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Mittwoch, 19. Juli 2017

William und Kate besuchen das Kinderhaus Bolle in Marzahn

Während das Image von Marzahn zurzeit durch die Presse demontiert wird, war es heute Anlaufpunkt für die Sympathieträger der Monarchie: William und Kate. Sie besuchten das Kinderhaus Bolle.



Als wir über den Film "Spuk unterm Riesenrad" redeten, warfen unsere Freunde ein: "Wir hatten letztens mal wieder ein Video über Marzahn kurz nach der Wende gesehen". Überall brauner, roter, grauer Waschbeton, schlammige Straßen und Grün im Anfangsstadium.

Wandel und dessen Akzeptanz

Mit dem Wechsel ins neue Jahrtausend war ein deutlicher Wandel der Atmosphäre in Marzahn zu spüren. Die Häuser wurden bunter, die Freiflächen grüner, die Bäume höher, die Menschen entspannter. Es kamen verschiedene Missionsteams nach Marzahn, bei denen sich insbesondere die Frauen schwer taten mit dieser Wohngegend. Der familiäre Kompromiss war dann das Haus am Stadtrand oder die Wohnung in einer Neubau-Enklave hinter der mentalen Grenze zur Plattenbau-Siedlung, dem Blumberger Damm südlich der Landsberger Allee.

Die allseits beliebten Gärten der Welt liegen ebenfalls in diesem Planquadrat. Dort findet zurzeit die IGA 2017 statt. Dass die Besucherzahlen von einer Million bis zur Halbzeit nicht erreich wurden, liefert Futter für die tendenziöse Berichterstattung. Brauchst du einen Bericht über soziale Problemfälle? Geh nach Marzahn/Hellersdorf!

Dass selbst Stadtteile wie die Bronx in New York eine positive Wandlung erfahren können, durfte ich im letzten Jahr erleben. Etwa zehn Jahre hatte es gedauert, das Klima dort zu verändern. Viel Gebet, die Entstehung neuer Gemeinden und das damit verbundene Umdenken der bislang trostlosen Menschen.

William Kate Kinderhaus Bolle Marzahn
Kinder beim Fußball im Kinderhaus Bolle in Marzahn
Hidden Champion

Marzahn verfügt über eine sagenhafte Infrastruktur, hat eine gute Autobahnanbindung, ausgedehnte Grünflächen und bemerkenswerte Einfamilienhaus-Siedlungen. Viele Autos vor unserem Hochhaus sind schwarz und liegen im Neupreissegment oberhalb der 50.000 Euro. Im Umkreis von 800 Metern stehen hier fünf neue BMW 7er, S-Klassen und große Audis. Was die Presse nicht wahrhaben will, wissen Autodiebe schon lange.

Gefälle

Dennoch gibt es in Marzahn/Hellersdorf ein starkes Nord-Süd- und Ost-West-Gefälle. Anna aus Biesdorf distanziert sich von Chantal aus Marzahn/Nord oder von Igor aus Ahrensfelde. Wobei das sich anschließende Dorf Ahrensfelde wieder gut situiert ist. Ein Marzahner will auf gar keinen Fall als Hellersdorfer gelten. Solche Dinge kennt man auch aus dem Konflikt zwischen Berlin und Spandau.

Die Arche in Hellersdorf und das Kinderhaus Bolle haben also ihre Berechtigung. Beide Häuser sind voll mit Kindern, deren Eltern lieber andere Dinge tun oder kein Geld für eine warme Mahlzeit haben. Bolle-Chef Eckhard Baumann ist eine gewisse Zeit bei der Arche mitgelaufen und versteht sich auf die Regeln des Fund Raisings. Die Arche und Bolle sind originär christliche Einrichtungen. Versuche, die Kinder und Jugendlichen in Gemeinden zu integrieren, waren jedoch selten von Erfolg gekrönt. Dennoch kennen sie die Basics von Gottes Liebe, Jesus, Vergebung und anderen geistlichen Tatsachen. Das lernen sie spielerisch an den Nachmittagen oder auf den gemeinsamen Freizeiten.

William Kate Kinderhaus Bolle Marzahn
William und Kate besuchen das Kinderhaus Bolle in Marzahn
Eckhard Baumann mit Krawatte und Bundesverdienstkreuz

Beim Besuch des Prinzenpaares trug Eckhard Baumann Anzug, Krawatte und die Bandschnalle des Bundesverdienstkreuzes. Diese Optik ist seine Zielgruppe nicht gewohnt. Dennoch wurde er voll akzeptiert, als er mit dem Megaphone das Fußballspiel beendete und zum Gruppenfoto mit William und Kate aufrief.

Die Besucher von der Insel inklusive Botschafter und Bürgermeister Müller waren etwa 40 Minuten vor Ort. Auf der Hohensaatener Straße waren sogar Lieferwagen wegen des Parkverbotes umgesetzt worden. So konnten die Eltern und Schaulustigen aus Marzahn der Ankunft um 15:20 Uhr beiwohnen. Ich hatte schon über eine Stunde im Garten hinter dem Haus ausgeharrt.

15:36 bis 15:51 Uhr im Garten

15:36 Uhr traten sie aus dem Haus. Jubel, Fähnchen und dann das Bad in der Masse. Die Fotografen neben mir ließen die Kameras sinken. Kate war nicht mehr zu sehen. Nur Rücken und Kate-Doubles mit blauen Kleidern. Die Traube bewegte sich zum Stand der Robert-Enke-Stiftung. Kate war verdeckt. Niemand bemerkte, dass William noch an der Treppe stehen geblieben war und mit zwei Leuten redete: Völlig frei zum Fotografieren. Dann verschwand auch er in der Menschentraube am Robert-Enke-Zelt. Diesmal verdeckt durch die Rücken der britischen Presse. "Tolle Aufnahmen!", wie der Pressefotograf zu sagen pflegt. William und Kate hatten jedenfalls keine Berührungsängste mit den Kindern aus Marzahn.

Dann bekam Kate einen Rosenstrauß überreicht, den sie lächelnd annahm und kurz darauf einer Bediensteten weiterreichte. Dann das oben erwähnte Gruppenfoto und kurz darauf der Abgang. Die Viertelstunde hinter dem Haus war somit in folgende Abschnitte gegliedert: Menschentraube an der Treppe 5 Minuten, Menschentraube unter dem Robert-Enke-Zelt 7 Minuten, Blumenstrauß mit Gruppenfoto und Abgang 3 Minuten. Alles exakt geplant, zumindest was die insgesamt 15 Minuten im Garten von Bolle betrifft.

Zurück in die City

William und Kate mussten wieder zurück in die City. Ab 16:35 Uhr stand ein Gesprächstermin mit dem Bundespräsidenten auf dem Programm. Da ich dazu auch angemeldet war, raste ich hinterher. Als ich ohne Blaulicht dort eintraf, kamen die Kollegen mit ihren Kameras bereits wieder heraus. Zu spät.

Samstag, 15. Juli 2017

Colonia Dignidad beschäftigt auch den Bundestag

Seit über zwei Jahren analysieren wir die Mechanismen des geistlichen Missbrauchs. Dabei läuft uns immer wieder die Colonia Dignidad über den Weg. Inzwischen ist sie auch im Bundestag angekommen.



Bei der Recherche zur "Ehe für Alle" war ich ungeplant auf die 243. Sitzung des Bundestages am 29. Juni 2017 gestoßen. Ab 22:58 Uhr wurde über die zwei Anträge 18/11805 und 18/12943 abgestimmt. Dem gingen einige Reden voraus, die trotz der üblichen Differenzen zwischen Rot, Grün und Schwarz in sachlicher Harmonie vorgetragen wurden. Von den 623 Abgeordneten, die am nächsten Morgen über die Zukunft der Ehe abstimmten, waren nur etwa 3% im Saal.

Lagebild vor Ort

Eine Gruppe aus Parlamentariern der unterschiedlichen Fraktionen war zuvor nach Chile gereist. Ein Lagebild direkt am Ort des Geschehens zu ermitteln, ist oft sehr nützlich für Entscheider. Die Colonia Dignidad liegt knapp 380 Kilometer südlich der Hauptstadt. Laut Google-Maps ist sie in vier Auto-Stunden von Santiago de Chile aus zu erreichen.

Schon im vergangenen Jahr war der Aufarbeitungsprozess um die Sekte ins Rollen gekommen. Der gleichnamige Film hatte im April 2016 auch den damaligen Außenminister Steinmeier bewegt. In seiner Rede zum Film räumte er öffentlich das Versagen der deutschen Diplomatie ein. Außerdem verkürzte er die Sperrfrist der relevanten Akten auf 20 Jahre, so dass diese nun eingesehen werden können.

Antrag 18/12943

In der Einleitung zum Antrag 18/12943 ist unter anderem folgende Aussage zu lesen:
Dabei nutzte die Sekte für ihre Verbrechen die abgeschiedene Lage der CD, die Kooperation mit der chilenischen Militärdiktatur und die unkritische Beobachtung der an der Oberfläche vorbildlich erscheinenden deutschen Gemeinschaft.
Die Colonia Dignidad war weit weg vom Blickkontakt einer übergeordneten Instanz. Die Mitglieder hatten sich vorab von ihren baptistischen Strukturen gelöst. Dadurch war die Supervision und das Eingreifen durch den Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden massiv einschränkt.

Statt ein gesundes Korrektiv geistlicher Vorbilder zu nutzen, wurden Kooperationen mit offensichtlich destruktiven Partnern eingegangen. Ab diesem Moment hätten die Alarmglocken zumindest bei den Gut-Gläubigen angehen sollen. Ins System von Paul Schäfer passte das jedenfalls: Wolf im Schafspelz.

Apropos Schafspelz: Nach Außen wirkte die Sekte sauber und gepflegt. Die Colonia Dignidad konnte sich sogar altruistisch und sozial engagiert darstellen.

Es kann jeden treffen.

Colonia Dignidad ist ein gravierendes Beispiel.

Geistlicher Missbrauch kann aber nahezu jeden in jeder christlichen Gemeinschaft ereilen. Ob Baptisten, Mülheimer Verband, Brüderbewegung oder SELK, keine Gruppierung ist davor sicher. Die Mechanismen sind gleich und funktionieren sehr effektiv.

Vor den Augen der übergeordneten Instanz

Es kann sogar unmittelbar vor den Augen der übergeordneten Instanzen ablaufen, ohne dass es weiter untersucht wird. Es bedarf lediglich eines anerkannten Mittelsmannes, der seine Sicht der Dinge darlegt. Das Thema ist dann schnell durch. Dass eine Gemeinde hier und eine Gemeinde dort kaputt geht, fällt dann gar nicht auf. Und wenn es auffällt, findet sich eine geeignete Begründung, die nur selten überprüft wird.

Im Antrag 18/12943 lesen wir dazu:
Auch aufgrund der fehlenden Entschlossenheit und des Wegschauens deutscher Diplomaten in den 1960er, 70er und 80er Jahren bedurfte es des Mutes der diesem Martyrium entkommenen Opfer sowie des Einsatzes deutscher und chilenischer Menschenrechtsanwälte und -verteidiger, damit die Wahrheit ans Licht kommen und Paul Schäfer 2005 festgenommen werden konnte.

Durch oberflächliche oder gar keine Recherche machen sich bis heute Leiter und Verbandsfunktionäre schuldig.

Meine Schuld

Als Vereinsvorstand und Teil der Gemeindeleitung empfand ich es damals sehr bequem, die Begründungen der ordinierten Vertrauensperson anzunehmen, wenn sich mal wieder ein Gemeindemitglied verabschiedet hatte. War die Rechtfertigung mundgerecht und schlüssig aufbereitet, konnte schnell zur Tagesordnung übergegangen werden. Ja, ich ließ mich sogar dazu benutzen, die gelieferte Begründung an die Gemeinde zu übermitteln.

