. Der 4. Mose enthält ja so einige Geschichten, die uns den Humor Gottes nahe bringen. "Ist die Bibel so lustig?", fragte unser Motorrad-Freund. Ja, das konnte ich bestätigen.

Abschied

Nach einer Woche wurde ich entlassen. Beim Zusammenpacken der Sachen fiel mir ein, dass ich ja noch die Elberfelder in großer Schrift dabei hatte. Diese hatte ich einmal durchgelesen, so dass ich sie jetzt auch weitergeben konnte. Ich schenkte sie dem Kämpfer aus dem Nachbarbett. Er freute sich und wollte darin lesen. Ich schüttelte das Buch aus, entnahm einen Notizzettel, schaute nach eventuellen Unterstreichungen und steckte die Visitenkarte des Orthopädie-Fachhandels beim Anfang des Neuen Testaments rein: "Am besten hier anfangen". Dann packte ich den Rest zusammen und verabschiedete mich von den beiden Patienten.

Irgendwie war in den paar Tagen eine Beziehung entstanden. Trotz unserer sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten und Ansichten hatten wir uns gegenseitig aufgemuntert, viel gelacht und auf unsere Sachen aufgepasst. Mit ein wenig Abstand muss ich sagen, dass das alles einen Sinn hatte. Ich nehme es mit Römer 8 Vers 28.

Sonntag, 3. September 2017

Brücke Berlin schließt Lücke in Charlottenburg

Brücke Berlin ist eine moderne Gemeinde und bedient seit einem Jahr eine Versorgungslücke in Charlottenburg. Zu siebent besuchten wir heute den Gottesdienst.



Es waren wohl vier Brücken, die wir auf der Fahrt zu Brücke Berlin in Charlottenburg überquert hatten. Was mit der Bahn etwa 80 Minuten dauerte, ging mit dem Auto auch in 35 Minuten vom Stadtrand aus. Vor der Hausnummer 94 stand bereits ein Mann mit blauem T-Shirt. "Brücke Berlin?", fragte er und streckte seinen Arm in Richtung Eingang aus. Wir schlenderten an einer orangen Fassadenfärbung entlang in den Hinterhof. Dort stand ein Mann mit Anzug. Dieser outete sich später als Fotograf. Er zeigte auf eine schmale Tür mit grauer Treppe.

Treppe ins Dachgeschoss

Als ich die Tür und die Treppe sah, versuchte ich tief durchzuatmen. Meine Familie hatte bereits eine halbe Etage erklommen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich eine Lungenembolie hatte. Ein Mann ignoriert starkes Seitenstechen. Geht ja auch irgendwann wieder weg. Brücke Berlin hat neue Räume im Dachgeschoss mit Oberlicht. Oben angekommen, kroch ich in den Flur und versuchte die vielen Bekannten halbwegs im Stehen zu begrüßen und hechelte erst einmal am Tresen aus. Die Kinder schauten mich besorgt an. Man reichte mir einen Becher mit Wasser.

Lobpreis und Gründer-Mentalität

Sitzen war gut! Wir okkupierten zwei Reihen. Der Saal füllte sich, so dass letztlich um die vierzig Erwachsene und einige Kleinkinder anwesend waren. Ein Schwarzer mit Krawatte trat ans Keyboard und wurde von einer voluminösen schwarzen Frau mit Gesang begleitet. Die Frau hätte mit ihrer Performance einen kompletten Gospelchor ersetzen können. Wir gingen mit. Knie wippten. Oberkörper bewegten sich im Rhythmus.

Zur Einleitung des Gottesdienstes war Torsten Hebel eingeladen worden. Torsten Hebel ist Moderator, Comedian und Gründer. Brücke Berlin schaut sich zurzeit die verschiedenen Gründertypen der Bibel an, so dass Gründer Hebel sehr gut passte. Mit viel Humor brachte er uns das Thema nahe und erzählte auch von seinen tiefen Krisen und Herausforderungen beim Gründen. Seinen Leitgedanken zum Gründen könnte man wie folgt zusammenfassen:

Hier ist ein Problem. Keiner löst es. Ich habe eine Idee. Also mache ich!

Zwischendurch wurden immer wieder Lieder von der kernigen Sängerin vorgetragen. Das verleitete mich zu der Annahme, dass Torsten Hebel auch die Predigt gehalten hatte. Die Predigt kam aber anschließend. Es ging um die Gründertypen Aquila und Priscila. Dass Priscila im Neuen Testament immer zuerst genannt wird, fand ich auf Nachforschung nicht bestätigt. Die Aufzählung wechselt immer ab. Egal, es muss sich jedenfalls um ein Dream-Team gehandelt haben, das zudem ehelich verbandelt war. Sie werden immer zusammen genannt und an ihren Wirkungsstätten hatten sie wohl immer richtig was bewegt. Ein vergleichbares Ehepaar saß übrigens heute mit uns im Gottesdienst.

1 Jahr Brücke Berlin

Nach Kollekte, Ansagen, Segen und einigen Liedern wurde das Buffet freigegeben. Brücke Berlin feierte heute sein einjähriges Bestehen und den Umzug in die Location im Dachgeschoss. Wirklich schöne Räume mit Blick auf den Himmel über Charlottenburg. Ich hatte keinen Hunger und hielt mich an einem Becher Kaffee fest. Wir wurden mehrfach angesprochen und hatten längere gute Unterhaltungen. Die Willkommenskultur war ausgesprochen gut.

Hier kannst du deinen Chef mitbringen.

Erklärtes Ziel der Brücke Berlin ist es, eine Gemeinde zu sein, in die auch der Chef mitgebracht werden kann, ohne dass man danach die Firma wechseln muss. Verständliche Predigt, moderne Elemente wie Lobpreis und Kabarett können wir nach dem Besuch bestätigen. Während sich die "coolen" Gemeinden in Mitte, Prenzlberg und Friedrichshain auf die Füße treten, ist Charlottenburg noch unerschlossenes Land. Brücke Berlin ist ein erster Schritt zur Bedienung dieser Lücke westlich der City.

Brücke Berlin läuft unter dem Dach des Bundes der Baptisten. Auch dort ist der Bedarf an Gemeinden für die unterschiedlichen Zielgruppen der Stadt angekommen und wird nun konsequent bedient. Würde Gemeindegründung meiner aktuellen Berufung entsprechen, hätte ich dort sicher den richtigen Partner gefunden.

Rückweg über drei Brücken

Vorsichtig stieg ich die Treppe herunter. "Merkst du, wie langsam du läufst", schaute mich meine Frau an. Die Familie drängte mich nach nur drei Brücken zum Stopp am Krankenhaus Friedrichshain: Notaufnahme, 10 Minuten warten und dreieinhalb Stunden CT, Infusionen, Spritzen, Röntgen, Ultraschall und letztlich die Diagnose: Lungenembolie. "Ich muss Sie hier behalten", sagte die Ärztin und schob mich mit Tropf, Kabeln, Beatmung und Monitoren in die Beobachtungsstation.

Sonntag, 27. August 2017

Gebet, Cola-Automat und Bundeswehr

Wann immer ich nach meiner Entscheidung für Jesus gefragt werde, spielt auch der Cola-Automat eine Rolle. Beim gestrigen Tag der offenen Tür im Bendlerblock tauchte der Automat in der Andacht des katholischen Militärdekans auf.



Die Sonne schien durch die ausgestanzten Erkennungsmarken im Dach des Ehrenmals der Bundeswehr. An der goldenen Wand hinter den beiden Militär-Dekanen zeichnete sich ein interessantes Schattenbild. Schwarz und weiß bildeten den Kontrast zwischen evangelisch und katholisch. Der Reformationsfreund in Schwarz führte durch das Programm und las aus Psalm 139 vor. Der weiße Dekan mit dem goldbestickten Schal war für die Predigt zuständig.

Ehrenmal der Bundeswehr Andacht Tag der offenen Tür
Ehrenmal der Bundeswehr - Andacht am Tag der offenen Tür
Es ging um Gebet. Gebet sei für viele Situationen des Lebens wichtig und stelle die Verbindung zu Gott her. Gerade in Herausforderungen, bei denen es um Leben und Tod geht, seien die richtigen Entscheidungen wichtig. Zur Findung der richtigen Entscheidung sei ein Pausieren mit inkludiertem Gebet sehr wirkungsvoll. Gebet sei kein Kaufvorgang am Automaten, wo das Gebet reingesteckt werde und die gewünschte Antwort herauskomme. Gebet sei Dialog mit Gott, bedarf auch der Stille zum Hören und habe im Ergebnis den Effekt, bessere Entscheidungen treffen zu können.

Beten, hören und entscheiden

Das hörte auch der Inspekteur des Heeres, ein 3-Sterne-General mit gepflegtem Bart. Auch seine unzähligen Personenschützer lauschten der Predigt, während ihre Blicke unentwegt meine Kamera mit dem plüschigen Mikrofon scannten.

Nach dem Vaterunser, geleitet durch den Herrn in Schwarz, sprach der Herr in Weiß den Abschlusssegen. Schwarz und Weiß ergeben Grau. So wurde der in Grau uniformierte Inspekteur des Heeres in die Mitte genommen. Er nahm einen Kranz in die Hand und lief mit den beiden Militär-Dekanen in den südlichen Teil des Ehrenmals. Dort wurde der Kranz niedergelegt.

Ehrenmal der Bundeswehr Andacht Tag der offenen Tür
Ehrenmal der Bundeswehr - Andacht und Kranzniederlegung am Tag der offenen Tür
Das Thema Christ und Soldat ist ja in der christlichen Szene Deutschlands sehr umstritten. Dabei gibt es in der Bibel immer wieder Berührungspunkte mit Menschen, die diesen Beruf ausgeübt hatten und dennoch eine Beziehung zu Jesus leben konnten: Hauptmann von Kapernaum, Hauptmann Cornelius als erster getaufter Heiden-Christ, Gefängnis-Chef von Philippi, Tribun von Jerusalem in Interaktion mit Paulus. Ganz abgesehen von wichtigen biblischen Personen wie David, der einer der bedeutendsten Kämpfer Israels war.

Zwei Regimenter

Zu Zeiten Konstantins und der Kreuzzüge war das wohl kein strittiges Thema. Mit der Reformation wurde Luther explizit auf den Kriegsdienst angesprochen. Er setzte sich damit auseinander und verfasste 1526 die Schrift "Ob Kriegsleute auch im seeligen Stande sein können".

Luther differenziert zwischen zwei Regimentern. Das hat nichts mit dem Regiment als militärische Einheit zu tun, sondern mit Regierung. Da ist zuerst das geistliche Regiment Gottes, dessen Grundlagen aus der Bibel abzuleiten sind. Das zweite Regiment ist der Staat, der für Recht, Ordnung und Frieden sorgen soll. Weder Paulus in Römer 13, noch Petrus im zweiten Kapitel seines ersten Briefes haben ein Problem damit, dass Straftäter mithilfe des Schwertes durch das weltliche Regiment, die Regierung also, zur Rechenschaft gezogen werden.

Was aber, wenn ein Mitstreiter des weltlichen Regimentes eine Beziehung zu Jesus aufbaut? Wäre nicht das erste Regiment ein guter Rahmen für die Ausübung des zweiten Regimentes? An der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg wird beispielsweise "evangelische Sozialethik" gelehrt. Überhaupt ist eine ausgeprägte Frömmigkeit bei den Offizieren der Bundeswehr festzustellen. Das war mir bis vor einigen Monaten in diesem Maße noch nicht bekannt.

Luther differenziert zwischen den Personen des zweiten Regiments, die ihre Aufgabe im Sinne von Römer 13 oder 1. Petrus 2 ausführen und solchen, die marodierend durch die Gegend ziehen und aus Spaß am Morden, Vergewaltigen und Rauben diesen Beruf ergriffen hatten und damit aus dem ethischen Raster des zweiten Regimentes fallen.

Immerhin gibt es ja auch im ersten Regiment schwarze Schafe, die für Geld und Anerkennung einen Job als Schauspieler erledigen.

Tag der offenen Tür und der zweite Besuch

Während der 20-minütigen Andacht im Ehrenmal der Bundeswehr war meine Familie durch die umliegenden Infozelte geschlendert. Am Tag der offenen Tür der Bundesregierung, von Insidern auch TdoT BReg genannt,  gab es viel zu sehen und anzufassen. "Wir sind bei den Panzern", wurde mir per WhatsApp mitgeteilt. Ich sondierte die Lage, schlug mich in den Nordteil des Areals durch und fand meine Frau, die mit Jute-Beuteln in Tarnfarbe und Nahrungskonzentrat für Soldaten im Einsatz bepackt war. Die Kinder kamen hinter einem hellbraunen Panzer hervor.

Es gab so viel zu sehen, dass die geplanten vier Stunden nicht ausreichten. Deshalb fuhr ich heute noch einmal mit meiner Frau dorthin. In den Infozelten sprachen wir die Dekane der gestrigen Andacht an. Dabei wurden wir Zeugen dessen, dass die Männer bei der Truppe nachgefragt werden und wichtige seelsorgerliche Aufgaben zu erfüllen haben. Die Soldaten im Einsatz müssen nicht nur mit dem Elend an ihrem verletzten Kameraden klarkommen, sondern auch mit dem Elend, das sie nach dem Schuss durch ihr Zielfernrohr sehen.

Soldaten und Dekane

Soldaten sind ganz normale Menschen und haben nahezu die gleichen Herausforderungen des Alltags zu bewältigen. Dabei helfen die Militärseelsorger, öffnen ein kühles Getränk und lassen den Soldaten erst einmal reden.

Soldaten leben ihre Beziehung zu Jesus oft in einer Parallelwelt zur zivilen Gemeinde-Landschaft. Es gibt Soldaten-Gottesdienste, evangelische und katholische Soldaten-Magazine und große Infobereiche auf der Webseite der Bundeswehr. In Gemeinden wird den militärischen Geschwistern gelegentlich aus dem Weg gegangen. Es herrscht Unsicherheit im Umgang mit den zwei Regimentern. Dabei können Soldaten und Offiziere jede Menge Knowhow, Sozialkompetenz, Teamdenken und Leitungsqualität einbringen.

Sonntag, 20. August 2017

2 Opfer-Typen: Victima und Sacrificium

Zurzeit lese ich die Leviten, also das 3. Buch Mose. Darin geht es seitenweise um Opfer. Passend dazu fielen in einem Workshop die Worte "sacrificium" und "victima" - zwei sehr unterschiedliche Typen von Opfer.



Der Workshop am letzten Donnerstag war hochkarätig besetzt. Silberne und goldene Sterne auf den Schultern. Dazu silbernes oder goldenes Eichenlaub. Es ging auch um Vorbilder und ob diese immer erst sterben müssten, um ihren Namen für Brücken, Schiffe, Schulen oder Sonstiges geben zu können. Das tote Vorbild sei ein Vorbild, das durch einen anschließenden Fehler nichts mehr kaputt machen könne. Ein passendes Beispiel aus der Bibel ist wohl Hiskia mit seinen angehängten 15 Lebensjahren (2. Könige 20).

Vorbilder und Beispiele

Eine Frau warf ein, dass das einzige fehlerfreie Vorbild Jesus von Nazareth sei. Alle anderen hätten ihre Schattenseiten gehabt. Sie zählte dann gleich mehrere Feldherren der letzten 2.000 Jahre auf und nannte deren Schwachpunkte.

Ein erfahrener Seemann warb um eine Änderung der Begriffswahl: Beispiel statt Vorbild. Auf diesem Wege könne die bemerkenswerte Tat von der unvollkommenen Person abgekoppelt werden. Dieser Vorschlag fand allgemeine Zustimmung.

Noch 10 Minuten bis zum Helden

Es sei ohnehin zu beobachten, dass Helden zehn Minuten vor ihrer Heldentat gar nicht wüssten, dass gleich eine Heldentat zu vollbringen sei. Sie treffen in der kommenden Situation die richtige Entscheidung und handeln danach. So sei der Geburtshelfer von Sophia auf der Fregatte Schleswig-Holstein kurz aus dem Maschinenraum gekommen, habe bei der Geburt geholfen und sei dann wieder in die 50°C seines Arbeitsumfeldes abgetaucht. Helden und Beispielgeber des Alltags.