Durch Hinterfragung bestimmter Vorgänge kollidierte ich dann selbst mit dem System. Das erweiterte mein Blickfeld. Im Zuge des Ausstiegs kontaktierte ich sämtliche ehemalige Mitglieder und klärte das Geschehene im persönlichen Gespräch. Vierzig weniger Eins Abgänge wurden innerhalb von vier Jahren gezählt. "Das ist ja eine komplette Gemeinde", bemerkte ein ehemaliger Teamleiter dazu.

Lehrplan

Das Auswärtige Amt jedenfalls hat ihre Lehren aus der fehlenden Entschlossenheit und dem Wegschauen gezogen und nimmt das Fallbeispiel Colonia Dignidad sogar in das Studienprogramm zukünftiger Diplomaten auf.

Ein Vorbild für Elstal & Co.?

Sonntag, 2. Juli 2017

Gelebte Gruppendynamik nach Johannes 9, 22

Die namentliche Abstimmung über die "Ehe für Alle" am Freitag im Bundestag hatte eine polarisierende Wirkung. Während die EKD über 64% Zustimmung jubelt, nähern sich Katholiken, Freikirchen und Orthodoxe in ihrer Bibelauslegung an.



100 Tage hatte der Genozid in Ruanda gedauert. 1.000.000 Menschen überlebten diesen nicht. Die Tätergruppe der Hutus war vier Jahre lang medial und materiell auf den Start am 6. April 1994 vorbereitet worden. Um die Sache möglichst effektiv anzugehen, wurden fertige Namenslisten rausgeholt und systematisch abgearbeitet.

Das eine Drittel

Welche 393 Abgeordneten des Bundestages für und welche 226 gegen die "Ehe für Alle" gestimmt hatten, wurde beispielsweise hier veröffentlicht. Interessant ist dabei die Verteilung innerhalb der Parteien:

Die katholisch geprägte CSU stimmte geschlossen dagegen. Die CDU gewährte ihren Mitgliedern das Recht auf freie Entscheidung. So stimmte 1/4 von ihnen dafür. Die Kanzlerin bekannte sich mit einer roten Karte offen dagegen. Sie trug eine blaue Jacke in RAL 5005.

Die Grünen votierten wegen des Themas geschlossen dafür. Ihre Karten hatten eine undefinierbare Grundfarbe, die zwischen Lichtgrün RAL 6027 und Pastelltürkis RAL 6034 lag. Die Linke ist schon aus der Tradition heraus auf eine homogene Meinung getrimmt und wählte gemeinsam die Karten im zarten Blaugrünton. Bedeutung: Ja.

Die eine Karte

Auch die SPD zeigte Einheit im Ergebnis: zartes Blaugrün. Diese Einheit erinnerte ein wenig an die Situation der Eltern in Johannes 9 Vers 22. Hatten doch auch sie Angst vor einem Ausschluss aus der Gemeinschaft. Stattdessen opferten sie lieber ihren Sohn, der alt genug sei, für sich selbst zu sprechen. Nur einer der Genossen hatte wohl den Mut und gab seine heterophobe Karte nicht ab.

Aber, ich wollte mal fragen...

Dass die SPD einen erheblichen Gruppendruck aufbaut, war mir schon im Zuge der Euro-Einführung aufgefallen. Im großen Saal des Roten Rathauses saßen damals Gewerbetreibende mit dem roten Parteibuch und Schals in RAL 3026. Es war eine erhebliche Verunsicherung über die neue Währung zu spüren. An die Experten auf der Bühne durften Fragen gestellt werden. Besonders verwunderte mich, dass jeder der Unternehmer seine Frage in etwa mit folgenden Worten einleitete:

"Ich bin ein langjähriges, gutes, treues Mitglied der SPD, arbeite in vielen Gremien ehrenamtlich mit und habe immer meinen Beitrag bezahlt ... aber ich wollte mal fragen ..."

Wer als Unternehmer so unterwürfig seine Fragen formuliert, stimmt sicher auch mal mit Blaugrün, wenn er eigentlich Rot meint. Hauptsache es gibt keine Haue vom Vorstand, oder gar den Vermerk auf einer schwarzen Liste, oder gar einen Ausschluss aus der Gruppe.

System versus Freiheit

Die Eltern aus Johannes 9 Vers 22 durften nach der Distanzierung von ihrem Sohn sicher im System bleiben. Der Sohn hingegen wurde in Vers 34 rausgeworfen: "Et eiecerunt eum foras", wie es sehr eindrücklich auf Latein formuliert ist.

In Vers 35 hört Jesus davon und geht aktiv auf die Suche nach ihm. Er findet ihn und redet mit ihm. Während die Eltern im System versauern, ist ihr Sohn draußen mit Jesus unterwegs und erlebt eine ganz neue Freiheit. Er war blind geboren und Jesus hatte ihn kurz zuvor geheilt. Das war der Anlass zum Konflikt mit der alten Community.

Ökumenische Konstellationen

"Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht", lautet ein Zitat, dessen Ursprung nicht mehr eindeutig zu klären ist. Die EKD ist schon lange offen für die "Ehe für Alle". Davon legt das Bedford-Strohm-Interview ein leidenschaftliches Zeugnis ab.

Die russische Orthodoxie hatte die Freundschaft mit der EKD gekündigt, als eine Frau zur Ratsvorsitzenden gewählt wurde. Die griechisch Orthodoxen brechen nicht gleich alle Brücken ab, sind aber klar in der Sache. Genauso die Katholiken. Kein Wunder also, dass die CSU komplett gegen den Gesetzentwurf gestimmt hatte. Damit ergibt sich ein Schulterschluss mit den biblischen Ansichten der Freikirchen. Eine interessante ökumenische Konstellation, ausgelöst durch eine gesellschaftliche Debatte. Betrachtet man das Thema interreligiös, sollten auch die Moslems mit im Boot sitzen.

Donnerstag, 1. Juni 2017

Patriarch von Konstantinopel trifft den Bundespräsidenten

Orthodoxie ist für viele Deutsche ein Buch mit sieben Siegeln. Zurzeit bereist Bartholomaios I unser Land. Heute referierte er in der Konrad-Adenauer-Stiftung und besuchte anschließend den Bundespräsidenten.



Die Gold-Else am Großen Stern reflektierte die pralle Sonne. Schwerfällig wälzte sich der Verkehr um den Platz. Ich lief zur Konrad-Adenauer-Stiftung. Akribisch wurde die Gästeliste abgeglichen. Wer nicht im "Buch" gefunden wurde, musste am Rand warten.

Schwarz

Ich setzte mich in die Nähe des Rednerpultes. In der Mitte des Saales sah ich Schwarz: schwarze lange Gewänder, schwarze Hüte, schwarze Mützen, schwarze und graue Bärte. Über den Gewändern goldene Ketten mit großen goldenen und Stein-besetzten Broschen. Keine Rapper aus Brooklyn, sondern Metropoliten, Archimandriten und der Patriarch selbst.

Das Casting für eine Komplettverfilmung der Bibel mit Abraham, Petrus und anderen wäre hier schnell und erfolgreich abgeschlossen worden.

Erzbistum und EKBO

Im Saal saßen neben den Botschaftern von Griechenland, der Türkei und Zyperns auch der katholische Erzbischof Heiner Koch aus Berlin und sein evangelischer Kollege Markus Dröge von der EKBO. Ein breites Grinsen ging regelmäßig durch die Reihen, wenn in den Grußworten die "Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz" in der Langversion ausgesprochen wurde.

Patriarch von Konstantinopel Bartholomaios I in Berlin
Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I, in Berlin



Grüß Gott!

Bartholomaios begann seinen Vortrag über Menschenrechte mit einem schwungvollen "Grüß Gott". Er hatte in München drei Semester Deutsch gelernt und las seine Rede fließend auf Deutsch vor. Es sah so aus, als hatte er nur fünf Blätter in der Hand. Gelesene Seiten gruppierte er unter den flachen Stapel. So oft, wie er die Seiten wechselte, müssen es um die zwanzig Blätter gewesen sein.

Seine Kollegen in Schwarz genossen den Sekundenschlaf oder beschäftigten sich mit ihrem Smartphone. Erzbischof Koch wechselte Blicke mit dem Apostolischen Nuntius des Heiligen Stuhls, Erzbischof Nikola Eterović. Dann kam ein langes Wort und der Patriarch warf spontan ein: "Zu lang!" Lachen. Der Saal war wieder in die Realität des Vortrages geholt. "Wenn ich ein bisschen müde bin, Sie müssen viel müder sein", war sein verständnisvoller Kommentar zum Vortrag.

Menschenrechte

Obwohl der Vortrag über Menschenrechte etwa eine dreiviertel Stunde gedauert hatte, war er doch sehr interessant. Mir war gar nicht bewusst, dass nicht-christliche Religionen eine große Distanz zu Menschenrechten hegen, denn:

  • Menschenrechte seien westliches Kulturgut.
  • Menschenrechte tragen das Siegel des Christentums.
  • Menschenrechte schützen einen gefährlichen Individualismus.
  • Menschenrechte stehen für Säkularisierung und Anthropozentrik.
  • Menschenrechte verbünden sich mit dem Atheismus.
  • Menschenrechte widerstreben der Souveränität Gottes.

Kein Wunder also, dass Menschenrechte außerhalb der westlichen Welt abgelehnt und missachtet werden. Die Botschafter verzogen keine Miene.

Orthodoxie

Die Magna Charta der Orthodoxie sei eine "Kultur der Person". Selbstlose Liebe könne ungeahnte Kräfte freisetzen. Er nannte das die "Liturgische Diakonie", was im Sinne einer alltäglichen Liturgie nach der sonntäglichen Liturgie zu verstehen sei. Der Patriarch wurde sehr emotional, als er sagte, dass die "defensive Haltung gegenüber der Aufklärung endgültig überwunden" werden müsse. "Fehlentwicklungen" in der Orthodoxen Kirche sollten auf keinen Fall zur pauschalen Verurteilung dieser Konfession genutzt werden. Eine große Baustelle sei die Ethnozentrik.

Patriarch von Konstantinopel Bartholomaios I in Berlin
Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I, in Berlin
Ökumene

Bartholomaios hat viele Titel, so dass seine späteren Gesprächspartner im Schloss Bellevue erst einmal abklärten, wie sie ihn genau anzusprechen haben. "Seine Allheiligkeit Batholomaios I, Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel" ist der volle Titel. Bei der offiziellen Anrede wird "Eure Allheiligkeit" verwendet, während die Bischöfe wie säkulare Botschafter mit "Eure Exzellenz" angesprochen werden.

Die Ökumene im Titel ist vergleichbar mit der Wortbedeutung von katholisch und erklärt den übergeordneten Anspruch auf die Definition der Rechtgläubigkeit. Zurzeit findet jedoch ein intensiver Austausch zwischen Othodoxen, Katholiken und Protestanten statt. Letztere sehen Ökumene als Gemeinschaft von Christen jedweder Konfession um das Zentrum Jesus Christus und die Bibel. So wurde es auf dem #Kirchentag ausgedrückt.

Der Patriarch im Schloss

Anschließend wurden die Herren in Schwarz mit schwarzen BMW 5er-Limousinen zum Bundespräsidenten ins Schloss Bellevue gefahren. Kein Ehrenposten, keine militärischen Ehren, kein roter Teppich. Dafür aber ein blauer Teppich und eine sehr familiäre Atmosphäre. Vier Kameraleute, ein Gästebuch und eine vertrauliche Unterredung mit Frank-Walter Steinmeier. Diese war nicht presseöffentlich.

Bei immer noch strahlendem Sonnenschein staute ich durch die Innenstadt nach Hause.

Sonntag, 28. Mai 2017

#Kirchentag: Abschluss-Gottesdienst in Wittenberg

Heute fand auf den Elbwiesen südlich von Wittenberg der Abschlussgottesdienst zum #Kirchentag statt. Unsere Schlafgäste aus England, der Bundespräsident und ich waren auch dort.