Manch ein Held wird sein Leben lang in der Persönlichkeit geformt, um dann für wenige Augenblicke eine außergewöhnliche Tat zu vollbringen. Wenn er dabei stirbt, stirbt er als vorbildhaftes Opfer: Sacrificium. Jesus ist ein klassisches Beispiel für ein Sacrificium. Er ging bewusst nach Jerusalem, ließ sich bewusst gefangen nehmen, ließ sich bewusst wegen Gotteslästerung zum Tode verurteilen und starb bewusst am Kreuz. Er opferte sich bewusst, damit wir einen Zugang zur lebendigen Beziehung mit Gott haben können.

Victima

Es gibt aber auch Menschen, die sich nicht als Sacrificium sondern als Victima opfern. Im Ehrenmal der Bundeswehr werden etwa 3.000 Namen genannt, deren Träger während des Dienstes ums Leben gekommen waren. Nicht jeder von ihnen ist bei einem heldenhaften Einsatz gestorben. Vielleicht wurde im Flugzeug der falsche Knopf gedrückt. Vielleicht wurde die Fahrbahn bei Rot überquert oder es fiel der Steiger um, als am Dach der Kaserne hantiert wurde. Unfälle, die wohl in jedem beruflichen Kontext passieren können und anschließend zur Illustration von Seminaren der Berufsgenossenschaft dienen.

Victima ist ein relativ sinnfreies und deshalb bedauernswertes Opfer.

Wir haben Menschen erlebt, die sich als Victima fühlten, obwohl sie keines waren. Ja, sie definierten sich sogar darüber. Ein biblisches Beispiel für solch ein Victima ist der Mann vom Teich Bethesda aus Johannes 5. Diese Stelle regt mich immer wieder auf. Jesus stellt proaktiv die Frage, ob er gesund werden wolle. Der seit 38 Jahren Gelähmte antwortet ausführlich, warum er nicht geheilt werden könne. Jesus sagt darauf in Vers 8, er solle aufstehen, seine Matte nehmen und herumlaufen. Das macht der Mann. Als er darauf gefragt wird, warum er am Sabbat eine Matte trägt, geht er hin und verpetzt Jesus als Sabbatschänder (Vers 15).

Heiliges Tun

Das Wort Sacrificium setzt sich aus sacra und facere zusammen, also heilig und tun. Das trifft auch den Sinn von Römer 12, 1. Dort wird von "hostiam viventem, sanctam" geredet. Einem Opfer, das lebendig und heilig ist. Hostia ist ursächlich nicht die kleine Oblate beim Abendmahl, sondern das fehlerlose Tier, das für Gott geopfert wird. Ein Sacrificium muss also nicht zwangsläufig mit Todesfolge einhergehen. Sacrificium kann und sollte ein lebenslanger Prozess sein.

Sonntag, 13. August 2017

13. August und die Umwidmung eines historischen Datums

Der 13. August 1961 hat eine besondere Bedeutung in Deutschland. In der Kalkscheune wurde dieses historische Datum heute umgewidmet.



Am 13. August, einem Sonntag vor 56 Jahren, begann in unmittelbarer Nähe der Kalkscheune eine Großbaustelle. An das Stadtschloss, Downtown Potsdamer Platz oder das Band des Bundes war zu dieser Zeit noch nicht zu denken. Diese Bauwerke hätten wohl eher in einem Science Fiction ihren Platz gefunden, als Provokation eines subversiven Elementes, das durch die aggressivsten Kreise des Imperialismus unter der Vorherrschaft der USA und der BRD gesteuert wurde. 1961 tobte der Kalte Krieg. Inzwischen sind die Kriege asymmetrisch und hybrid geworden, gelegentlich auch heiß.

Heiß und kalt

Das Wasser im Hof der Kalkscheune war relativ kalt. Der blaue INTEX-Pool war schnell gefüllt. Fassungsvermögen: 2.700 Liter. Kameras und Mikros mit Windschutz standen bereit. Ebenso begleitende Verwandte mit Handtüchern und Wechselsachen. Drei junge Leute wollten sich taufen lassen.

Vorher gab es eine intensive Predigt über Simson. Dieser biblische Held war äußerlich stark und innerlich völlig unreif. Tom Holladay ging auf 5 Punkte ein, die starke Personen ausmachen: Motivation zur Verwendung der Stärke, Teamfähigkeit, Steuerung eigener Gelüste, Vertrauen auf Gottes Geist und Nutzung der zweiten Chance.

Second Chance

Das S am Anfang von Saddleback wird auch als Merk-Buchstabe für Second Chance (zweite Chance) kommuniziert. Heute war die Second Chance für den 13. August.

Auch bei Trauma-Therapien ist es üblich, alte Sequenzen anzusehen. Dabei wird ehrlich in die Situation hineingefühlt und der Film dann neu programmiert. Das ist eine sehr wirkungsvolle Methode, alte Verletzungen auszuheilen oder sogar in die Vergessenheit zu schieben.

Beisetzung und Auferstehung

Die Taufe wird in der Bibel mit einem Begräbnis verglichen. Eine Beisetzung zusammen mit Jesus und eine Auferstehung zusammen mit Jesus. Dieses Symbol wurde vor dem Planschbecken noch einmal genau erklärt und dann unter Jubel und Medienpräsenz durchgeführt. Ich hielt ein langes Mikrofon, während meine Tochter zusammen mit einem GoPro Action-Camcorder ins Wasser getaucht wurde.

Der 13. August hat nun eine ganz neue Bedeutung für uns. Statt Bau einer Mauer, das Durchbrechen der Mauer zwischen Gott und Menschen.

Offizielles Video: Taufe am 13. August 2017 @SaddlebackBLN

Donnerstag, 10. August 2017

Münster und die Sache mit der Taufe

Dass Münster etwa die gleiche Einwohnerzahl wie Berlin-Marzahn hat, war einem Dialog der Kanzlerin mit Kulturstaatsministerin Grütters zu entnehmen. Münster lag in der Nähe unserer Urlaubsroute und bot Potenzial für weitere Entdeckungen.



Über den Sinn eines Kulturstaatsministers ließe sich an geeigneter Stelle philosophieren. Immerhin dient Berlin-Marzahn als Wahlkreis für Monika Grütters. Monika Grütters wurde 1962 in Münster geboren. Das ist die erste Brücke. Die zweite Brücke besteht in der Einwohnerzahl von knapp 260.000. Weitere Brücken wären die hervorragende Infrastruktur und das viele Grün. Das war es dann aber wohl schon.

Zwei Fahrräder

Münster gilt als Studentenstadt und die Stadt mit dem höchsten Fahrradaufkommen pro Kopf in Deutschland. Nämlich zwei. Das ergibt ein Gesamtaufkommen von einer halben Million Drahtesel. Eine Horrorvorstellung für den Autofahrer aus Berlin, der die rücksichtslose Militanz des gemeinen Radfahrers aus der Innenstadt kennt.

Münster
Münster - City ohne Autos
Deshalb erstaunte uns sehr, wie gesittet die Radler in Münster unterwegs waren. Die Autofahrer wurden ersatzweise mit sinnfreien Regeln gegängelt. Parkplätze für Anwohner oder per Prepaid-Ticket mit einer maximalen Parkdauer von ein oder zwei Stunden. In die Tiefgaragen konnten wir mit dem gemieteten VW Caddy nicht einfahren. Die Decken waren zu niedrig. Deshalb stellten wir den 7-Sitzer auf einem Platz mit zwei Stunden Maximalzeit ab und liefen Richtung Altstadt.

In der autofreien City steuerten wir die Kirche St. Lamberti an. In einer dekorativen Anordnung hingen drei große Metallkäfige oberhalb der Turmuhr: Zeugnisse der Reformationszeit.

Reformation und Baptismus

Mit Luther erschienen auch die Wiedertäufer auf der Bildfläche. Das waren Theologen, die die Passagen über die Taufe und deren Bedeutung als bewusste Entscheidung für Tod und Leben mit Jesus im Römerbrief und weiteren Stellen des Neuen Testamentes praktisch umsetzen wollten. Wiedertäufer deshalb, weil fast alle ihre Zeitgenossen als Kind getauft worden waren. Eben nach den gesellschaftlichen Gepflogenheiten und nicht aus freier eigener Entscheidung.

Das Dogma der Baptisten gruppiert sich ebenfalls um eine Taufe als mündiger Christ. Ich hatte erlebt, dass Abendmahl, Mitgliedschaft oder Singen im Chor nur nach erfolgter Glaubenstaufe gestattet war. Bei den Methodisten, dem Mülheimer Verband oder anderen Denominationen sieht man das etwas lockerer: Kindestaufe wird praktiziert und anerkannt, auf Wunsch noch einmal getauft oder nach der bewussten Entscheidung erstmalig getauft.

Ein Historiker wurde im Radio gefragt, ob es für ihn nicht interessant wäre, Luther und andere Reformatoren im Bekanntenkreis zu haben. Ohne Denkpause verneinte er das und bemerkte, dass wohl keiner von uns längere Zeit mit diesen Personen der Zeitgeschichte auskommen würde. Es waren Extremisten in religiöser Hinsicht, die durch ihre extremen Ansichten und Handlungsweisen Vieles bewegt hatten.

Münster
Münster - St. Lamberti und die drei Käfige
Auch die drei Käfige zeugen von Extremismus während der Reformationszeit. Im Frühjahr 1534 hatten die Wiedertäufer unter Bernhard Krechting, Bernd Knipperdolling und Johann Bockelson - auch als Jan van Leiden bekannt - die Herrschaft in Münster übernommen. Zur Durchsetzung der neuen Erkenntnisse wurden auch Todesurteile gefällt und andere seltsame Dinge praktiziert. Knipperdolling fungierte dabei zunächst als Bürgermeister und dann als Scharfrichter.

Käfige

Münster schien damals gut befestigt gewesen zu sein. Die katholischen Gegner unter Bischof Franz von Waldeck mussten die Geburtsstadt der Kulturstaatsministerin ganze 16 Monate lang belagern und eroberten sie am 25. Juni 1535 zurück. Es wurde eine Kostenrechnung aufgemacht und Scharfrichter Knipperdolling machte den Vorschlag, die führenden Täufer in Käfigen zur Schau zu stellen. Dafür sollte Eintritt verlangt werden. Knipperdolling hatte wohl nicht damit gerechnet, das die Käfige tatsächlich für ihn und seine Mitstreiter gebaut werden.

Am 6. Januar 1536 wurden Knipperdolling, Krechting und Bockelson von einem Inquisitionsgericht in Wolbeck zum Tode verurteilt. Die Details der Hinrichtung ersparen wir uns an dieser Stelle. Erwähnt sei jedoch, dass die sterblichen Überreste - hier in ihrer ursächlichen Wortbedeutung - in die Käfige gepackt und am Kirchturm zur Schau gestellt wurden. Noch 50 Jahre später sollen Überreste zu sehen gewesen sein. Das war wohl Abschreckung genug für die Bevölkerung und mögliche Reformatoren.

St. Lamberti

Die Kirche St. Lamberti ist ansonsten ein normales großes Kirchengebäude mit einer angenehmen Atmosphäre im Inneren. Kein Hauch der blutigen Vergangenheit. Hier ein großer Leuchter, dort ein gemalter Kreuzweg und im Deckengewölbe das Lamm Gottes.

Heute gibt es eine Baptistengemeinde, Mennoniten (Brüdergemeinde), ein Christus Zentrum eine FEG und weitere evangelische Gemeinden in Münster. Diese sind weitläufig um den Domplatz mit den drei Körben angeordnet. Man kann dort sicher auch besser parken. Unsere Kulturstaatsministerin ist übrigens katholisch.

Sonntag, 6. August 2017

Stadtkirche Offenburg

Offenburg liegt ganz in der Nähe von Straßburg, also an der Grenze zum Elsass. Da wir zu wenig Französisch verstehen, fuhren wir kurzentschlossen über den Rhein und besuchten einen evangelischen Gottesdienst in der Stadtkirche Offenburg.



Eine knappe halbe Stunde brauchten wir von Straßburg bis ins Zentrum von Offenburg. Das Navi kannte den Weg. Direkt vor der Tür der Stadtkirche wurde ein Parkplatz frei. Zwei Kinder, zwei Omas, meine Frau und ich verließen das gemietete Mehrzweckfahrzeug. Die Sonne schien.

Gastfreundschaft

Während wir noch die hohe Außenfassade und die Inschriften studierten, kam ein sportlicher Best Ager und begrüßte uns freundlich. Zusammen mit ihm betraten wir die Kirche und bekamen sofort zwei Gesangsbücher in die Hand gedrückt. Ein weiterer Mitarbeiter gesellte sich dazu und fragte, ob jemand von uns bei der Fürbitte mitmachen wolle. Ich bemerkte kurz, dass wir nur zu Besuch seien. Das sei egal, wir könnten es uns noch überlegen.

Suchmaschinen-Optimierung

Wegen der Hörgeräte meiner Schwiegermutter wurde eine der vorderen Reihen angesteuert. Der Saal füllte sich mit etwa 60 Erwachsenen. Der Best Ager hatte sich einen Talar übergeworfen: Pfarrer Kühlewein-Roloff. Bei der Suche nach einem Gottesdienst in der Nähe unseres Urlaubsortes hatte meine Frau anhand der guten Internet-Bewertungen und der Facebook-Präsenz die Entscheidung zum Besuch der Stadtkirche Offenburg getroffen. Auch der Name Kühlewein-Roloff fiel mehrfach und wurde von unseren Gastgebern als empfehlenswert bestätigt.

Zwei Gesangsbücher und drei Lesezeichen

Drei Bänder waren am dicken Gesangsbuch angebracht. Diese wurden mit den ersten drei Zahlen an den Wandtafeln harmonisiert. Nach jedem Lied oder Psalm wanderten die Bänder weiter im Buch, so dass wir gut vorbereitet durch die Liturgie kamen. Das letzte Lied wurde aus dem dünnen Jugend-Liederbuch gesungen. Geschätzter Altersdurchschnitt: 55 Plus. Allerdings passte das nicht so recht zur frischen und sehr gepflegten Optik der Kirche. Ein Großteil der Mitglieder muss wohl auf Reisen gewesen sein.

Rück-Formung durch Herz-OP

Der agile Pfarrer setzte die Zuhörer kurz in Kenntnis, dass er heute vom Predigttext aus dem Losungsbuch abweichen werde und sprach dann über die Jahreslosung. Zur Mitte des Jahres könne man das ruhig einmal machen. Die Jahreslosung aus Hesekiel 36 Vers 26 besagt, dass Gott uns ein neues Herz und einen neuen Geist schenkt. Zunächst zerlegte der Referent das inflationär genutzte Wort Reformation und machte daraus eine Rück-Formung. Über diese Rück-Formung des Menschen in einen Zustand, wie ihn sich Gott vorgestellt hatte, baute er das Sprungbrett zur Herz-Transplantation. Mir war bisher gar nicht bekannt, dass Menschen mit einem physisch neuen Herzen plötzlich anders ticken können.

Café und Alleinstellungsmerkmale

Nach dem Gottesdienst begaben wir uns in das Café. Dieses ist auf der Westseite an das Kirchenschiff angebaut. Dort unterhielten sich die Omas mit einigen Senioren. Das Café sei sehr beliebt bei Mitgliedern und Gästen. Die Stadtkirche Offenburg hat zudem ein beneidenswertes Alleinstellungsmerkmal: Potenzial an Kindermitarbeitern aber zu wenige Kinder. Der Normalfall ist ja umgekehrt.

Bemerkenswert ist auch die Eingangstür zur Kirche. Dort ist das Glaubensbekenntnis in Form einer Topic Cloud eingeprägt. Freundlich, hell und integrativ sind Attribute, die mir nach dem Besuch der Stadtkirche Offenburg im Gedächtnis haften. Wer in der Nähe ist, sollte dort einmal vorbeischauen.

Samstag, 5. August 2017

Oberlin: Pastor handelt mit seinen Begabungen

Unseren Gastgebern zufolge wurde im Elsass so Einiges erfunden. Ihr Patriotismus stilisierte die Region schon fast zur Wiege der Menschheit. Auch Jean Frédéric Oberlin lebte im Elsass. Wir besuchten sein Museum in Waldersbach.