122 km mehr standen auf dem Tacho, als ich das Auto in einem Wohngebiet der Lutherstadt Wittenberg abstellte. Die überall angekündigten Park-Leitsysteme fehlten. Wir liefen nach Gefühl Richtung Elbe. Dabei durchquerten wir die Innenstadt mit den wichtigsten Luther-Gebäuden. Kurz vor der Elbe stellten wir fest, dass wir noch einen großen Umweg über eine Bahnbrücke zu absolvieren hätten.

30°C und eine Stunde Fußweg

Es dauerte eine volle Stunde vom Parkplatz bis zum Ziel: Umweg, Schleuse für den Sicherheits-Check, Ponton-Brücke, Eingang an der Südseite des Feldes. Letzteres bedeutete, dass wir einmal am Feld vorbei und dann innen wieder zurück laufen mussten. Solche Aktionen waren uns schon von der Messe vertraut. 30°C. Die ersten Sanitäter liefen mit Tragen über die Wiese.

#Kirchentag Abschlussgottesdienst Wittenberg Elbwiesen
#Kirchentag - Abschlussgottesdienst in Wittenberg auf den Elbwiesen
Ich verabschiedete mich von unseren englischen Schlafgästen und stapfte der Bühne entgegen. In der dritten Reihe fand ich noch einen Platz. Passend zu den vielen Sanitätern und Hitzschlag-Gefährdeten war Gesundheitsminister Gröhe bereits vor Ort. Er trug kein Sakko, aber Krawatte und einen orangen Schal. Kurz vor Beginn des Gottesdienstes gesellte sich Innenminister de Maizière dazu. Auch er war sehr sommerlich gekleidet.

Nach dem Vorbild des Neuen Testamentes saßen in den Blöcken direkt vor der Bühne nicht nur die Ersten aus Kirche und Staat, sondern auch Lahme, Blinde und Taube.

Gleich geht es los!

Ein letztes Statement vom Chef der koptischen Christen aus Ägypten. Dann eine kurze Pause; herzliche Umarmung des schwarz gekleideten Kopten mit Hermann Gröhe und anderen; freundliche Begrüßung eines katholischen Bischofs.

#Kirchentag Abschlussgottesdienst Wittenberg Elbwiesen
#Kirchentag - 1/7 der Bläser beim Abschlussgottesdienst in Wittenberg auf den Elbwiesen
Hinter der Bühne blinkten hunderte Blasinstrumente und stimmten "Nun jauchzt dem Herren, alle Welt" an. Gigantisch! Posaunen, Pauken - so ähnlich muss das im Himmel sein, wenn die Ankündigungen aus der Offenbarung greifbare Realität werden. Als ich noch über die Zukunft vor dem Thron Gottes sinnierte, schritt der Bundespräsident neben der Bühne entlang und ging zu seinem Platz im Nachbarblock. Auch seine Frau - Elke Büdenbender - und jede Menge Fotografen waren dabei.

Predigt auf Englisch über 1. Korinther 13, 12

Der Gottesdienst nahm seinen Lauf. Liturgie mit Liedern, Gebet, Lesung aus 1. Korinther 13, Glaubensbekenntnis und Kollekte bildeten den Auftakt. In der Predigt sollte es laut Programmheft um 1. Korinther 13, 12 gehen: "Von Angesicht zu Angesicht". Es predigte Erzbischof Thabo Makgoba von der Anglikanischen Kirche Südafrikas. Als Schwarzer sprach er Englisch mit afrikanischem Akzent. Wer kein Englisch verstand, konnte auf dem linken Screen deutsche Untertitel und eine Übersetzung in Gebärdensprache sehen. Die rechte Videowand stand für das unkommentierte Original zur Verfügung. Viele der aus "Bade-Würte-Berg" stammenden Sitznachbarn konnten nur Deutsch.

So rauschte die Predigt an ihnen vorbei. An mir auch. Die Predigt hatte mit Martin Luther begonnen und lief über die allgemeine Ungerechtigkeit in der Welt in einem postulierten "I have a dream" aus.

#Kirchentag Abschlussgottesdienst Wittenberg Elbwiesen
#Kirchentag - Abschlussgottesdienst mit Abendmahl
Viel spannender war also das Drumherum. Dazu gehörten die immer wieder einsetzenden Bläser hinter der Bühne - wie schon erwähnt: Hunderte! Bewegend auch das gemeinsame Vaterunser, das gemeinsame Abendmahl und der Segen von EKD-Chef Bedford-Strohm im wehenden schwarzen Gewand. Die Sonne blitzte in das Kreuz über dem Talar und tauchte es in einen goldenen Glanz.

Einheit in Jesus Christus

Der Altar war eine Leihgabe des Deutschen Katholikentages. Überhaupt zeigten sich die katholischen Gastredner sehr erfreut über die guten Beziehungen zu den Protestanten. Das sei vor zehn Jahren noch nicht so selbstverständlich gewesen.

Frank-Walter Steinmeier begrüßte die Besucher mit "Liebe Schwestern und Brüder" und zeigte sich ebenfalls hoch erfreut darüber, dass die Christen unterschiedlicher Konfessionen und Denominationen auf einem guten Weg zur Bündelung ihrer Kräfte seien. Das solle weiter intensiviert werden. Der Bundespräsident war selbst viele Jahre lang aktiv an den Evangelischen Kirchentagen beteiligt. Ein katholischer Redner brachte es auf den Punkt: Uns verbindet die Einheit in Jesus Christus.

#Kirchentag Abschlussgottesdienst Wittenberg Elbwiesen
#Kirchentag - Abschlussgottesdienst mit Segen von Heinrich Bedford-Strohm
Gegen 14:00 Uhr nutzte ich den VIP-Ausgang neben der Bühne und wollte möglichst vor dem großen Abgang den Hot Spot verlassen. Immer noch um die 30°C und pralle Sonne. Vorbei an etwa zwanzig schwarzen Limousinen mit Blaulicht, vorbei am Pressezelt, vorbei an vielen Polizeiautos, durch einen hohen Gitterzaun, hinaus auf das freie Feld. Es dauerte etwa eine halbe Stunde, bis ich die Pontonbrücke passiert und die Strecke über die Bahnlinie absolviert hatte.

Das Auto war extrem aufgeheizt. Ich entfernte die Decke über dem Lenkrad und trat den Heimweg an. 29,5°C war neben dem Tacho abzulesen. Unsere britischen Gäste hatten noch eine Verabredung in Wittenberg. So fuhr ich die 122 km alleine mit aufgedrehter Musik nach Hause.

Donnerstag, 25. Mai 2017

#Kirchentag: Messe Berlin und City

Der 36. Deutsche Evangelische Kirchentag wartet mit vielen Veranstaltungen in Berlin, Wittenberg, Potsdam und Leipzig auf. Heute schauten wir uns auf dem Messegelände am Funkturm und am Alexanderplatz um.



Die Entscheidung für den öffentlichen Nahverkehr fiel heute leicht. Bequem erreichten wir die Nordseite des Messegeländes, liefen an schwer bewaffneten Polizisten vorbei, lehnten Flyer dubioser Gruppen ab und betraten das Palais am Funkturm. Hier, wo seit Jahren die goldenen Lolas an Filmschaffende vergeben werden und wilde After Show Partys toben, flatterten heute orange Schals und orange Fahnen mit großen runden Augen.

Wahrheit vor der Kamera

Wir steuerten die Bühne an und setzten uns in die dritte Reihe. Der Innenminister diskutierte vor laufenden Kameras des ZDF über Wahrheit. Thematisch entglitt das Ganze in Richtung Medienkompetenz, Shit Storm und juristische Optionen. Es wurde kontrovers diskutiert, enthielt aber für alle Teilnehmer des Panels wertvolle Impulse. Alle waren sich einig, dass gegenteilige Meinungen durchaus erwünscht seien, jedoch sollte der Diskurs in einer respektvollen Atmosphäre geführt werden.

#Kirchentag
#Kirchentag - Sitzplätze in den Messehallen
Leere, Pilgerweg und Seelsorge

Anschließend unternahmen wir den Versuch, uns systematisch von Nord nach Süd durch die Messehallen zu arbeiten. Die ersten Hallen waren etwas spartanisch eingerichtet. Hier und dort ein vereinzelter Stand, dann eine ganze Halle als Pilgerweg. Die übliche Optik schillernder Messebauten mit Jutebeuteln und Kugelschreibern begegnete uns nicht. Wir kauften zwei Pizzabrote und liefen weiter.

Eine ganze Halle für Seelsorge: Paarberatung, Einzelberatung, Gebetskabinen, Wartelisten. Interessant, woran beim Kirchentag gedacht worden war. Die Population wurde dichter. Immer mehr orange Schals und Beutel mit DEKT-Aufschrift kamen uns entgegen. Eine jung gebliebene Dame hatte sich einen grauen Hoodie im Kirchentags-Look zugelegt. Zwei großen Augen schauten mich von ihrem Rücken aus an.

Markt der Möglichkeiten

Wir näherten uns den eigentlichen Messeständen und fanden uns plötzlich in einem wilden Durcheinander wieder. Das heißt, über einigen Ständen waren Tafeln mit Kategorien angebracht. Allerdings erschloss sich die Zusammenstellung nicht wirklich unserer Logik.

Hier eine Israel-Ecke, dort Freizeitheime, hier Hospitalschiffe und dort die Bundespolizei; Bücher, Verlage, Bibelschulen, Missionsgesellschaften, Godly Play, Nagelkreuz-Verein, Verein der ostpreußischen Ostkirche und interreligiöse Stände. Dazwischen noch Aktionen gegen Menschenhandel, Podiumsdiskussionen, Pfadfinder, die Internetmission, die Christoffel Blindenmission, die Jesuiten, christliche Berufsperspektiven und World Vision.

#Kirchentag
#Kirchentag - Du siehst mich.
Mitglieder und Spender

So muss Luther Rom erlebt haben: Spende für Kaffee, Spende für den Verein, ein Euro für den bedruckten Radiergummi, eine Unterschrift gegen die Bundeswehr und hier noch das Formular zum Eintritt in einen Förderverein. Wären wir auf all diese Wünsche eingegangen, hätte uns das viel Geld gekostet und rein rechnerisch täglich zur Teilnahme an mehreren Jahreshauptversammlungen verpflichtet. Die Vielfalt ist schön und bunt, könnte aber sicher auch gebündelt und damit effizienter gestaltet werden.

"Christ und nicht hetero", lasen wir an einem Stand, der uns auf die Umwidmung des Regenbogens einstimmte. Beim nächsten Anbieter mussten wir erst einmal schauen, in welchem Kontext der Regenbogen dort genutzt wurde. Aha, Holzspielzeug für Kinder. Überhaupt wirkten die Besucher wenig heterogen. Wer "kirchlich" ist, offenbart sich durch ein wesentliches Merkmal:

Die Brille.

Es muss ein Modell im dreistelligen Preissegment sein. Dazu graue oder weiße Haare. Frauen tragen das Haar maximal schulterlang und Männer zusätzlich einen kurzen Bart. Sportliche Ökokleidung und gepflegtes Äußeres, kombiniert mit einem intelligenten Blick runden den homogenen Kirchgänger ab. Was wir bisher nur instinktiv kategorisiert hatten, notierte ich auf einem Zettel und evaluierte es im weiteren Verlauf des (Kirchen-)Tages.

#Kirchentag
#Kirchentag - Marienkirche am Alexanderplatz (Foto: Archiv 27.06.2017)
Alexanderplatz

Am Abend schauten wir uns mehrere Musikveranstaltungen rund um den Alexanderplatz an. Mit geschärftem Blick erkannten wir die DEKT-Teilnehmer auch ohne den markanten orangen Schal. Eine Band aus dem Libanon fiel jedoch durch das kulturell-ethnische Raster. Die Rocker hätten auch als Europäer oder Amerikaner durchgehen können. Fasziniert lauschten wir ihrer musikalischen Darbietung. Ein Schwarzer tanzte, Frauen mit Kopftüchern blieben stehen und EKD-Mitglieder offenbarten ihr Rhythmus-Gefühl.