Es hatte sich eingeregnet. Deshalb setzte ich die beiden Omas, die patriotische Reiseleitung und den Rest der Familie direkt vor dem Eingang des Gehöftes ab. 50 Meter weiter wurde ein Parkplatz frei. Meine Mutter hatte bereits mehrere Vorträge über Oberlin gehalten. Die Senioren waren wohl darüber beeindruckt und hatten ihr eine Rose geschenkt.

Johann Friedrich Oberlin Museum
Johann Friedrich Oberlin Museum - Bild aus der Schublade
Aber wer war Oberlin?

Dem Namen nach gehört er eigentlich nach Preußen. Oberlin als französische Schreibweise von "Oh, Berlin" oder Abkürzung für Ost-Berlin wären glaubhafte Namensbezüge. Jean Frédéric Oberlin wurde am 31. August 1740 in Straßburg geboren und starb nach einem erfüllten Leben mit knapp 86 Jahren in Waldersbach. Jean Frédéric heißt auf Deutsch Johann Friedrich.

Im Elsass gibt es einen fließenden Übergang zwischen Deutsch und Französisch, was nicht ganz leicht für die Identitätsfindung ist. Deshalb betrachten sich Elsässer in einem Sonderstatus, vergleichbar mit der Volksgruppe der Spandauer am Stadtrand von Berlin.

Johann Friedrich Oberlin Museum
Johann Friedrich Oberlin Museum - Entwicklung des Beamers
Wirtschaft und Bildung

Bereits auf dem Weg hatte uns die begleitende Elsässerin mehrere Wirkungsbereiche von Oberlin gezeigt. Er habe dafür gesorgt, dass sich rentable Industriezweige in der ärmlichen Gegend ansiedeln. Er konnte durchsetzen, dass Brücken gebaut werden, damit die Kinder ohne Schwimmabzeichen nicht mehr in den Flüssen ertrinken.

Generell hatte er einen großen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Bildung in seiner Region. Unterstützt wurde er von Mitarbeiterinnen, die zu Fuß durch die umliegenden Ortschaften zogen und Wissen sowie Hilfe zur Selbsthilfe vermittelten.

Die ausgetretenen Stufen des Schulhauses von Waldersbach dokumentieren die hohe Frequenz an Schülern, die von Oberlin unterrichtet wurden. Sein privates Haus zwischen Kirche und Schule baute er erst, nachdem die Schule fertig war. Das nennt man Altruismus oder Philanthropie. Er war nicht nur an vielen Dingen interessiert. Er hatte auch die Gabe, andere Menschen mit diesem Interesse anzustecken und breites Wissen an seine Zeitgenossen zu vermitteln. Dadurch kamen gerade Kinder aus sozial schwachen Schichten in den Genuss von Bildung, die ihnen und den folgenden Generationen einen gesicherteren Lebensunterhalt ermöglichte.

Oberlin hat Teile der deutschen Pädagogik geprägt. Auf ihn werden die frühkindlichen Lehreinheiten durch spielerisches Erfassen von Wissen zurückgeführt.

Johann Friedrich Oberlin Museum
Johann Friedrich Oberlin Museum - Tuschkasten
Pastor kauft seine Lebenszeit aus

Bei so viel Effizienz dachte ich an das Berufsbild eines Unternehmers, Wissenschaftlers oder Politikers. Aber nein, Oberlin war Pastor! Im Museum war oft vom Pastor die Rede. Gemeint war damit Oberlin. Ein Pastor kam, sah und siegte.

Sein Lebenswerk erscheint im Rückblick vollmundig und komplett. Ein Mann, der seine Lebenszeit zum Bau des Reiches Gottes und zur Entwicklung seiner Gesellschaft genutzt hatte. Keine Minute schien er vergeudet zu haben. Er bewegte sich offensichtlich genau in den Bahnen, die Gott ihm vorgezeichnet hatte. Welch ein Vorbild, wenn ich es mit meinen Lebensabschnitten vergleiche.

Nachdem wir einige Dinge im Museumsladen gekauft hatten, schauten wir uns die benachbarte Kirche an. Alles sah so aus, als würde Oberlin gleich erscheinen und eine Predigt über Psalm 41 halten. Die Altarbibel war an dieser Stelle aufgeschlagen.

Sein Grab besuchten wir im Nachbarort und fuhren dann über die oben erwähnte Bettlerbrücke weiter zum nächsten Touristenpunkt. Diesmal römische Geschichte. Die Zeugnisse des Garten Edens waren durch die Sintflut weggespült worden. Sonst wäre uns das von den Gastgebern wohl auch noch als Geschichte des Elsass verkauft worden.

Samstag, 29. Juli 2017

Advent in Marzahn - jeden Samstag ab 9:30 Uhr

Eine Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten hatte ich wohl bisher noch nie besucht. Eine dieser Gemeinden trifft sich jeden Samstag zum Gottesdienst in der Kirche Marzahn/Nord.



Wenn sich Gemeinden die Räume teilen, kann es gelegentlich zur Überschneidung von Interessen kommen. Sehr praktisch, wenn eine Adventgemeinde als Untermieter fungiert. Adventisten praktizieren ihren Glauben antizyklisch:

Ankunft

Advent ist für sie kein Zeitraum am Jahresende. Advent ist vom lateinischen Wort für Ankunft abgeleitet und steht für die Erwartung der baldigen Ankunft von Jesus. Da es sich bei Jesus eher um eine Wiederkehr oder Rückkehr handelt, hätten auch Namen wie Revent- oder Reditus-Gemeinde gepasst. Den Advent kennt aber in unseren Regionen jeder. Das gibt einen guten Anknüpfungspunkt für Gespräche.

Sabbat

Das zweite markante Alleinstellungsmerkmal ist die Heiligung des 7. Tages, des biblischen Ruhetages, des Sabbats. Deshalb treffen sich Adventgemeinden am Samstag zum Gottesdienst und haben diese Wocheneinteilung sogar in ihren Namen aufgenommen: Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten.

Bibelgespräch und Predigt

Gottesdienste der Adventgemeinde Berlin-Marzahn beginnen am Samstag um 9:30 Uhr. Die folgenden zwei Stunden beinhalten zwei wesentliche Teile: Bibelgespräch und Predigt. Das sei weltweit so üblich und habe sich bewährt. Die beiden Teile könnten auch in der Reihenfolge gedreht werden, gehörten jedoch elementar zur Sabbat-Feier.

Umrahmt wurden das Bibelgespräch und die Predigt heute durch acht Lieder, die gemeinsam gesungen wurden. Davon kannte ich 25%. Ansonsten hängte ich mich an den Gesang der Gemeinde. Nur bei einem Lied wurden Strophen ausgelassen.

Auch die bekannten Elemente Kollekte, Schriftlesung und Ansagen gab es. Sehr erfreut war ich über die Aufforderung, am Mikrofon über aktuelle Erlebnisse mit Gott zu berichten. Die persönliche Beziehung zu Jesus spielt hier eine wichtige Rolle. Jeder hatte seine Bibel dabei. Auch ein Alleinstellungsmerkmal. Dass das so sein könnte, war mir beim Frühstück eingefallen, so dass auch wir zwei Besucher aus der Nachbarschaft eine Elberfelder und eine Schlachter dabei hatten.

Bibel, Gesetz und Galaterbrief

Ohne die Bibeln wären wir beim Bibelgespräch sehr aufgefallen. Die etwa dreißig Gottesdienstbesucher im Altersdurchschnitt von Mitte fünfzig wurden in zwei Gruppen geteilt und in zwei Räume geleitet. Es ging um Galater 3. Die Gemeinde hatte sich über die Woche schon auf Soli Fide (nur aus Vertrauen) nach dem Vorbild Abrahams vorbereiten können.

Der Brief an die Galater ist insofern eine pikante Lektüre, da die Befolgung der Gesetze des Alten Testamentes wichtiges Merkmal adventistischer Frömmigkeit ist. Den Sabbat am Samstag als Ruhetag einhalten, keinen Alkohol trinken, nicht rauchen, keinen Schmuck tragen, kein Schweinefleisch essen waren einige der Regeln, die während der geleiteten Diskussion genannt wurden.

Einige der Teilnehmer setzten sich sehr ehrlich mit ihren Grenzen bei der Einhaltung der Gesetze auseinander und wiesen auf die Freiheit hin, die wir in und durch Jesus haben. Zu viel Frömmigkeit deute auf eine Leiche im Keller hin.

Wachstum im Süden

Weltweit werde über die Woche dasselbe Thema behandelt. So sind alle 19 Mio. Adventisten über den Sommer mit dem Galaterbrief beschäftigt. Jährlich kommen über eine Million Adventisten dazu. Das stärkste Wachstum ist in Afrika und in Südamerika zu verzeichnen. Europa rangiert im Promille-Bereich. In Deutschland gibt es knapp 100 Adventgemeinden, die regional teilweise in Körperschaften des öffentlichen Rechts zusammengefasst sind. Das hat Auswirkungen auf die organisatorische Bewegungsfreiheit und die Steuerzahlung. Apropos Steuern: 2014 hatten die Adventisten weltweit etwa 3,4 Mrd. USD erwirtschaftet, was einer Steigerungsrate von knapp 4% zum Vorjahr entspricht.

Advent nach Lukas 15

Die Predigt war in die zweite Stunde des Gottesdienstes eingebettet. Es ging um den verlorenen Sohn aus Lukas 15, 11-24. Der Referent habe schon einmal darüber gepredigt und nun weitere interessante Aspekte gefunden. Sein Fokus lag auf dem Auslandsaufenthalt des Sohnes, seiner möglichen Motivation der Freiheitsliebe und den Freunden, die mehr seine Ressourcen als ihn selbst liebten. In Vers 20 lesen wir: "und aufstehend kommt er zu seinem Vater ..." auf Latein "et surgens venit ad patrem suum". Da war es wieder, das Wort venire, das auch im Advent steckt.

Nach dem Gottesdienst wurden wir von vielen Leuten angesprochen und unterhielten uns noch über eine halbe Stunde mit ihnen. Kaffee oder Snacks gab es nicht. Das war uns egal, schließlich waren wir ja wegen des Sabbat-Gottesdienstes hier.

Samstag, 22. Juli 2017

Die Umarmung des Prinzen

Serienfotos offenbaren Details, die dem bloßen Auge entgehen. Sie fangen Mikrogesten ein oder dokumentieren Details auf Nebenschauplätzen. So auch beim Besuch von Prinz William im Kinderhaus Bolle.



Menschentrauben umgaben das Prinzenpaar aus England. Von den 15 Minuten im Garten des Kinderhauses Bolle am letzten Mittwoch waren William und Kate nur etwa drei Minuten so gut sichtbar, dass die Fotografen ihrer Arbeit nachgehen konnten. Dabei lag der Hauptfokus auf der Herzogin von Cambridge. Ihr Gatte William stand mehrfach frei, ohne dass die Fotografen Notiz davon nahmen.

Gestelltes Gruppenbild und Serienfotos

Die letzten drei Minuten wurden zur Sortierung des Gruppenfotos verwendet. Es müssen um die hundert Kinder, Jugendliche und Erwachsene gewesen sein. Auch Botschafter Sebastian Wood und Bürgermeister Müller waren dabei. Dann löste sich die Formation auf und die adligen Herrschaften strebten dem Ausgang entgegen.

Ich hielt mit der Kamera drauf, zoomte heran und Klack, Klack, Klack, Klack ... die Serienfotos wurden eingesammelt. Hauptsache, die Protagonisten waren mittig und scharf vor der Linse. Knapp 70 Bilder wurden an diesem Nachmittag geschossen. Einige wurden gleich vor Ort aussortiert und die anderen später am Bildschirm gesichtet.

Die Auswertung

Zunächst konzentrierte ich mich auf die Bewegungsabfolge der markanten Kate mit ihrem blauen Kleid. Ein Kind hielt ihr eine Karte mit der "Abend Show" des rbb entgegen. Sie bemerkte das Kind, überflog die Karte, lächelte und drehte sich dann zu ihrem Mann. Die beiden Bodyguards hinter ihr bildeten mit ihren Körpern dezent eine Kapsel um sie und drängten charmant das Kind mit der rbb-Karte ab. Sehr professionell, wie man es auch von den Bodyguards unserer Spitzenpolitiker kennt.

Die Umarmung des Prinzen Lukas 15, 11-32
Die Umarmung des Prinzen - spontan und frei nach Lukas 15, 11-32


Parallel-Handlung

Der - wie so oft - unscheinbare William stand frontal zur Kamera. Ein kleiner blonder Junge kam auf ihn zu. Er war vielleicht einen Meter groß. Kaum hatte er den Prinzen erreicht, umklammerte er ihn und verharrte in dieser Position. Der Prinz legte seine Hände auf den Rücken des Jungen und der Junge ruhte faktisch in dieser Umarmung. Die Konstellation erinnerte an "Die Rückkehr des verlorenen Sohnes" von Rembrandt.

Während Kate noch mit der "Abend Show" beschäftigt war, beugte sich der Prinz weiter herunter und ließ seine Hände auf dem Rücken des Jungen ruhen. Beide verharrten darin. Mehrere Sekunden lang. Das letzte Serienfoto zeigt Kate, die Bodyguards und die umstehenden Kinder, wie sie diese Szenerie anschauen. Alles fokussiert sich auf William und den kleinen Jungen. Dann Rücken vor dem Motiv, Hektik, Ausgang, Abfahrt und der nächste Termin.

Die Umarmung des Prinzen

Was diese Umarmung in dem Kind ausgelöst haben mag? Das erste Mal Geborgenheit? Das erste Mal Anerkennung durch einen Erwachsenen? Das erste Mal bemerkt? Die erste Begegnung mit einem echten Prinzen?

So fühlt es sich wohl an, wenn ein Mensch zu Jesus kommt. In Lukas 15 kommt ein Sohn zurück zu seinem Vater, nachdem er aus eigenem Antrieb alles verspielt und verloren hat. Sein Vater hatte lange auf ihn gewartet, er freut sich über die Rückkehr und nimmt ihn wieder in Liebe auf.

In Vers 20 lesen wir, was der Vater des zurückgekehrten Sohnes tat: "... und er rannte zu ihm, fiel ihm um den Hals und küsste ihn."

Mittwoch, 19. Juli 2017

William und Kate besuchen das Kinderhaus Bolle in Marzahn

Während das Image von Marzahn zurzeit durch die Presse demontiert wird, war es heute Anlaufpunkt für die Sympathieträger der Monarchie: William und Kate. Sie besuchten das Kinderhaus Bolle.



Als wir über den Film "Spuk unterm Riesenrad" redeten, warfen unsere Freunde ein: "Wir hatten letztens mal wieder ein Video über Marzahn kurz nach der Wende gesehen". Überall brauner, roter, grauer Waschbeton, schlammige Straßen und Grün im Anfangsstadium.

Wandel und dessen Akzeptanz

Mit dem Wechsel ins neue Jahrtausend war ein deutlicher Wandel der Atmosphäre in Marzahn zu spüren. Die Häuser wurden bunter, die Freiflächen grüner, die Bäume höher, die Menschen entspannter. Es kamen verschiedene Missionsteams nach Marzahn, bei denen sich insbesondere die Frauen schwer taten mit dieser Wohngegend. Der familiäre Kompromiss war dann das Haus am Stadtrand oder die Wohnung in einer Neubau-Enklave hinter der mentalen Grenze zur Plattenbau-Siedlung, dem Blumberger Damm südlich der Landsberger Allee.

Die allseits beliebten Gärten der Welt liegen ebenfalls in diesem Planquadrat. Dort findet zurzeit die IGA 2017 statt. Dass die Besucherzahlen von einer Million bis zur Halbzeit nicht erreich wurden, liefert Futter für die tendenziöse Berichterstattung. Brauchst du einen Bericht über soziale Problemfälle? Geh nach Marzahn/Hellersdorf!

Dass selbst Stadtteile wie die Bronx in New York eine positive Wandlung erfahren können, durfte ich im letzten Jahr erleben. Etwa zehn Jahre hatte es gedauert, das Klima dort zu verändern. Viel Gebet, die Entstehung neuer Gemeinden und das damit verbundene Umdenken der bislang trostlosen Menschen.