Im benachbarten Bücherzelt kauften wir eine Twitter-Bibel. In der Marienkirche lauschten wir dem Konzert von Einheimischen und Geflüchteten: Klassik auf höchstem Niveau aus einem Mix europäischer und nahöstlicher Klänge und Gesänge.

Auf dem Rückweg mit der Tram setzten sich zwei ältere Damen zu uns. Den Zweck ihres Berlin-Besuchs erkannten wir an den Brillen und den schulterlangen grauen Haaren.

Mittwoch, 24. Mai 2017

#Kirchentag: Eröffnungs-Gottesdienst am Reichstag

Sehen und gesehen werden bei der Eröffnung des 36. Deutschen Evangelischen Kirchentages #DEKT. Wer und was war alles beim Gottesdienst am Reichstag und dem anschließenden Empfang beim Evangelischen Arbeitskreis der CDU/CSU zu sehen?



Es muss schon eine charismatische Persönlichkeit sein, die mehrere tausend Erwachsene zu seltsamen Handbewegungen anstiftet: Eckart von Hirschhausen. Beim Gottesdienstes zur Eröffnung des #DEKT motivierte er die Teilnehmer, mit ihren Händen ein Fernrohr zu formen und einen beliebigen Punkt in der Umgebung zu fixieren. Ich ließ mein Fernrohr von der Ministerbank zum Dach der Bühne schweifen und blieb dort haften: ein Dach über vielen Christen aus vielen Gemeinden und Konfessionen.

Sehen und gesehen werden

Als Hagar in 1. Mose 16, 13 - frei übersetzt - "Du siehst mich" sagte, wusste sie noch nicht, dass 4.000 Jahre später ein Kirchentag unter diesem Motto stattfinden wird. Im Bereich vor der Bühne galt jedenfalls das "Sehen und gesehen werden". Wolfgang Thierse, Christian Wulff, Franz Josef Jung, Hermann Gröhe, Petra Pau, Thomas de Maizière und Norbert Lammert sahen sich und andere Personen in ihrem Umfeld. Dazu gehörten Eckart von Hirschhausen, Friede Springer, Martin Pepper und jede Menge unbekannter Kirchenvertreter, die sich alle kannten. Letzteres war daran zu erkennen, dass sie sich sehr herzlich grüßten, als sie sich sahen.

#Kirchentag Reichstag Eröffnungsgottesdienst
#Kirchentag - Eröffnungsgottesdienst vor dem Reichstag
Du siehst mich ab 18:00 Uhr

Der Gottesdienst vor dem Reichstag startete um 18:00 Uhr. Immer wieder schallten Klänge vom Parallel-Gottesdienst am Brandenburger Tor herüber. Die eigentliche Musik spielte aber hier auf dem Platz der Republik:

Die Zuschauer sahen und hörten unter anderem den Landesbischof Heiner Koch. Als Katholik machte er sich stark für die Zusammenarbeit von evangelischen und katholischen Christen in der Stadt. Es gebe mehr Christen in Berlin, als wir denken. Eine Aussage, die ich nach dem Besuch von weit über 70 Gemeinden bestätigen kann.

Sehr positiv wurde auch der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, aufgenommen. Ausgehend vom Nagelkreuz, das er sichtbar über seinem schwarzen Gewand trug, predigte er über Jesus und "Eine feste Burg ist unser Gott". Diesen Satz zitierte er mehrfach auf Deutsch. Der Rest wurde von der Bühne aus übersetzt.

Mit "Schwestern und Brüder" begrüßte Norbert Lammert die Gottesdienst-Besucher und redete davon, dass Christen sichtbar sein sollten - auch im Alltag. Überhaupt blieb der gesamte Gottesdienst am Thema "Sehen": Mitmenschen wahrnehmen, in die Augen sehen, etwas sehen, übersehen, herabsehen, Gott sehen, von Gott gesehen werden.

#Kirchentag Reichstag Eröffnungsgottesdienst
#Kirchentag - Eröffnungsgottesdienst vor dem Reichstag - Predigt des Erzbischofs von Canterbury
Ich sehe einen Parkplatz und die Kanzlerin

Als ich zum Auto zurückkam, sah ich ein Ticket: 10 Euro. Behutsam entfernte ich es und fuhr zur CDU-Bundesgeschäftsstelle. Das war gar nicht so einfach. Die City war weiträumig abgesperrt. Ich parkte am Großen Stern und lief die 600 Meter zum Konrad-Adenauer-Haus.

Dort sah ich weitere Bekannte: Angela Merkel, EKD-Chef Heinrich Bedford-Strohm, Erhart Zeiser und Allianz-Primus Ekkehart Vetter. Eckart von Hirschhausen und Norbert Lammert standen neben mir und folgten dem Grußwort der Kanzlerin, die sich über den wachsenden Mut zum Outen als Christ redete. Ursula von der Leyen sah ich nicht, dafür aber die Kirchentags-Präsidentin Christina Aus der Au. Die Schweizerin mit dem starken fränkischen Akzent hatte schon beim Gottesdienst einen sehr sympathischen Eindruck hinterlassen.

Wir sehen die zu spät Kommenden

Wegen der oben erwähnten Verkehrssituation kamen fast alle Altvorderen zu spät, also die Personen, die in der ersten Reihe neben der Kanzlerin und Peter Tauber sitzen durften. Peter Tauber hätte ich nach dem Gottesdienst am Reichstag fast eine Mitfahrgelegenheit angeboten. Sein nächstens Ziel war absehbar.

Auch Erzbischof Welby mit dem Nagelkreuz und Landesbischof Bedford-Strohm kamen zu spät. Bedford-Strohm ist dafür bekannt, seinen Halsschmuck auf den Anlass anzupassen. Statt eines Kreuzes trug er heute einen DEKT-Schal. Sein Grußwort war frei gesprochen und zeigte, dass er auch Latein kann: Dreimal wiederholte er mit den Worten "homo incurvatus in se ipsum", dass der Mensch verkrümmt in sich selbst sei. Diese Verkrümmung könne sich nicht nur in Sünde äußern, sondern auch in einem um sich selbst Drehen. Das gelte für Einzelpersonen und ganze Gemeinden. Applaus.

Siehe, ein D!

Immer wieder grüßten mich völlig unbekannte Leute. Einer davon raunte mir in vertraulichem Ton zu: "Essen gibt's oben". Oben wurden die Gäste mit belegten Broten, Wein, Bier und anderen Getränken versorgt. Gemeinsam mit Allianz-Chef Ekkehart Vetter wurde die Demokratie einer Belastungsprobe unterzogen. Wir lehnten uns gegen das zwei Meter hohe D des CDU-Schriftzuges. Es gab nach und rutschte Richtung Fenster. Wir stellten den Buchstaben an seinem ursprünglichen Ort und wechselten den geografischen Standpunkt.

Am Ende des Ganges wurden Eierkuchen gebacken. Ich bekam einen in Form des CDU-Schriftzuges. Sollte das mein Gewissen herausfordern? Keine Ahnung. Ich tauchte die drei Buchstaben in rote Fruchtsoße und verspeiste das D zum Schluss.

Apropos rote Fruchtsoße: Die Kanzlerin hatte den EKD-Ratsvorsitzenden trotz seiner politischen Orientierung sehr herzlich begrüßt und dann von der Kanzel aus bemerkt, dass sie die geschwisterliche Gemeinschaft über Parteigrenzen hinweg genieße. Am Promi-Tisch saß Angela Merkel dann jedoch neben dem Briten mit dem Nagelkreuz.

Freitag, 24. März 2017

Dynamissio - missionarischer Gemeindekongress 2017

Dynamissio versteht sich als missionarischer Gemeindekongress. Der dreitägige Kongress ist aber weit mehr. Dynamissio endet am Samstag mit einem gemeinsamen Gottesdienst inklusive Abendmahl. Heute hatte ich die Ausstellung im Velodrom besucht.



Der Außenbereich des Velodroms hat den Charme der Unterwelt des Flughafens Tempelhof. Nackter unbehandelter Beton, undefinierbare Zugänge zum Innenbereich, Sichtachsen wie im Schießstand des "Planeten der Affen". Vögel zwitscherten. Die Sonne tauchte den breiten Eingangsbereich in ein angenehmes Licht.

Durch einen nüchternen Gang und um mehreren Abzweigungen gelangte ich schließlich in einen Saal mit unzähligen Messeständen. Zur Internetmission Berlin musste ich mich durchfragen und fand sie tatsächlich in der äußersten Ecke. Der Projektleiter hatte systematisch die Standbetreuer anderer Organisationen abgezogen und zum Stellplatz A25 geholt. Dort liefen die Kneipenvideos, die den Glauben auf berlinerisch erklären.

Dynamissio 2017
Dynamissio 2017 - Mission ganz groß geschrieben
Seminare, Foren, Projekte

Im Saal war kaum etwas los. Die meisten Teilnehmer hatten sich in Berlin verteilt, um Seminaren oder Foren beizuwohnen oder gar eines der knapp vierzig Projekte kennen zu lernen. Die Seminare bewegten Themen wie "Digitale Kirche", "missionaler Lebensstil", "Kommunikation statt Konfrontation", "Kids first!" und andere sehr vielseitige Interessensgebiete.

Die Foren waren in Evangelium, Gemeinde und Politik + Kultur eingeteilt. Die Besetzung war hochkarätig. Es referierten beispielsweise Volker Kauder MdB zur Religionsfreiheit oder Volker Beck MdB zur Rolle der Kirche in einer multireligiösen Gesellschaft.

Vernetzung und Flyer

Vernetzung auf höchstem Niveau während der Veranstaltungen und beim Durchlaufen der Messestände. CVJM, Gideon, Bibellesebund, FEG, World Vision, ERF, Campus für Christus, Juden für Jesus und Open Doors waren nur einige der Organisationen, die in trauter Einheit ihre Spezifika präsentierten. Überall gab es Goody Bags, Kugelschreiber, Bonbons, Bücher und Flyer. Flyer ohne Ende. Dankend lehnte ich viele der Flyer und Kugelschreiber ab. Ich gab mehrere Visitenkarten heraus und wunderte mich, dass kaum jemand eine personalisierte Karte dabei hatte.

Dynamissio 2017
Dynamissio 2017 - Projekte stellen sich vor
Dynamik und Mission

Dynamissio ist ein schönes Wortspiel aus Dynamik und Mission. Eine Kombination, die in deutschen Gemeinden nur partiell abgedeckt wird. Die Zuständigkeit für Mission wird regelmäßig an übergemeindliche Organisationen delegiert. Gut, wenn diese Organisationen dann auch keine Mitarbeiter oder finanzielle Ressourcen aus der Ortsgemeinde abziehen. Dynamik hat etwas mit Vorwärtsentwicklung zu tun und kann gelegentlich Geschwindigkeiten annehmen, die den bisherigen Lenker einer Gemeinde überfordern.

Dynamissio vereint Christen mit dem gleichen Ziel, nämlich Menschen für Jesus zu begeistern. Die Wege zum Ziel sind vielgestaltig und setzen an unterschiedlichen Etappen des Glaubenslebens und bei differenzierten Lebenssituationen an: Missionsschiffe im Indischen Ozean, sprechende Stifte in Kinderbüchern, kostenlose Bibeln für Hotelgäste, Bibelschulen für reifende Christen, Vermittlung christlicher Fachkräfte in schwer zugängliche Länder, Leitungskurse für Ortsgemeinden, Hilfe für verfolgte Christen, Materialien für Hauskreise, missionarische Aktionen für Studenten und vieles mehr.