William Kate Kinderhaus Bolle Marzahn
Kinder beim Fußball im Kinderhaus Bolle in Marzahn
Hidden Champion

Marzahn verfügt über eine sagenhafte Infrastruktur, hat eine gute Autobahnanbindung, ausgedehnte Grünflächen und bemerkenswerte Einfamilienhaus-Siedlungen. Viele Autos vor unserem Hochhaus sind schwarz und liegen im Neupreissegment oberhalb der 50.000 Euro. Im Umkreis von 800 Metern stehen hier fünf neue BMW 7er, S-Klassen und große Audis. Was die Presse nicht wahrhaben will, wissen Autodiebe schon lange.

Gefälle

Dennoch gibt es in Marzahn/Hellersdorf ein starkes Nord-Süd- und Ost-West-Gefälle. Anna aus Biesdorf distanziert sich von Chantal aus Marzahn/Nord oder von Igor aus Ahrensfelde. Wobei das sich anschließende Dorf Ahrensfelde wieder gut situiert ist. Ein Marzahner will auf gar keinen Fall als Hellersdorfer gelten. Solche Dinge kennt man auch aus dem Konflikt zwischen Berlin und Spandau.

Die Arche in Hellersdorf und das Kinderhaus Bolle haben also ihre Berechtigung. Beide Häuser sind voll mit Kindern, deren Eltern lieber andere Dinge tun oder kein Geld für eine warme Mahlzeit haben. Bolle-Chef Eckhard Baumann ist eine gewisse Zeit bei der Arche mitgelaufen und versteht sich auf die Regeln des Fund Raisings. Die Arche und Bolle sind originär christliche Einrichtungen. Versuche, die Kinder und Jugendlichen in Gemeinden zu integrieren, waren jedoch selten von Erfolg gekrönt. Dennoch kennen sie die Basics von Gottes Liebe, Jesus, Vergebung und anderen geistlichen Tatsachen. Das lernen sie spielerisch an den Nachmittagen oder auf den gemeinsamen Freizeiten.

William Kate Kinderhaus Bolle Marzahn
William und Kate besuchen das Kinderhaus Bolle in Marzahn
Eckhard Baumann mit Krawatte und Bundesverdienstkreuz

Beim Besuch des Prinzenpaares trug Eckhard Baumann Anzug, Krawatte und die Bandschnalle des Bundesverdienstkreuzes. Diese Optik ist seine Zielgruppe nicht gewohnt. Dennoch wurde er voll akzeptiert, als er mit dem Megaphone das Fußballspiel beendete und zum Gruppenfoto mit William und Kate aufrief.

Die Besucher von der Insel inklusive Botschafter und Bürgermeister Müller waren etwa 40 Minuten vor Ort. Auf der Hohensaatener Straße waren sogar Lieferwagen wegen des Parkverbotes umgesetzt worden. So konnten die Eltern und Schaulustigen aus Marzahn der Ankunft um 15:20 Uhr beiwohnen. Ich hatte schon über eine Stunde im Garten hinter dem Haus ausgeharrt.

15:36 bis 15:51 Uhr im Garten

15:36 Uhr traten sie aus dem Haus. Jubel, Fähnchen und dann das Bad in der Masse. Die Fotografen neben mir ließen die Kameras sinken. Kate war nicht mehr zu sehen. Nur Rücken und Kate-Doubles mit blauen Kleidern. Die Traube bewegte sich zum Stand der Robert-Enke-Stiftung. Kate war verdeckt. Niemand bemerkte, dass William noch an der Treppe stehen geblieben war und mit zwei Leuten redete: Völlig frei zum Fotografieren. Dann verschwand auch er in der Menschentraube am Robert-Enke-Zelt. Diesmal verdeckt durch die Rücken der britischen Presse. "Tolle Aufnahmen!", wie der Pressefotograf zu sagen pflegt. William und Kate hatten jedenfalls keine Berührungsängste mit den Kindern aus Marzahn.

Dann bekam Kate einen Rosenstrauß überreicht, den sie lächelnd annahm und kurz darauf einer Bediensteten weiterreichte. Dann das oben erwähnte Gruppenfoto und kurz darauf der Abgang. Die Viertelstunde hinter dem Haus war somit in folgende Abschnitte gegliedert: Menschentraube an der Treppe 5 Minuten, Menschentraube unter dem Robert-Enke-Zelt 7 Minuten, Blumenstrauß mit Gruppenfoto und Abgang 3 Minuten. Alles exakt geplant, zumindest was die insgesamt 15 Minuten im Garten von Bolle betrifft.

Zurück in die City

William und Kate mussten wieder zurück in die City. Ab 16:35 Uhr stand ein Gesprächstermin mit dem Bundespräsidenten auf dem Programm. Da ich dazu auch angemeldet war, raste ich hinterher. Als ich ohne Blaulicht dort eintraf, kamen die Kollegen mit ihren Kameras bereits wieder heraus. Zu spät.

Sonntag, 16. Juli 2017

Zwei Degen und eine Zeitreise: Kirche Marzahn/Nord

Die Evangelische Kirchengemeinde Marzahn/Nord nutzt das letzte Kirchengebäude, das vor dem Ende der DDR eingeweiht wurde. Sehr spontan hatten wir uns für den Besuch des dortigen Gottesdienstes entschieden.



Meine Schwiegermutter hatte sich um 9:36 Uhr per WhatsApp zum Mitkommen angemeldet. Der Rest der Familie hatte andere Pläne. Zwei Freunde aus Marzahn kamen mit dem Fahrrad. Man musste sich bücken, wenn man den Seiteneingang zur Kirche nutzen wollte. Dieser war mit einem weißen Schlauch versehen, an dessen Anfang das heutige Datum stand. Eine Zeitreise ins Innere der Kirche.

Zugang durch den Tunnel

Da ich mich in der Kirche Marzahn/Nord nicht so gut auskannte, spähte ich in die verschiedenen Seitenräume des Ganges. Schließlich landete ich im Gemeindesaal. Die Wände waren mit Tüchern verhangen. Der Altarbereich wirkte königlich und antik mit silbernen und goldenen Tüchern sowie dunklen ehrwürdigen Vorhängen.

Meine Schwiegermutter hatte ich direkt vor der Tür abgesetzt und war dann noch mit der Parkplatzsuche beschäftigt gewesen. Offensichtlich hatte sie sich im Gang verlaufen und kam erst deutlich nach mir in den Saal. Um 10:30 Uhr begann der Gottesdienst mit einem alten Kirchenlied. Pastorin Dang gab eine kurze Einleitung und kündigte den bevorstehenden Einsatz von zwei Degen an: Monika und Rolf Dieter Degen.

Zwei Degen, 150 Psalmen und das Leben eines Königs

Monika platzierte sich unauffällig an der Technik während ihr Gatte uns auf eine Zeitreise mitnahm. Wir wurden etwa 3.000 Jahre zurück katapultiert. Der Hirtenjunge David saß am Tisch und schrieb Psalm 23. Er wolle sich erinnern und nichts vergessen von den großen Taten Gottes in seinem Leben. Rolf Dieter Degen rezitierte Ausschnitte aus vielen Psalmen und verband diese mit der Chronologie des Lebens von David. Scharfsinnig interpretierte er die Zusammenhänge der Geschehnisse im Leben des zweiten Königs von Israel.

Voll Spannung klebten die Zuhörer an seinen Lippen und den langsamen Bewegungen des Degens. Es waren um die siebzig Besucher erschienen. Das entsprach in etwa auch dem Durchschnittsalter.

Schilder, Bibeltexte, Bausubstanz

Nach einer Stunde, einem weiteren Lied, dem Vaterunser und dem Segen war der Gottesdienst zu Ende. Die Gemeinde wurde auf die Schleusinger Straße hinaus geführt, wo neue Tafeln mit Texten aus der Bibel aufgestellt waren. Auch die Künstlerin war dabei und wurde mit einem Blumenstrauß geehrt. Die Texte verbinden wichtige Aussagen aus dem Neuen und Alten Testament miteinander.

Das Gemeindehaus, der Garten und das Pfarrhaus machen einen sehr gepflegten Eindruck. Finanzielle Engpässe scheint es in Marzahn/Nord nicht zu geben. Im Garten staunten wir über die liebevoll angeordneten Tonfiguren und Tontafeln, die die 10 Gebote und biblische Geschichten darstellten. Ganz neu war die Bühne am Ende des Gartens - der Traum eines jeden Lobpreisleiters, der noch mit dem Fallstrick Selbstdarstellung kämpft.