Dynamissio 2017
Dynamissio 2017 - Betet für die Menschen in Nordkorea!
Besonders bewegend war der Stand von Open Doors, der den Besucher greifbar in das Szenario nordkoreanischer Arbeitslager integrierte. An den Wänden waren Berichte von Häftlingen, die bis zum Tod an Jesus festgehalten hatten und damit auch ein Umdenken bei ihren Wärtern anstoßen konnten.

Ein beachtenswerter Fokus lag auch auf den Basics der Beziehung zu Jesus, dem Bibellesen. So gab es Bibelkurse, Bibeln in unterschiedlichen Übersetzungen, Bibeln mit Bildern, Bibeln als Film oder Bibeltexte als Comic.

Dynamissio 2017
Dynamissio 2017 - Basiswissen aus der Bibel
Christen unter sich

Bei all den Programmen und Angeboten auf dem Dynamissio-Kongress blieben die Anbieter unter sich. Die Zielgruppe der Noch-Nicht-Christen hätte sich hier sicher wohl gefühlt, stand aber nicht im Fokus der Kongress-Teilnahme. Die geballte Ladung missionarischer Organisationen zeigte, dass der jeweilige Akteur nicht allein auf weiter Flur steht.

Letzteres ist übrigens auch ein Phänomen, das uns bei der gemeindlichen Wahrnehmung in Berlin aufgefallen ist. Wer Sonntag für Sonntag in dieselbe Gemeinde geht, übersieht irgendwann das reichhaltige christliche Leben in der Stadt. Dabei finden oft im Umkreis von wenigen hundert Metern mehrere Gottesdienste gleichzeitig statt. Der Blick über den Tellerrand ist gut und hilfreich. Dynamissio ist ein Blick über den Tellerrand. Nicht nur zu den Gleichgesinnten, sondern auch zu Freunden und Bekannten, die Jesus noch nicht kennen.

Sonntag, 12. Februar 2017

Bundesversammlung in der St. Hedwigs-Kathedrale

Der Sonntag der 16. Bundesversammlung zur Wahl des neuen Bundespräsidenten begann mit einer ökumenischen Morgenandacht in der St. Hedwigs-Kathedrale. Gemäß Artikel 54 des Grundgesetzes besteht die Bundesversammlung aus den Mitgliedern des Bundestages und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder gewählt werden.



Weiß-rote Absperrgitter, Polizisten und schwarze Limousinen markierten heute früh das Areal rund um die St. Hedwigs-Kathedrale. Absolutes Halteverbot, Polizeibusse, Menschen in langen Mänteln und Pressefahrzeuge säumten die Bürgersteige. Bereits am Eingang des katholischen Sakralbaus mit der grünen Kuppel stellte sich heraus, wer zur Bundesregierung und wer zur Bundesversammlung gehörte.

Eine gepanzerte Limousine mit Blaulicht folgte der nächsten. Vor mir traf Volker Kauder ein und eilte durch den westlichen Portalzugang, der für die Bundesversammlung vorgesehen war. An der östlichen Pforte hatten sich Kameraleute postiert und fingen die amtierenden Spitzenpolitiker ein.

Ost und West

Die schmalen Türen führten jeweils in den Ostflügel oder den Westflügel der Kathedrale. Es war gut geheizt, so dass ich meinen Mantel ausziehen konnte. Viele der Volksvertreter bevorzugten jedoch ein nachhaltiges Tragen ihrer Mäntel. Nun ja, sie waren alt genug. Viertel vor neun war der Saal schon sehr voll. Auf den Bänken lagen Programmhefte, in denen sämtliche Lieder, Gebete und der Predigttext abgedruckt waren.

Gegen neun Uhr war der Saal so gut gefüllt, dass einige Gäste sogar stehen mussten. Etwa dreihundert Mitglieder der Bundesversammlung wollten den Tag mit einem Gottesdienst beginnen. Politisch korrekt wurde die Zusammenkunft offiziell als "ökumenische Morgenandacht" deklariert, enthielt jedoch fast alle Elemente der allgemein üblichen Liturgie. Allein die Ansagen fehlten und die Kollekte wurde am Ausgang gesammelt: für die Telefonseelsorge.

Bundesversammlung St.Hedwigs-Kathedrale ökumenische Morgenandacht
16. Bundesversammlung - Ökumenische Morgenandacht in der St. Hedwigs-Kathedrale


Große Koalition

Ich hatte direkten Blickkontakt zu Martin Schulz, dem Wettbewerber von Angela Merkel bei der nächsten Bundestagswahl. Angela Merkel war durch einen Kopf verdeckt. Dafür hatte ich den neben ihr sitzenden Frank-Walter Steinmeier im Blick. Dass sämtliche CDU-Politiker durch die "Mitgl.BVers." verdeckt waren, hatte mich zunächst nicht weiter beschäftigt, könnte aber eine prophetische Sicht auf das nächste Wahlergebnis sein. Wir werden es sehen.

Von Nord nach Süd saßen die unterschiedlichen Parteienvertreter in Eintracht nebeneinander: Maria Böhmer, Julia Klöckner, Martin Schulz, Peter Altmaier, Herrmann Gröhe, Wolfgang Schäuble, Joachim Gauck, Norbert Lammert, Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier. Es schloss sich der Altarbereich mit dem Kreuz an, was die Anwesenheit von Jesus symbolisierte.

Ökumene

So bunt wie der Parteienreigen waren auch die Akteure an der Kanzel. Flüssig und in ökumenischer Harmonie wechselten sich Erzbischof Dr. Heiner Koch, Prälat Dr. Karl Jüsten und Prälat Dr. Martin Dutzmann ab. Jeder von ihnen hatte spezielle Impulse, die politische Themen und biblische Botschaft verknüpften. Die Versammlung wurde klar auf die Gegenwart Gottes hingewiesen und bei einem längeren Moment der Stille sollten die Anwesenden reflektieren, in welcher Beziehung sie selbst gerade zu Gott stehen. Kein Input und kein Lied war darauf gerichtet, dem Hörer hörig zu werden. Jesus und die Ehre Gottes standen im Mittelpunkt.

Matthäus 20, 1-15

In der Predigt ging es um den Hausherrn, der den gesamten Tag über Arbeiter für seinen Weinberg anstellt und diesen am Abend jeweils einen Tageslohn auszahlen lässt (Mt 20,1-15). Der Fokus lag auf der Person des Hausherrn, der zwar gemäß Vers 8 einen Verwalter hatte, aber viele Dinge selbst in die Hand nahm, da sie ihm wichtig waren. "Früh am Morgen" hatte er sein Haus verlassen und die ersten Mitarbeiter angestellt und auch Verantwortung für seine Mitbürger übernommen, die keine Arbeit gefunden hatten, aber zum Feierabend ihre Familie ernähren konnten. "Grundsicherung", raunte meine Nachbarin ihrem Begleiter zu. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, als die Bundesversammlung der Predigt lauschte.

Wenn du willst, kannst du das Gebot halten.

Bereits in der Einleitung wurde aus Sirach 15, 15 zitiert, wo es heißt: "Gott gab den Menschen seine Gebote und Vorschriften. Wenn du willst, kannst du das Gebot halten". Gottes Gebote, Gleichheit und Gerechtigkeit waren Themen, die sich durch den gesamten Gottesdienst zogen. Als besonderes Zeichen der Gleichheit durften sich die Anwesenden per Handschlag einen "Friedensgruß" zusprechen.

Vaterunser mit der Bundesregierung

Nach mehreren Vortragsstücken des Chores und der Dombläser der St. Hedwigs-Kathedrale standen wir auf und beteten gemeinsam das Vaterunser. Mehrere hundert Entscheidungsträger unseres Landes beteten zusammen das Vaterunser. Eine besondere Atmosphäre, die den Innenraum der Kathedrale erfüllte und in der eine unsichtbare Kraft zu spüren war. Es folgte das gemeinsame Lied "Nun danket alle Gott" und danach der Segen, der auch als eine von Gott begleitete Entsendung zur bevorstehenden Wahl formuliert wurde.

Am Ausgang wurde für die Telefonseelsorge mit ihren etwa 7.500 ehrenamtlichen Mitarbeitern gesammelt. Die in einigen Gemeinden so penetrant eingeworbenen "Scheinwerfer" waren heute wohl alle zur Wahl des neuen Bundespräsidenten nach Berlin gekommen. Beim Verlassen der Kathedrale lief mir Petra Pau über den Weg. Ihr folgte Peter Altmaier im Anzug. Er telefonierte scheinbar mit seinem abwesenden Fahrer. Ich hatte mich bereits in den Mantel gewickelt und freute mich, dass mein Auto ganz in der Nähe parkte.

Donnerstag, 9. Februar 2017

Gebet für die Stadt im Maritim proArte

Als der zentrale aber sakrale Ort in der City West nicht mehr zur Verfügung stand, eröffnete sich ein zentraler aber säkularer Ort in der City Ost für das monatliche Gebet unter der Leitung zweier ehemaliger Offiziere der Heilsarmee.



Die Dorotheenstraße in Mitte wird fast immer passiert, wenn politische oder wirtschaftliche Ereignisse in Berlin stattfinden. In unmittelbarer Nähe befinden sich das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, der Bundestag, die Botschaft Frankreichs, das Café Einstein, das Hauptstadtstudio des ZDF, der Bahnhof Friedrichstraße, das Hochhaus von Ernst & Young, die Hauptstadtrepräsentanzen von Microsoft und Google, das Telefónika Basecamp und das Hotel Maritim proArte.

Heute Abend parkten wir direkt vor dem letztgenannten Hotel und legten statt des üblichen Presseschildes ein vom benachbarten Automaten gezogenes Parkticket auf das Armaturenbrett. Die hoch frequentierte Auffahrt des Hotels ließ zunächst auf einen der vielen Kongresse schließen, für die das Maritim proArte bekannt ist. Das täuschte jedoch und in der Lobby standen nur vereinzelte Personen, die auf jemanden warteten.

Salon 7

Eine Bildschirm informierte uns darüber, dass das "Beten für Berlin" in Salon 7 stattfinde. Ein Mitarbeiter erklärte uns den Weg und wir begaben uns in die erste Etage. Der dicke Teppich schluckte unsere Laufgeräusche. Im Salon mit der biblischen Vollkommenheitszahl standen bereits einige ältere Beter und gossen sich Apfelsaft oder Mineralwasser ein. Das Majors-Ehepaar hatte bereits einen Laptop und einen Beamer vorbereitet. Die Stühle standen im Halbkreis und durch das Fenster konnte ich beobachten, ob das hinter uns parkende Fahrzeug die enge Lücke ohne Rempler zu verlassen imstande sei.

Danken und Bitten

Nach einer kurzen Begrüßung stiegen wir sofort ins Gebet ein. Der Abend war in zwei Hauptteile gegliedert: erst Dank, dann Fürbitte. Rolf Metzger führte mit einer liebevoll vorbereiteten Präsentation durch die Themenbereiche. Zwischendurch gab es immer wieder gemeinsame Lieder, die er auf seiner Concertina begleitete. Auch zum Hören auf Gottes Reden war Gelegenheit.

Gottes Gedanken - Gottes Wege - Dein Wille geschehe!

Der heutige Leittext stand in Jesaja 55, 8-9 und beinhaltet im Wesentlichen die Aussage, dass Gottes Gedanken nicht unsere Gedanken und Gottes Wege nicht unsere Wege sind. Ein Thema, das uns schon seit dem gestrigen Ehekurs beschäftigt hatte und heute mehrfach in anderen Zusammenhängen aufgefrischt worden war. Der Offizier in Dunkelblau griff diese Aussage mehrfach auf und ermutigte die Runde der dreizehn Teilnehmer, sich auf das hörende Gebet einzulassen und dann in die Richtung zu beten, die Gott vorgab.

75 Minuten Gebet für die Stadt

Die 75 Minuten des Gebetsabends vergingen wie im Fluge und wurden mit dem Vaterunser und einem Lied abgeschlossen. In dieser Zeit hatten wir Gott für vieles gedankt und anschließend unter anderem für den Senat, die Bundesregierung, die Sicherheitskräfte, die Gemeinden Berlins und den Gastgeber gebetet.

Nach einem kurzen Smalltalk verließen wir das Hotel und fuhren an den Stadtrand.

Samstag, 31. Dezember 2016

Gottesdienst der Schausteller in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche

Durch eine Presseinformation wurde ich gestern Nachmittag auf einen Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche aufmerksam gemacht. Der Jahresabschlussgottesdienst der Schaustellerinnen und Schausteller hat wohl schon Tradition an diesem Ort.



"Ach hier war das", der zweite gediegene Herr mit Mantel und Brille nickte, während beide auf das Kerzenmeer in der großen Lücke zwischen den Weihnachtsmarkt-Buden schauten. Wir eilten an ihnen vorbei. Es war zwar noch genügend Zeit, aber wir wussten ja nicht, wie gut der Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche besucht sein wird.

Im Eingangsbereich wurden die Gäste von Verantwortlichen des Schaustellerverbandes begrüßt. Ein Mitarbeiter drückte uns ein Programmheft in die Hand. Der Saal war noch recht leer, so dass wir relativ weit vorne Platz nehmen konnten. Auf dem Altar waren eine Bibel, ein Kreuz, zwölf Kerzen und Abendmahlsgeschirr symmetrisch angeordnet. Darüber schwebte eine segnende Jesus-Figur in goldenem Glanz.

Jahresschlussgottesdienst Schausteller Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche
Jahresschlussgottesdienst der Schausteller in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche


Innerhalb der nächsten halben Stunde füllte sich der Saal mit Leuten, die sich offensichtlich kannten und teilweise sehr herzlich begrüßten. Einige waren in Schwarz erschienen, um sich optisch mit ihren Kollegen und Kunden des Weihnachtsmarktes am Breitscheidplatz zu solidarisieren. Als die Orgel erklang, erhob sich die Gemeinde. Durch den Mittelgang schritten katholische und evangelische Pfarrer sowie Entscheidungsträger aus Regionalpolitik und Wirtschaft. Sie stellten zwölf weitere Kerzen auf den Altar.

Das gemeinsame Eingangslied "Von guten Mächten wunderbar geborgen" hatte heute eine ganz besondere Bedeutung. Dietrich Bonhoeffer hatte den Text 1944 geschrieben und erlebte den darauf folgenden Jahreswechsel nicht mehr. Beim Jahresschlussgottesdienst der Schausteller im letzten Jahr hätte wohl niemand damit gerechnet, dass wenige Meter neben der Gedächtniskirche zwölf Menschen aus dem Leben gerissen werden. Sie konnten den Heiligabend 2016 nicht mehr erleben.

Jahresschlussgottesdienst Schausteller Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche
Jahresschlussgottesdienst der Schausteller in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche


Auch der Predigttext zur Jahreslosung 2016 "Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet" aus Jes 66,13 bekam angesichts der vorweihnachtlichen Ereignisse eine ganz neue Bedeutung. Gedächtniskirchen-Pfarrer Martin Germer nahm die Zuhörer emotional in den Text hinein und ermutigte auch die harten Männer des Schaustellergewerbes, Tränen zuzulassen und professionelle Hilfe bei der Bewältigung von Trauer, Schlaflosigkeit und Angst zu suchen. Martin Germer ging aber auch auf die Ursprünge des Textes und die damalige Situation des Volkes Israel ein.

Besonders beeindruckend war die Instrumentalbegleitung von Andreas Uhle, der bei einem der Orgelstücke mit einer Aida-Trompete vor dem Altar stand. Warum nur musste ich unentwegt an die sieben Engel mit den Posaunen aus Off 8,2 denken, die in den Offenbarungskapiteln acht bis elf zum Einsatz kommen?

Nach dem Abendmahl, übrigens mit Weißwein, kam Circus- und Schaustellerseelsorger Torsten Heinrich (EKD) zum Einsatz. Er gab einen Ausblick auf die Jahreslosung für 2017: "Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch". Der Vers steht in Hesekiel 36,26 und wurde in einer Zeit verfasst, die die Israeliten in der babylonischen Verbannung zubrachten, die sie sich maßgeblich durch ihr Desinteresse an Gott eingebrockt hatten.

Jahresschlussgottesdienst Schausteller Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche
Jahresschlussgottesdienst der Schausteller in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche


Der Segen wurde gemeinschaftlich evangelisch und katholisch gesprochen. Die Kollekte war für die Konfirmanden der Circus- und Schaustellerseelsorge gedacht. Die Kinder und Jugendlichen von Eltern dieser Branche sind ja besonders durch ständige Wohnortwechsel herausgefordert. Mein Sohn flüsterte mir zu, dass das ja gar nicht so dramatisch sei, wie man an unserer guten geistlichen Versorgung durch divergente Gottesdienstbesuche sehe.

Am Ausgang gab es Kerzen mit der Jahreslosung. Einige dieser Kerzen fanden sich anschließend im Meer der Kerzen an der provisorischen Gedenkstätte zwischen den Weihnachtsmarkt-Buden wieder.

Mittwoch, 14. Dezember 2016

Bahnhofsmission am Zoologischen Garten

Auf der Rückseite des Bahnhofs Zoologischer Garten, abgewandt vom pulsierenden Leben des Zoo-Einganges, des Zoo-Palastes, der Kantstraße und des Breitscheidplatzes mit Gedächtniskirche befinden sich die Zugänge zur Bahnhofsmission. Täglich finden hier mehrere hundert Menschen Hilfe.



"Der Gott des Himmels wird es uns gelingen lassen; denn wir, seine Knechte, haben uns aufgemacht und bauen wieder auf", heißt es in Nehemia 2, 20. Diesen Losungstext hörten heute Vormittag mehr als zwanzig Kameraleute, zehn Textjournalisten, diverse Polizisten und Personenschützer, der Bundespräsident, Daniela Schadt sowie Gäste und Mitarbeiter der Bahnhofsmission.

Gäste oder Fremde?

Das Vokabular ist wichtig. Während in herkömmlichen Gemeinden bei unbekannten Besuchern gerne von "Fremden" gesprochen wird, redet man in der Bahnhofsmission von "Gästen". Einige dieser Gäste standen zusammen mit den Pressevertretern vor der Tür und warteten auf das, was da kommen möge. Advent eben. Auf dem WC teilte einer der Gäste seinem Mitgast mit, dass Jauch käme. "Nein, Gauck", teilte der andere Gast mit. "Den Vogel muss ich mir mal angucken" lallte der Gesprächseinsteiger und brachte noch eine kurze Zusammenfassung seiner sozialpolitischen Einsichten, die der andere Gast kompetent zu korrigieren wusste.

Bahnhofsmission am Zoologischen Garten
Bahnhofsmission am Zoologischen Garten - Mitarbeiter in Blau, Daniela Schadt in Grau, Joachim Gauck im Anzug
Der Bundespräsident erschien pünktlich und begrüßte zunächst die Anzugträger. Dann gesellte er sich zu den Mitarbeitern in Blau, die die Eingangstür "bewachten" und nahm sich Zeit für Gruppenfotos. Kurz vorher hatte die ARD noch eine Szene eingefangen, bei der ein Gast mit weißem Regierungsbändchen ausgestattet und danach als "vorgezogenes A***loch" angepöbelt wurde. Der Pöbler fragte mich nach einem Euro, den ich nicht klein hatte. Er könne wechseln und disqualifizierte sich damit erst recht als Zuwendungsempfänger.

Mit weißen oder grünen Bändchen erhielten wir zusammen mit Joachim Gauck Zutritt zum Essenssaal der Bahnhofsmission. Bildende Journalisten nahmen hinter einem roten Absperrband Platz und die schreibende Zunft durfte sich an weihnachtlich gedeckte Tische mit Kaffee und Schokokeksen setzen. Dann folgte die oben bereits zitierte Losung. Die Andacht war kurz und endete mit einem Lied und Gebet. Selbst einige Personenschützer falteten die Hände. Textjournalisten sprachen ein deutliches "Amen". Danach wurden die Fotografen nach draußen gebeten.

Auf den Liedblättern mit dem Stadtmissionslogo war "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit" in Anlehnung an Psalm 24 abgedruckt. Dass damit Gott gemeint ist, steht außer Frage. Jedoch passte es gut zum Empfang eines Spitzenpolitikers. Joachim Gauck trifft ständig "gekrönte Staatsoberhäupter", ist sich aber auch der "Welt daneben" bewusst. Deshalb taktet er Termine an Brennpunkten der Gesellschaft gerne in seinen Kalender ein. Ihm sei es wichtig, den engagierten Menschen des Landes bei solch einer Gelegenheit "Danke" zu sagen.

Bahnhofsmission am Zoologischen Garten
Bahnhofsmission am Zoologischen Garten - Andacht und Gesprächsrunde mit Bundespräsident Gauck


In kleiner Runde

Statt einer Rede am Pult mit Goldadler setzte er sich auf die harten Stühle der Bahnhofsmission und muss sich wie bei einem der längst vergangenen Bibelabende in seiner Kirche vorgekommen sein. Acht sehr unterschiedliche Menschen saßen im Kreis und erzählten über ihre Beziehung zur Bahnhofsmission. Joachim Gauck hatte damals am Bahnhof Zoo öfter "Daniela abgeholt" und habe aus dieser Zeit die Jebensstraße vor Augen.

Einer der acht im Kreis war ein Polizist mit mehreren Sternen, der mit seinem Verein Obdachlosen hilft. Unter Kollegen werden Sachen gesammelt, die dann hier verteilt werden. Wo im Dienst Distanz zu wahren ist, liegen sich hier öfters Polizisten und Obdachlose in den Armen und haben ein herzliches Verhältnis zueinander.

In der Runde saßen zwei "Gäste" und erzählten aus ihrem Leben. Der Bundespräsident fragte nach und auch Daniela Schadt war sehr interessiert an den Berichten. Die Gäste drückten sich sehr gut aus, erzählten kurz ihre Geschichte und was die Bahnhofsmission für sie bedeute. Sie bekommen hier gute Beratung, ein Bett, Essen, eine Dusche, Ambulanz und Menschen, mit denen sie reden können. Schätzungsweise gibt es in Berlin 4.000 bis 7.000 Obdachlose. Hauptbrennpunkte sind die Fernbahnhöfe. Die Berliner Stadtmission betreibt einen Kältebus, der insbesondere im Winter Obdachlose einsammelt und in Notunterkünfte bringt.

Mitarbeiter in Blau

Die Mitarbeiter der Bahnhofsmission rekrutieren sich aus Freiwilligen, angestellten Mitarbeitern und Straffälligen mit der Auflage gemeinnütziger Arbeit. Es arbeiten Designer, Ärzte, Manager, Volkswirte oder Rentner Hand in Hand und teilen sich die Schichten rund um die Uhr. Dabei fiel auf, dass viele Freiwillige und Gäste aus Süddeutschland stammen. Süddeutschland sei das Bundesland mit dem größten Ehrenamtsanteil.

Bei der Bahnhofsmission gebe es drei Personengruppen: die normal gekleideten sind Gäste, die Anzugträger leiten das Ganze und die Leute in Blau sind die "Nächste Hilfe". Etwa 150 angestellte Mitarbeiter gibt es, die von etwa 200 Straffälligen unterstützt werden. "Sind Knackies hier", fragte der Präsident in die Runde. Es meldete sich niemand. Ansonsten hätte er sich wohl noch dessen Lebensgeschichte erzählen lassen. An den Pressetischen wurde emsig mitgeschrieben, ansonsten wären wir wohl auch noch ins Gespräch verwickelt worden.