Vor dieser Bühne gab es Eintopf mit Würstchen sowie Kaffee und Kuchen. Spontane Life-Musik mit Gitarre und Gesang untermalte das Essen und die Gespräche an den Tischen.

Gebückt durch die enge Pforte

Und dann war es endlich so weit: Die Akteure der Zeitreise hatten das Essen, die Gespräche, die Danksagungen und das Geschirr-Wegbringen erledigt und waren bereit zum Einsatz in der Historie.

Wieder liefen wir gebückt durch den Schlauch am Seiteneingang. Diesmal fiel mir auf, dass viele Personen der Geschichte mit Mitte fünfzig aus dem Diesseits geschieden waren. Sollte mir das zu denken geben? Mein Hausarzt hatte eine Reduzierung der Körperfülle empfohlen und dabei auf den Herzinfarkt mit Mitte vierzig verwiesen. Hatten alle diese berühmten Leute einen Herzinfarkt? Nein, einige waren wohl auch an der Pest gestorben.

Dann kamen wir zur ersten Station: Saul. Saul war nicht da. Scheinbar musste er noch Tassen in den Geschirrspüler räumen. Irgendwann erschien er. Er war ja schließlich der König. Freudig berichtete er über seine psychischen Probleme und die Beziehung zu David. Der Schrubber-Stiel in seiner Hand hatte am unteren Ende eine bedrohlich wirkende Spitze.

Paul Gerhard und zwei Unbekannte

Schnell gingen wir weiter - kurz über den Flur - 1.000 Jahre später in Jerusalem. Hier ging es um Petrus, der kurz vor der Verurteilung von Jesus plötzlich nicht mehr wusste, dass er mal mit Jesus durch die Gegend gezogen war. Es schloss sich eine Station mit dem weniger bekannten Johannes Agricola (1494 - 1566) an. Diesem folgte der bekannte Paul Gerhard (1607 - 1676) und der wiederum eher unbekannte Franz Theremin (1780 - 1846). Frau Dang konnte besonders viel über Franz Theremin, dessen Werk und Familie berichten.

Die Zeitreise sollte wohl eher am späten Abend durchgeführt werden. Beim Flackern der Kerzen entfalten die Kulissen bestimmt eine sehr realistische Wirkung.

Samstag, 15. Juli 2017

Colonia Dignidad beschäftigt auch den Bundestag

Seit über zwei Jahren analysieren wir die Mechanismen des geistlichen Missbrauchs. Dabei läuft uns immer wieder die Colonia Dignidad über den Weg. Inzwischen ist sie auch im Bundestag angekommen.



Bei der Recherche zur "Ehe für Alle" war ich ungeplant auf die 243. Sitzung des Bundestages am 29. Juni 2017 gestoßen. Ab 22:58 Uhr wurde über die zwei Anträge 18/11805 und 18/12943 abgestimmt. Dem gingen einige Reden voraus, die trotz der üblichen Differenzen zwischen Rot, Grün und Schwarz in sachlicher Harmonie vorgetragen wurden. Von den 623 Abgeordneten, die am nächsten Morgen über die Zukunft der Ehe abstimmten, waren nur etwa 3% im Saal.

Lagebild vor Ort

Eine Gruppe aus Parlamentariern der unterschiedlichen Fraktionen war zuvor nach Chile gereist. Ein Lagebild direkt am Ort des Geschehens zu ermitteln, ist oft sehr nützlich für Entscheider. Die Colonia Dignidad liegt knapp 380 Kilometer südlich der Hauptstadt. Laut Google-Maps ist sie in vier Auto-Stunden von Santiago de Chile aus zu erreichen.

Schon im vergangenen Jahr war der Aufarbeitungsprozess um die Sekte ins Rollen gekommen. Der gleichnamige Film hatte im April 2016 auch den damaligen Außenminister Steinmeier bewegt. In seiner Rede zum Film räumte er öffentlich das Versagen der deutschen Diplomatie ein. Außerdem verkürzte er die Sperrfrist der relevanten Akten auf 20 Jahre, so dass diese nun eingesehen werden können.

Antrag 18/12943

In der Einleitung zum Antrag 18/12943 ist unter anderem folgende Aussage zu lesen:
Dabei nutzte die Sekte für ihre Verbrechen die abgeschiedene Lage der CD, die Kooperation mit der chilenischen Militärdiktatur und die unkritische Beobachtung der an der Oberfläche vorbildlich erscheinenden deutschen Gemeinschaft.
Die Colonia Dignidad war weit weg vom Blickkontakt einer übergeordneten Instanz. Die Mitglieder hatten sich vorab von ihren baptistischen Strukturen gelöst. Dadurch war die Supervision und das Eingreifen durch den Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden massiv einschränkt.

Statt ein gesundes Korrektiv geistlicher Vorbilder zu nutzen, wurden Kooperationen mit offensichtlich destruktiven Partnern eingegangen. Ab diesem Moment hätten die Alarmglocken zumindest bei den Gut-Gläubigen angehen sollen. Ins System von Paul Schäfer passte das jedenfalls: Wolf im Schafspelz.

Apropos Schafspelz: Nach Außen wirkte die Sekte sauber und gepflegt. Die Colonia Dignidad konnte sich sogar altruistisch und sozial engagiert darstellen.

Es kann jeden treffen.

Colonia Dignidad ist ein gravierendes Beispiel.

Geistlicher Missbrauch kann aber nahezu jeden in jeder christlichen Gemeinschaft ereilen. Ob Baptisten, Mülheimer Verband, Brüderbewegung oder SELK, keine Gruppierung ist davor sicher. Die Mechanismen sind gleich und funktionieren sehr effektiv.

Vor den Augen der übergeordneten Instanz

Es kann sogar unmittelbar vor den Augen der übergeordneten Instanzen ablaufen, ohne dass es weiter untersucht wird. Es bedarf lediglich eines anerkannten Mittelsmannes, der seine Sicht der Dinge darlegt. Das Thema ist dann schnell durch. Dass eine Gemeinde hier und eine Gemeinde dort kaputt geht, fällt dann gar nicht auf. Und wenn es auffällt, findet sich eine geeignete Begründung, die nur selten überprüft wird.

Im Antrag 18/12943 lesen wir dazu:
Auch aufgrund der fehlenden Entschlossenheit und des Wegschauens deutscher Diplomaten in den 1960er, 70er und 80er Jahren bedurfte es des Mutes der diesem Martyrium entkommenen Opfer sowie des Einsatzes deutscher und chilenischer Menschenrechtsanwälte und -verteidiger, damit die Wahrheit ans Licht kommen und Paul Schäfer 2005 festgenommen werden konnte.

Durch oberflächliche oder gar keine Recherche machen sich bis heute Leiter und Verbandsfunktionäre schuldig.

Meine Schuld

Als Vereinsvorstand und Teil der Gemeindeleitung empfand ich es damals sehr bequem, die Begründungen der ordinierten Vertrauensperson anzunehmen, wenn sich mal wieder ein Gemeindemitglied verabschiedet hatte. War die Rechtfertigung mundgerecht und schlüssig aufbereitet, konnte schnell zur Tagesordnung übergegangen werden. Ja, ich ließ mich sogar dazu benutzen, die gelieferte Begründung an die Gemeinde zu übermitteln.

Durch Hinterfragung bestimmter Vorgänge kollidierte ich dann selbst mit dem System. Das erweiterte mein Blickfeld. Im Zuge des Ausstiegs kontaktierte ich sämtliche ehemalige Mitglieder und klärte das Geschehene im persönlichen Gespräch. Vierzig weniger Eins Abgänge wurden innerhalb von vier Jahren gezählt. "Das ist ja eine komplette Gemeinde", bemerkte ein ehemaliger Teamleiter dazu.

Lehrplan

Das Auswärtige Amt jedenfalls hat ihre Lehren aus der fehlenden Entschlossenheit und dem Wegschauen gezogen und nimmt das Fallbeispiel Colonia Dignidad sogar in das Studienprogramm zukünftiger Diplomaten auf.

Ein Vorbild für Elstal & Co.?