Der Chef

Die befragten Mitarbeiter in Blau oder Schwarz (Diakonisse Schwester Inge, übrigens auch aus Süddeutschland) stellten sehr deutlich ihre Beziehung zu Jesus heraus. Lutz erzählte von seinem Krebs, der durch Gebet überwunden worden sei. Er erfülle nun sein dankbares Versprechen, regelmäßig in der Bahnhofsmission zu arbeiten. "Ein Gelübde", konnte Joachim Gauck das theologisch korrekt auf den Punkt bringen. Lutz werde oft nach dem Chef gefragt. Der hänge dort an der Wand und sei auch noch nicht runtergefallen. Alle schauten auf die Schnitzerei mit dem gekreuzigten Jesus. Der pensionierte Werksleiter sei hier geerdet worden. Er sehe Elend aber auch Glück. Er sehe Tränen und Freude. Dieser Lebensabschnitt sei für ihn wie die Medizin. Dass das Arbeitsklima sehr gut sei, bestätigten die Mitarbeiter unisono. Auch die Gäste zeigten sich beeindruckt vom allgemeinen Umgang miteinander.

"Ich liebe die Menschen und liebe den Auftrag von Jesus Christus", rundete Schwester Inge ihre Ausführungen zur Tätigkeit in der Bahnhofsmission ab.

Die doch recht familiäre und ausführliche Zusammenkunft endete mit einem Hinweis auf den Terminkalender. Joachim Gauck sprach sich für einen nächsten Besuch aus. Auch Daniela Schadt war interessiert. Dann stürzten wieder die Fotografen und Kameraleute herein und versperrten die Sicht auf die liebevoll vorbereiteten Brötchen. Ich verließ die Szenerie, um noch möglichst entspannt den weiteren Weg antreten zu können. Draußen langweilten sich die Polizisten und die Fahrer der beiden schwarzen Limousinen.

Freitag, 18. November 2016

Zwei Schiffe begegnen sich in der Nacht

Es muss mindestens sieben Jahre zurück liegen, wo wir das Sprichwort "zwei Schiffe begegnen sich in der Nacht" zum ersten Mal gehört hatten. Es wird gebraucht, wenn Menschen eine völlig unterschiedliche Denkweise und Wahrnehmung haben.



Eine Falle der Egozentrik ist es, davon auszugehen, dass alle anderen Menschen so denken und wahrnehmen wie ich selbst. Ich betrachte mich als Normativ für Denkweise und Wahrnehmung und setze vergleichbare Parameter bei den Menschen in meiner Umgebung voraus.

Doch weit gefehlt!

Ein Mann mit Burnout denkt in Angstszenarien, ein echter Beamter denkt in Amtsdeutsch, ein Offizier denkt in Strategien, ein Grüner denkt ökologisch, ein Rechtsanwalt denkt in Paragraphen, ein Journalist denkt in Stories und ein Softwareentwickler in If-Then-Else-Schleifen. Letzteres kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Nur wenn es Schnittmengen gibt, vermengt sich das Denken und macht die Handlungsweisen des Anderen nachvollziehbar oder gar berechenbar.

Solch eine Schnittmenge kann der gemeinsame Glauben an Jesus Christus sein. Wie wir kürzlich bei einer internationalen Konferenz feststellen konnten, verbinden sich ethnische, soziale, sprachliche und kulturelle Unterschiede zu einer bemerkenswerten Harmonie, wenn sich Menschen um den Mittelpunkt Jesus versammeln. Das entspricht der praktischen Umsetzung von Joh 13,35. In Städten wie New York oder Boston war irgendwann die Not so groß, dass sich Gemeinden unterschiedlichster Prägung aufeinander zu bewegten und gemeinsam für die Stadt eintraten. Die Ergebnisse lassen sich in beachtenswerten Zahlen dokumentieren.

Luxus in Berlin

In Berlin hingegen leistet man sich den Luxus von Divergenz, Abgrenzung und Parallelwelten. Während steuerfinanzierte Berufschristen Papiere mit durchaus wohlklingenden Absichtserklärungen für die Ablagesysteme ihrer Gremien produzieren, disruptieren neue Gemeinden die Stadt mit geistlichem und quantitativem Wachstum sowie regelmäßigen Taufen. Vernetzung findet jedoch nur weitestgehend auf der Basisebene statt.

Das entspricht in etwa dem, was Executuve Vice President Christoph Keese von Axel Springer SE im Rahmen eines Vortrages über Disruption auf einer Landwirtschafts-Konferenz im Januar 2016 gesagt hatte. Demnach sei die allgemeine Arroganz des "Establishments" bemerkenswert, das sich als "Halbtoter auf dem Weg zum Friedhof" lange über die Bemühungen des Disruptors amüsiere und dann plötzlich vor dem Aus stehe. Christoph Keese prognostizierte eine Sterblichkeit durch alle Branchen von 95%.

Schauen wir in die christliche Szene, so gibt es reichlich Unverständnis zwischen Evangelikalen und Landeskirchlern, zwischen Katholiken und Protestanten oder Charismatikern und Bibelkennern. Gerne wird in diesen Zusammenhängen das Christsein des Anderen in Frage gestellt, wenn er anders tauft, zu alte Lieder singt, sich zu wenig in der Bibel auskennt oder gar betet und mit dem aktiven Eingreifen Gottes in Lebenssituation rechnet.

Wenn Joh 13,35 nicht mehr in der Praxis sichtbar wird, kommen auch die Moslems zum Zuge. Im Koran können sie mehrfach lesen, dass sich die "Menschen der Schrift" nicht einig waren und deshalb der Koran als letzte Offenbarung herabgesendet wurde. Aber auch Islamisten sind sich nicht einig. Die Sunniten betrachten die Welt anders als Schiiten. Die daraus folgenden und für unsere Wahrnehmung abstrusen Handlungsmuster können nur nachvollzogen werden, wenn man sich mit den Denkmustern dieser Personen beschäftigt.

Es beginnt ja generell schon damit, dass ein Theoretiker anders als ein Praktiker denkt und handelt. Der Visionär denkt selten in den Strukturen des Managers. Ein Handwerker denkt oftmals nicht kaufmännisch, was gelegentlich suboptimale Folgen hat. Dabei ergibt sich aus diesen Unterschieden auch ein erhebliches Potenzial an Ergänzung, wie es beispielsweise in 1. Kor 12 beschrieben wird.

Was beim Miteinander hilft ist Empathie.

Empathie schlägt eine Brücke zwischen unterschiedlichen Menschen. Insbesondere Verkäufer haben diese Gabe und nutzen sie zum Vermarkten ihrer Produkte. Wenn der Verkäufer merkt, wo beim Kunden der Schuh drückt, muss er nur das passende Argument finden, das das Produkt als Lösung für genau dieses Problem darstellt. Selbst einem Eskimo kann ein Kühlschrank verkauft werden. Dazu fallen mir ad hoc zwei Vertriebsargumente ein. Zuerst könnte beim winterlichen Bedarf an Licht angesetzt werden. Licht erstrahlt, sobald der Eskimo den Kühlschrank öffnet. Ein zusätzlicher Vorteil wäre die geschlossene Tür. Diese hält Eisbären vom Verzehr des Inhaltes ab. Ob also die Tür des Kühlschrankes offen oder geschlossen ist, der Eskimo hat in jedem Fall einen Vorteil und braucht deshalb? Klar, einen Kühlschrank!

An Empathie und dem Bewusstsein für divergente Denkstrukturen mangelt es aber auch in der großen Politik. So kann der humanistisch geprägte Europapolitiker mit seinem juristisch-soziologischen Hintergrund nicht nachvollziehen, wie ein Präsident Putin oder ein Donald Trump seine Entscheidungen findet. Hillary Clinton wäre die europäische Wunschpräsidentin gewesen, da sie ein gewisses Maß an Kontinuität in der Außen- und Sicherheitspolitik suggerierte. Mit Donald Trump hingegen kann man in Europa nichts anfangen. Die Verunsicherung wird insbesondere dadurch manifestiert, dass sich zur Zeit sämtliche europäische Staatschefs  in Berlin mit dem scheidenden Präsidenten Obama treffen und mit ihm über Donald Trump reden. Aber schon Hiob 42 zeigt, dass man lieber "mit" als "über" jemanden reden sollte.

Personen des Zeitgeschehens

Dabei muss man sich lediglich Persönlichkeit, Herkunft und Umgebung der jeweiligen Akteure ansehen:

Putin ist ein Geheimdienstmann, der sich mit ehemaligen Kollegen umgeben hat. Er denkt und handelt wie ein Mann aus dem Nachrichtendienst. Das macht ihn berechenbar für Menschen, die die Denkweise von Geheimdienstlern kennen. Agenten denken in langfristigen Schachzügen, beobachten die rote Linie des Gegners und wenn es mal schnell gehen muss, wird ein Bauer geopfert. Dabei kann der Bauer oder die gegnerische Dame auch einmal unsanft vom Tisch fallen, was nicht immer mit den rechtsstaatlichen Auffassungen des Europäers harmoniert. Das Bewusstsein dessen ist jedoch hilfreich für die Bewertung von Gegenwartsszenarien und zur Erstellung von Zukunftsprognosen.

Donald Trump ist Unternehmer. Ein sehr erfolgreicher Unternehmer sogar. Wer weiß, wie Unternehmer ticken, wird auch Trump berechnen können. Dass in Europa so eine große Verunsicherung herrscht liegt daran, dass unsere Politiker eben wie Bürokraten denken und nicht wie Unternehmer. Den Unternehmer zeichnen im wesentlichen drei Grundprinzipien aus:

1) Aus jeder Situation - egal wie herausfordernd - den höchst möglichen Profit ziehen (Röm 8,28)
2) Nicht reden, sondern machen! (Mt 7,21)
3) Entscheidungsfreudigkeit (Lk 19,5-6)

Punkt 2) und 3) bringen natürlich eine ganz andere Dynamik ins politische Geschehen und können bei weniger durchdachten Entscheidungen unangenehme Folgen haben. Aber es lässt sich berechnen, so man sich auf die Handlungsprinzipien eines Unternehmers einstelt.

Vergleicht man nun die Denkmuster Putins mit denen des Unternehmers Trump, wird deutlich, dass beide gut harmonieren. Allerdings wird dann auch deutlich, dass für europäische Harmoniepolitik kein Platz bleibt, außer es wird ein Punching Ball benötigt.

Vielleicht entwickelt sich dadurch ja letztlich ein Szenario, das die Christen in Berlin auch über Grenzen von Charisma, Taufverständnis und steuerlicher Komfortzone zusammen bringt.

Dienstag, 26. April 2016

Colonia Dignidad im Auswärtigen Amt

Die Vorkommnisse in der Colonia Dignidad sind ein Beispiel für geistlichen Machtmissbrauch auf höchstem Niveau. Viele der Betroffenen waren ehemalige Baptisten. Anhand der Colonia Dignidad lassen sich plakativ die Mechanismen und Potenziale von Missbrauchssystemen studieren.



"Es war alles noch viel schlimmer", äußerten sich unisono mehrere der ehemaligen Mitglieder der Colonia Dignidad nach der Filmpräsentation im Auswärtigen Amt.

"Meine Frau hätte den Film nicht ertragen", erzählte mir der Vater von fünf Töchtern, der sich in der Szene wiedererkannte, in der Hans nach der Genesung von der Folter sabbernd in die Werkstatt gebracht wurde. Solche Szenen konnten Jungs in der Colonia Dignidad im Süden Chiles Monate lang durchleben, wenn sie sich den pädophilen Fummeleien des Sektenchefs Paul Schäfer widersetzten. In weit über 30.000 Fällen habe man sich auf diese Weise vergriffen und massiven seelischen Schaden angerichtet.

Dusche gesprengt

Deshalb habe eines der Opfer anschließend auch die berüchtigte Dusche weggesprengt. Das sei aber nicht der einzige Ausbruch befreienden Vandalismus gewesen. Jemand habe das Metallrelief mit der Frau und den beiden Adoptivkindern im Arm von der Außenwand des Haupthauses gerissen, demoliert und in den Wald geworfen. Auf der Rückseite steht wie zum Hohn auf Griechisch: "Lasset die Kindlein zu mir kommen".

Colonia Dignidad im Auswärtigen Amt
Diskussionspanel mit Regisseur, zwei Betroffenen, Moderatorin, Amnesty International und Diplomatie (vlnr.)
Ein deutscher Diplomat bestätigte ebenfalls, dass er damals einen Zustand in der Colonia Dignidad vorfand, der "ungleich schlimmer als im Film" war. Die Menschen waren "hoch traumatisiert und gehirngewaschen". Durch Schweigegelübde wurde die Brutalität des Alltags zu vertuschen gesucht. Dass immer noch alte Leitungsstrukturen wirken, zeigt sich darin, dass man kürzlich den Bewohnern Land als Preis zum Verkauf ihrer Geschichte angeboten habe. Grundbesitz versus Wahrheit.

Pillen gegen ein klares Denken

Eine Panelteilnehmerin, die selbst noch in Chile wohnt und durch ihre Familie weiterhin Kontakte zur Kolonie unterhält, bestätigte ebenfalls, dass der Film durchaus die Härte der psychischen und physischen Unterdrückung treffe und ergänzt: "Es war noch schlimmer". Sie habe den Film nun zum dritten Mal gesehen und durchleide immer wieder die alten Geschehnisse. Ein Betroffener erzählte mir bei Wein und Häppchen, dass er mal so eine Pille probiert habe. Er sei dann für mehrere Stunden völlig im Delirium gewesen.

130 Senioren

Zur Zeit leben noch etwa 130 Personen in der Colonia Dignidad, von denen 2/3 über sechzig Jahre alt sind. Rentenansprüche gebe es kaum. Die Menschen waren bis 2005 als unentgeltliche Zwangsarbeiter mit einer Arbeitswoche von sieben Tagen beschäftigt worden. Erst 2005 gab es das erste Gehalt, womit simple Dinge wie Kaffee, Kaffeekannen, Fernseher und Mobiltelefone angeschafft werden konnten. Das stand vorher nicht zur Verfügung. Lehrbücher waren aus den 1950er Jahren und auch sonst sei jegliche Informationsmöglichkeit unterbunden oder zensiert worden.

Vollbeschäftigung und Zwangsbeglückung

Überbeschäftigung, permanenter Druck, Bespitzelung, Trennung der Familienstrukturen, Gruppenzwang wurden so exzessiv betrieben, dass sich weder einheitlicher Widerstand formieren konnte noch Zeit zum Nachdenken blieb. Und wenn doch jemand nachdachte, gab es noch die Pillen. Wie in Systemen geistlichen Machtmissbrauchs üblich hatte man für "Abtrünnige" jede Menge Verwünschungen parat und stellte Aussteiger auf externe Nachfrage als psychisch krank dar.

Was Paul Schäfer sagte, war Gesetz. Die Bibel auf Schäfers Tisch diente nur noch als Zitatsammlung zur Versklavung seiner Gemeinde und ging in dieser Eigenschaft mit Exodus 20 Vers 7 konform. Dabei waren die Mitglieder der Colonia einst aus gutem Glauben nach Chile gekommen und hatten sich zumeist freiwillig in dieses System integriert. Wie konnte das dann nur so kippen? War es die Abgeschiedenheit? War es die allgemeine Angst während des Kalten Krieges? War es eine schleichende Allmacht-Übernahme durch ihren als begnadeten Prediger angesehenen Prius? Ein Mann, der mit Brutalität und zwanghafter Kontrolle seine Defizite in natürlicher Leitungskompetenz überspielte.

Nachhaltige Gehirnwäsche

Viele der noch heute bewusst in der Colonia Dignidad lebenden Menschen wurden über die Jahre so entmündigt, dass sie sich gar nicht in der Lage sehen, einen Neustart außerhalb dieses zerstörerischen Systems zu wagen. Sie sehen das Areal als ihre Heimat und haben keine Kraft mehr, sich einer Außenwelt mit ihren neuen Herausforderungen zu stellen.

Einer der ersten Aussteiger, dem bereits 1966 die Flucht gelungen war, sagte: "Schäfer war im Bösen ein Profi". Der angerichtete Schaden könne nur durch einen anderen Profi geheilt werden. Jesus? Jedenfalls wurde dieser Wunsch nach Unterstützung auch von weiteren Diskutanten auf dem Podium geteilt. Es sei dringende Hilfe durch Psychologen und Psychiater notwendig.

Beim anschließenden Empfang traf ich Menschen, die ausgestiegen waren und beispielsweise in Baptistengemeinden ein neues zu Hause gefunden hatten. Sie strahlten Freundlichkeit und Gelassenheit aus. Auf meine Frage nach den theologischen Grundlagen der Colonia Dignidad und was man dort bezüglich der zwanghaften Zustände aus der Bibel herausgelesen habe, erfuhr ich ein sehr interessantes Detail:

Eine Gruppe junger Leute hatte viele Monate lang gebetet und gebet und gebetet.

Dann stand der sichtlich demontierte Paul Schäfer vor einem der Jungen und wetterte gegen die "Mafia" - das organisierte Gebet. Drei Tage später setzte sich Schäfer nach Argentinien ab.

Obwohl es vorbei ist, sind immer noch tiefe Wunden vorhanden. Durch auslösende Momente (Trigger) wie den Film "Colonia Dignidad" werden diese wertvollen Menschen auch heute noch mental aus der Bahn geworfen.


Ergänzende Links:
Videobericht auf 3sat.online
Selbstkritische Rede Steinmeiers zu Rolle und Versäumnissen der deutschen Diplomatie

Montag, 11. April 2016

Wir dachten, wir kämen in ein christliches Land

Mit dem Flüchtlingsstrom schwappen auch radikale Tendenzen nach Deutschland, die nicht mit unseren Grundwerten konform gehen und ihr Konfliktpotenzial beim Mobbing gegenüber geflüchteten Christen in den Heimen entfalten.



"Wir Moslems sind gegen Abtreibung. Ihr als Christen doch auch", kann so manch ein Gespräch zwischen Deutschen und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ins Stocken bringen.

Man hat so seine Vorstellungen vom Anderen. Schwarze sehen alle gleich aus. Asiaten kann man nicht voneinander unterscheiden und Alle essen Reis. Frauen mit Kopftuch sind generell Moslems. Und alle Moslems sind radikalisiert. Das Urteil wird pauschal gefällt, da die Fähigkeit fehlt, die ethnischen und religiösen Gruppen zu differenzieren, gute Gemeinsamkeiten und gefährliche Tendenzen herauszufiltern. Überhaupt kann man in Menschen mit braunen Augen nicht hineinschauen. "Sagt der mir jetzt die Wahrheit"?

In genau diesem Spannungsfeld spielt sich die Bewertung von Konfliktsituation in Flüchtlingsheimen ab. Die Polizei ist überfordert, da viel zu wenig interkulturelle und sprachliche Kompetenz vorhanden ist. Es fehle an qualifizierten Bewerbern. Werde man zur Schlichtung eines Konfliktes gerufen, stehe Aussage gegen Aussage, Opfer in der Unterzahl werden eingeschüchtert und der externe Beobachter kann die Feinheiten nicht erkennen. Oftmals sind es auch Missverständnisse der Flüchtlinge untereinander, die ihre kulturellen oder sprachlichen Divergenzen fehlinterpretieren. Für den Außenstehenden stellt sich das als ein völlig undurchsichtiger Täter-Opfer-Mix dar.

Dennoch ermuntert die Polizei zur Anzeige. Das werde jedoch nur selten genutzt, da unmittelbare Ansprechpartner wie Heimleitung oder Security personell unterbesetzt sind und Anzeigen gar nicht weitergeben. Zudem kommen viele der Flüchtlinge aus diktatorisch geführten Ländern, in denen die Polizei keine positive Rolle spielt.

Beim heutigen Fachgespräch "Verantwortung für Religionsfreiheit - Religiöse Minderheiten in Flüchtlingsheimen besser schützen" im Sitzungssaal der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag wurde immer wieder der Ruf nach Schutzräumen für bedrängte Minderheiten laut.


Fachgespräch CDU/CSU-Fraktion Bundestag
Nach zweieinhalb Stunden intensiver Beratung und Diskussion, die von längeren Koreferaten flankiert wurde, war das auch bei den Entscheidern aus Politik und Kirchenleitung angekommen: "Ja, wir schaffen Schutzräume. Ja, wir stellen Ansprechpartner". In der Praxis wird schon Einiges in dieser Hinsicht getan, nur dass es mit der aktuellen Gesetzeslage kollidiert. Flüchtlinge dürfen demnach gar nicht vorzeitig aus dem Heim in eine Wohnung ziehen, wenn die Fristen nicht abgelaufen sind. Hier steht sich die Politik selbst im Weg. Heiße Nadel?

Neben den relativ wenigen bekannt gewordenen harten Fällen körperlicher Angriffe auf Christen und andere religiöse Minderheiten läuft ein "subtiles Mobbing". Die Flüchtlinge sind auf unterschiedliche Weise traumatisiert und können durch die unterschiedlichsten Situationen "getriggert" werden. Die Anlässe sind für den Außenstehenden oft völlig banal und nicht als Auslöser brutaler Angstzustände und Erinnerungen nachvollziehbar. Das zu laute muslimische Gebet, der Tritt gegen die Tür, das Video auf dem Handy können alte Qualen noch einmal durchleben lassen.

"Wir dachten, wir kommen in ein christliches Land", zeigen sich viele geflüchtete Christen ernüchtert über ihren Einstieg in die deutsche Gesellschaft. Wissen sie doch nicht, dass die Religiösität in Deutschland seit den 1930er Jahren kontinuierlich zurückgefahren wird. Es gibt sogar eine Studie dazu.

Ein Moschee-Vertreter sah sich als Teil der Lösung und vertrat die Meinung, dass Halbwissen zu Konflikten führe und deshalb verstärkt über Religion informiert werden müsse. Die Menschen, die hier eintreffen, seien größtenteils gering qualifiziert und religiös ungebildet. Wenn Frust vorhanden sei, sei es egal, welchen Unterschied man am Anderen gerade finde. Da kann dann auch ein Moslem mit dem Moslem aneinander geraten. In seiner Moschee am Columbiadamm engagieren sich insbesondere junge Frauen für eine Brücke zur demokratisch rechtsstaatlichen Gesellschaft.

"Wir wollen keine Religionskriege in unserem Land haben, sondern ein Miteinander", sagte Volker Kauder in seiner Rede. Er plädierte dafür, die bedrohten Minderheiten bewusst in den Heimen zu belassen und statt dessen die bei uns geltende Religionsfreiheit durchzusetzen. In diesen Tenor stimmten auch andere Podiumsteilnehmer ein. "Wir werden vor solch einer Situation nicht kapitulieren", konnte den bisher verhaltenen Applaus deutlich steigern. Die über dreihundert Teilnehmer erfuhren auch, dass der Innenminister seit Januar die religiös motivierten Straftaten gesondert registriere und in das Resort der politisch motivierten Straftaten gelegt habe.

Besonderes Wohlwollen fanden die Berichte ehemaliger Flüchtlinge, die sich inzwischen aktiv in die deutsche Gesellschaft integriert haben. Applaus gab es zur Asylverweigerung bei strafrechtlich relevanten Übergriffen, was übrigens auch mit Artikel 18 des Grundgesetzes konform geht.

"Wir dachten, wir kämen in ein christliches Land", zeigt uns, dass vieles von den alten Wurzeln und Werten verloren gegangen ist. So stand heute auch die Forderung im Raum, dass Christen selbstbewusster werden müssen. "Ja, wir sind auch gegen Abtreibung", könnte ein Anfang sein.